Der Babenberger-Stammbaum im Stift Klosterneuburg
Tempera auf Holz, von Hans Part und anderen Künstlern in den Jahren 1489 bis 1492 gemalt
Der Babenberger-Stammbaum im Stift Klosterneuburg ist ein einzigartiges Werk, sowohl seiner Größe als auch seinem Thema nach. Das über 8 Meter breite und fast 4 Meter hohe Tafelbild zeigt nämlich nicht nur die Figuren und Wappen des behandelten Geschlechts, sondern stellt in seinem Mittelteil jeden Babenberger in einer Szene aus seinem Leben vor. Diese 27 Szenen bieten ein überaus anschauliches Bild vom Leben im Spätmittelalter. Darüber hinaus zeigen sie viele alte Ansichten von österreichischen Städten und Klöstern. Die Seitenflügeln zeigen die Porträts der Ehefrauen und Töchter.
Den Anlass für die Entstehung des Babenberger-Stammbaums bot die Heiligsprechung Markgraf Leopolds III. Er war schon zu Lebzeiten der „milde Markgraf“ genannt worden, und bald nach seinem Tode begann die Verehrung seiner Grabstätte im Stift Klosterneuburg. Natürlich förderte der Klosterneuburger Konvent die Verehrung seines Stifters.
Die herzogliche Familie scheint sich aber erst im 14. Jahrhundert für den Kult des frommen Markgrafen in öffentlich sichtbarer Weise interessiert zu haben. Als erster unternahm Herzog Rudolf IV. offizielle Schritte, um eine Heiligsprechung seines berühmten Vorgängers zu erreichen. Das war Teil seines politischen Konzeptes, um seinem Lande und seinem Hause erhöhten Glanz zu verschaffen, und nichts konnte das nationale Prestige mehr heben, als ein Nationalheiliger. Daher setzte sich Herzog Rudolf sogleich nach seinem Regierungsantritt beim Papst für die Heiligsprechung des Markgrafen Leopold ein. 1358 eröffnete Papst Innozenz VI. den Prozess. Als aber der Herzog 1365 starb, schlief der Prozess wieder ein. Erst Kaiser Friedrich III. gelang es genau hundert Jahre später, das Verfahren wieder aufleben zu lassen.
In Rom wurde das allerdings als eine rein politische Angelegenheit eingeschätzt und wenig Begeisterung für die Kanonisation eines österreichischen Landesfürsten gezeigt. Ein Teil der deswegen erforderlichen Anstrengungen war es, möglichst viel Quellenmaterial über das Leben und die Verehrung des frommen Markgrafen zu sammeln. Statt dem zurückhaltenden Kaiser übernahm schließlich das Stift Klosterneuburg die Förderung der Heiligsprechung. Es bestritt die Kosten des Verfahrens und betrieb den Prozess mit Nachdruck an der Kurie. Gegen Ende des Jahres 1484 konnte das langwierige Verfahren abgeschlossen werden, und am 6. Januar 1485 nahm Papst Innozenz VIII. den Markgrafen unter die Heiligen der Kirche auf.
Der neue Heilige wurde im Volk, das ihn schon früher verehrt hatte, sehr rasch populär. Es setzten Wallfahrten zu seinem Grab ein, und diesen Pilgern sollte auch die Gestalt, die Umwelt und die Familie des neuen Heiligen nahegebracht werden. So entstand der ganze Komplex um den Babenberger-Stammbaum.
Propst Jakob Paperl (1485–1509) beauftragte gleich nach der Kanonisation des Markgrafen einen Mann mit der Ausarbeitung dieses Projektes, den seine historischen Kenntnisse und sein Interesse an der Geschichtsforschung dafür empfahlen: den schwäbischen Priester Ladislaus Sunthaym. Sunthaym ging bereits mit kritischen Methoden ans Werk und kann als der erste österreichische Historiker im modernen Sinn gesehen werden. Da Sunthaym gewissenhaft allen Quellen nachspürte, brauchte er einige Jahre bis zur Vollendung seines Manuskriptes. Seine Arbeit fand eine dreifache Verwendung. Im Jahre 1491 erschien er in Basel im Druck. Zur selben Zeit wurde er im Stift Klosterneuburg kunstvoll auf acht große Pergamentblätter geschrieben und mit Miniaturen reich geschmückt. Vor allem aber diente er als Grundlage für das Monumentalwerks des Babenberger-Stammbaums.
