Die Fabriken des Wientals
Dieser Beitrag ist ein Auszug aus der Geschichte der Wientalfabriken (des 13. und 14. Bezirkes), verfasst von DDr. Gebhard Klötzl. Den gesamten Text finden Sie in Heft 61 der Penzinger Museumsblätter (2004), erhältlich in den Bezirksmuseen Penzing oder Hietzing um 3 Euro.
01.04.2005
1. Allgemeines
Ab dem Ende des 18. Jahrhunderts entwickelte sich beidseits des Wienflusses ein Band von Fabriken. Es gab mehrere Gründe für die Ansiedlung gerade im Wiental: Der wichtigste Grund war das Flusswasser, das zur Produktion benötigt wurde, gleichzeitig ließ man auch die Abwässer in die Wien ab. Besonders die Textil- und die Lederverarbeitung hatten enormen Wasserbedarf. Ein weiterer Grund war die günstige Verkehrslage in der Nähe der Linzer Poststraße, ab 1858 auch die Nähe der Westbahn. Außerdem hatte man in der nahen Stadt Wien einen hervorragenden Absatzmarkt. Die diversen Fabriken entstanden ab etwa 1830–40 und zogen sich beginnend in Hacking (Südufer) und Hütteldorf (Nordufer) in einem dünnen Streifen flussabwärts. Baumgarten und die Umgebung von Schönbrunn waren fabrikfrei, alle anderen Orte des heutigen XIII. und XIV. Bezirks waren mehr oder weniger industrialisiert. Die größte Konzentration erreichten die Fabriken schließlich in Rudolfsheim und Fünfhaus. Beim Linienwall (=heutige Gürtelstraße) endeten die Fabriksansiedlungen.
Bei einigen Fabriken des Wientales war nach dem Ersten Weltkrieg schon die Zeit abgelaufen. Bei den übrigen begann der Niedergang ab etwa den 1960er-Jahren. Wegen ihrer Lage im inzwischen dicht verbauten Gebiet bekamen sie zunehmend Probleme mit den Anforderungen des Umweltschutzes, für Ausbauten war kein Platz, auch waren sie in einem geänderten Markt zunehmend nicht mehr konkurrenzfähig. Bis Ende der 1970er-Jahre verschwanden sie praktisch vollständig.
In unmittelbarer Nachbarschaft der (in ihrem Ursprung auf das Mittelalter zurückgehenden) Hackinger Mühle befand sich auf Hackinger Straße 46 ein nicht zur Mühle gehörendes, um 1750 errichtetes ebenerdiges Haus. Darin richtete 1812 Louis Aumüller eine Baumwolldruckerei ein und stockte das Haus um ein Geschoß auf. Der Betrieb war nur mäßig rentabel, seine Besitzer wechselten alle paar Jahre. 1846 kaufte Gustav Seidel das Gebäude von Giuseppe Bossi und eröffnete darin 1860 eine Färberei und Mercerisiererei (=Stoffveredlung, benannt nach ihrem englischen Erfinder Mercer) ein. Gustav Seidel (*1816, †1887) stammte aus Reichenberg (Liberec) in Böhmen und war von 1878 bis zu seinem Tod auch Bürgermeister von Hacking, in deren Gemeindegebiet seine Fabrik lag (obwohl nördlich der Wien und heute 14. Bezirk). Er wohnte mit seiner Familie direkt neben seinem Fabrikbüro in der Deutschordenstraße 3. Nach 1850 kaufte er auch das gegenüberliegende Areal der Hackinger Mühle (Hackinger Straße 48) samt den noch darauf befindlichen Gebäuden, ausgenommen das Mühlenwirtshaus „Gasthaus zum Deutschen Orden“, welches die Färberei Seidel erst 1922 dazu erwarb. 1887 übernahmen die Söhne des Gründers, Gustav jun. (der sich schon 1896 zurückzog) und Moriz, die Färberei. 1889 wurde ihnen das Druckereigebäude (Hackinger Straße 46) zu eng, sie übersiedelten die Färberei zur Gänze auf das ehemalige Mühlenareal.
