Körper und Seele in der Kunst von Egon Schiele

Vortrag von Dr. Johann Thomas Ambrózy
17.10.2020

Johann Thomas Ambrózy, Dr. phil., ist ein Wiener Kunsthistoriker mit österreichisch-ungarischen Wurzeln. Nach jahrzehntelanger Forschungserfahrung in diversen Bereichen der Kunstgeschichte spezialisierte er sich 2008 vor allem auf Egon Schiele und die frühe österreichische Moderne. Seit 2009 ist er erfolgreich mit der Entschlüsselung der bis dahin völlig missverstandenen rätselhaften Ikonographie des allegorischen Werkes von Egon Schiele befasst und arbeitet an der Erkennung und Erforschung von Schiele-Fälschungen. 2010 begründete er gemeinsam mit internationalen Forscherinnen das „Egon Schiele Jahrbuch“, die weltweit einzige periodische wissenschaftliche Sammelpublikation zu Egon Schiele. Ambrózy ist Präsident der 2015 von ihm mitbegründeten, unabhängigen, internationalen „Egon Schiele Research Society“ mit Sitz in Wien. 2017 war er der wissenschaftliche Berater der großen Egon Schiele-Ausstellung der Wiener Albertina und Hauptautor des Kataloges der Ausstellung. Seit 2012 organisiert er das jährlich in Wien und Neulengbach (NÖ) stattfindende, meist zweitägige „International Egon Schiele Research Symposium“.

Der im Rahmen einer Veranstaltung im Oktober 2020 im Wiener Narrenturm gehaltene Vortrag Ambrózys über Egon Schiele war aufgrund der zeitlichen Vorgaben extrem kurz gehalten und wurde im Rahmen der Übertragung in die hier vorliegende Form noch weiter gestrafft. Das führt naturgemäß zu erheblichen Lücken in der Darstellung von Vita und Werk Schieles, hat aber den Vorteil einer recht kurzweiligen Vermittlung wesentlicher Aspekte. Der ganze Vortrag kann HIER aufgerufen und angesehen werden.

Leben und Werk von Egon Schiele (1890–1918) – ein kurzer Überblick

Zum Beginn dieses Vortrags eine Karte mit den Nationalitäten Österreich-Ungarns zur Zeit Schieles (alle Bilder zum Vergrößern anklicken). Es gab unzählige Konflikte zwischen den Volksgruppen, man kann es auch Hass nennen. Die Monarchie war ein todgeweihter Staatsverband.

Vortrag Ambrózy. Folie 02
<p><b>Vortrag Ambrózy</b></p><p>Folie 02</p>

Die zweite Problematik ist die soziale Frage. Sie besteht bis heute, und wenn wir sie nicht lösen, werden wir als Menschheit zugrunde gehen.

Vortrag Ambrózy. Folie 03. Ein Foto aus einem Elendsquartier in Budapest, das auch für die Situation in Wien galt, und ein Foto aus der aristokratischen Welt um 1910.
<p><b>Vortrag Ambrózy</b></p><p>Folie 03. Ein Foto aus einem Elendsquartier in Budapest, das auch für die Situation in Wien galt, und ein Foto aus der aristokratischen Welt um 1910.</p>

Schiele war mit zwei Stil-Generationen konfrontiert:

  • Der Ringstraßenzeit, in der die untergehende Monarchie mit dem Historismus noch einmal groß zur Blüte kam, ähnlich dem Angsttrieb einer Pflanze. Auf der Ringstraße wurden Prunkbauten errichtet wie die k. k. Hofoper, das „Erste Haus am Ring“ (1861–69 nach Plänen von Eduard van der Nüll und August Sicard von Sicardsburg).
  • Der frühen Moderne, hier die Wiener Secession, errichtet 1898 nach Plänen von Joseph Maria Olbrich als Ausstellungsgebäude der gleichnamigen 1897 gegründeten Künstlervereinigung.
Vortrag Ambrózy. Folie 04. Vergleich Historismus und frühe Moderne anhand der Wiener Staatsoper und der Secession.
<p><b>Vortrag Ambrózy</b></p><p>Folie 04. Vergleich Historismus und frühe Moderne anhand der Wiener Staatsoper und der Secession.</p>

Die wesentlichen Stationen im Leben Egon Schieles im Telegrammstil:

1890 – In Tulln als Sohn des Vorstandes des damals bedeutenden Bahnhofes geboren. Behütete Kindheit, zuerst Privatunterricht, dann Volksschule in Tulln. Schiele beginnt schon als Kind zu zeichnen.

Vortrag Ambrózy. Folie 05. Foto des Stationsvorstandes Adolf Eugen Schiele mit seinen Untergebenen vor dem damals wichtigen Bahnhof von Tulln (im 1. Stock rechts die Wohnung) und Foto der Familie Schiele 1892/93 mit Egon auf dem Schaukelpferd, Melanie, Mutter Marie, Vater Adolf und Elvira. Eine absteigende Linie in der Familie: Der Großvater von Egon Schiele hat selber noch Eisenbahnen geplant und gebaut, war relativ wohlhabend. Die Familie hat Adolf Schiele schon als schwarzes Schaf betrachtet, weil er nicht weiter Karriere machte.
<p><b>Vortrag Ambrózy</b></p><p>Folie 05. Foto des Stationsvorstandes Adolf Eugen Schiele mit seinen Untergebenen vor dem damals wichtigen Bahnhof von Tulln (im 1. Stock rechts die Wohnung) und Foto der Familie Schiele 1892/93 mit Egon auf dem Schaukelpferd, Melanie, Mutter Marie, Vater Adolf und Elvira. Eine absteigende Linie in der Familie: Der Großvater von Egon Schiele hat selber noch Eisenbahnen geplant und gebaut, war relativ wohlhabend. Die Familie hat Adolf Schiele schon als schwarzes Schaf betrachtet, weil er nicht weiter Karriere machte.</p>
Vortrag Ambrózy. Folie 06. Foto von Egon mit ungefähr sechs Jahren (um 1896) mit einer Spielzeugeisenbahn. Hauptthema von Egon Schieles Kinderzeichnungen war die Eisenbahn. Er hat schon fleißig Züge gezeichnet.
<p><b>Vortrag Ambrózy</b></p><p>Folie 06. Foto von Egon mit ungefähr sechs Jahren (um 1896) mit einer Spielzeugeisenbahn. Hauptthema von Egon Schieles Kinderzeichnungen war die Eisenbahn. Er hat schon fleißig Züge gezeichnet.</p>

1901 – Realgymnasium in Krems, dann Klosterneuburg. Er ist ein schlechter Schüler aber ein begabter Zeichner.

