Historisches und Heiteres zu den Schuhmachern in der Region

1780

<p><b>Die Schuhmacher</b></p><p>Dieses Wappen der Schuhmacher aus dem Wappenfries der Versorgungsheimkirche wird von Dr. Jakob Dont wie folgt beschrieben: In Rot ein golden gekrönter, schwarzer Schnabelschuh mit braunem Unter­schuh oder Tripp, von einem goldgeschäfteten Pfeile mit silberner Spitze und ebensolchem Flitsche von oben abwärts durchbohrt. Zur Herstellung dieses Wappenbildes wurde das Siegel der Schuhmacherzunft vom Jahre 1784 benützt. Die Legende lautet: »SIGILL • IOSEPHUS • II • DER • BÜRGERLICHEN • SCHU­MACHER • ZUMPFT • IN • WIENN • 1784«. Ein älteres Siegel mit der Legende: »SIGIL OPIFICY • COTHVRNARIORVM • VIENNAE • AVSTRIAE • 1690 « zeigt im Schilde einen Reiterstiefel von zwei Werkzeugen beseitet. Auch die Schuhmacher zu Pulkau in Niederösterreich führen einen Schnabelschuh, die Spitze aber mit einer Schelle geschmückt, den Schuh von unten her von einem Pfeile durchschossen. Ähnliche Siegelbilder führen ferner die Schuster zu Wart­burg in Ungarn, die zu Danzig, Biberach, Ligesbach usw. Über die Bedeutung des Pfeiles in den Siegel­bildern dieser Schuhmacherzünfte konnte leider bisher keine befriedigende Erklärung gefunden werden. Mit den beiden Patronen der Schuhmacher, St. Crispinus und Crispinianus, die nach der Märtyrerlegende zuerst in einen Kessel gesteckt und dann enthauptet wurden, besteht kein Zusammenhang.</p><p><i>&copy; Archiv 1133.at</i></p>

Das obige Icon anklicken, um zur vollen Darstellung und Beschreibung des Wappens der Schuhmacher im Wappenfries der Wiener Versorgungsheimkirche zu gelangen.

Die Grundbücher sind einer der am weitesten in das alte St. Veit an der Wien zurückreichenden historischen Quellen. Über die Flächenbezeichnungen und Besitzverhältnisse hinaus enthalten sie oft auch nähere Informationen zu den Grundbesitzern, wie z. B. über deren Erwerbsart. In den bisher ausgewerteten Unterlagen werden die Schuhmacher nicht so früh genannt wie z. B. Fleischhauer, Bäcker oder Bader. Die erste Nennung betrifft das Jahr 1780, als die Pfarre St. Veit 183 Familien mit 836 Einwohnern zählte und die Theresienstraße (heute Hietzinger Hauptstraße) bereits angelegt war. Damals hatte der Schuhmacher Joseph Pampstl seinen Laden im Haus CNr. 11 (Schweizertalstraße 12).

Im ländlichen, nach wie vor grundherrlichen (Ober) St. Veit des Jahres 1820 sind zwei Vertreter dieser Branche aktenkundig: der Schuhmachermeister Johann Pohl in der Trazerberggasse 7 und die Schuhmacher-Familie Kuster in der Firmiangasse 25. Die Kusters waren eine alteingesessene Winzerfamilie, deren zahlreiche Nachfahren die verschiedensten Berufe ergriffen, eben auch die Schuhmacherei. 1869 hielten in der Firmiangasse 25 noch der Schuhmachermeister Anton Kuster und seine Nichte Theresia Kuster die Stellung. Anton war ledig geblieben, und Theresia führte den gemeinsamen Haushalt. In der Volkszählung 1880 scheinen aber weder er noch ein anderer Schuhmacher an dieser Adresse auf, statt dessen hatte sich das Gewerbe in vielen anderen Häusern mehr oder minder nachhaltig festgesetzt.

Die in den 1820er-Jahren beginnende und erst nach 1918 versiegende Zuwanderung hatte die Gewerbestruktur in und um Wien vollständig verändert. Die böhmischen und mährischen Zuwanderer waren in einigen Gewerbesparten so zahlreich, dass sie diese ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zumindest anteilsmäßig dominierten. Allen voran die Schneider mit 64,1 % der Selbständigen und 71,8 % der Gehilfen Wiens, dicht gefolgt von den Schuhmachermeistern mit 59,4 % und -gehilfen mit 68,8% (alles laut Volkszählung 1880).

