Gerhard Weissenbacher
Auf der Suche nach der Symbolkraft der Dinge
28.10.2023
„Hintergründigkeit und Ambivalenz des Inhalts sowie mit minimalen Mitteln konsequent erarbeitete formale Bewältigung sind wohl die Hauptmerkmale von Gerhard Weissenbachers Oevre, die ihm ein gewisses Alleinstehungsmerkmal verleihen.“ Wolfgang Huber in „Metamorphose“
Anfangsbild: Ausschnitt aus „Mauerbach“, Kreide, Pastell, 2002.
Gestatten Sie mir, vor der Würdigung dieses großen Künstlers ein wenig auszuholen. Es liegt in der Natur dieser Plattform, Dinge in einen größeren Zusammenhang zu stellen. Und es liegt in der Natur von Regionen, Lichtgestalten – wozu natürlich auch gute Künstler zu rechnen sind – für sich zu vereinnahmen. Sie alle. Auch wenn sie in der jeweiligen Region nur geboren wurden, hinsichtlich Ober St. Veit zum Beispiel am Himmelhof, dem Geburtsort zahlreicher späterer Zelebritäten. Oder wenn es sich beim jeweiligen Aufenthalt nur um eine von vielen Stationen auf dem Lebensweg handelte, wie bei Alexander Rothaug. Oder wenn sie das Schicksal dorthin warf, wie Egon Schiele für die letzten sechs Jahre seines kurzen Lebens. Oder wenn sie Fortuna zu uns brachte, spät aber doch, für einen schönen Lebensabend, wie Eduard Diem, den unbeugsam Vielfältigen. Die höchste erreichbare Stufe wäre, zu den „Alteingesessenen“ gezählt zu werden.
Schon spüre ich die misstrauisch gehobene Augenbraue ob solchen Regionaldenkens in einer Welt der Mobilität und Übernationalität. Somit bitte ich um Entschuldigung – die Entschuldigung ist ja zum rettenden Schleier geerbten Denkens geworden. Die hier genannten Künstler eint aber nicht nur das ersessene oder honoris causa erworbene Prädikat „Ober St. Veiter“, sondern ein ganz wesentliches Merkmal: Sie zählen zu den Künstlern, die das Merkantile ihrer künstlerischen Freiheit unterordneten. Die natürliche Folge ist ein sehr unterschiedlicher Bekanntheitsgrad.
Doch jetzt zu Gerhard Weissenbacher: Von 26. September bis 25. Oktober 2023 fügte er seinem künstlerisches Leben mit einer Einzelausstellung im Kunst-Service, 1040 Wien, Sankt-Elisabeth-Platz 6, einen weiteren Höhepunkt hinzu. Zu diesem Anlass hat er einen bemerkenswerten Prachtband als Dokumentation seiner Kunst und seines Lebens herausgegeben. „Metamorphose“, das Motto dieses Werkes, deutet auf ein wesentliches Merkmal der Kunst: Das ständige Suchen nach der persönlichen und ureigenen Sprache zur Veranschaulichung der großen Zusammenhänge. Gerhard Weissenbacher unternimmt dies nunmehr seit sechs Jahrzehnten, also von den 1960er-Jahren an bis heute. Doch schon zu seinen Anfangszeiten war der naturalistische Kunstbegriff längst aufgelöst, auch in Wien, das in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts von den internationalen Entwicklungen regime- und kriegsbedingt weitgehend abgekoppelt war. Damit fiel seine Arbeit gänzlich in eine Zeit entfesselter Kreativität und genauso entfesselter Technik. Leider war es auch eine Zeit für Scharlatane.
Dem durchschnittlich versierten Kunstbetrachter – wie zum Beispiel mir – ist es daher angeraten, sich vorerst mehr mit dem Künstler selbst als mit dessen Kunst zu beschäftigen, um ein Gefühl seiner Aufrichtigkeit zu erhalten. Es ist oft das Realistische der frühen Jahre, die Porträts, die Landschaftsbilder etc., auch ausgelebte Phantasien, bei den akademisch Ausgebildeten oft die Abendakte, aber auch noch spätere Übersteigerungen oder Reduktionen, die einen Aufschluss über das Talent geben. Spätere Entwicklungsstufen alleine sind oft dazu angetan, den Betrachter zu überfordern. Ersteres kann auch bei Gerhard Weissenbacher nicht schaden und der jüngste, in Schaffensphasen gegliederte Katalog ermöglicht dies ausreichend. Letzteres aber – die Überforderung des Betrachters – trifft bei diesem Künstler nur dann zu, wenn die subtile Hintergründigkeit nicht erkannt wird. Im Laufe der Jahre verfestigten sich die markant-reduzierten Inhalte und die perfektionierte Technik in einer unverwechselbaren Art und Weise. Das Zeichnen wurde zu einem meditativen Mikro-Prozess, bei dem der geringste Fehler zur Zerstörung des Werkes führt. Das vollendete Werk jedoch führt mit seinem eine geheimnisvoller Ruhe ausstrahlenden Bildaufbau in fein abgestuften Pastelltönen und den eingestreuten, hintergründigen Objekten schließlich auch beim Betrachter zu einem meditativen Prozess. Ein wohltuender Kontrast zum heutigen Tempo.