1904 – 31. Dezember – Tod des geliebten, schwer erkrankten Vaters in Klosterneuburg, ein Verlust, unter dem Schiele sein Leben lang leidet. Der Tod des Vaters bedeutete auch einen sozialen Abstieg und den Verlust der Dienstwohnung in Tulln.

Vortrag Ambrózy. Folie 07. Zwei Malereien Egon Schieles: Blick auf Klosterneuburg und der Schmiedehof.
<p><b>Vortrag Ambrózy</b></p><p>Folie 07. Zwei Malereien Egon Schieles: Blick auf Klosterneuburg und der Schmiedehof.</p>

1906 – Nachdem er ein zweites Mal die Klasse wiederholen müsste, nimmt ihn die Mutter vorzeitig aus der Schule und unterstützt gegen den Widerstand des Vormundes, des wohlhabenden Onkels Leopold Czihaczek, Schieles Bewerbung an der k. k. Akademie der bildenden Künste – wo er nach bestandener Aufnahmsprüfung im Oktober aufgenommen wird.

Vortrag Ambrózy. Folie 08. Links die Aula der k. k. Akademie der Bildenden Künste zur Zeit Schieles mit den Gipsabgüssen von klassischen Kunstwerken und rechts der Studentenausweis Schieles.
<p><b>Vortrag Ambrózy</b></p><p>Folie 08. Links die Aula der k. k. Akademie der Bildenden Künste zur Zeit Schieles mit den Gipsabgüssen von klassischen Kunstwerken und rechts der Studentenausweis Schieles.</p>
Vortrag Ambrózy. Folie 09. Foto von Schieles Mallehrer Christian Griepenkerl (1839–1916). Er gehörte der Generation an, die die Ringstraße dekoriert hat. Die Auseinandersetzungen zwischen den beiden wurden übertrieben dargestellt. Rechts Schiele als junger Student. Er war der jüngste Hörer der Akademie, er wurde trotz seiner Jugend, ausschließlich aufgrund seines Talentes, aufgenommen.
<p><b>Vortrag Ambrózy</b></p><p>Folie 09. Foto von Schieles Mallehrer Christian Griepenkerl (1839–1916). Er gehörte der Generation an, die die Ringstraße dekoriert hat. Die Auseinandersetzungen zwischen den beiden wurden übertrieben dargestellt. Rechts Schiele als junger Student. Er war der jüngste Hörer der Akademie, er wurde trotz seiner Jugend, ausschließlich aufgrund seines Talentes, aufgenommen.</p>
Vortrag Ambrózy. Folie 10. Schieles erste Aufgaben auf der Akademie waren es, Gipsabgüsse zu zeichnen.
<p><b>Vortrag Ambrózy</b></p><p>Folie 10. Schieles erste Aufgaben auf der Akademie waren es, Gipsabgüsse zu zeichnen.</p>

1907 – Von der konservativen Kunstauffassung abgestoßen interessiert er sich für die Secession und lernt Gustav Klimt persönlich kennen.

Vortrag Ambrózy. Folie 11. Als Protest gegen den Historismus wendet sich Schiele logischer Weise dem Jugendstil zu. Er Porträtiert 1907 seinen Onkel und Vormund und schon sehr jugendstilhaft den Hafen von Triest. © Ambrózy
<p><b>Vortrag Ambrózy</b></p><p>Folie 11. Als Protest gegen den Historismus wendet sich Schiele logischer Weise dem Jugendstil zu. Er Porträtiert 1907 seinen Onkel und Vormund und schon sehr jugendstilhaft den Hafen von Triest. </p><p><i>&copy; Ambrózy</i></p>

1909 – Schiele verlässt mit einigen Kollegen vorzeitig die Akademie, gründet mit ihnen die „Neukunstgruppe“. Teilnahme an der „Internationalen Kunstschau 1909“, Bekanntschaft mit Josef Hoffmann, Kontakte zur Wiener Werkstätte. Bei der Ausstellung der Neukunstgruppe lernt er den Kunstschriftsteller Arthur Roessler kennen, seinen fortan lebenslangen Förderer und Berater.

1909/10 – Schiele überwindet den dekorativen Jugendstil und findet zu seinem eigenen, unverwechselbar expressiven Stil. Von dieser Stilfindung an kann von dem allgemein bekannten „Schiele“ gesprochen werden, und sein Wirken dauert nur mehr neun Jahre. An den Werken davor würden ihn nur Fachleute erkennen.

Vortrag Ambrózy. Folie 12. Egon Schieles Selbstbildnisse mit „Äugl“-Geste 1909 im Jugendstil und dann 1910 in seiner neuen persönlichen Expressivität.
<p><b>Vortrag Ambrózy</b></p><p>Folie 12. Egon Schieles Selbstbildnisse mit „Äugl“-Geste 1909 im Jugendstil und dann 1910 in seiner neuen persönlichen Expressivität.</p>
Vortrag Ambrózy. Folie 13. Selbstbildnis 1910 und grimassierendes Aktselbstbildnis.
<p><b>Vortrag Ambrózy</b></p><p>Folie 13. Selbstbildnis 1910 und grimassierendes Aktselbstbildnis.</p>
Vortrag Ambrózy. Folie 14. Aus dieser Zeit stammt auch dieser typisch expressive Frauenakt. Schiele hat auch Porträts gemacht, z.B. dieses Bildnis von Arthur Roessler (1910). Roessler war ein Kunstschriftsteller, der sich für Schiele publizistisch eingesetzt hatte, teilweise sein Manager und väterlicher Freund war. Er ist die erste ausführliche Quelle über das Leben von Schiele.
<p><b>Vortrag Ambrózy</b></p><p>Folie 14. Aus dieser Zeit stammt auch dieser typisch expressive Frauenakt. Schiele hat auch Porträts gemacht, z.B. dieses Bildnis von Arthur Roessler (1910). Roessler war ein Kunstschriftsteller, der sich für Schiele publizistisch eingesetzt hatte, teilweise sein Manager und väterlicher Freund war. Er ist die erste ausführliche Quelle über das Leben von Schiele.</p>

1910 – Schiele versucht mit dem Studienkollegen Anton Peschka und dem Abenteurer Erwin Dominik Osen in Krumau an der Moldau (Südböhmen) eine Art Künstlerkolonie zu gründen, was aus finanziellen Gründen scheitert. In Krumau hat Schiele mütterliche Vorfahren.

