Joseph Mayseder
Die Rückkehr eines Stars. Ermöglicht durch den Hietzinger Raimund Lissy.
19.02.2019
Vorbemerkung
Es ist ein durchaus gewöhnliches Schicksal, dass Publikumslieblinge früherer Zeiten aus dem öffentlichen Interesse verschwinden und vergessen werden. Selbst auf dieser Plattform lassen sich Bespiele dafür nennen, vor allem im literarischen Bereich. Zum Beispiel Rudolf Hans Bartsch, Franz Spunda oder Karl Postl. Bei der Mehrheit ist eine Wiederbelebung ausgeschlossen, weil Inhalt und Ausdrucksform völlig überholt sind. Aber manche Künstler haben zeitlose Merkmale, und interessierte Neigungsgruppen, wie zum Beispiel die um Karl Postl bemühte Charles-Sealsfield-Gesellschaft, können sie erfolgreich ins Bewusstsein und manchmal sogar in das Leben der Gegenwart zurückholen.
Das Genie Joseph Mayseder
Der Wiener Violinvirtuose und Komponist Joseph Mayseder (* 26. Oktober 1789, † 21. November 1863 Wien) ist ein ganz prominentes Beispiel. Er zeigte schon als Kind großes musikalisches Talent und war Schüler großer Geiger wie zum Beispiel Ignaz Schuppanzighs. Mit elf Jahren trat er bereits bei einem der berühmten Augartenkonzerte öffentlich auf. Ab 1810 war er Sologeiger des Hofopernorchesters, ab 1816 Violinist an der Wiener Hofmusikkapelle und ab 1836 deren Leiter. 1835 wurde er zum kaiserlichen Kammervirtuosen ernannt. Er erhielt im Laufe seines Lebens auch zahlreiche Auszeichnungen und Ehrenmitgliedschaften, unter anderem wurde er zum Ehrenmitglied der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien ernannt.
Auch Niccolò Paganini sprach anerkennend über Mayseder, den er in Wien kennengelernt hatte. Es wäre interessant zu wissen, wie der eher zurückhaltende Mayseder mit seiner Wienerischen Note, diesem kaum zu beschreibenden „Wiener Charme“, und Paganini mit seiner italienischen Note und seiner Mentalität, in der er seine Virtuosität viel offener zeigte, einander musikalisch begegneten.
Mit der Abnahme der Auftritte Mayseders verringerte sich auch seine Popularität. Der in der Zeit des Biedermeier so berühmte Mayseder wurde ab der Mitte des 19. Jahrhunderts und über das ganze 20. Jahrhundert fast nicht mehr gespielt. Einzige Ausnahme ist die 1848 in der Wiener Hofburgkapelle uraufgeführte Messe Es-Dur, op. 64. Mayseder war damals Konzertmeister der Wiener Hofmusikkapelle. Die Messe war und blieb unglaublich beliebt, und es folgten 130 weitere Aufführungen, die letzte im Jahr 1940. Diese Messe hatte allerdings einen wesentlichen Unterschied zu seinen anderen Kompositionen: Sie hatte keine ihm selbst auf den Leib geschriebene Solopartie. Alle anderen Kompositionen hatte das sehr wohl, und sie waren daher, Virtuose wie Mayseder war, sehr anspruchsvoll und kaum vom Blatt zu spielen. Die Noten erschlossen sie sich den Künstlern nachfolgender Generationen nur sehr langsam, und kaum jemand wollte seine Zeit in ein Musikstück investieren, dessen Komponist dem Zeitgeist völlig entschwunden war.
In den Musikwissenschaften blieb Mayseder allerdings immer ein Fixpunkt, schließlich geht die renommierte Wiener Geigenschule neben Ignaz Schuppanzigh und Joseph Böhm auch auf ihn zurück.
Begraben ist er in einem Ehrengrab auf dem Wiener Zentralfriedhof, 1876 wurde in Wien Innere Stadt die Maysedergasse nach ihm benannt.
Einen ersten Eindruck zur Musik Mayseders kann diese Aufnahme des Lissy-Quartetts geben.
Die Leidenschaft des Raimund Lissy
Der in Hietzing wohnhafte Raimund Lissy sollte zur wesentlichen Ausnahme im Zugang zu Joseph Mayseders Werken werden. Seine Liebe zur Violine, sein technisch vollendetes Spiel und sein Wirken als Stimmführer der Zweiten Geigen der Wiener Philharmoniker prädestinierten ihn dazu. Auslösendes Moment seines Mayseder-Interesses war die Sammlung antiquarischer Noten, die bald auch einen beachtlichen Stapel an Mayseder-Noten enthielt. Der klingende Name und die Virtuosität Mayseders waren Lissy schon immer geläufig, aber seine Alleinstellungsmerkmale, die ihn aus der Menge berühmter Namen heraushoben, wurden ihm erst allmählich bewusst. Diese Erkenntnis musste er sich allerdings selbst erarbeiten, denn Mayseder-Kompositionen wurden aus den oben genannten Gründen kaum mehr gespielt.
Ein wesentlicher Schritt in der Annäherung Lissys an Mayseder war der im Jahr 2013 begangene 150. Todestag des Künstlers. Lissy schaffte es, den Musikverein zu begeistern, und es folgte das erste große Mayseder-Konzert seit langem. Das Konzert mit einem Querschnitt aus dem Schaffen Mayseders wurde vom Publikum sehr positiv aufgenommen.