Nun begannen die Jahre des großen Aufschwunges der Färberei Seidel, ermöglicht durch die Hochkonjunktur der zu Ende gehenden Monarchie, die Gründerzeit. Neue Gebäude wurden zugebaut, darunter ein großes Direktionsgebäude und weitere Produktionshallen, Magazine, eine Wagenremise und ein Personalwohnhaus für Fabriksbeamte (Hackingerstraße 50). 1902 wurde der große Schlot gebaut, den die Firma Seidel auf ihrem Briefpapier stolz in stark rauchendem Zustand abbildete - als Zeichen der Prosperität, Umweltbewusstsein war damals noch ein Fremdwort. 1905/06 wurden die Betriebszweige Bleicherei und Appretur hinzugenommen und neben den Dampfmaschinen auch erste Elektromotoren eingesetzt. 1906 brachte Moriz Seidel den Hackinger Betrieb in eine groß angelegte Fusionierung mit folgenden Firmen ein: Hugo Stöhr in Röchlitz und Oberrosenthal, H. Schmidt & Co. in Reichenberg, J.H. Bornemann in Aussig (alle Orte in Böhmen). Zusammen bildeten sie nun die „Vereinigte Färbereien Aktiengesellschaft“ mit weiteren Filialfabriken in Hussowitz bei Brünn, Wöllersdorf (NÖ) und Kaisermühlen. 1910 hatte der Hackinger Betrieb etwa 300 Arbeiter. Nach dem Zerfall der Monarchie wurde dieser, heute würde man sagen Konzern, wieder in eine österreichische und eine tschechoslowakische Gesellschaft zerlegt, die letztere hieß „Vereinigte Färbereien Reichenberg“. Nach dem Ersten Weltkrieg kam beim Hackinger Betrieb noch Wäscherei und Walkerei dazu, dann war der Höhepunkt des Ausbaus erreicht. Offenbar als Folge der geänderten politischen Verhältnisse erfolgte 1940 eine neuerliche deutsch-böhmische Fusion. 1939 bis 1947 führte bereits der Enkel des Gründers, Ing. Moritz Seidel, die Geschäfte im Vorstand. 1946 wurden die in Böhmen gelegenen Betriebsteile von den Enteignungen bzw. Verstaatlichungen aufgrund der Beneš-Dekrete erfasst, einzig die Wiener Färberei blieb übrig.
Der 1933 verstorbene Moriz Seidel liegt zusammen mit dem Gründerenkel, Ing. Moritz Seidel, auf dem Ober St. Veiter Friedhof in einem noch bestehenden Grab, auf dessen Grabstein ein Metallrelief einen Färber darstellt, wie er einen Tuchballen in den Bottich taucht. Die Gesichter der abgebildeten Personen (Färber, kleines Kind) entsprechen den tatsächlichen Physiognomien der Geschwister des Ing. Moritz Seidel. Die letzte Beteiligung eines Familienmitgliedes am Betrieb war die Geschäftsführerschaft des studierten Textilchemikers Dr. Thomas Seidel von 1964 bis 1967.
Nach dem Zweiten Weltkrieg waren in Hacking einige Kriegsschäden zu beseitigen, da die Fa. Seidel wegen ihrer Nähe zur Bahn kleinere Bombentreffer abbekommen hatte. In den 1950er-Jahren gingen die Geschäfte sehr gut, besonders das Färben von Schistoffen (Schihosen), hier teilte man sich mit Winkler & Schindler praktisch den Markt auf.
1974 wurde nochmals ein bisschen umgebaut. Es hatte sich über Jahre hinweg bereits ein enormer Investitionsbedarf angestaut. In der Erkenntnis, die hohen erforderlichen Investitionen nicht mehr verdienen zu können, wurde die Fabrik 1978 geschlossen. 1981/82 erfolgte der Abbruch der Gebäude und der Neubau des Auslieferungslagers der Fa. Morawa. Nur das denkmalgeschützte ehemalige Gasthaus „Zum Deutschen Orden“ mit Baukern aus dem 17. Jh. musste stehen bleiben und wurde nach jahrelangen Auseinandersetzungen zwischen der Fa. Morawa und dem Bundesdenkmalamt schließlich 1995 renoviert – heute ist darin deren Verwaltung untergebracht.
3. Färberei Winkler & Schindler
(13, Auhofstraße 152–162)
Die Fa. Winkler & Schindler war von der Grundtätigkeit her eine Stoffefärberei, die im Laufe der Zeit je nach Konjunktur den einen oder anderen Geschäftszweig dazu nahm. Sie war Zeit ihres Bestehens bei der Nachbarschaft unbeliebt wegen ihres Gestankes. Bis zum Zweiten Weltkrieg war die Fa. Winkler & Schindler ein bedeutender Arbeitgeber in Ober St. Veit. Als es dort im Jahre 1932 einen großen Streik mit anschließenden Massenentlassungen gab, „war halb Ober St. Veit arbeitslos“ (J. Brennig).