Vortrag Ambrózy. Folie 15. Krumau war zu Schieles Zeit eine faszinierende, halbverfallene und romantische Stadt.
<p><b>Vortrag Ambrózy</b></p><p>Folie 15. Krumau war zu Schieles Zeit eine faszinierende, halbverfallene und romantische Stadt.</p>
Vortrag Ambrózy. Folie 16. In Krumau wendet sich Schiele auch den Pflanzen zu. Er hat damals schon vom Seelenleben der Pflanzen gesprochen. Um diese Zeit entstand dieses Bild mit dem Roten Fingerhut (1910), aber auch die Aktstudie von Erwin Osen, einer sehr zweifelhaften Person. Der Dritte im Bunde, Anton Peschka, wurde später sein Schwager.
<p><b>Vortrag Ambrózy</b></p><p>Folie 16. In Krumau wendet sich Schiele auch den Pflanzen zu. Er hat damals schon vom Seelenleben der Pflanzen gesprochen. Um diese Zeit entstand dieses Bild mit dem Roten Fingerhut (1910), aber auch die Aktstudie von Erwin Osen, einer sehr zweifelhaften Person. Der Dritte im Bunde, Anton Peschka, wurde später sein Schwager.</p>

1911 – Zweiter Versuch, sich in Krumau niederzulassen, er wird aber aus Krumau bald hinausgeekelt. Ende 1911/Anfang 1912 (?) lernt er Walburga „Wally“ Neuzil kennen.

1911/12 – Schiele lässt sich in Neulengbach nieder. Es ist ihm wichtig, in der Nähe der Großstadt (gute Bahnverbindung!) und doch in der Natur zu sein. Er hat eine sehr fruchtbare Schaffensphase, sie wird aber durch seine Inhaftierung („Neulengbacher Affäre“) jäh beendet. Nach seiner Freilassung ist er in Neulengbach nicht mehr wohl gelitten und übersiedelt nach Wien.

Vortrag Ambrózy. Folie 17. Schiele mietet in Neulengbach eine Hälfte des rechts gezeigten Hauses. Es war eine winzige, keineswegs luxuriöse Wohnung.
<p><b>Vortrag Ambrózy</b></p><p>Folie 17. Schiele mietet in Neulengbach eine Hälfte des rechts gezeigten Hauses. Es war eine winzige, keineswegs luxuriöse Wohnung.</p>
Vortrag Ambrózy. Folie 18. Das in Neulengbach gemalte Doppelbildnis mit Walburga Neuzil aus dem Frühjahr 1912. Wally war ein interessantes, sehr begabtes Mädchen. Dass sie ein Modell von Gustav Klimt war und er sie verlassen hätte, ist ein Gerücht. Jedenfalls dürfte Schiele in ihr seine erste große Liebe gefunden haben. Das Doppelbildnis ist eine gemalte Liebeserklärung, eigentlich ein Heiratsantrag.
<p><b>Vortrag Ambrózy</b></p><p>Folie 18. Das in Neulengbach gemalte Doppelbildnis mit Walburga Neuzil aus dem Frühjahr 1912. Wally war ein interessantes, sehr begabtes Mädchen. Dass sie ein Modell von Gustav Klimt war und er sie verlassen hätte, ist ein Gerücht. Jedenfalls dürfte Schiele in ihr seine erste große Liebe gefunden haben. Das Doppelbildnis ist eine gemalte Liebeserklärung, eigentlich ein Heiratsantrag.</p>
Vortrag Ambrózy. Folie 19. In Neulengbach malt Egon Schiele auch sehr rätselhafte Bilder wie dieses. 100 Jahre lang war unbekannt, was dieses Bild „Eremiten“ aus dem Jahr 1912 soll und wer hinter Schiele dargestellt ist. Man hatte fantasiert, dass es Gustav Klimt sei. Thomas Ambrózy hat aber erkannt, dass es sich um Schieles toten Vater handelt. Bei diesem Bild ist auf die Fingerhaltung (Schieles „V-Geste“) zu achten.
<p><b>Vortrag Ambrózy</b></p><p>Folie 19. In Neulengbach malt Egon Schiele auch sehr rätselhafte Bilder wie dieses. 100 Jahre lang war unbekannt, was dieses Bild „Eremiten“ aus dem Jahr 1912 soll und wer hinter Schiele dargestellt ist. Man hatte fantasiert, dass es Gustav Klimt sei. Thomas Ambrózy hat aber erkannt, dass es sich um Schieles toten Vater handelt. Bei diesem Bild ist auf die Fingerhaltung (Schieles „V-Geste“) zu achten. </p>
Vortrag Ambrózy. Folie 20. Schiele wird beschuldigt, ein Mädchen entführt und vergewaltigt zu haben. Er kommt in Untersuchungshaft. In der Haft und ohne Spiegel porträtiert er sich selbst in mehreren Bildern als Gefangenen. Eines davon hat er waagrecht gezeichnet, wollte es aber der Signatur zufolge senkrecht aufgehängt haben (23. April 1912). Die Sache wurde aufgeklärt, sie stimmte nicht. Er wurde in St. Pölten aber wegen eines an der Wand hängenden „pornografischen“ Blattes, das auch Kinder sehen konnten, verurteilt.
<p><b>Vortrag Ambrózy</b></p><p>Folie 20. Schiele wird beschuldigt, ein Mädchen entführt und vergewaltigt zu haben. Er kommt in Untersuchungshaft. In der Haft und ohne Spiegel porträtiert er sich selbst in mehreren Bildern als Gefangenen. Eines davon hat er waagrecht gezeichnet, wollte es aber der Signatur zufolge senkrecht aufgehängt haben (23. April 1912). Die Sache wurde aufgeklärt, sie stimmte nicht. Er wurde in St. Pölten aber wegen eines an der Wand hängenden „pornografischen“ Blattes, das auch Kinder sehen konnten, verurteilt.</p>

1912–15 – In Wien entwickelt Schiele seinen Stil weiter. Er ist auch organisatorisch begabt, beschickt zahlreiche Ausstellungen im In- und Ausland und gewinnt eine kleine Schar von Sammlern, deren Ankäufe (vor allem von Arbeiten auf Papier) ihm sein Leben als freischaffender Künstler recht und schlecht ermöglichen. Es sind Jahre des unermüdlichen Schaffens und des Erfolges. Er reist zwar sehr viel, sein Wohnsitz und Atelier bleibt aber (abgesehen von seinem Kriegsdienst) von nun an bis zu seinem Tode Wien.