Bis spätestens zum Ende des 18. Jahrhunderts, als es in die damalige Stiftsbibliothek kam, war der Stammbaum in Kreuzgang aufgestellt, wo er unter der Feuchtigkeit litt. Das auf Holz gemalte Werk musste daher im Laufe der Jahrhunderte des Öfteren restauriert werden. Vor allem im unteren Bereich splitterte die Farbe ab und ganze Teile wurden unter verschiedenen Gesichtspunkten ersetzt oder sogar übermalt. Als in den Jahren 1834–1842 das Stift seine letzte Erweiterung und die Bibliothek einen neuen Saal bekam, stellte sich das Holz der Stammbaum-Tafeln als total vermorscht heraus und die ganze Malerei wurde auf Leinwand übertragen. Das restaurierte Werk kam aber nicht mehr in die Bibliothek sondern an verschiedene nicht ganz geklärte Standorte, unter anderem beim oder im Marmorsaal und in die Schatzkammer. Wegen der unzureichenden Übertragung auf Leinwand waren weitere Restaurierungen notwendig, und Anfang des 20. Jahrhunderts wurde es letztendlich als stark verunstaltet beurteilt. Unnütz aufgetragene Schichten wurden entfernt und Teile neu überarbeitet.
Der Vergleich mit frühen Kopien zeigt, dass die Überarbeitungen in manchen Partien zu erheblichen Veränderungen gegenüber dem Urzustand geführt haben. Zum Beispiel war die heute nur schwer verständliche Jagdszene in der rechten unteren Ecke in einer alten Miniatur viel deutlicher und überdies durch die Inschriften erklärt. Sie stellt dar, wie nach der Legende Leopold I. zu seiner Mark Österreich kam. Der Kaiser – nach der Inschrift ist es Heinrich I. (919–936), während in Wirklichkeit der erste Babenberger von Otto II. (961–983) belehnt wurde – befindet sich hoch zu Ross auf der Jagd, doch sein Bogen ist zerbrochen und liegt neben ihm auf dem Boden. Da springt der junge Leopold von Babenberg herbei und reicht dem Kaiser seinen eigenen Bogen. Mit ihm erlegt der Kaiser alsbald den Hirsch, der links neben dem Baumstamm steht. Zum Lohn für diesen Freundesdienst soll der Kaiser dem Babenberger die Mark Österreich verliehen haben. Darauf weist der neben Leopold liegende Erzherzogshut hin. Diese Szene ist auf dem heutigen Stammbaum im 19. Jahrhundert recht farblos und ohne jede Dramatik neu gemalt worden. Auch fehlt die Beziehung zu Markgraf Leopold I. Die hinter dieser Szene sichtbare Burg soll die Burg auf dem Kahlenberg, dem heutigen Leopoldsberg, darstellen.
1951–1965 wurde der Babenberger-Stammbaum in den Werkstätten des Bundesdenkmalamtes durchgreifend Restauriert. Soweit möglich wurde dem Werk der ursprüngliche Zustand zurückgegeben, dennoch findet sich im unteren Bereich so gut wie nichts mehr vom ursprünglichen spätgotischen Zustand. Seit der Restaurierung ist das Werk im neu eingerichteten Stiftsmuseum in den sogenannten Erzherzogszimmern ausgestellt.
Das erste Bild in diesem untersten Bereich zeigt Leopold I. den Durchlauchtigen.