1863 gründete Alois Winkler, Sohn eines jüdischen Gaudenzdorfer Färbers hier eine kleine Färberei - weiter stadtauswärts als der väterliche Betrieb, weil das Wasser der Wien in Gaudenz schon viel zu verschmutzt war. Er erwarb ein verbrieftes Wasserrecht am Wienfluss, welches bis zuletzt Bestand hatte und zu einem wirtschaftlichen Eckpfeiler des Betriebes wurde. 1882 tat sich Alois Winkler mit dem reichen Fünfhauser Fabrikanten Simon Schindler zur Offenen Handelsgesellschaft „Winkler & Schindler“ zusammen. Nun erst begann der wirtschaftliche Aufstieg der Fabrik - von Winkler kam das Know How, von Schindler das Geld. 1888 verstarb Simon Schindler, seine Witwe wurde abgefunden, von da an war die Fabrik bis zuletzt nur im Familienbesitz Winkler.
1908 folgte die erste große Generationenübergabe: Der Firmengründer sowie seine Söhne Siegfried, Hermann und Arnold zogen sich aus der Gesellschaft zurück, ihnen folgte Dr. Hugo Winkler sen. und Dr. Oscar Winkler. Nach dem Tod von Hugo Winkler sen. 1931 adoptierte Oscar Winkler dessen Sohn Hugo Winkler jun., der von 1950 bis zur Betriebsschließung 1974 die Geschicke des Unternehmens lenkte.
Die Fa. Winkler & Schindler war drei Generationen hindurch eine prosperierende Textilfärberei. Neben der Fabrik entstand in der Auhofstraße 160 ein Haus mit mehreren Wohnungen für die Familienmitglieder. 1923 erbte die Familie in Hietzing, Kopfgasse, eine repräsentative Herrschaftsvilla und verlegte ihren Wohnsitz dort hin, die Wohnungen in der Auhofstraße dienten danach zumeist als Dienstwohnungen für leitende Angestellte. Die Häuser Auhofstraße 152 und 154 wurden im Lauf der Zeit dazugekauft, weil der Betrieb ihre Gärten zur Platzausdehnung benötigte, die Wohnungen wurden vermietet.
Im Ersten Weltkrieg profitierte Winkler & Schindler als Heereslieferant von der Kriegskonjunktur und behielt die ganze Zwischenkriegszeit hindurch die Gewerbebefugnis für die Erzeugung von Heeresgegenständen: defacto handelte es sich nur um Uniformstoffe, dennoch wurde der Betrieb im August 1938 als kriegswichtig eingestuft und unter staatskommissarische Aufsicht gestellt. In dieser Zeit kam Veredelung, Bleicherei, Druckerei und Appretur von Stoffen dazu, als wirtschaftlich beständig erwies sich aber nur das Kerngeschäft des Färbens. Am 15. März 1938 musste die gesamte Belegschaft unter Führung eines „NS-Einpeitschers“ (so Dr. Hugo Winkler im Gespräch) auf den Heldenplatz jubeln fahren. Wahrscheinlich auf Veranlassung des Staatskommissars wurde 1938/39 anstelle der herkömmlichen Schlote der berühmte „Turm“ gebaut - eine aufwändige Filteranlage für die Schwefelabgase, die bis zuletzt mehr schlecht als recht funktionierte.
Im Frühjahr 1945 besetzte sowjetisches Militär die „kriegswichtige“ Fabrik und ließ nun für sich arbeiten - im Gegenzug sorgte der sowjetische Kommandant für ausreichende Lebensmittelversorgung der Arbeiter. Nach der Beseitigung einiger Bombenschäden florierte die Färberei noch bis etwa 1970. 1968 bot Winkler & Schindler in Stellenanzeigen noch „sichere Lebensstellungen“ an - zweifellos in gutem Glauben, aber die Veränderungen des Marktes und der Umweltschutz führten auch hier zu einem nicht mehr leistbaren Investitionsbedarf. 1974 entschlossen sich die Eigentümer zur Stilllegung des Betriebes, 1978 wurden sämtliche Gebäude abgebrochen und in weiterer Folge eine riesige Wohnhausanlage errichtet.
Eine umfassende Chronik Winkler & Schindlers ist HIER.