Vortrag Ambrózy. Folie 21. Noch eine Stufe expressiver ist das Bild „Kämpfer“ (Gouache 1913). Thomas Ambrózy konnte klären, was es bedeutet. Es gehört in die auf der Folie gezeigte Geschichte.
<p><b>Vortrag Ambrózy</b></p><p>Folie 21. Noch eine Stufe expressiver ist das Bild „Kämpfer“ (Gouache 1913). Thomas Ambrózy konnte klären, was es bedeutet. Es gehört in die auf der Folie gezeigte Geschichte.</p>
Vortrag Ambrózy. Folie 22. Doppelporträt 1913.
<p><b>Vortrag Ambrózy</b></p><p>Folie 22. Doppelporträt 1913.</p>
Vortrag Ambrózy. Folie 23. Schiele hat in Wien nicht aufgehört, Krumau darzustellen. Rechts ist wieder ein Frauenakt. Bitte auf die Gesichter achten: Das ist keine Pornografie sondern eine existenzielle Befassung mit dem menschlichen Schicksal.
<p><b>Vortrag Ambrózy</b></p><p>Folie 23. Schiele hat in Wien nicht aufgehört, Krumau darzustellen. Rechts ist wieder ein Frauenakt. Bitte auf die Gesichter achten: Das ist keine Pornografie sondern eine existenzielle Befassung mit dem menschlichen Schicksal.</p>

1915 – Trennung von Wally und – nach Einberufung zum Kriegsdienst – Trauung mit Edith Harms, einer vis-a-vis seines Ateliers im Haus Hietzinger Hauptstraße 114 wohnenden Schlossermeisterstochter. Sein Atelier hat er seit 1912 in der Hietzinger Hauptstraße 101.

Abb. 1. Die Hietzinger Hauptstraße Richtung Ober St. Veit. Ganz links das Haus Hietzinger Hauptstraße 101 mit dem ehemaligen Atelier Egon Schieles und ganz rechts das Haus Hietzinger Hauptstraße 114, in dem das Ehepaar Schiele wohnte und starb. Fotografiert am 28. November 2021. © Archiv 1133.at
<p><b>Abb. 1. Die Hietzinger Hauptstraße Richtung Ober St. Veit</b></p><p>Ganz links das Haus Hietzinger Hauptstraße 101 mit dem ehemaligen Atelier Egon Schieles und ganz rechts das Haus Hietzinger Hauptstraße 114, in dem das Ehepaar Schiele wohnte und starb. Fotografiert am 28. November 2021.</p><p><i>&copy; Archiv 1133.at</i></p>
Abb. 2. Hietzinger Hauptstraße 101. Ganz oben hatte Egon Schiele sein Atelier. Fotografiert am 28. November 2021. © Archiv 1133.at
<p><b>Abb. 2. Hietzinger Hauptstraße 101</b></p><p>Ganz oben hatte Egon Schiele sein Atelier. Fotografiert am 28. November 2021.</p><p><i>&copy; Archiv 1133.at</i></p>
Abb. 3. Hietzinger Hauptstraße 114. Eingang mit Gedenktafel. Hier wohnte das Ehepaar Schiele. Fotografiert am 28. November 2021. © Archiv 1133.at
<p><b>Abb. 3. Hietzinger Hauptstraße 114</b></p><p>Eingang mit Gedenktafel. Hier wohnte das Ehepaar Schiele. Fotografiert am 28. November 2021.</p><p><i>&copy; Archiv 1133.at</i></p>
Vortrag Ambrózy. Folie 24. Ein früheres Foto des Familie Harms. Der Brief rechts zeigt, wie schön Schiele kalligraphiert hat. Er lud die zwei jungen Frauen ein. Edith hat er geheiratet.
<p><b>Vortrag Ambrózy</b></p><p>Folie 24. Ein früheres Foto des Familie Harms. Der Brief rechts zeigt, wie schön Schiele kalligraphiert hat. Er lud die zwei jungen Frauen ein. Edith hat er geheiratet.</p>
Vortrag Ambrózy. Folie 25. Schiele malt weiter rätselhafte Bilder – das war sein innerer Drang. Die wahren Inhalte sind versteckt und nicht gleich zu erkennen.
<p><b>Vortrag Ambrózy</b></p><p>Folie 25. Schiele malt weiter rätselhafte Bilder – das war sein innerer Drang. Die wahren Inhalte sind versteckt und nicht gleich zu erkennen.</p>
Vortrag Ambrózy. Folie 26. Wieder Krumau. Interessant ist, dass seine Städteansichten immer menschenleer sind.
<p><b>Vortrag Ambrózy</b></p><p>Folie 26. Wieder Krumau. Interessant ist, dass seine Städteansichten immer menschenleer sind.</p>

1915–18 – Schiele kommt nicht an die Front, er wird in einem Kriegsgefangenenlager für russische Offiziere sowie in der Verwaltung eingesetzt. Von seinen Vorgesetzten gefördert kann er neben seinem Dienst zeitweise auch künstlerisch arbeiten und sogar Ausstellungen organisieren.

Vortrag Ambrózy. Folie 27. Schiele stellte die sogenannten „Feinde“ genauso dar, wie seine Freunde. Für ihn waren sie keine Feinde. Er hat auch mit ihnen konfraternisiert und hätte dafür sogar vor das Kriegsgericht kommen können. Er war ein Kriegsgegner und hat damals schon davon gesprochen, dass wir (inkl. Russland) ein „Vereinigtes Europa“ machen müssen.
<p><b>Vortrag Ambrózy</b></p><p>Folie 27. Schiele stellte die sogenannten „Feinde“ genauso dar, wie seine Freunde. Für ihn waren sie keine Feinde. Er hat auch mit ihnen konfraternisiert und hätte dafür sogar vor das Kriegsgericht kommen können. Er war ein Kriegsgegner und hat damals schon davon gesprochen, dass wir (inkl. Russland) ein „Vereinigtes Europa“ machen müssen.</p>

1916 – Schiele führt während seiner Stationierung in Mühling (NÖ) ein Tagebuch.

Vortrag Ambrózy. Folie 28. Schiele hat auch in der Nähe des Kriegsgefangenenlagers ein schönes Beispiel für das „Verwesen“ aller Dinge gefunden, diese zerfallende Mühle.
<p><b>Vortrag Ambrózy</b></p><p>Folie 28. Schiele hat auch in der Nähe des Kriegsgefangenenlagers ein schönes Beispiel für das „Verwesen“ aller Dinge gefunden, diese zerfallende Mühle.</p>

1917 – Er nimmt an Ausstellungen in Wien, München, Stockholm und Kopenhagen teil.

