Die Wiener Medizin – eine Erfolgsgeschichte?
Eine kurze Betrachtung unter Einbezug des Geriatriezentrums am Wienerwald und des Krankenhauses Hietzing
31.08.2012
Die Medizinische Fakultät der Wiener Universität war schon im Mittelalter eine weithin anerkannte Instanz. Internationale Bedeutung erlangte sie, nachdem der von Erzherzogin Maria Theresia 1745 nach Wien berufene Gerard van Swieten den Grundstein zur ersten Wiener Medizinischen Schule gelegt hatte. Renommierte Kapazitäten lehrten und forschten in der Kaiserstadt. Mit der Eröffnung des Allgemeinen Krankenhauses 1784 bekamen die Mediziner eine neue Wirkungsstätte, die sich zum wichtigsten Forschungszentrum entwickelte und im Laufe des 19. Jahrhunderts die zweite Wiener Medizinische Schule entstehen ließ. Grundlagenwissenschaft und die Spezialisierung wurden vorangetrieben, die ersten Haut-, Augen- und Hals-Nasen-Ohren-Kliniken der Welt in Wien gegründet. Zahlreiche Nobelpreise fußten auf grundlegenden Arbeiten in Wien, und die ausgezeichnete Medizin- und Forschungstradition strahlte bis weit in die Erste Republik.
Mit der Diskriminierung der jüdischen Intelligenz schon vor und der systematischen Vernichtung ab 1938 begann der Niedergang der Wiener Medizin. Nach dem Krieg waren viele der verbliebenen Mediziner politisch belastet, und alle hatten mit der internationalen Ächtung zu kämpfen. Dieser doppelte Bruch der Wiener Medizin wirkte Jahrzehnte nach. Siehe auch die Geschichte der Medizinischen Universität Wien.
Heute fungiert das Allgemeine Krankenhaus als Klinikum der Medizinischen Universität Wien. Darüber hinaus gibt es theoretische Institute und weitere der Lehre zugeordnete Einrichtungen.
Auch die großen Lainzer Institutionen, das im Jahr 1904 eröffnete Versorgungsheim (heute: Geriatriezentrum am Wienerwald mit dzt. nur mehr 300 Patienten) mit seinen medizinischen Abteilungen und das 1913 eröffnete Kaiser-Jubiläums-Spital (später: Lainzer Krankenhaus, heute: Krankenhaus Hietzing), verfestigten den weltweiten Ruf der Wiener Medizinischen Schule. In der Ersten Republik wurden sie mit zusätzlichen medizinischen Abteilungen bereichert und dann auch die besten Ärzte berufen. Das Lainzer Krankenhaus avancierte zu einer „zweiten Universität“.
In Lainz vermehrten sich auch in der Zweiten Republik die medizinischen Abteilungen, und die Institutionen wurden zu Schwerpunkten in der medizinischen und pflegerischen Versorgung der Wiener. Doch wissenschaftlich blieben die Einrichtungen im Schatten der dynamischen medizinischen Weiterentwicklung weltweit. Was dezidiert für das Geriatriezentrum am Wienerwald festgehalten wurde, gilt wahrscheinlich für den ganzen Komplex: „Geriatrie als Wissenschaft entwickelte sich in Österreich von anderen Zentren aus, wobei die wissenschaftspolitischen Gegebenheiten der Fünfziger und Sechziger Jahre das durchaus vorhandene Potential in Lainz marginalisierten“ (Arias-Horn-Hubenstorf: "In der Versorgung", S 282). Auch fällt die in der Zweiten Republik – verglichen zur Ersten Republik – lückenhafte Dokumentation der Gegebenheiten auf. Sogar die biografischen Eckdaten der Stationsleiter sind teilweise höchst lückenhaft. Seit Mitte der 1990er-Jahre wird überhaupt die Zertrümmerung gewachsener Strukturen ohne brauchbare Alternativen diagnostiziert.
Jüngst, im Zusammenhang mit dem „Regionalen Strukturplan Gesundheit Wien (RSG)“ und dem „Wiener Spitalskonzept 2030“, wird die sich weiter verschlechternde Kommunikation der Wiener Entscheidungsträger mit den medizinischen Abteilungen beklagt. Bestätigt wird diese Kritik durch die Zusammensetzung der grundsatzentscheidenden „Wiener Gesundheitsplattform“. Darin haben eine Unzahl an Politikern, Beamten, Funktionären von Kammern, Verbänden und Kassen etc. bis hin zur Kirche Sitz und Stimme, aber kein einziger Vertreter der betroffenen Abteilungen.
Altbauten nicht adaptierbar?
Den aktuellen Plänen zufolge steht das Kulturdenkmal Krankenhaus Hietzing vor der Zerstörung. Stereotypes Argument gegen die alten Gebäude ist, dass sie modernen medizinischen Ansprüchen nicht gerecht werden. Dies gilt sicher für manche in der Nachkriegszeit errichteten Häuser, die überlegene Baubiologie, Beständigkeit und Ästhetik der um die Jahrhundertwende errichteten Baukunstwerke bergen jedoch weiterhin Potenzial für die Zukunft. Das beweisen viele erfolgreiche Modernisierungen im Krankenhaus Hietzing, die seit 2001 im Rahmen der Prämisse "Architektur und Heilung" als "modernes wie auch wohnliches Ambiente für Patienten als auch Mitarbeiter" umgesetzt wurden. Erst 2010 wurde der modernste OP-Saal Österreichs eröffnet (http://www.wien.gv.at/tv/detail.aspx?mid=108997&title=OP-Saal-Hietzing). In ähnlicher Weise wurden fast alle OP- und Intensivbereiche auf modernste Standards angehoben. Dass all diese Millioneninvestitionen nach wenigen Jahren der Spitzhacke zum Opfer fallen sollen, lässt Zweifel an der Planungsfähigkeit des KAV aufkommen.
Als noch zu lösendes Problem erweist sich allenfalls die Transportlogistik, denn Zentralbauten wie das AKH ermöglichen kürzere Wege. Viele Beispiele zeigen jedoch, dass mit gutem Willen und Kreativität auch in Hietzing dem Optimum in einer patientenfreundlichen und dabei naturnahen Weise nahe gekommen werden kann, zumal moderne Informationstechnologien und Rohrpost ein dezentrales Arbeiten schon heute massiv erleichtern und die für die historische Form der Pavillonbauten anlassgebende Seuchengefahr in Form multiresistenter Erreger in die moderne Medizin zurückgekehrt ist.
Die im Vergleich zu anderen Spitälern riesigen Pavillons könnten schon jetzt durch zeitgemäße Verbindungen einem funktionellen Zentralbau nahe gebracht werden, wie ja auch das modernste Gemeindekrankenhaus, das SMZ-Ost, in verbundene Pavillons strukturiert ist. Selbst für die laut RSG zu integrierenden Abteilungen und sinnvolle Neubauten wäre genug Platz, zu einem Bruchteil der Kosten. Die der Politik vorschwebenden "Einsparungen" durch teure Neubauten sollen über den Umweg von massivem Personalabbau und Änderung des Dienstrechts verwirklicht werden – die am Patienten arbeitenden Menschen haben offenbar keine Lobby.
Es bleibt unverständlich, dass in Zeiten leerer Kassen und harter Sparpakete Millioneninvestitionen, funktionierende interdisziplinäre Kooperation und nicht zuletzt der "genius loci" Hietzings mutwillig zerstört werden sollen.