4. Hutfabrik Giuseppe Bossi (+Nfg.)
(13, Auhofstraße 84)
Die Gründerpersönlichkeit dieser Fabrik ist der Italiener Giuseppe (=Josef) Bossi, geboren 1811 in Busto Arsizio bei Mailand, das damals zur Habsburgermonarchie gehörte (die Lombardei ging erst 1859 verloren). Er war der Älteste von fünf Kindern einer sehr wohlhabenden Patrizierfamilie, die mit Tuchhandel reich geworden war und auch berühmte Künstler hervorgebracht hatte. 1832 kam er als junger Mann nach Wien, wo er in der Wiener Niederlassung der Mailänder Baumwollfabrik Cavalli eine Anstellung bekam. Danach machte er sich selbständig. Er erhielt von seinem Vater einen Betrag von 30.000 österr. Silberlire als Vorgriff auf sein Erbteil ausbezahlt, das er als Startkapital für eine Unternehmerlaufbahn verwenden durfte. Damit gründete er 1839 in Wien zunächst eine „Kurrentwarenhandlung“, also ein Handelshaus vermutlich nach dem Vorbild der ihm geläufigen oberitalienischen Handelshäuser. Seine wirtschaftlichen Aktivitäten weitete er aber noch aus und versuchte sich gemeinsam mit einem Partner namens Hercule Clerici als Druckfabrikant. Die beiden übernahmen 1844 die abgewirtschaftete Baumwolldruckerei Aumüller, Hackinger Straße 48. 1845 beschäftigte Bossi & Clerici in Hacking immerhin 160 Arbeiter. Hercule Clerici stieg jedoch bald aus - die Gründe dafür sind nicht bekannt.
1849 kaufte er, diesmal ohne Geschäftspartner, den unverbauten westlichen Teil des riesigen Feldmühlenareals und baute dort - nach heutiger Adresse Auhofstraße 84 - eine Fabrik, neben der er 1853 einen weiteren zweistöckigen Neubau mit einem „Fabriks- und Arbeitssaale“ sowie Wohnungen errichtete. Dorthin übersiedelte er seinen Druckbetrieb. Die Bossifabrik beschäftigte damals mehrere hundert Arbeiter. Die Investitionen waren offensichtlich zu gewagt und ein Konjunktureinbruch führte dazu, dass Giuseppe Bossi mit seiner Fabrik 1859 Konkurs anmelden musste. Bossi schaffte es, mit einer provisorischen Fortbetriebserlaubnis den Betrieb zu sanieren, indem er die Stoffedruckerei aufließ und eine Hutproduktion neu etablierte. Erzeugt wurden fortan Filzhüte und Hutstumpen, das waren Rohlinge, die von kleingewerblichen Hutmachern zu Ende verarbeitet wurden.
1888 verkaufte G. Bossi aus Altersgründen den Betrieb an die Firma Miller-Aichholz. Vinzenz bzw. seine Söhne Heinrich und August Miller-Aichholz führten den Betrieb bis 1918 unter der Bezeichnung „Giuseppe Bossi’s Nachfolger“ weiter.
Giuseppe Bossi verstarb am 10.7.1891 im Sanatorium Löw am Alsergrund und wurde auf dem Wiener Zentralfriedhof begraben, wo sein Grab aber nicht mehr besteht.
1910 hatte die Bossifabrik etwa 700 Arbeiter. 1918 erfolgte die Umwandlung in eine Aktiengesellschaft. Die Produktion in Unter St. Veit wurde 1937 eingestellt. Danach dienten die leeren Firmengebäude noch als militärisch (Bundesheer und Wehrmacht) verwaltetes Lager für Lebensmittel, Uniformen, Stoffe, Öfen (die an Bombenopfer als erste Nothilfe ausgegeben wurden) und dergleichen. Anfang 1939 wurde die Liegenschaft an die Österreichische Realitäten AG und von dieser sehr bald an die Fa. UNIVERSALE verkauft. Nach Abriss der im Zweiten Weltkrieg beschädigten Fabriksgebäude entstand 1965 auf dem ehemaligen Bossi-Gelände das Autohaus Anton Hinteregger und 1982-84 zusätzlich ein BUWOG-Wohnbau.