Vortrag Ambrózy. Folie 29. Porträt seiner Schwägerin (Schwester seiner Frau). Vermutlich stammt auch das Foto von ihm. Zu beachten ist wieder das Gesicht mit dem besonderen Blick, der einen Einblick in die Seele gibt.
<p><b>Vortrag Ambrózy</b></p><p>Folie 29. Porträt seiner Schwägerin (Schwester seiner Frau). Vermutlich stammt auch das Foto von ihm. Zu beachten ist wieder das Gesicht mit dem besonderen Blick, der einen Einblick in die Seele gibt.</p>
Vortrag Ambrózy. Folie 30. Ein seltenes Foto des Ehepaares Schiele. Es ist auch insoferne selten, als Egon Schiele auf Fotos immer ernst blickt, hier aber wirkt er recht entspannt.
<p><b>Vortrag Ambrózy</b></p><p>Folie 30. Ein seltenes Foto des Ehepaares Schiele. Es ist auch insoferne selten, als Egon Schiele auf Fotos immer ernst blickt, hier aber wirkt er recht entspannt.</p>
Vortrag Ambrózy. Folie 31. Die „Umarmung“ ist wieder ein rätselhaftes Bild. Ein allegorisches Bild, bei dem es nicht um Sexualität geht. Auch die Fingerhaltung ist eigen.
<p><b>Vortrag Ambrózy</b></p><p>Folie 31. Die „Umarmung“ ist wieder ein rätselhaftes Bild. Ein allegorisches Bild, bei dem es nicht um Sexualität geht. Auch die Fingerhaltung ist eigen.</p>

1918 – Im Februar stirbt Gustav Klimt. Schiele hatte zu ihm eine sehr gute Beziehung und er hatte ihn auch trotz des stilistischen Unterschiedes – sie waren Maler unterschiedlicher Generation – verehrt. Nach dem Tode Gustav Klimts gilt Egon Schiele als führender Künstler Österreichs, und die 49. Ausstellung der Secession im März wird für Schiele zum riesigen Erfolg.

Vortrag Ambrózy. Folie 32. Das Plakat zur 49. Ausstellung der Secession stammte von Schiele. Das Porträt seines Freundes Albert Paris Gütersloh ist nicht vollendet, war aber schon ausgestellt.
<p><b>Vortrag Ambrózy</b></p><p>Folie 32. Das Plakat zur 49. Ausstellung der Secession stammte von Schiele. Das Porträt seines Freundes Albert Paris Gütersloh ist nicht vollendet, war aber schon ausgestellt.</p>
Vortrag Ambrózy. Folie 33. Dann porträtiert er Dr. Hugo Koller. Auch zu den Bauernkrügen (aus der Sammlung Dr. Kollers) gibt es eine interessante Untersuchung von Thomas Ambrózy.
<p><b>Vortrag Ambrózy</b></p><p>Folie 33. Dann porträtiert er Dr. Hugo Koller. Auch zu den Bauernkrügen (aus der Sammlung Dr. Kollers) gibt es eine interessante Untersuchung von Thomas Ambrózy.</p>

Oktober 1918 – Seine im 6. Monat schwangere Frau Edith bekommt die Spanische Grippe und Egon Schiele, der sie pflegt, steckt sich dabei an. Drei Tage danach, am 31. Oktober erliegt auch er der Krankheit.

Vortrag Ambrózy. Folie 34. Das letzte Werk Schieles: seine sterbende Frau kurz vor ihrem Tod. Der Brief an seine Mutter zeigt auch, dass Schiele immer wieder seinen Schriftstil änderte. Er war auch im Grafischen sehr kreativ.
<p><b>Vortrag Ambrózy</b></p><p>Folie 34. Das letzte Werk Schieles: seine sterbende Frau kurz vor ihrem Tod. Der Brief an seine Mutter zeigt auch, dass Schiele immer wieder seinen Schriftstil änderte. Er war auch im Grafischen sehr kreativ.</p>
Vortrag Ambrózy. Folie 35. Egon Schiele stirbt drei Tage nach seiner Frau. Sie erlagen der Grippe, da ihr Immunsystem durch lange Mangelernährung und die Kälte der ungeheizten Wohnung schon sehr geschwächt war. Rechts seine Totenmaske.
<p><b>Vortrag Ambrózy</b></p><p>Folie 35. Egon Schiele stirbt drei Tage nach seiner Frau. Sie erlagen der Grippe, da ihr Immunsystem durch lange Mangelernährung und die Kälte der ungeheizten Wohnung schon sehr geschwächt war. Rechts seine Totenmaske.</p>
Abb. 4. Das Grab von Egon und Edith Schiele auf dem Ober St. Veiter Friedhof. Der Grabstein wurde vom ungarischen Bildhauer Benjamin Ferenczy (1890 bis 1967) geschaffen. Die hingebungsvolle Pflege und der reichhaltige Blumenschmuck dieses ehrenhalber gewidmeten Grabes sind der Bemühung eines Seelenverwandten Egon Schieles gemeinsam mit der Friedhofsverwaltung zu verdanken. Fotografiert am 2. November 2021. © Archiv 1133.at
<p><b>Abb. 4. Das Grab von Egon und Edith Schiele auf dem Ober St. Veiter Friedhof</b></p><p>Der Grabstein wurde vom ungarischen Bildhauer Benjamin Ferenczy (1890 bis 1967) geschaffen. Die hingebungsvolle Pflege und der reichhaltige Blumenschmuck dieses ehrenhalber gewidmeten Grabes sind der Bemühung eines Seelenverwandten Egon Schieles gemeinsam mit der Friedhofsverwaltung zu verdanken. Fotografiert am 2. November 2021.</p><p><i>&copy; Archiv 1133.at</i></p>

Verrenkte Körper, „hässliche“ Gesichter, „hysterische“ Gestik, körperliche & psychische „Krankheit“?

Schiele wurde schon von Anfang an (ab 1909 von konservativen Journalisten) in die Nähe von Geisteskrankheit gerückt. Dann wurden seine Werke von der Schiele-Literatur schließlich jahrzehntelang – statt mühevoll kritisch-wissenschaftlich zu arbeiten und schlüssige Belege beibringen zu können – einfach frei phantasierend, nach oberflächlichem Augenschein, psychologistisch (fehl-)interpretiert. Eine „Methode“, die vielfach noch bis heute praktiziert wird und die „öffentliche Meinung“ über Egon Schiele weitgehend beherrscht.

