Der Bader Schmidt

Aus Vinzenz Jerabeks Geschichte "Die Ansichtskarte"
1956

In seiner Geschichte „Die Ansichtskarte" erzählt Vinzenz Jerabek von den Bewohnern des Welkerhauses im sogenannten „Malerwinkel", einer markanten Stelle der heutigen Vitusgasse. Eine der Bewohner des Hauses war die alte Julie, und sie wusste schöne Geschichten aus einer Zeit, als der Marienbach den Ort noch in zwei Hälften teilte und statt eines Arztes der Bader amtierte. Eine der Geschichten der alten Julie erzählt eine köstliche Episode vom Bader Schmidt. Sie lautet folgendermaßen:

„Der Mann behandelte Mensch und Vieh und hatte für diesen Zweck drei Medizinen, die er selbst zusammen braute. Da gabs eine weiße für die Weiber, eine rote für die Männer und eine schwarze fürs liebe Vieh. Da wurde einmal der Bader gleich zu zwei Patienten gerufen – zum Zwickelbauer, einem alten, gediegenen Säufer, und zum Sagmüller seiner Kuh, die die Kolik hatte. Der Bader steckte also für den Zwickelbauer die rote Medizin in die eine Rocktasche und in die andere die schwarze für die Kuh. Wie er zum Zwickelbauer kommt, liegt der ganz verlassen in der Stube, wo ein Kienspan gebrannt hat. Weib und Knecht sind im Stall gewesen.

,Bader, tumml dich! Hast die Medizin glei mitbracht? I tua einwendi alser ganzer brinna! (brennen)’, jammert der Zwicklbauer.

,Das kimmt vom vieln Saufn’, hat ihn der Bader getröstet, die Flasche mit der Medizin aus dem Rocksack genommen, die dem Zwickelbauer gegeben und also gesprochen:

,Nimmst davon a Maulvoll und nach oana Weil wieder oans! I muass no zum Sagmüller und kim im Hoamweg no amal eina zu dir! Wird schon vergehn, das Brinna!’

Und der Bader lauft, dass er zu der Kuh auch noch zurechtkommt, und die wird im Sagmüllerhof gerade mit viel Geschrei und gutgemeinten Hieben herumgejagt.

,Bin schon da’, sagt der Bader, ‚tuats ihr nur glei s Maul aufmacha!’ Und er zieht aus dem Rocksack die Medizinflasche und – erschrickt nicht wenig: ist das die andere gewesen. Die rote Medizin für den Zwickelbauer hat er da in der Hand, und unterdessen sauft der daheim die schwarze aus. ‚Und s zreißt ihm sGedärm!’, schreit es im Innern des Baders Schmidt. Aber er hat sich sogleich gefaßt. Obwohl er weiß, dass die rote Medizin der Kuh da nicht helfen wird, gießt er sie doch ihr ins geöffnete Maul, dann befiehlt er das Tier weiter herumzutreiben und rennt, was er kann, zum Zwickelbauer.

Wann er nur nöt schon hin is! Wanns eahm nur no nöt zrissn hat, d schwarze! So denkt er im Laufen und fällt beinahe beim Zwickelbauer in die Stube. Einen vor Schmerzen sich windenden Menschen erwartet er, und was muss er erleben? Wie der ausgepichte Süffling Zwickelbauer, die qualmende Pfeife im Mund, sich gerade die Hose anzieht und laut grölt:

,Bist a sakrischer Kerl, Bader! A Medrizin hast, das muass ma dir lassn! Weg is das Brinna! Und leicht is mir, wia wann i zwanzg Jahr alt war. Aber oan Trumm Durscht hab i und geh no glei in Weikeller. Kannst mitgehn, Bader!’".

Vinzenz Jerabek