Josef Weidman
Für die Sonderausgabe Nr. 1 des Ober St. Veiter Blattls gesammelte Materialien
23.12.1844
Josef Weidman wurde 1844 als Sohn der Firmengründer Georg und Anna Weidman geboren. Der finanzielle Hintergrund gestattete ausgedehnte Reisen durch ganz Europa und den Vorderen Orient. Unter anderem erlebte er die Eröffnung des Suezkanals.
Er vereinigte weltmännisches Auftreten mit kaufmännischem Geschick und hatte schon vor Übernahme des elterlichen Betriebes im Jahre 1894 dessen gedeihliche Entwicklung mitgetragen. Er war auf seinem Spezialgebiet, der kunstgewerblichen Herstellung von Modewaren und Ziergegenständen aus Leder (Taschen, Handschuhe etc.), ein Neuerer und Wiederbeleber in einem: Er kultivierte den sogenannten Grolierstil aus Frankreich und dazu die Antiklederverarbeitung florentinischer Art, aufgewertet durch den schon damals unnachahmlichen Geschmack des Wiener Kunstgewerbes, dessen Arbeiter „Feenhände“ besaßen.
Dass er damit weltweiten Erfolg errang, geht unter anderem aus einer Firmeneintragung im Handelsregister und im Wiener Adressbuch – dem „Lehmann“ – hervor, demzufolge er mit seinen Ledergalanteriewaren die kaiser- und königlichen Höfe Österreichs, Brasiliens, Preußens, Spaniens, Griechenlands, Rumäniens und Serbiens sowie Herzöge und Prinzen belieferte.
1869 ehelichte er Julie Braun. Die Ehe sollte kinderlos bleiben und Julie Brauns Schwester Johanna Berg (Mutter Alban Bergs) Universalerbin werden. Aber dazu später.
Josef Weidman wurde steinreich und eine markante „Gründerzeitpersönlichkeit“ der ausgehenden Monarchie. Das von den Eltern 1851 gegründete Unternehmen befand sich in der Feldmühlgasse 6 und wurde 1882 um die Feldmühlgasse 4 erweitert. Den Wohnsitz hatte er in der Hietzinger Hauptstraße Nr. 6 zunächst dem berühmten Altwiener Etablissement Dommayer. Dort besaß er eine schöne einstöckige Villa, die zum Gehsteig hin durch ein gewelltes Gitter abgegrenzt war. In einem großen Hof befanden sich die Stallungen für einige der Pferde und eine Remise für Wagen.
Der größere Bestand an Renn- und Kutschierpferden und Wagen war jedoch auf dem Landsitz Weidmans eingestellt, dem erwähnten „Stock im Weg“ in Ober Sankt Veit.
Dort erwarb er in den Jahren 1890 und 1892 zahlreiche Wiesen, Gärten und Äcker, teilweise ehemalige Weingärten, entlang der Mauer des kaiserlichen Tiergartens von verschiedenen Familien, darunter befanden sich Namen wie Glasauer, Puraner, Trillsam. Der Preis soll günstig gewesen sein, etwa 1 Krone pro m². Auf diesem Grund ließ er unzählige Obstbäume pflanzen (die kolportierten Schätzungen kreisen um die 5000) und die sogenannte „Huben“ errichten. Die Huben bestand aus einem unterkellerten Blockhaus im Schweizer Stil, dem ein ziemlich großes Glashaus für tropische Pflanzen und Gemüse-Primeurs angeschlossen war. Zusätzlich gab es Nebengebäude für Hunde, Pferde, den Fuhrpark, die landwirtschaftlichen Geräte und Lagerflächen.
Die Huben war noch reicher als die Hietzinger Villa mit Altertümern aus aller Welt bestückt. Dort empfing das Ehepaar Weidman seine Gäste, so die Slatins, die Burgschauspielerin Charlotte Wolter, Katharina Schratt, Künstler und Architekten, in späteren Jahren auch Pepi Glöckner, die Wiener Volksschauspielerin, die in der Winzerstraße ihr Domizil besaß und natürlich auch Mitglieder der verwandten Familie Berg. Es war ein richtiges „Buon retiro“, wie Charlotte Wolter, die in ihren Briefen von „meinem guten Weidman, meinem Seelenfreund“ spricht, den Landsitz der Weidmans nannte.
Eine Gedenktafel vor dem Hauseingang, die sich heute im Hietzinger Heimatmuseum befindet, vermeldet hohen Besuch: „Unsere allergnädigste Kaiserin Elisabeth besuchte am 24. Mai 1892 dieses Haus.“ Zu den Besuchern zählte auch Kronprinz Rudolf.
Die Beziehungen zum Hofe waren in erster Linie durch die Freundschaft der Weidmans mit Katharina Schratt, Charlotte Wolter und mit dem alten Hofburgschauspieler Devrient d. Ä. gegeben. Diesen Beziehungen verdankte es Weidman unter anderem, dass die Champagnermarke Moet et Chandon – neben den oben angeführten Tätigkeiten war er auch deren Agent – zur kaiserlichen Hofmarke wurde.