Vortrag Ambrózy. Folie 36. Ein Beispiel ist diese Ausstellung aus dem Jahr 2010. Da wurde auch Schiele „schubladisiert“.
<p><b>Vortrag Ambrózy</b></p><p>Folie 36. Ein Beispiel ist diese Ausstellung aus dem Jahr 2010. Da wurde auch Schiele „schubladisiert“.</p>
Vortrag Ambrózy. Folie 37. In dem Buch werden unter anderem diesen medizinischen Fotografien zwei Selbstporträts Schiele gegenübergestellt. Die Autorinnen vergleichen die Bilder und stellen ihn letztlich in das kranke Eck.
<p><b>Vortrag Ambrózy</b></p><p>Folie 37. In dem Buch werden unter anderem diesen medizinischen Fotografien zwei Selbstporträts Schiele gegenübergestellt. Die Autorinnen vergleichen die Bilder und stellen ihn letztlich in das kranke Eck.</p>

Hier wurde aber der wesentliche Unterschied nicht verstanden. Die medizinischen Bilder zeigen arme Menschen, die wirklich deformiert sind. Die Selbstporträts zeigen aber einen gesunden Menschen, der etwas ausdrückt. Und die Deformation der Finger der kranken Menschen wurde als Anregung für die Fingerhaltung in Schieles Bildern, wie den „Eremiten“ und dem unten gezeigten Selbstbildnis mit gesenktem Kopf, insinuiert.

Vortrag Ambrózy. Folie 38. „Eremiten“ und Selbstbildnis mit gesenktem Kopf.
<p><b>Vortrag Ambrózy</b></p><p>Folie 38. „Eremiten“ und Selbstbildnis mit gesenktem Kopf.</p>

Die Klärung der Herkunft von Schieles „V-Geste“ bedurfte einer langen Detektivarbeit, aber anhand von Details konnte Thomas Ambrózy nachweisen, dass sie einem byzantinischen Mosaik nachempfunden wurde. Schiele war nie in Byzanz/Konstantinopel, dem heutigen Istanbul, aber das Buch mit diesen Bildern gab es in der Akademie.

Vortrag Ambrózy. Folie 39. Hier die relevanten Bilder aus dem byzantinischen Mosaik.
<p><b>Vortrag Ambrózy</b></p><p>Folie 39. Hier die relevanten Bilder aus dem byzantinischen Mosaik.</p>

Das Jahrbuch mit der umfangreichen Arbeit Ambrózys über die Herkunft der Geste kann HIER heruntergeladen werden.

Noch eine Ergänzung zu den oft übergroßen Händen in Schieles Malerei. Immer schon, z. B. bei den Ägyptern und den Etruskern, besonders aber in der modernen Malerei wurden solche Elemente stilisiert dargestellt. Was es bedeutet, muss von Fall zu Fall analysiert werden. In Schieles Selbstbildnissen ist auch der Kopf immer schmäler (gelängt) dargestellt, das ist ebenfalls eine Stilisierung.

Sehr wohl in Steinhof war aber Schieles Freund Erwin Osen, und er hatte dort Patienten gezeichnet. Bei Osen weiß man nicht, ober er Schieles Freund oder Feind war, denn er hatte ihn bestohlen und seine Werke gefälscht, aber Schiele verzieh ihm alles.

Vortrag Ambrózy. Folie 40. Zwei Zeichnungen Osens aus dem Jahr 1913. Das rechte sehr schwach ausgeführte Bild zeigt keine Deformation, sondern Osens zeichnerische Talentlosigkeit.
<p><b>Vortrag Ambrózy</b></p><p>Folie 40. Zwei Zeichnungen Osens aus dem Jahr 1913. Das rechte sehr schwach ausgeführte Bild zeigt keine Deformation, sondern Osens zeichnerische Talentlosigkeit.</p>

Osen war allerdings ein Tausendsassa, auch ein Hochstapler, und muss schon ein faszinierender Mensch gewesen sein.

Vortrag Ambrózy. Folie 41. Links ein Foto mit Osen, in der Mitte ein Brief Osens an Schiele, in dem er die noch fetigzumachenden Porträts in Steinhof anspricht, und rechts ein von Schiele gemaltes Porträt Osens.
<p><b>Vortrag Ambrózy</b></p><p>Folie 41. Links ein Foto mit Osen, in der Mitte ein Brief Osens an Schiele, in dem er die noch fetigzumachenden Porträts in Steinhof anspricht, und rechts ein von Schiele gemaltes Porträt Osens.</p>

Egon Schiele war einmal in einer medizinischen Institution, aber dort stellt er keine deformierten Körper dar sondern eine Schwangere und ein Neugeborenes.

Vortrag Ambrózy. Folie 42. Schieles Darstellung einer Schwangeren und eines Neugeborenen.
<p><b>Vortrag Ambrózy</b></p><p>Folie 42. Schieles Darstellung einer Schwangeren und eines Neugeborenen.</p>
Vortrag Ambrózy. Folie 43. Porträtgemälde und Porträtzeichnung von Dr. Erwin von Graff. Mit ihm war Schiele befreundet, und durch ihn hatte er Zugang zur II. Universitäts-Frauenklinik.
<p><b>Vortrag Ambrózy</b></p><p>Folie 43. Porträtgemälde und Porträtzeichnung von Dr. Erwin von Graff. Mit ihm war Schiele befreundet, und durch ihn hatte er Zugang zur II. Universitäts-Frauenklinik.</p>

Viel Interessanter ist der Einfluss von Hermann Vinzenz Heller, der sich ausführlich mit dem menschlichen Gesichtsausdruck befasst und seine Erkenntnisse publiziert hat. Das betraf natürlich nicht den krankhaften Gesichtsausdruck, sondern die verschiedenen menschlichen Stimmungen. Das ist vor allem für Schauspieler interessant. 1906, im ersten Jahr seines Unterrichts auf der Akademie der bildenden Künste war er tatsächlich auch der Anatomielehrer Egon Schieles.

Vortrag Ambrózy. Folie 44.
<p><b>Vortrag Ambrózy</b></p><p>Folie 44. </p>

Wer sich lange mit Schiele befasst weiß, dass er sich mit seiner Malerei an konkreten historischen Werken orientierte.