Es zahlt sich jedenfalls aus, sich mit dem Künstler Gerhard Weissenbacher und seiner Kunst auseinanderzusetzen. Die den Katalog einleitenden, außerordentlich einfühlsamen Worte Wolfgang Hubers vor seinem reichhaltigen kunsthistorischen Orbit sind dazu eine ideale Gelegenheit. Nicht minder der üppige Bildteil. Der Katalog kann unter der E-Mail-Adresse gweissenbacher@aon.at zum Preis von € 25,– plus Versandkosten bestellt werden.
Am 25. September 2023 fand die Vernissage zur Einzelausstellung, die auch eine Verkaufsausstellung war, statt. In den hellen und freundlich eingerichteten Räumen des Kunst-Service war mit über 60 Werken ein Querschnitt des Schaffens von Gerhard Weissenbacher zu sehen. Bald nach 18:30 Uhr waren viele der Freunde, Weggefährten und Bekannten des Künstlers anwesend und der offizielle Teil der Veranstaltung konnte beginnen.
Die Eröffnungsworte sprach Sabine Fürnkranz, die Leiterin der Galerie. Ihre Hauptaufgabe sah Frau Fürnkranz im Hinweis auf einen besonderen Aspekt in der Kunst, und zwar auf die Vermittlung einer Botschaft: Warum schafft ein Künstler etwas und will es dann herzeigen? „Solange wir diese Botschaft verstehen, solange die Menschheit diese Botschaft erkennt und in ihrem Leben aufnehmen kann, solange werden diese Werke bestehen.“ Weissenbachers Werk wird in diesem Sinne bestehen, über weitere Generationen hinweg, vielleicht in einem Museum. Die konkrete Botschaft aber müssen die Betrachter selbst entdecken, sie als Galeristin sei hier nur eine Assistentin.
In Frau Fürnkranz' Leben ist auch die Literatur sehr wichtig und einer ihrer jedem zu empfehlenden Lieblingsautoren ist Max Frisch, hier der 1964 erschienene Roman „Mein Name sei Gantenbein“: Nach einer gescheiterten Beziehung erfindet ein Mann verschiedene Identitäten, auch jemanden, der aus Angst zu erblinden einen Erblindeten spielt. Warum er den Beruf eines Fremdenführers als perfekt für einen Blinden erachtet, diese Stelle las uns Frau Fürnkranz vor: Weil der Blinde den Touristen nicht sagen kann, was sie sehen, musste er sie danach fragen. Erst Ihre Erklärungen öffneten ihnen selbst die Augen. – Man muss also die Leute dazu bringen, selber zu schauen und ihnen auch die Ruhe dazu geben. In dem Sinne könnte diese Ausstellung ein Anfang gewesen sein.
Anschließend sprach Gerhard Weissenbacher herzliche Worte des Dankes. Zunächst gegenüber der Galerie, in der er schon an mehreren Gemeinschaftsausstellungen teilgenommen hatte. Dann gegenüber den Autoren der Texte seines Buches, dem Kunsthistoriker Wolfgang Huber und dem Schriftsteller und Autor Herbert Maurer sowie dem für die Grafik und äußere Form zuständigen Christoph Wörgötter sowie der Druckerei Gugler in Melk. Zuletzt und vor allem ging der an sich „unformulierbare“ Dank an die Familie für die ewige Unterstützung seines eigenartigen Tuns.
Der letzte von Gerhard Weissenbacher formulierte Gedanke galt dem Begriff der Zeit: Die Vergangenheit ist vergangen, die Gegenwart gibt es eigentlich gar nicht – kaum ist sie da ist sie schon wieder weg –, die Zukunft kennen wir nicht. Zwischen diesen beiden Polen Vergangenheit und Zukunft liegt der Punkt der Gegenwart, der sich zur Fläche erweitern kann, zur Projektionsebene für unsere Gedanken und Gefühle.
Zuallerletzt sprach Gerhard Weissenbacher über den – von ihm sehr geschätzten und anwesenden – Galeristen Manfred Lang, der einmal im Zusammenhang mit seinen Arbeiten sagte: Wenn man die Arbeiten betrachtet, muss man sich schon Zeit nehmen, damit Zeitlosigkeit entstehen kann. Und dann wird man vielleicht – wie Gerhard Fischer es einmal formuliert hat – ein leises Murmeln hören.
Im Folgenden die Fotodokumentation der Veranstaltung (Fotos zum Vergrößern anklicken).
Übrigens: Gerhard Weissenbachers Zweitberuf war AHS-Lehrer und er ist auch ein prominenter Buchautor. Sein aus einem schulischen Forschungsprojekt hervorgegangenes zweibändiges Werk über die Bausubstanz Hietzings wurde zu einem Standardwerk. Mittlerweile ist es längst vergriffen, und kaum jemand – so er in seinen Besitz gelangt ist – trennt sich von diesem Bücherschatz. Die wenigen, ins „Zentrale Verzeichnis Antiquarischer Bücher“ gelangenden Exemplare werden mittlerweile mit über 150 Euro gehandelt. Pro Band.
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