Diese Entwicklung galt auch für viele der damaligen Vororte, wie z. B. Ober St. Veit. Hier explodierte das Schuhmacher-Gewerbe auf 13 Mitbewerber, 7 von ihnen waren aus Böhmen oder Mähren zugewandert. Der prominenteste Schuhmacher Ober St. Veits, der langjährige Bürgermeister Carl Hentschel, wurde allerdings in Lainz geboren.

Mit 19 (!) nachweisebaren Betrieben erreichte die Zunft den Erinnerungsbereich noch lebender Ober St. Veiter. Heute sind mit Herrn Roman Asherov (Folgebetrieb des Schuhmachermeisters Nesselberger in der Hietzinger Hauptstraße 170) und mit dem Nachfolger von Herrn Preischl in der Auhofstraße 123 nur mehr zwei einschlägige Betriebe tätig. Schuhe werden allerdings keine mehr gemacht, sie werden nur mehr gehandelt und repariert. Wer das Schuhmacherhandwerk von der Pike auf gelernt hat, so wie Roman Asherov, kann sie natürlich auch am besten reparieren. Aber das Schuh-Geschäft alleine nährt seinen Meister schon lange nicht, und auch Roman Asherov hat zusätzlich einen Schlüssel- und Aufsperrdienst etabliert.

In einem unterscheiden sich die Daten der ehemaligen k. k. Reichshaupt- und Residenzstadt Wien von denen Ober St. Veits: bei uns gab es viel mehr Schuhmacher als Schneider. Das mag Zufall sein, kann aber auch damit zusammenhängen, dass ärmere Menschen der niedrigeren Mieten wegen weiter an die Peripherie ausweichen mussten.

<p><b>Blick in eine Schuhmacherwerkstätte</b></p><p><i>&copy; Archiv 1133.at</i></p>
<p><b>Glasauergasse 7</b></p><p>Hier wohnte und arbeitete der berühmteste Schuhmacher Ober St. Veits: der langjährige Bürgermeister Carl Hentschel.</p><p><i>&copy; Archiv 1133.at</i></p>
<p><b>Firmiangasse 45</b></p><p>Ein Foto des Hauses Firmiangasse 45 ca. in den 1920er-Jahren. Die aus Südtirol zugewanderte Familie Rafeiner erwarb dieses Haus im Jahr 1904 und betrieb hier über lange Zeit ein Schuhmachergeschäft. Das Haus besteht heute noch, in leicht abgeänderter Form auch das Geschäftsportal.</p><p><i>&copy; Archiv 1133.at</i></p>
<p><b>Die Schuhmacher</b></p><p>Ein Foto aus der Schuhmacherwerkstätte, in der der spätere Ober St. Veiter Afrikaforscher Friedrich Julius Bieber in die Lehre ging (im grünen Kreis). Es dürfte sich um den Betrieb des Robert Knöfel in der Mariahilfer Straße 95 handeln. Knöfel war Gründer der „Neuen Wiener Schuhmacher-Zeitung“ und der Wiener Schuhmacher-Lehranstalt.</p><p><i>&copy; Bezirksmuseum Hietzing</i></p>
<p><b>Roman Asherov</b></p><p>In seinem Betrieb in der Hietzinger Hauptstraße 170</p><p><i>&copy; Archiv 1133.at</i></p>

So manche später berühmt gewordene Ober St. Veiter stammten aus ärmlichen Verhältnissen und machten in ihrer Jugend unauschlöschliche Erfahrungen als Schuhmacher-Lehrbub in Wien. Die spätere literarische Aufarbeitung dieser Erlebnisse war sehr unterschiedlich und reichte von den düsteren Lebens- bzw. Zeitbildern des Arbeiterdichters Alfons Petzold bis zu den amüsanten Geschichten des Ober St. Veiter Erzählers Vinzenz Jerabek. In der Regel hatten die Lehrlinge ein schweres Los und sie wurden bis an die Belastungsgrenze ausgenutzt. Doch Vinzenz hatte mehr Glück in seinem Leben als Alfons, und es scheint, dass eher er eine Plage für seinen Lehrherrn war, und nicht umgekehrt. Die über die eigenen Erfahrungen hinausgehenden Schuhmacher-Portraits Vinzenz Jerabeks spielen aber trotz aller Pointen vor dem Hintergrund eines kargen und für heiratswillige Frauen unattraktiven Lebens.