Über seine Geschäftstüchtigkeit hinaus war Giuseppe Bossi auch ein sehr prominenter Kunstsammler. Einen interessanten Einblick in diesen Aspekt bietet der Beitrag von Reinhard Flogaus: „Von Ferrara nach Berlin. Zur Provenienz und Geschichte des Lebenden Kreuzes aus dem Besitz der Humboldt-Universität, in: Bastianino. Das lebende Kreuz von Ferrara. Die Restaurierung eines vergessenen Altarbildes aus dem 16. Jahrhundert, Petersberg 2021, S. 10–45.“ Der zu Bossi relevante Abschnitt lautet:
„... Das Einzige, was wir sicher wissen, ist, dass der nächste Besitzer des Lebenden Kreuzes von Ferrara, der Wiener Textilfabrikant Giuseppe Bossi (1811–1890), das Bild aus einer „Sammlung Bentivoglio“ erworben hatte. ...
... Giuseppe Bossi stammte aus der Stadt Busto Arsizio in der Nähe von Mailand.120 1832 kam er nach Wien und arbeitete dort in der Niederlassung einer Mailänder Textilfabrik. 1839 machte er sich selbständig, zuerst als „Kurrentwarenhändler“, ab 1844 dann als Textilfabrikant. Aufgrund des Einsatzes von neuen Maschinen zum Bedrucken von Stoffen florierte sein Unternehmen einige Zeit außerordentlich. Nach einem – offenbar glimpflich verlaufenen – Konkurs im Jahr 1859 gelang es Bossi, seinen Betrieb zu sanieren und die Produktion auf die Herstellung von Hüten umzustellen. Aufgrund seines erneuten wirtschaftlichen Erfolgs konnte er in den folgenden Jahren Niederlassungen seiner Firma in Norditalien gründen. In den Orient exportierte er Fez-Hüte, und auch nach Südamerika unterhielt er rege Handelsbeziehungen, so dass er in seinen späteren Jahren zugleich als österreichischer Konsul von Paraguay, Chile und dem Freistaat Buenos Aires tätig war. 1888 verkaufte Bossi seinen Betrieb aus Altersgründen.
Neben seinen unternehmerischen Aktivitäten widmete er sich fast ein halbes Jahrhundert lang dem Sammeln von Gemälden. Seine herrschaftliche Wohnung im Müller’schen Gebäude121 am Franz-Josefs-Quai 21/Adlergasse 1 war angefüllt mit Werken älterer und neuerer Meister, die Mehrzahl davon italienischer Provenienz. Wann und wo er diese Bilder erworben hatte, ist weit gehend unbekannt...
... Wenige Jahre vor seinem Tod hat der kinderlose Wiener Unternehmer Bossi dann seine umfangreiche Kunstsammlung durch das Wiener Auktionshaus Miethke versteigern lassen. Ab dem 15. Dezember 1885 kamen in seiner Privatwohnung zunächst 215 Gemälde und Skulpturen Neuer Meister unter den Hammer, darunter auch Bilder von österreichischen Künstlern wie Friedrich v. Amerling (1803–1887), Karl v. Blaas (1815–1894), seinem Sohn Julius v. Blaas (1845–1922), Anton Romako (1832–1889) oder Ferdinand Georg Waldmüller (1793–1865).123 Vom 10.–12. Mai 1886 folgten dann im Künstlerhaus 315 Gemälde aus Bossis Sammlung Alter Meister. Auch diese Auktion war ein außerordentlicher Erfolg. Der Gesamterlös betrug 51.000 fl. (bei einer sehr moderaten Taxe von 8.142 fl.).“
5. Ledergalanteriewarenfabrik Weidman
(13, Feldmühlgasse 4+6)
1851 gründeten Georg und Anna Weidman in der Feldmühlgasse 6 eine Erzeugung von Ledergalanteriewaren, das heißt handwerkliche Feinverarbeitung von Fertigleder. Georg Weidman war gebürtiger Wiener, der in Klagenfurt die Taschnerei und Sattlerei erlernt hatte und ein geschickter Handwerker war. 1882 wurde das Nachbargebäude Feldmühlgasse 4 dazugekauft. Über den Betrieb selbst ist nur wenig überliefert, erzeugt wurden jedenfalls Handschuhe und Taschen in gehobener Qualität. 1894 übernahm der bereits längst mitarbeitende Sohn des Gründerehepaares, Josef Weidman, den aufstrebenden Betrieb. Über ihn, der in der ausgehenden Monarchie eine markante „Gründerzeitpersönlichkeit“ war, ist viel mehr bekannt als über seine Fabrik. Er brachte in den elterlichen Betrieb vor allem kaufmännisches Geschick ein und wurde zu einem steinreichen Mann. Siehe dazu auch den gesonderten Beitrag zu Josef Weidman.