Er war von 976–994 Markgraf von Österreich. Leopold wurde im Jahre 976 von Kaiser Otto II. mit der Mark Österreich belehnt. Anlass dazu war wohl der Aufstand Herzog Heinrichs II. von Bayern, in den auch Markgraf Burkhard (der Rüdiger von Bechelaren des Nibelungenliedes) verwickelt war. In dessen Burg im heutigen Pöchlarn dürfte Leopold seinen ersten Sitz gehabt haben. Über den Ursprung seines Geschlechtes, der Babenberger, sind sich die Forscher bis heute nicht einig. Sicherlich bestanden genealogische Beziehungen zu Schwaben, doch war Leopold keinesfalls, wie Sunthaym schreibt, ein Herzog in Schwaben gewesen. Aus der Burg Melk vertrieb er den Grafen Sizzo (von Sunthaym Gyso genannt), der zur Partei des aufständischen Bayernherzogs gehörte. Ob der Markgraf selbst schon in Melk seinen Sitz aufschlug und ob das weltliche Kanonikerstift schon zu seiner Zeit bestand, ist ungewiss. Markgraf Leopold starb am 10. Juli 994 in Würzburg als Opfer eines Meuchelmordes, der einem anderen gegolten hatte. Er wurde im Dom zu Würzburg begraben und nicht im Stift Melk, wie Sunthaym auf Grund verschiedener Chroniken berichtet.
Der Beiname des Markgrafen als der „Durchlauchtige“ ist sehr allgemein und trifft nach altem Sprachgebrauch auf jeden Fürsten zu. Sunthaym hat ihn jedoch auf Leopold I. fixiert. Später sagte man meist „der Erlauchte“. Wie alle unteren Partien hat diese Darstellung besonders stark gelitten und wurde daher im 19. Jahrhundert weitgehend übermalt. Vor allem die Köpfe zeigen fast durchwegs die typischen Züge der Romantik. Etwas besser ist der Hintergrund erhalten, aber auch die Darstellung des Stiftes Melk hat einige Änderungen erfahren.
Im Vordergrund spielt sich ein Zusammenstoß zwischen Österreichern und Ungarn ab. Die von rechts heranrückenden Österreicher mit der Fünf-Adler-Fahne schlagen die Ungarn in die Flucht. Diese rücken mit ihrem Banner, das nach dem alten ungarischen Wappen von rot und weiß mehrfach geteilt ist, nach links ab. Tatsächlich wurden während der Regierungszeit Leopolds I. die Grenzen seiner Mark nach Osten hinausgerückt, wobei man die Ungarn zurückdrängte.
Im Hintergrund ist auf hohem Burghügel Melk dargestellt, die älteste Abbildung des berühmten Klosters. Vor dem Kloster steht der Markgraf mit einem Kanoniker. Dieser trägt die im Mittelalter für Chorherren übliche Tracht: weißen Talar und ein Almutium (Schulterkragen) aus Pelz. Diese kleine Szene soll die Einführung der weltlichen Kanoniker in Melk bedeuten, von der wir allerdings nicht sicher wissen, ob sie schon unter Leopold l. geschah. Das Wappen des Markgrafen ist gespalten. Vorne zeigt es den Fünf-Adler-Schild, hinten in Gold drei schwarze Löwen. Dies ist das Wappen, das man den Staufern als Herzögen von Schwaben zuschrieb und deshalb auch für die frühen Babenberger als richtig ansah. Mit Leopold I. hat es historisch nichts zu tun.
Das letzte Bild des Mittelteiles des Babenberger-Stammbaumes zeigt mit Rudolf II. den Streitbaren den letzten österreichischen Herzog aus dem Geschlecht der Babenberger. Er fiel 1246 in der Schlacht an der Leitha gegen den Ungarnkönig Béla IV.
Die zwei Meter breiten Seitenflügel des Stammbaumes zeigen die Frauen der Babenberger in reicher Kleidung. Von spezieller Bedeutung ist Markgräfin Agnes auf dem rechten Flügel mit einem Modell der Stiftskirche in der Hand.