Dunkle Wege
Erkenntnisse aus einer Führung durch das Krankenhaus Hietzing
09.11.2013
Wer wissend und offenen Sinnes durch das Areal des Krankenhauses Hietzing schreitet, wird bald den „Genius Loci“ spüren. Daran kann auch die teilweise Verwahrlosung einzelner Gebäude nichts ändern, denn sie sind solide gebaut. „Zu Ehren und zur ewigen Erinnerung an das 60-jährige Regierungsjubiläum Seiner Majestät des Kaisers Franz Joseph I.“ hat die Gemeinde Wien hier eine Großtat begangen und unter Berücksichtigung neuester medizinischer Erkenntnisse erstmals ein eigenes Spital errichtet. Vor diesem geschichtlichen Hintergrund und angesichts der bildlichen Würdigung hervorragender Mediziner inklusive reichhaltiger Symbolik auf und in den festen Mauern ist diese Anlage auch ein monumentales Denkmal der Zweiten Wiener Medizinischen Schule. Neben der grünen Lunge des Wienerwaldes gelegen und mit eigenen Grünanlagen inklusive eines von den Hauptgebäuden umschlossenen Gartenhofes versehen, findet der Heilung Suchende auch in dieser Hinsicht beste Voraussetzungen.
Trotzdem ist die Anlage in ihrer unabdingbaren Gesamtheit durch die aktuellen Spitalsplanungen der Gemeinde Wien gefährdet. Es war daher nur eine Frage der Zeit, bis die Initiative Denkmalschutz eine ihrer interessanten Führungen dort veranstaltete. Die Spitalsverwaltung empfahl Herrn Dipl.-Ing. Dr. Manfred Wehdorn als sachkundigen Experten. Sein Architekturbüro ist vom Krankenanstaltenverbund (KAV) mit der Begutachtung und Dokumentation des Spitals als Grundlage für die weiteren Entscheidungen beauftragt.
Die Befangenheit Wehdorns war dann auch im Grundtenor der Führung bemerkbar. Seiner Ansicht nach ist die Anlage Architekturhistorisch „nicht so aufregend“ weil andere Spitäler im Pavillonsystem schon viel früher errichtet wurden. Dumm nur, dass die Gemeinde mit dem „Kaiser Jubiläums Spital“, wie es damals hieß, erstmals von den schachbrettartig aufgestellten Pavillons abgekommen ist und der zentrale Gartenhof ein einzigartiges Element darstellt.
Warum Teile des Spitals „selbstverständlich“ unter Denkmalschutz stehen, nicht aber die Gesamtanlage, wollte Wehdorn nicht begründen; er verwies auf die Entscheidung des Bundesdenkmalamtes. Als einzig taugliche Begründung ergab sich im weiteren Gespräch der Umstand, dass die aus dem Denkmalschutz genommenen Bauteile den Planungen im Wege stehen. Gerne wiederholte Wehdorn die Behauptung: „Was die Ärzte sagen ist Gesetz und muss gemacht werden!“ Früher mag das so gewesen sein; von jemandem, der es wissen muss, wurde aber entgegengehalten, dass zu den aktuellen Planungen keine Ärzte befragt wurden, jedenfalls nicht die des Krankenhauses Hietzing.
Die Führung beschränkte sich auf Grundsätzliches und Hinweise zu baulichen Veränderungen im Laufe der Zeit. „Ein paar alte Fenster und Türen aus den abzubrechenden Bauteilen als Reserveteile für den denkmalgeschützten Bereich zu retten“, wurde en passant zum Erfolg stimuliert. Jedenfalls wurde im Rahmen der Führung – außer für den 1929–31 gebauten Pavillons VIII – keine Begeisterung für die Anlage vermittelt, die Symbolik und viel andere Besonderheiten blieben unbeachtet, die medizinische Tradition blieb gänzlich unerwähnt.
Diese für den KAV offensichtlich repräsentative Grundhaltung (der KAV hat nicht einmal eine Broschüre zum 100. Jubiläum des Spitals zuwege gebracht) ist natürlich beängstigend. Allerdings ist noch nichts beschlossen, und die Hoffnungen sind vielfältig. Es muss doch erkannt werden, dass eine über 100 Jahre alte bautechnisch einwandfreie Anlage, die auch heute noch fortschrittliche Abteilungen beherbergen kann, einer der modernen Medizin auf den Leib geschneiderte Betonhülle spätestens nach einer Generation wieder überlegen ist. Es muss erkannt werden, dass Adaptierungen solider Strukturen billiger sind, als Neubauten. Auch das Platzargument geht ins Leere, denn Platz für notwendige Zubauten gibt es auf dem Gelände genug, und die schwer verwertbaren Gebäude des anschließenden Geriatriezentrums bieten sich ebenfalls an. Last but not least haben die Schwachstellen in der heutigen ambulanten und stationären Versorgung wenig bauliche, sondern fast ausschließlich systemische Unzulänglichkeiten als Ursache.
Eine letzte Variante der Hoffnung liegt in der Ursache für das Überleben so vieler anderer Kulturdenkmäler: Die Eigentümer hatten nicht das Geld für Abbruch und Neubau.