Die Unter St. Veiter Fabrik (Feldmühlgasse 6) wurde von der Fa. Merinsky übernommen, die die Galanteriewarenproduktion bis in die Zwischenkriegszeit fortführte. Im ehemaligen Weidman’schen Nebengebäude Feldmühlgasse 4 brachte die PEROLIN-Fabrikations-Gesellschaft die Produktionsstätte für den Perolin-Luftreiniger unter, der bis in die 60er Jahre gerne als Duftstoff in den Kinos versprüht wurde. Da beide Firmen nicht Eigentümer der Gebäude, sondern vermutlich nur Mieter darin, waren, sind die genauen Jahresdaten ihrer Tätigkeit nicht mehr nachvollziehbar. Um 1932 bestanden sie jedenfalls parallel. Das Gebäude Feldmühlgasse 6 wurde in zwei Teilen 1948 und 1972 abgetragen. Das Haus Feldmühlgasse 4 besteht noch und beherbergt einen Teil des Supermarktes SPAR.
6. Lederfabrik Flesch
(13, Auhofstraße 25, Fleschgasse 9, Kremsergasse 2)
Gründer der Fabrik ist Samuel Bezalel Flesch, geboren 1801 in Neu Rausnitz in Mähren, wo sein Vater Händler war. Als 18-Jähriger erhielt er vom Staat eine sogenannte Familienstelle verliehen - die Juden genossen damals noch keine Gewerbefreiheit und konnten keine Fabriksbefugnis erlangen. Als „Familiant“ arbeitete er zunächst bis 1832 im Laden seines Vaters Salomon Flesch in Neu Rausnitz, danach arbeitete er bei einem jüdischen Händler in der Wiener Leopoldstadt bis 1839 als Buchhalter. Nach diesen 20 Berufsjahren im wirtschaftlich beengten jüdischen Milieu entschloss er sich offenbar zum Ausbruch aus diesen Verhältnissen. 1838 ließ er seine beiden Söhne Rudolf und Josef im Alter von bereits 12 bzw. 11 Jahren in der Pfarre Leopoldstadt taufen. 1840 trat er selbst aus dem Judentum aus (anscheinend ohne sich taufen zu lassen) und änderte seinen Vornamen in Sigmund Ignaz. Nun genoss er Gewerbefreiheit und erwarb eine Handelsbefugnis, aufgrund derer er in einem ihm gehörenden Haus in der Leopoldstadt im Jahr 1843 eine Handelsfirma eröffnete. In einem nicht mehr genau feststellbaren Jahr zog er im vorgenannten Hause eine kleine Ledererzeugung auf, bekam jedoch auf Grund der engen Verbauung Schwierigkeiten mit der Nachbarschaft. Daraufhin kaufte er in Unter St. Veit mehrere unverbaute Grundstücke außerhalb des damaligen Ortskernes und errichtete 1866 eine ganz neue und vergrößerte Lederfabrik.
Der Fabriksgründer Sigmund Ignaz Flesch nahm der Reihe nach seine Söhne als Mitgesellschafter auf und starb selbst im Jahre 1868. Seine Söhne führten die Fabrik in Unter St. Veit weiter.
In den Jahren nach 1870 wuchs die Verbauung des Ortes Unter St. Veit immer näher an das Fabriksgelände heran. Zwischen der Gemeinde und der Firmenleitung gab es immer wieder Konflikte im Zusammenhang mit Ausbauwünschen. Die Geruchsbelästigung war eine arge Beeinträchtigung für die Umgebung, auch fürchtete man die Gefahr von Bränden. Ein Zugeständnis der Firmenleitung war die Wegverlegung der Lohgrube auf eine neu angekaufte Wiese in der Nähe des Wienflusses (heutige Adresse: Fleschgasse 15-17). Auf diesem Grundstück befindet sich jetzt eine 1932 erbaute Wohnhausanlage für Beamte, die hufeisenförmig rund um die alte Lohgrube angelegt wurde, wohl um technische Schwierigkeiten mit dem Bauuntergrund zu vermeiden. 1876 erkauften sich die Flesch die heute noch gültige Gassenbezeichnung Fleschgasse mit einer Spende in die Gemeindekasse.
Die Lederfabrik Flesch blieb insgesamt drei Generationen lang im Besitz der weitverzweigten Familie Flesch, wobei sich nicht alle Nachkommen beteiligten, sondern zum Teil auch abfinden ließen und anderweitig ihren Geschäften nachgingen.
