Eine versäumte Gelegenheit

Gedanken über die Einsiedeleigasse 4 und 6 von Mag. Gerhard Weissenbacher
20.08.2010

Identifikation mit einer „Gegend“ findet nicht nur in dem heute Wahrgenommenen, sondern auch in Bezug zu der Entstehungsgeschichte des Vorhandenen statt. Bewusstseinserweiternd ist nicht nur der Blick nach vorne, sondern auch jener zurück; ohne ihn zeigt sich das Gegenwärtige ohne Wurzeln.

Aus authentischen Beispielen vergangener Baukultur resultiert  historisches Verständnis und ein „wissender“ Blick auf das Gegenwärtige. Gäbe es keine Beispiele aus der Entstehungsgeschichte eines „Ortes“, wäre unsere gebaute Umgebung ziemlich austauschbar, wie dies moderne Großstädte zumindest in ihren Randzonen oftmals zeigen.

Gibt es also noch Zeugnisse geschlossener Bausubstanz, die uns Geschichte(n) erzählt, dann sind sie schützenswert, was letztlich auch in der Schaffung von Schutzzonen zum Ausdruck kommt.

Neben dem kulturhistorischen Wert stellt sich natürlich auch die Frage der zeitgemäßen Nutzbarkeit. Niemand will in einem „Architekturmuseum“ leben. Wenn diese Nutzbarkeit nicht durch wohl überlegte, behutsame Veränderung im Inneren (meist sind die Grundrisse nicht mehr zeitgemäß) und ohne fühlbaren Bruch zwischen Innen und Außen gegeben ist, sind diese Gebilde leblose Reminiszenzen, Kulissen eines Spieles, das längst nicht mehr gespielt wird.

Im konkreten Fall bedeutet dies Folgendes: Die ursprünglich bäuerlichen Streck- und Hakenhöfe, die für das Dorf  St. Veit typisch waren und noch in Ansätzen in der Firmian- und in der Glasauergasse erhalten sind, prägten den Charakter der Ansiedlung, sind also eine bedeutende Stufe der Ortsentwicklung und daher erhaltenswert.

Die gegenwärtige Situation Einsiedeleigasse 4 und 6 belässt zwar die vorderen Teile der Streckhöfe, nimmt ihnen aber durch Abbrüche der rückwärtigen Teile ihre typische Form. Durch die Verbauung des umgebenden Grünraumes wird die Entfremdung fortgesetzt, die schon durch die Errichtung der Nachbarbauten auf gravierende Weise vorhanden war. Der angestrebte Kompromiss kann nicht als gelungen bezeichnet werden, da die zu verbindenden Elemente wegen ihrer extrem unterschiedlichen äußeren Form zu divergierend sind. Zu dominant ist der nüchterne Neubau mit seiner Lochfassade, obwohl die mögliche Höhe nicht maximal genutzt wurde. Die alte Bausubstanz davor wirkt wie eine Scheinarchitektur, wurde zum Fremdkörper. Daran ändern auch die bemühten Versuche, in Farbgebung und Dachdeckung Verbindendes zu schaffen, wenig.

Weiters ist festzuhalten, dass aus der ehemals gemischten Nutzung des Altbestandes eine rein private wurde. Das „Öffentliche“ der Geschäftsbereiche mit den vielen bewussten und unbewussten Kontaktmöglichkeiten ist nicht mehr gegeben. Darüber können auch die applizierten, zum Teil aus dem Altbestand stammenden und ihrer ursprünglichen Funktion beraubten Geschäftsportale nicht hinwegtäuschen.

Das Erhalten der drei Streckhöfe und ihre Renovierung sowie eine neue Nutzung als Geschäfts- oder Gastronomieräume mit Einbeziehung des Grünraumes hätte ein gangbarer Weg sein können, zumal die Häuser an einem wesentlichen und sehr weit in die Vergangenheit zurückreichenden Platz liegen: Hier stand der Pranger, von hier aus führte vor dem Bau der Hietzinger Hauptstraße der Weg aus dem Ort nach Osten (heute Trazerberggasse).

Nach der nunmehr getroffenen Lösung kann der in diesem Bauzusammenhang zitierte Altbestand gerade noch für den Hinweis stehen: „So ähnlich hat es hier vielleicht einmal ausgesehen“.

Quellen:
Der Ober St. Veiter Mag. Gerhard Weissenbacher beschäftigt sich seit 1982 mit der Architektur des 13. Wiener Gemeindebezirk und ist Autor der beiden Bände „In Hietzing Gebaut. Architektur und Geschichte eines Wiener Bezirkes“. Heute widmet er sich intensiv seiner künstlerischen Tätigkeit mit dem Schwerpunkt auf der Originalzeichnung.

übertragen von hojos
20. August 2010