Allerdings entstand zwischen seiner Frau Julie und dem exilierten König von Hannover, Herzog von Cumberland, dessen Palais heute das Reinhardt-Seminar bzw. die tschechische Gesandschaft beherbergt, eine Liaison, die Erich Alban Berg in seinem Buch „als der Adler noch zwei Köpfe hatte“ mit „illicit love affair“ umschrieb.
Zu Weidmans Ausfahrten standen Kaleschen aller Art zur Verfügung: Gigs, Breaks, Jagdwagen, Landauer, eine große Reisekutsche. Dazu schwarze Araber und Schimmel. Ein Stich des Künstlers von Bensa zeigt das Ehepaar, den Viererzug von Rappen in scharfem Trab von der Hietzinger Pfarrkirche her gegen die Wienbrücke lenkend. Weidman verwendete im Viererzug meist Rappen, da es ihm unschicklich schien, weiße Pferde in der Nachbarschaft des damals allerdings noch nicht „alten Herrn von Schönbrunn“ zu benützen. Mit seinen Rennpferden gewann er so manchen Preis.
Die Attraktion dieser Ausfahrten war Mohammed Medlum, ein junger Diener, den Josef Weidman aus Oberägypten mitgebracht hatte. In Wien war Mohammed bald als der „Mohr von Hietzing“ populär, denn er bediente nicht nur bei Tisch die Gäste, die bei Weidman aus- und eingingen, sondern er saß auch in seiner goldausgestickten Tracht, den roten Fez am Kopf, mit gekreuzten Armen hinter dem kutschierenden Herrn und dessen Frau; im Phaeton oder im zweirädrigen Sportcoupe, im Landauer oder im großen Überlandwagen, der meist vierspännig gefahren wurde. Der Mohr Mohammed erhielt durch Weidman Erziehung, Unterhalt und Pflege.
Ein Hobby Weidmans war die Hundezucht. Um die 30 Stück der verschiedensten Rassen belebten die Liegenschaft noch vor ihrem Verkauf an die Gemeinde Wien im Jahr 1907. Neben schottischen Collies, die alkoholische Namen wie Whisky, Gin usw. führten, gab es Neufundländer, Vorsteh- und Spitzhunde, Foxterriers und eine besondere Spezialität, die bezirksbekannten „weißen Dackel“, Stolz und Attraktion des Besitzers. Es waren Albinos, die Weidman aus einem Thurn- und Taxis‘schen Zwinger aus Deutschland mitbrachte, einige Muttertiere und Rüden.
Die Dackel erhielten Namen wie One, Two, Three, ein anderer Wurf Komponistennamen. Der letzte seines Stammes war der wasserscheue Hund Mahler; er lebte bis 1916.
Eine Begebenheit, die sich anlässlich der Weltausstellung 1873 ereignete, illustrierte die eigensinnige Originalität dieses Wiener Bürgers und hat mit diesen weißen Dackeln zu tun. Unter den ausländischen Potentaten war mit großem Gefolge auch der Herrscher von Siam, König Chula Longhorn, eingetroffen. Er beehrte auch Weidmans Verkaufssalon in der Babenbergerstraße Nr. 7 und man war überzeugt, den vielen Hoflieferantentiteln einen weiteren anfügen zu können. Der exotische Monarch erschien zur angekündigten Zeit, von seiner Suite begleitet, man legte ihm die schönsten und neuesten Erzeugnisse vor, man begann eine umfangreiche Bestellung herauszuschreiben. Da wollte es das Missgeschick, dass eine der weißen Dackelhündinnen sich durch die offen gebliebene Türe zum Privatkontor zwängte, die kleine Treppe herunterkam und hinter ihr einige Welpen nachtrotteten. Diese Hunde, die alle Attribute ihrer Rasse aufwiesen, verdrehte Beine, Warzen, Länge usw., erblicken und sich vor ihnen verneigen, war die spontane Reaktion der Gäste, denen weiße Tiere als heilig galten. Chula Longhorn unterbrach das Bestellen und forderte Weidman auf, ihm die Hunde abzutreten. Weidman lehnte dies eigensinnig ab und dabei blieb es. Die Bestellung wurde von einem Beamten des Monarchen in Wut zerrissen, empört verließ der Herrscher von Siam mit seinem Gefolge das Geschäft.
Weidman starb trotz aller Lebenserfolge als unglücklicher Mensch. Die Ursachen dafür lassen sich nicht genau eruieren, häufig wird der Spott kolportiert, den ihm ein Vorfall an der Linien-Maut einbrachte. Es kam zutage, dass er schon jahrelang Wild und Geflügel aus Purkersdorf hereinbrachte, ohne sie dem Finanzbeamten am Linienamt in der Linzerstraße anzusagen. An sich ein „Kavaliersdelikt“ denn die Abgabe war – zumindest für seine Verhältnisse – äußerst gering, aber trotzdem ein gefundenes Fressen für den Ober St. Veiter Drahrerclub, der dies beim nächsten Faschingsumzug – sehr zum Ärger von Herrn Weidman – gehörig ausschlachtete. Es könnte aber auch der ausgebliebene standesmäßige Aufstieg eine Rolle gespielt haben. Trotz allen wirtschaftlichen Erfolges und seiner gesellschaftlichen Stellung wurde ihm nie ein Adelstitel angeboten.