Vortrag Ambrózy. Folie 45. Als Beispiel für Schieles Inspiration an konkreten Kunstwerken hier Schieles Selbstbildnis mit verzerrtem Gesichtsausdruck. Die Zahnlücken und die Schlitzaugen haben große Ähnlichkeiten mit den Details in dem links dargestellten Renaissance-Gemälde.
<p><b>Vortrag Ambrózy</b></p><p>Folie 45. Als Beispiel für Schieles Inspiration an konkreten Kunstwerken hier Schieles Selbstbildnis mit verzerrtem Gesichtsausdruck. Die Zahnlücken und die Schlitzaugen haben große Ähnlichkeiten mit den Details in dem links dargestellten Renaissance-Gemälde.</p>

Noch ein Hinweis zur Medizin: Der mit Schiele befreundete Gustav Klimt bekam gemeinsam mit seinem Malerkollegen Matsch den Auftrag, die Decke der Aula des neuen Universitätsbaues zu gestalten. Klimt steuert drei Fakultätsbilder bei. Das führte zu einem der größten damaligen Kunstskandale. Klimt hat die Gemälde zurückgekauft und keine öffentlichen Aufträge mehr angenommen.

Vortrag Ambrózy. Folie 46. Chronologie des Skandals.
<p><b>Vortrag Ambrózy</b></p><p>Folie 46. Chronologie des Skandals.</p>
Vortrag Ambrózy. Folie 47. Die drei von Klimt geschaffenen Fakultätsbilder. Vor allem die Medizin wollte man so nicht dargestellt haben.
<p><b>Vortrag Ambrózy</b></p><p>Folie 47. Die drei von Klimt geschaffenen Fakultätsbilder. Vor allem die Medizin wollte man so nicht dargestellt haben.</p>
Vortrag Ambrózy. Folie 48. Links die Entwurfszeichnung, in der Mitte die Ölskizze und rechts das einzige erhaltene Farbfoto eines Details des verbrannten Original der „Medizin“.
<p><b>Vortrag Ambrózy</b></p><p>Folie 48. Links die Entwurfszeichnung, in der Mitte die Ölskizze und rechts das einzige erhaltene Farbfoto eines Details des verbrannten Original der „Medizin“.</p>

Ein anderer Freund Egon Schiele, Max Oppenheimer, hat tatsächlich Medizin in Aktion dargestellt. Schiele selbst hat niemals Medizin als Thema seiner Bilder gewählt.

Vortrag Ambrózy. Folie 49. Max Oppenheimers Darstellung einer Operation als Gemälde und als Plakat für eine Ausstellung.
<p><b>Vortrag Ambrózy</b></p><p>Folie 49. Max Oppenheimers Darstellung einer Operation als Gemälde und als Plakat für eine Ausstellung.</p>

„Obsessive“ Darstellung von Sexualität?

Jetzt zum Thema Fälschungen. Die Entlarvung von Schiele zugeordneten Bildern als Fälschung ist nicht immer unumstritten. Bei den in der nächsten Folie gezeigten Bildern handelt es nach der Ansicht Thomas Ambrózys aber eindeutig um Fälschungen. 

Vortrag Ambrózy. Folie 50. Diese Bilder wurden und werden teilweise noch heute Schiele zugeordnet. Für Thomas Ambrózy ist das unvorstellbar.
<p><b>Vortrag Ambrózy</b></p><p>Folie 50. Diese Bilder wurden und werden teilweise noch heute Schiele zugeordnet. Für Thomas Ambrózy ist das unvorstellbar.</p>
Vortrag Ambrózy. Folie 51. Das rechte Bild auf dieser Folie ist ebenfalls die (plumpe) Fälschung einer pornografischen Darstellung. Natürlich hat Schiele auch erotische Bilder gemacht, aber keine pornografischen. Ein Beispiel ist die Zeichnung links.
<p><b>Vortrag Ambrózy</b></p><p>Folie 51. Das rechte Bild auf dieser Folie ist ebenfalls die (plumpe) Fälschung einer pornografischen Darstellung. Natürlich hat Schiele auch erotische Bilder gemacht, aber keine pornografischen. Ein Beispiel ist die Zeichnung links.</p>

Ein berühmtes Dictum von Egon Schiele lautet: „Auch das erotische Kunstwerk hat Heiligkeit!“ Er hat dies in einem Brief an seinen Onkel Leopold Czihaczek am 11. September 1911 im Rahmen einer kleinen Sammlung von Aphorismen („einige Aphorismen von mir“) festgehalten.

Auch über die Entschlüsselung der folgenden Bildreihe hat Thomas Ambrózy lange Aufsätze geschrieben:

Vortrag Ambrózy. Folie 52. Drei von Egon Schiele im Frühjahr 1912 vollendete Bilder: Bekehrung, Liebkosung und Agonie.
<p><b>Vortrag Ambrózy</b></p><p>Folie 52. Drei von Egon Schiele im Frühjahr 1912 vollendete Bilder: Bekehrung, Liebkosung und Agonie.</p>

Besonders zu dem mittleren Bild „Liebkosung“ dieser Bildreihe wurde immer wieder gesagt, in seiner Sexbesessenheit scheut Egon Schiele nicht einmal davor zurück, selbst Mönch und Nonne einschlägig darzustellen. Man hat sogar gesagt, das ist ...?... Tatsächlich aber beruht das Bild „Liebkosung“ auf dem Roman „Heilige Liebe“. Darin geht es um die Machtpolitik der Kirche. Klara von Assisi, eine sehr tapfere Frau, widersetzt sich. Nach Ansicht von Thomas Ambrózy handelt es sich bei der Bilderreihe um die Geschichte von Franziskus und Klara, daher nennt er sie „Franziskus- und Klara-Zyklus“. „Bekehrung“: Franziskus nimmt Klara und Agnes von Assisi, die zu ihm geflüchtet sind, in geistlichen Schutz. „Liebkosung“: Klara von Assisi widersteht dem kirchenpolitischen Druck des Kardinal Ugolino. „Agonie“: Elias von Cortona verwehrt dem sterbenden Franz von Assisi den Zutritt zum Kloster Portiunkula.