Hier ein paar Beispiele mit kurzer Inhaltsangabe:

Von meinem Meister (S 278)

Hier porträtiert er unter anderem seinen Lehrmeister in Gumpendorf. Er ist graubärtig wie Rübezahl und hochpolitisch veranlagt wie alle „kleinen Männer“ in den 1880er-Jahren. Er ist ein lustiger Kauz, aber ein Pechvogel mit drei unglücklichen Ehen, und er flucht viel. Sein Pech mit den Frauen resultiert in den wiederkehrenden Satz: „’s Weibersterbn is ka Verderbn!, aber ’s Roßverreckn, das kann in Bauern schreckn!“

Der traurige Schuster (S 272)

Josef Drtina, „Der Pepik“, ist Geselle bei obigem Schustermeister in Gumpendorf. Er stammt aus Böhmen und ist unglücklich in die schlesische Köchin Katschinka (Kathi) verliebt. Erst ein von Vinzenz Jerabek verfasster Liebesbrief verhilft der Beziehung zum Durchbruch.

Eine Art Selbstbiografie (395)

Darin kommt auch der „Petrak-Schuster“ vor, der „drüben im Schattinger-Haus“ (Anm: Firmiangasse 10) an seinem Fenster in einem grünen Rahmen voll Blumen und einer Menge Vogelkäfigen sitzend, seine Sohlen weichklopft, was in der ganzen Umgebung zu hören ist. Gegenüber, beim Fleischhauer Fonz sollte ein Ochs geschlagen werden, aber der kommt aus und rennt durch Gassen, spießt den Auslagekasten des Bürgermeisters auf, der auch ein Schuster ist (Anm: Schuhmachermeister Carl Hentschel, Glasauergasse 7), und trägt ihn bis zur Einsiedelei. Dort bricht er zusammen. Die im Kasten gewesenen Röhrenstiefel werden nie wieder gefunden.

Diese als authentisch einzuschätzende Geschichte dürfte Vinzenz Jerabek zu einer weniger authentischen Lösung des Rätsels der verschwundenen Röhrenstiefel animiert haben:

Die Wunderstiefel (S 317)

Hans Feichtinger, der „alte Feichtinger-Hans“ , hat im Sommer ein Lager in der Au und im Winter einen Platz in einem Stall. 20 Jahre hat er beim Militär gedient, die Kriege in Italien unter Radetzky mitgemacht und eine Tapferkeitsmedaille erhalten. Jetzt bezieht er eine tägliche Rente von 15 Kreuzer. Was er sonst braucht, verdient er sich mit Dienstleistungen. Er sammelt Vögel und verkauft sie, am liebsten treibt er Ziegen in die Au. Das Geld setzt er in Schnaps um. Sein größter Wunsch sind Röhrenstiefel und deswegen wendet er sich täglich an den heiligen Johannes von Nepomuk. Hier kommt wieder der ausgerissene Ochse und die Auslage des Schusters ins Spiel. Der Ochse versucht die in seinen Hörnern verfangenen Stiefel abzustreifen, und an der vorstehenden Hand es Heiligen Nepomuk gelingt ihm das. Damit ist die Überzeugung des bald vorbeikommenden alten Feichtingers, dass er vom heiligen Nepomuk erhört wurde, nicht mehr zu erschüttern, und die Stiefel wurden ihm gelassen.

Der Sitzgeselle (S 283)

Das ist ein Geselle, der auf eigene Faust arbeitet. Der Niederreiter ist so ein Sitzgeselle, der sich in einer kleinen Werkstätte einen Fensterplatz gemietet hat. Er ist ein „Mozart oder ein Tizian unter den Sitzgesellen“. „Der gottverdammte und vermaledeite Sitzg’sell’ könnte für den Kaiser die Stiebel machen! Hofschuster könnt er sein, wenn er nicht saufen tät!“, urteilt sein ehemaliger Lehrherr. Doch der Sitzgeselle will sich zu Tode saufen, weil die fesche Wirtshausköchin Mali von der „Schönen Schäferin“ einen Dragonerkoporal hat und keine Schustersfrau werden will. Vor Jahren hatte Niederreiter als Infanterist unter Oberst Polterer von Poltersdorf in Troppau gedient. Zufällig kommt dieser in seine Schuhmacherwerkstatt und bestellt für nächsten Tag um 11 Uhr Lackstiefel, in denen er sich „für sehr wohl befindet“. „Jawohl, Ex’lenz, aber nur, weil ich Ex’lenz kenn!“. Es sind die letzten, die er macht. Er arbeitet und trinkt die ganze Nacht und stirbt, sobald sie fertig sind.