Ab 1898 war Joseph Flesch jun. Alleininhaber des Betriebes. In seiner Person vollendete sich der gesellschaftliche Aufstieg dieser ursprünglich jüdischen und ursprünglich nicht sehr wohlhabenden Händlersfamilie: Er brachte es zu einem reichen und angesehenen Mitglied der „Ringstraßengesellschaft“ der ausgehenden Habsburgermonarchie, war Vorstandsmitglied des Hauptverbandes der Industrie Österreichs, Vizepräsident der Fachgruppe der Lederindustrie, Direktor der Ersten Österreichischen Sparkasse, erhielt 1916 das Adelsprädikat „von“ und ein Wappen verliehen und war Träger mehrerer hoher Orden. 1913 erbaute er das prächtige, spätgründerzeitliche Wohnhaus Kremsergasse 1 mit mehreren Wohnungen. Er starb am 16. November 1928 kinderlos. Mit ihm erlosch die direkte Linie der „Fleschfabrikanten“.
Nun noch der Rest der Firmengeschichte: 1910 brachte Joseph Flesch die Unter St. Veiter Fabrik in eine Fusion mit den Stadlauer Gerlachwerken ein. Es entstanden die „Vereinigten Lederfabriken Flesch, Gerlach & Moritz AG“. Joseph Flesch war am Gesamtbetrieb nur mehr Minderheitsaktionär. Die Produktion wurde von Unter St. Veit wegverlagert, einige jenseits der Auhof- und der Fleschgasse gelegene Betriebsliegenschaften wurden abverkauft. 1940 verkaufte Joseph Fleschs Erbin, seine Nichte Irmgard Weber, die Kernliegenschaft der Unter St. Veiter Fabrik an den Ottakringer Fleischermeister Franz Wiesbauer. Laut Text des Kaufvertrages stand die Fabrik damals schon seit Jahren leer. Wiesbauer baute tiefgreifend um und richtete seine bekannte Wurstfabrik ein, die bis 1995 in Betrieb war. Danach verlegte er seinen Betrieb nach Liesing in einen Neubau. Die Fabriksgebäude wurden 1995/96 abgebrochen und das Areal mit Wohnhäusern neu verbaut. Nach Renovierung bestehen blieb nur das ehemalige Fleschwohnhaus Kremsergasse 1.
7. Kerzenfabrik Apollo
(14, Penzinger Straße 76)
An der Stelle des heutigen ELIN-Firmengeländes stand bis etwa 1960 ein Fabriksgebäude, auf dessen Attika eine große Aufschrift prangte: „Apollo Kerzen- und Seifenfabrik und Unschlittschmelze“. Auf diese Unschlittschmelze geht die Entstehung einer Fabrik an diesem Standort zurück. Unschlitt ist ein aus tierischen Innereien gewonnenes Fett, das in vorindustrieller Zeit hauptsächlich für zwei Zwecke benötigt wurde: Von den Gerbern für eine Phase der Lederbearbeitung und von den Seifensiedern als chemische Ausgangssubstanz. Die Seife wiederum wurde von den Textildruckereien in großen Mengen zum Vorreinigen der Stoffe benötigt.
Die Apollo Kerzenfabrik selbst ist nicht in Penzing entstanden, sondern entstand als Gründung von acht Seifensiedern auf dem Schottenfeld, die sich im Jahre 1839 zu einer Gesellschaft zusammenschlossen. Der Fabriksbetrieb wurde in dem eben bankrott gegangenen biedermeierlichen Vergnügungsetablissement „Apollosäle“ (Zieglergasse 15) eingerichtet und von daher auch der Markenname „Apollo“ übernommen. Die „Gewerks-Gesellschaft Apollo“, so der offizielle Name, kaufte noch im Gründungsjahr die Penzinger Unschlittschmelze und gliederte sie ihrem Betrieb an. Die Apollokerzen waren reine Stearinkerzen höchster Qualität und entwickelten sich zu einem äußerst erfolgreichen Produkt, dessen besonderer Vorteil darin lag, dass der Docht während des Brennens nicht nachgeschnitten („geschneuzt“) werden musste. Da der Absatz ständig stieg, richtete man 1846 im Penzinger Werk zusätzlich zur Unschlittschmelze eine Filialproduktion für Kerzen ein.