Vortrag Ambrózy. Folie 53. Heilige Liebe, die historische Vorlage für das Bild „Liebkosung“.
<p><b>Vortrag Ambrózy</b></p><p>Folie 53. Heilige Liebe, die historische Vorlage für das Bild „Liebkosung“.</p>

Hier die Aufschlüsselung des Bildes „Liebkosung“:

Vortrag Ambrózy. Folie 54. Das Bild „Liebkosung“ zeigt drei Personen: den Mönch Franz von Assisi, den Kardinal Ugolino und die Nonne Klara von Assisi.
<p><b>Vortrag Ambrózy</b></p><p>Folie 54. Das Bild „Liebkosung“ zeigt drei Personen: den Mönch Franz von Assisi, den Kardinal Ugolino und die Nonne Klara von Assisi.</p>
Vortrag Ambrózy. Folie 55. Die kniefreie Bekleidung beruht auf einer der ganz wenigen Darstellungen Franz von Assisis aus dem 16. Jahrhundert. Sie zeigt ihn mit kurzer Kutte.
<p><b>Vortrag Ambrózy</b></p><p>Folie 55. Die kniefreie Bekleidung beruht auf einer der ganz wenigen Darstellungen Franz von Assisis aus dem 16. Jahrhundert. Sie zeigt ihn mit kurzer Kutte.</p>
Vortrag Ambrózy. Folie 56. Links die berühmte Szene vor Gericht, in der Franz von Assisi seine Kleider dem reichen Vater zurückgibt. Nur der Mantel des Bischofs bedeckt seine Blöße. „Nackt will ich zu meinem Herrn eilen!“, soll er ausgerufen haben. Die „Spiritualen“, also jene Nachfolger Franz von Assisis, die die absolute Armut verteidigt haben, sollen einer schönen Quelle zufolge aus Protest gegen die Verweltlichung der Kirche ganz kurze Kutten getragen haben, „bis zu den Wackeln“.
<p><b>Vortrag Ambrózy</b></p><p>Folie 56. Links die berühmte Szene vor Gericht, in der Franz von Assisi seine Kleider dem reichen Vater zurückgibt. Nur der Mantel des Bischofs bedeckt seine Blöße. „Nackt will ich zu meinem Herrn eilen!“, soll er ausgerufen haben. Die „Spiritualen“, also jene Nachfolger Franz von Assisis, die die absolute Armut verteidigt haben, sollen einer schönen Quelle zufolge aus Protest gegen die Verweltlichung der Kirche ganz kurze Kutten getragen haben, „bis zu den Wackeln“.</p>

Welche Verbindungen könnte es zwischen der Kunst von Egon Schiele und der Medizin geben?

Die Bestrebungen, Schiele ins krankhafte Eck zu schieben, hätten schon nach dieser Aussage von Schieles Freund Paris von Gütersloh aus dem Jahr 1911 zu Ende sein können, hätte man diese Worte ernst genommen:

Aber der senilen Erotik kritischer Greise sollte man endlich verbieten, hinter der sinnlichen Form eines Jungen, die auch unkeusch verstanden werden kann, nur das ‚Auch‘ zu hören; es geht nicht mehr an, einem qualvoll erwachsenden Künstler auch noch die Pubertätsnöte eines Menschen nachzusagen; es sollte ihnen bedeutet werden, dass das Mitleid der Impotenz dem Insinuieren einer Masturbation verdammt ähnlich sieht, und dass irgend ein Künstler das geeignete Objekt ist, seine Kenntnis der pathologischen Nomenklatur daran zu demonstrieren.“ Paris von Gütersloh, Egon Schiele, Versuch einer Vorrede. Verlag Graphische Kunstanstalt Brüder Rosenbaum, Wien [1911) (Hier zitiert nach Nebehay, 1979, p.154)

Schiele hat niemals körperliche oder psychische Krankheit (wie z. B. Osen) oder Versehrtheit (z. B. Kriegskrüppel wie etwa Otto Dix) als solche in seiner Kunst zum Sujet genommen. Wenn er seine todkranke Frau zeichnet, dann zeichnet er sie als seine geliebte Frau und nicht als „Kranke“.

Schiele hat niemals „medizinische Behandlung“ (etwa eine Operation) oder die „Medizin“ als solche (z. B. als Allegorie) dargestellt.

Es ging Schiele offenbar in seinen Menschendarstellungen um etwas „Tieferes“ – um die grundsätzliche, existentielle Problematik des Lebens – und um Ethik und Spiritualität. In diesem Sinne aber war er ein natürlicher Verbündeter einer ethisch und spirituell orientierten Heilkunst.

Konkreteres dazu in einer der nächsten Publikationen Thomas Ambrózys. Hier noch ein paar Literaturhinweise:

Vortrag Ambrózy. Folie 57. Dieses Jahrbuch (I. Band) ist vergriffen und kann gratis von www.egon-schiele-jahrbuch.at heruntergeladen werden.
<p><b>Vortrag Ambrózy</b></p><p>Folie 57. Dieses Jahrbuch (I. Band) ist vergriffen und kann gratis von www.egon-schiele-jahrbuch.at heruntergeladen werden.</p>
Vortrag Ambrózy. Folie 58. Die folgenden zwei Bände mit den oben gezeigten geheimnisvollen Bildern als Titelblatt. Sie enthalten noch weitere interessante Aufsätze.
<p><b>Vortrag Ambrózy</b></p><p>Folie 58. Die folgenden zwei Bände mit den oben gezeigten geheimnisvollen Bildern als Titelblatt. Sie enthalten noch weitere interessante Aufsätze. </p>
Vortrag Ambrózy. Folie 59. In der Albertina gibt es den großen Katalog zur Ausstellung 2017 mit einer Reihe von Aufsätzen.
<p><b>Vortrag Ambrózy</b></p><p>Folie 59. In der Albertina gibt es den großen Katalog zur Ausstellung 2017 mit einer Reihe von Aufsätzen.</p>

1913 schrieb Egon Schiele: „Ich weiß, dass unter tausend einer ist, welcher mit Liebe zu den Menschen, den Tieren, den Pflanzen und ...(?) lebt. Dass unter tausend einer ist, der den Organismus von allen Dingen erkennt. Der in dem Seelenleben der Pflanzen und in deren Antlitz den lebendigen Hauch ihres Gesichtes sieht.

Zum Abschluss noch die Frage: Sind wir Körper und haben eine Seele oder sind wir eine Seele, die sich nur temporär in der Materie inkarniert? Schieles Tendenz erhellt aus folgendem Zitat: „Der bedeutende Mann und der große Künstler gelten für mich nicht so viel, wie der reine erhabene veredelte Mensch (Christus) – ich bin durch Liebe hereingekommen, ich lebe mit Liebe für alle Stufen meiner Mitlebenden und will aus Liebe von hier gehen.“

Das ist Egon Schiele.

Quellen:
Vortrag gehalten am 17. Oktober 2020 im Wiener Narrenturm

Übertragen von hojos
Im November 2021