Die Kluppen-Wettl (S 320)

Michael Zweckmann ist Schustergeselle, hat keine Nase, gewinnt aber 20.000 Schilling in der Klassenlotterie. Damit will er heiraten und Schustermeister werden. Das Fräulein Emmi in der gegenüberliegenden Wäscheputzerei soll seine Frau werden. Diese zieht aber den Herrn Lix vor, der mit ihr „schon den Weg gegangen ist, der manchmal in den Hafen der Ehe führt“. Der ist fesch, Leiter in einem Warenhaus und hat eine Nase. Doch leider muss er eine Gutsbesitzertochter heiraten, und das Fräulein Emmi findet jetzt auch den angehenden „Schuhfabrikanten“ ganz nett. Aber der hat mittlerweile die Kluppen-Wettl aus dem Waschraum der Putzerei gefreit.

Übrigens wäre auch ein anderer sehr berühmter Ober St. Veiter beinahe Schuhmacher geworden: Der Afrikaforscher Friedrich-Julius-Bieber.

Die Schuhmacher Ober St. Veits im Jahre 1820

Name

Adresse

Kuster, Anna Maria

Firmiangasse 25

Pohl, Johann

Trazerberggasse 7

Die Schuhmacher Ober St. Veits im Jahre 1869

Name Adresse Geburtsort Anmerkungen
Kurz, Johann Hietzinger Hauptstraße 166 Böhmen  
Hentschel, Karl Glasauergasse 7 Lainz Hausbesitzer
Petrak, Ludwig Firmiangasse 10 Mähren  
Kuster, Anton Firmiangasse 25 OSV Hausbesitzer, geb. 1787, ledig
Mattauschek, Wenzl Auhofstraße 120 Böhmen  
Skalik, Johann Auhofstraße 135 Weidlingau  
Altmann, Ignaz Auhofstraße 147 Hacking mosaisch

 

Die Schuhmacher Ober St. Veits im Jahre 1880

Name

Adresse

Geburtsort

Altmann, Ignatz

Einsiedeleigasse 7

Hacking

Bacina, Wenzel

Auhofstraße 136

Böhmen

Bacina, Ignatz

Hietzinger Kai 193

Böhmen

Burianek, Franz 

Glasauergasse 5

Böhmen

Chwalla, Josef

?

Böhmen

Föhrmann, Heinrich

Hietzinger Hauptstraße 149

OSV

Hentschel, Carl

Glasauergasse 7

Lainz

Kurz, Johann

Hietzinger Hauptstraße 149

Böhmen

Petrak, Ludwig

Firmiangasse 10

Mähren

Scheffner, Georg

Firmiangasse 47

Böhmen

Schmidt, Johann

Firmiangasse 18

Mähren

Schneider, Georg

Erzbischofgasse 4

Baiern

Weinhold, Franz

Firmiangasse 47

Schlesien

 

Die Schuhmacher Ober St. Veits um ca. 1936

Name

Adresse

Behounek, W.

Einsiedeleigasse 1

Böhm, J.

Hietzinger Hauptstraße 97

Cervenka, K.

Rohrbacherstraße 11

Danimann, L.

Auhofstraße 145

Danimann, K.

Auhofstraße 122

Freund, J.

Amalienstraße 58 

Geiger, L.

Einsiedeleigasse 6 

Haban, K. sen.

Veitingergasse 70

Hartmann, J.

Hietzinger Hauptstraße 174

Heiß, J. sen.

Auhofstraße 126

Hentschel, Anton

Glasauergasse 7

Kugler, Florian

Testarellogasse 27

Kulf, Franz

Testarellogasse 20

Nowotny, F.

Tuersgasse 8A

Rafeiner Anton

Firmiangasse 45

Richter, J.

Amalienstraße 3

Sieberer, J.

Rohrbacherstraße 8

Weiß, Elvira

Vitusgasse 9

Wittwer, M.

Auhofstraße 168

Quellen:
Jerabek, Vinzenz: Erlebtes und Erlauschtes aus Wiens Vorstadt. Wien: Eigenverlag 1956
John, Michael und Lichtblau, Albert: Schmelztiegel Wien - einst und jetzt. Zur Geschichte und Gegenwart von Zuwanderung und Minderheiten. Wien: Böhlau Verlag 1990
Holzapfel, Josef: Historisches Ober St. Veit. Handwerks-, Gewerbe- und Vereinsgeschichte. Wien, Interessensgemeinschaft Kaufleute Ober St. Veit, 2009
Grundbücher, Volkszählungen, etc.

hojos
Übertragen im Juli 2012