Einleitende Bemerkungen seines Testamentes vom 30. März 1900 bestätigten jedenfalls seine Verbitterung: „Meine Frau Julie Weidman geborene Braun ist nach meinem Tode Erbin meines ganzen wo immer befindlichen Real- und Geldbesitzes. Ich empfehle ihr alles zu verkaufen, eventuell licitando und dieses verleumderische Nest zu verlassen. Doch hat sie vollen freien Willen... Ich wünsche in Bologna verbrannt und beigesetzt zu werden. Ich wünsche kein Staubkorn von mir hier zu wissen. Todesnachrichten sind nicht auszugeben.“
Die Bestimmungen des Testamentes, das merkwürdigerweise am Todestag seines Schwagers, Conrad Berg, errichtet wurde, sind erfüllt worden. Als er Anfang 1905 gestorben war, wurde die Leiche auf einem pferdebespannten Transportwagen von Wien nach Bologna überführt und dort eingeäschert. Der Transport wurde abgesehen vom Kutscher durch den Diener Mohammed begleitet. Die Urne wurde in einer „Sala die pietà“ öffentlich aufgestellt. In der Österreichisch-Ungarischen Monarchie war diese Form der Bestattung nicht erlaubt.
Zum Verkauf der vielen Liegenschaften – acht Zinshäuser, die Hietzinger Villa, der Landsitz in Ober St. Veit – kam seine Witwe Julie allerdings nicht mehr, da sie, in geistige Umnachtung fallend, bereits im November des gleichen Jahres starb.
Ihre Schwester Johanna Berg, seit fünf Jahren Witwe, wurde Universalerbin des Vermögens, das sich nach Abzug von Hypothekarschulden und anderer Passiva immerhin noch auf die beachtliche Summe von über 745.000 Kronen belief. Sie befolgte die Ratschläge ihres Schwagers Weidman restlos und hatte alle 1905 geerbten Realitäten bis zum Beginn des Krieges veräußert. Unter den wirtschaftlichen Umständen der Inflation der zwanziger Jahre allerdings ein gewaltiger Fehlgriff: wie gewonnen – so zerronnen!
Dem Diener Mohammed Medlum war testamentarisch eine Schenkung von 170.000 Kronen und monatlich 400 Kronen zuerkannt worden. Der Ägypter ließ sich später als Importkaufmann nieder.
Im Hietzinger Heimatmuseum befinden sich als Leihgaben einige Relikte aus der Weidmanschen „Huben“, so die originale Totenmaske der Charlotte Wolter, Lederetuis für ihre Handschuhe und für die Zigarren ihres Mannes, des Grafen O‘Sullivan. Zahlreiche der wertvollen Einrichtungsgegenstände aus der „Huben“ nahmen ihren Weg in den Bergschen Sommersitz „Berghof“ am Ossiacher See. Doch die wertvollste Antiquität löste sich nach und nach – wie die ganze große Erbschaft nach den Weidmans – in nichts auf: ein wertvoller Renaissance-Kachelofen, ein Gegenstück zu dem, der sich auf der Festung Hohensalzburg befindet. Nach dem Verkauf des Landsitzes durch Johanna Berg wurde der Ofen abgetragen und die einzelnen Kacheln sorgfältig in einer Kiste verpackt, im Keller der Bergschen Wohnung abgestellt. Von dort sind die Kacheln Stück für Stück verschwunden, was sich erst nach einem Wohnungswechsel herausstellte. Die wenigen Kacheln, die man noch vorfand, gingen mit einer gotischen Tafel, die ursprünglich in der Weidman-Kapelle angebracht war, in den Besitz des Managers von Max Reinhardt über.
Das Areal in Ober Sankt Veit – von dem übrigens ein Teil schon 1902 von Josef Weidman selbst an einen Herrn Alfred Wünsch verkauft wurde – fiel an die Gemeinde Wien, die unter dem Bürgermeister Lueger viel für die Erhaltung des Wald- und Wiesengürtels tat. Gemäß Kaufvertrag vom 5. Juli 1907 verkaufte Johanna Berg der Gemeinde Wien alle verbliebenen Grundstücke im Ausmaß von 33.440m² inkl. der darauf gebauten Häuser um 88.700 Kronen. 20.000 Kronen dieses „Kaufschillinges“ wurden übrigens ausdrücklich dem wertvollen Baumbestand zugeordnet. Der Grund alleine wurde weiter unten im Kaufvertrag mit 1 Krone und 78 Heller bewertet. Der Besitz wurde dem Wald- und Wiesengürtel angegliedert und anschließend verpachtet.
Der erste Pächter des Areals sollte ein Herr Alfred Doll sein.