Diese positive Resonanz hatte Lissy ermuntert, sich weiter und näher mit Mayseder zu beschäftigen, mit dem (Familien)Menschen, dem Geiger und dem Komponisten. Bald war er überrascht von der Menge des auffindbaren Materials. Dabei kam ihm zugute, dass sich die Auffindbarkeit der Materialien in den Archiven und Bibliotheken durch die technische Entwicklung der letzten fünf bis zehn Jahre ungemein verbessert hatte.
Die Mayseder-Beiträge in den Konzerten wurden häufiger, ein weiterer Höhepunkt war die Wiederaufnahme seiner 1940 zuletzt gespielten Messe, und zwar mit deren 131. Aufführung am 27. Mai 2018 in der Hofburgkapelle. Im Jahr 2019 standen zwei weitere Aufführungen am Programm, und zwar am Ostersonntag im Stift St. Florian und am Ostermontag in der Wallfahrtskirche Maria Straßengel bei Graz. Thomas Christian, ein Weggefährte Lissys auf Mayseders Spuren, dirigierte.
Ab einem gewissen Moment wurde es für Raimund Lissy leichter, Mayseder ins Spiel zu bringen, denn mittlerweile war er ins Bewusstsein eines breiteren Publikums gelangt, und seine Werke mit ihrer Wienerischen Note und ihrer zeitlosen Brillanz fügten sich nahtlos in jedes klassische Repertoire. Auch hatten Lissys Wissen über Mayseder und sein ihm gewidmetes Archiv bereits eine wissenschaftliche Dimension angenommen. Dies führte vor rund drei Jahren zu einer fast zwingenden Weichenstellung: Bis dahin erfolgte seine Recherche nur aus eigenem Interesse und ohne fix anvisiertes Ziel, jetzt aber standen zwei Fokussierungen im Vordergrund: Erstens die Mitarbeit an der Produktion eines Films, der am 1. Jänner 2019 auf ORF III gezeigt wurde, und zweitens die Arbeit an dem im Oktober 2019 erschienenen Buch über Mayseder. Es ist die erste im Buchmarkt erhältliche Publikation zu diesem Künstler und durchleuchtet das Phänomen Mayseder grundlegend und zu allen Aspekten. Bisher gab es nur zwei Dissertationen über Mayseder, sehr bemerkenswert ist diejenige des Geigers und Musiklehrers Hellsberg, des Vaters des langjährigen Vorstands der Wiener Philharmoniker, aus dem Jahr 1955.
Das Buch über Joseph Mayseder
Die festgelegten Schwerpunkte des Buches festigen dessen Potential, zum maßgeblichen Standardwerk zu diesem im öffentlichen Bewusstsein mit Sicherheit weiter aufsteigenden Phänomen Joseph Mayseder zu werden:
- Eine ganze Hälfte des umfangreichen Buches wird das Werksverzeichnis und das Ausgabenverzeichnis einnehmen. Lissy konnte über die 70 großteils bereits gelisteten gedruckten Werke/Kompositionen (mit und ohne Opus) hinaus auch 38 handschriftliche Werke eruieren. Dazu gibt es rund 1000 Ausgaben mit weiteren 200 Variationen nicht nur aus Österreich, sondern auch außerhalb wie vor allem aus England und Frankreich. Dies lässt einen exzellenten Rückschluss auf die Popularität des Künstlers zu. Die Quellen sind auf 167 Bibliotheken in 24 Ländern verteilt.
- Es gibt Notenbeispiele zu jeder einzelnen Komposition, insgesamt 370.
- Einen sehr guten Einblick in die Stellung Mayseders gibt die Würdigung des Geigers Mayseder anhand zeitgenössischer Berichte.
- Seine Konzerttätigkeit belegt eine Listung aller nachvollziehbaren Auftritte als Solist in ca. 100 Konzerten z. B. an der Hofoper, bei Auftritten bei Hofkonzerten und in Schönbrunn und als Kammermusiker, inkl. Register der Konzertorte. Weitere Reisen hat der Familienmensch Mayseder kaum unternommen.
- Unter dem Titel „Mayseder A–Z“ enthält das Buch natürlich auch eine Umfangreiche Biografie mit umfangreichem Bildmaterial.
Das Buch ist im Hollitzer-Wissenschaftsverlag erschienen und wurde im Rahmen eines großen Mayseder-Konzertes zum 230. Geburtstag des Künstlers am 17. Oktober 2019 im Gläsernen Saal des Musikvereines präsentiert. Dr. Otto Biba, Archivdirektor des Musikvereines und Kenner der Musikgeschichte, insbesondere der Geigenmusik des Biedermeier und der Romantik, wie kaum ein anderer, machte die Alleinstellungsmerkmale dieses über 700 Seiten starken Buches deutlich: Es gibt kein vergleichbares Werk, selbst zu Mozart und Haydn, das das künstlerische Leben, das Werk und die Hinterlassenschaften eines Komponisten und Musikers so reich an Details darstellt, wie dieses.
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Homepage: www.mayseder.at
Weitere Veröffentlichungen: bei Gramola erschienene CDs
Interessant war auch das von Raimund Lissy gemeinsam mit Dr. Herwig Swoboda speziell für die Versorgungsheimkirche zusammengestellte Konzert am 23. März 2019. Auch dort standen Werke von Joseph Mayseder auf dem Programm.