Das alte Haus muss sterben
01.05.2007
Es ist ein altes Haus in einem verwilderten Garten. „Ja“, würde es unser Heimatdichter J. Vinzenz zu seinem Betrachter sprechen lassen, „ich war schon alt, da warst du noch gar nicht auf der Welt. Aber damals wohnten noch Menschen in mir, die mir das nicht vorwarfen. Sie liebten mich und pflegten mich. Im Sommer standen meine Türen offen und auf dem Rasenteppich davor spielten die Kinder, nach Feierabend lagerten dort die arbeitsmüden Alten und erzählten sich Geschichten oder sinnierten über die unbegreiflichen Dinge.“
Es war einst ein Winzerhaus wie die meisten im Dorf und stand im Besitz der Pfarre St. Veit, die es im Untereigentum weitervergab. Der letzte Winzer in diesem Haus, von dem wir wissen, war Herr Martin Hickersberger. Die folgenden Eigentümer vermieteten es an Sommergäste oder ließen es leer stehen. 1916 wurde es dem Ober St. Veiter Verein zum Besten armer Kinder vermacht und dieser verkaufte es im gleichen Jahr an den Glasermeister Karl und seine Frau Maria Senk. Fortan war es die Glaserei Ober St. Veits.
Das Ehepaar Senk hatte drei Kinder: Karl, Maria und Karoline. Maria war sehr begabt und hatte eine schöne Karriere vor sich, Karl jedoch war nach einer Gehirnhautentzündung geistig behindert. Als die Eltern anfangs der 50er Jahre starben, musste Maria das Geschäft übernehmen und sich um Karl kümmern. In der Ober St. Veiter Lokalgeschichte ist sie als „Die Senk“ unsterblich geworden.
Ihr Haus aber sollte nicht unsterblich werden, still und ungeliebt wartet es auf sein Ende. Es kann keine Behausung mehr bieten, zu klein, zu kalt, zu feucht, verkommen und vor allem erdrückt von den Folgen der „Stadtentwicklung“. Gestern ein Streckhof in Bauernhand, heute eine Ruine im Bauland.
Doch was soll geschehen?
Das Haus liegt in einer “Schutzzone”, ein Instrument der Stadt, um charakteristische Gebäudeensembles vor Abbruch oder Überformung zu bewahren und das charakteristische Stadtbild zu erhalten. Daraus resultiert beim Bürger eine gewisse Erwartungshaltung. Nur, was genau ist hier das charakteristische “Stadtbild”?
Der Straßenzug Hietzinger Hauptstraße - Vitusgasse - Einsiedeleigasse umfasst uraltes St. Veiter Siedlungsgebiet. Bauern hatten dort ihre Höfe, Zweckbauten verschiedenster Art zwängten sich dazwischen, Betriebsstätten für Bader, Fassbinder, Fleischhauer, Gastwirte etc. Sie alle standen am einstigen Dorfanger mit dem Marienbach in der Mitte und einer Brücke darüber. Mit der zunehmenden Einwölbung des Baches begann das dörfliche Bild zu schwinden, die Häuser bekamen einen Stock, die Gründerzeit brachte noch mehrere. Der Respekt vor der Kirche war verschwunden, die Häuser duckten sich nicht mehr. In harten Zeiten sind die Prioritäten anders, das Siedlungsdenken der Nachkriegszeit zerstörte das historische Ensemble nachhaltig. Jetzt umgibt ein Sammelsurium von Bauten unterschiedlichster Art und Höhe ein wenig Grün, ein paar verkörpern noch den Hang zum Schönen, die anderen schon den Hang zur Rendite. Eine Schande für diesen Platz.
Wer das Leitmotiv des Denkmalschutzes „Wer alte Bausubstanz zerstört, löscht den Geschichtsbezug einer Gesellschaft“ beachtet, müsste die beiden Häuser Einsiedeleigasse 4 und 6 besonders schützen, denn nur sie könnten an diesem Platz noch ein wenig landwirtschaftliches Erbe vermitteln; freilich müsste man sie pflegen und ihre alte Bestimmung herausstreichen.
Doch wer soll das bezahlen?
Was besonders schmerzlich fehlt, ist eine seriöse Evaluierung des Bereiches. Was soll dort tatsächlich geschehen und erlaubt sein? Was ist erhaltenswert, was sind die prägenden Elemente, was ist der Katalog der einzuhaltenden Bestimmungen? In welcher Weise soll das Ensemble respektiert werden, welche Bauarten, -stile, -materialien dürfen verwendet werden, wie hoch darf gebaut werden, welcher Lichteinfall ist zu wahren und welche Dächer sind erlaubt? Ich habe nichts erinnerlich, was all die Fragen speziell für diese Schutzzone fundiert und verbindlich behandelt hätte (weder allgemein noch im Zusammenhang mit der aktuellen Projektierung für die Einsiedeleigasse 4-6), doch sehe ich täglich die hässlichen Produkte der „Bauträgerarchitektur“. Aber nicht nur die bauliche Missachtung der Schutzzonen zerstört und entwertet unser „Dorfzentrum“, daran sind zahlreiche weitere Faktoren beteiligt:
- Die Verbauung des Umlandes auf Basis unkonformer Widmungen zerstört nicht nur das Land, sondern erstickt auch den klein strukturierten Dorfkern.
- Ungebremster Durchzugsverkehr und gedankenlose PKW-Nutzung machen auch richtig verstandene Schutzzonen sinnlos.
- Hausbesitzer können ihre Objekte ungehindert verkommen und deren Geschäfte leer stehen lassen (für jedes Geschäftszentrum eine Katastrophe).
- Nicht nur die Politik, auch die regionale Wirtschaft und deren Organisationen entfalten zu Angebotsstruktur bzw. der „Vielfalt der Funktionen“ keinerlei konzeptive Tätigkeit.
Solange diese Grundfragen nicht geklärt sind, müssen wir unsere Ruinen verteidigen, denn nur sie bewahren uns vor dem Ruin. Jawohl, dem Ruin, denn die falsche Erneuerung der Bausubstanz und die ungelenkte Nutzung der Ressourcen zerstört die (Lebens)Qualität und damit den Wert unseres Dorfes!