1876 fiel die Stammfabrik in der Zieglergasse einem Großbrand zum Opfer. Nachbarn und Behörden verhinderten aus Angst vor neuen Bränden und wegen der Geruchsbelästigung den Wiederaufbau am alten Ort. Daraufhin wurde der Standort in Penzing groß ausgebaut. Die Penzinger Fabrik erhielt bei dieser Gelegenheit jedoch ihr bauliches Aussehen, das sie im Wesentlichen bis zu ihrem Abriss bewahrte, blieb dann aber weiterhin nur eine Filiale.
1911 erfolgte die Fusion der Apollogesellschaft mit der Georg Schicht AG in Aussig an der Elbe (Böhmen), wo die bekannte Schichtseife erzeugt wurde. Die Penzinger Fabrik stellte nach dem 1. Weltkrieg ihre Produktion zur Gänze auf Toiletteseifen und Kosmetikartikel unter dem Markennamen „Elida“ um. Für die Passanten in der Penzinger Straße war meistens ein Duft bemerkbar. In der Zwischenkriegszeit arbeiteten in dieser Fabrik ganz überwiegend Frauen. Die Apollokerzen selbst erzeugte man zwar noch bis 1945, aber nur noch in Simmering.
1939 wurde das Penzinger Fabriksgebäude an eine Baufirma WAYSS verkauft und von dieser im Zuge kriegswirtschaftlicher Zwangsmaßnahmen an die Firma ELIN abgetreten. Diese verlegte einen Teil ihres Apparatebaues aus dem Ottakringer Werk nach Penzing. Mitte der 1960er-Jahre entschied Elin, in Penzing die Konzernverwaltung zu konzentrieren und brach die alten Fabriksgebäude zur Gänze ab. 1967 wurde das neue Zentralgebäude fertig gestellt.
8. Fa. Bracht & Königs
(14, Penzinger Straße 29–31)
Die Fa. Bracht & Königs war eine Druckwarenfabrik, deren Gelände sich zwischen der Penzinger Straße 29-31 und der heutigen Hadikgasse erstreckte. Am 26. Jänner 1842 gründete Friedrich Wilhelm Bracht (1799–1877) zusammen mit Ägidius Königs eine Sozietät, die von der niederösterreichischen Landesregierung ein Fabriksprivileg für den „Modewarendruck“ erhielt. Sie nannte sich k.k. landesprivilegierte Druckwarenfabrik Bracht und Königs. Über die Personen der Gründer ist fast nichts eruierbar. Brachts Vorname Friedrich Wilhelm lässt darauf schließen, dass er aus Preußen stammte, wofür auch spricht, dass er Protestant war. Die Anfangsjahre der Firma waren sehr erfolgreich. Bracht & Königs entwickelten neue Material- und Mustervariationen, mit denen sie in der Branche als Pioniere galten.
Am 14. März 1848 zog ein Trupp von Druckergesellen von Sechshaus das Wiental stadtauswärts, drang in die Fabriksgebäude von Bracht & Königs ein und zerstörte sämtliche Maschinen. Damit begann nach einer nur kurzen Periode großen unternehmerischen Erfolges der Niedergang der Fabrik. Ägidius Königs trat aus, das Unternehmen litt an fortwährender Kapitalschwäche und wurstelte jahrelang auf niedrigem Niveau fort. Am 27.7.1876 wurde der Konkurs über die Fa. Bracht & Königs eröffnet. Von den alten Fabriksgebäuden ist nichts mehr erhalten, heute befindet sich die aus den 1960er Jahren stammende Wohnhausanlage „Karl Kummer-Hof“ an ihrer Stelle.
9. Hütteldorfer Brauhaus
(14, Bergmillergasse 7)
In Hütteldorf wurde schon seit der frühen Neuzeit ein „Präuhäusel“ betrieben – ältester urkundlicher Beleg 1599 –, welches in der heutigen Bergmillergasse, am Südufer des ehemaligen Mühlbaches, stand und dessen Wasser verwendete. Die Anlage wurde mehrfach erweitert. Ihre Glanzzeit erlebte die Hütteldorfer Brauerei nach der Eröffnung der Westbahn (1858), als der angeschlossene Braugasthof zu einem weit und breit bekannten und beliebten Ausflugsziel wurde. 1845 bis 1862 besaß Anton Bergmiller die Brauerei, er war 1861–70 auch Bürgermeister von Hütteldorf. 1937 wurde der Brauereibetrieb eingestellt. Ein Teil der ehemaligen Nebengebäude ist an der Hinterseite (Stockhammerngasse) noch erhalten und wird jetzt von der Margarinefabrik Senna genutzt.