Gedanken zur Ober St. Veiter Schutzzone

03.03.2010

Mit der Altstadterhaltungsnovelle 1972 wurden Vorschriften über die Schaffung von Schutzzonen formuliert und in die Wiener Bauordnung, insbesondere in deren § 7, aufgenommen. Zahlreiche Gesetzesnovellen haben seither die diesbezüglichen Bestimmungen verändert. Sinn und Zweck der Schutzzonen ist es im Wesentlichen, charakteristische Gebäudeensembles vor Abbruch oder Überformung zu schützen. Für Ober St. Veit sind diese Bestimmungen von größter Wichtigkeit, denn sie sind das Hauptinstrument im Kampf für die Erhaltung des Dorfkernes. Zwei Hauptprobleme ergeben sich dabei allerdings:

1) Der Dorfkern hatte bereits vor 1972 erheblichen Schaden erlitten (z. B. die Bauten Hietzinger Hauptstraße 149 und 172) und

2) die halbherzige Durchführung der Bestimmungen ermöglicht eine weitere Zerstörung (z. B. neuer Schultrakt und jüngst der Bau in der Einsiedeleigasse 4).

Zweck dieses Artikels ist es, diese Halbherzigkeit und die aktuelle Situation zu analysieren und Möglichkeiten der konsequenteren Handhabung des Gesetzes aufzuzeigen.

Versäumnisse: Die Bauordnung stellt mehr oder minder abstrakte Forderungen. Auf welche Weise diese objektiviert und exekutiert werden können, erläutern u. a. die diesbezüglichen Seiten zur Stadtentwicklung im Webservice der Stadt Wien (www.wien.at). Dort wird zugegeben, dass Mitte der 1990er-Jahre wesentliche Grundlagen für die Schutzzonen wie Grundstücksdaten, Objektdaten (Architekt, Baualter, Bautyp, Geschoßanzahl, Fotos), Beschreibungen und Bewertungen fehlten und Wien im damaligen internationalen Vergleich schlecht abschnitt. Im Rahmen eines „Schutzzonenmodells“ schickte man sich an, diese Mängel zunächst durch Datenerfassungen zu beseitigen. Es wurden erstens vorhandene Daten erfasst, zweitens eine Schnellinventarisierung durchgeführt und drittens eine Basisinventarisierung in Angriff genommen. Wien ist reich an historisch wertvollen Gebäuden und in der Schnellinventarisierung finden sich 60.000 Gebäude, darunter auch jene der Ober St. Veiter Schutzzone. In der weitergehenden Basisinventarisierung (Erfassung von Gebäudedaten vor allem aus Archiven und ausführliche Beschreibung und Bewertung des Objektes) blieben sie aber bis heute unbeachtet. Zur Hietzinger Hauptstraße 170 stehen daher nur die Daten aus der Schnellinventarisierung 1999: „W1.1.bäuerl.dom.Baustrukt.-Streck- u. Hakenhof“, Wohnnutzung, vor 1848 gebaut …“ Das ist wenig und unpräzise.

Mit dieser Handhabung kann der Gedanke des Schutzzonenmodells klarer Weise nicht aufblühen und sein Potential bleibt ungenutzt. Konkrete Ansuchen werden von den zuständigen Stellen meist subjektiv und nicht fachgerecht abgehandelt und der wesentlich entschlossener auftretende Bauwerber obsiegt. Die Steigerung der Professionalität in der Verwaltung der Schutzzonen ist daher vordringlich und weniger die Ausweitung.

Aktuelle Situation: Der alte Ortskern von Ober St. Veit ist über die Jahrhunderte gewachsen und war den verschiedensten, ab dem Beginn des 19. Jahrhunderts rasch aufeinanderfolgenden Strömungen ausgesetzt. Das alte Wein- und Milchbauerndorf mit ebenerdigen Gehöften (Streckhof, Hakenhof, Doppelgiebelhäuser, einfache, oft kleinste Gassenfrontenhäuser etc.) verlor durch die zunehmende Verbauung seinen Typus als Angerdorf, die bestehenden Häuser veränderten nutzungsbedingt ihren Charakter oder wurden durch Wohn- und Geschäftstrakte bzw. -häuser mit oft schon vorstädtischem, gutbürgerlichem Aussehen ergänzt bzw. ersetzt. Zunächst begnügte man sich mit einstöckigen Gebäuden, die Wende vom 19. ins 20. Jahrhundert brachte, auch den Regulierungsplänen folgend, das mehrstöckige Zinshaus, das 20. Jahrhundert schließlich den weiter verdichteten und hochragenden Wohnbau.

Das „charakteristische Gebäudeensemble“ ist daher für Ober St. Veit mit seiner uneinheitlichen Gebäudemischung nur schwer auszumachen. Schon der typische „Postkartenblick“ mit der barocken Pfarrkirche zeigt eine hinsichtlich, Bauformen, Bauhöhe, Baualter, Baufluchtlinie und Ästhetik überaus heterogene obere Hietzinger Hauptstraße. Das verkommene Haus an der Ecke (Hietzinger Hauptstraße 170) mit seinem leer stehenden Geschäft und der dichte Durchzugsverkehr gemahnen bereits an sterbende Straßendörfer. Mehr noch trifft dies auf die untere Einsiedeleigasse mit ihren ehemaligen Streckhöfen zu, die in völlig veränderter Umgebung bereits zu Fremdkörpern geworden waren. So manche Beobachter hätten hier eine umsichtige, ästhetische Nutzung des Bauplatzes dem passierten Murks unter hässlichen Feuermauern vorgezogen. Allerdings scheint den Bewohnern in solchen Fällen nichts anders übrig zu bleiben, als jedes alte Haus zu verteidigen, denn die aktuelle, scharf kalkulierte Zweckarchitektur verfügt über keinerlei Ästhetik.

Sehr wohl tritt das alte Ober St. Veit vor Augen, wenn man die Firmiangasse und die Glasauergasse durchschreitet. Die niedrigen, oft sogar ebenerdigen Häuser, von denen viele von ihren Besitzer liebevoll gepflegt werden, vermitteln auch als Ensemble noch immer den Eindruck des alten Bauerndorfes. Die darin passierten Neubauten, die im Wesentlichen den Bauflucht- und Höhenlinien folgen, bleiben noch im Hintergrund. Speziell hier sind Veränderungen nur mit größter Vorsicht denkbar und sollten in erster Linie der Belebung und der Erhöhung der Funktionsvielfalt dienen. Bedenklich erscheint die Praxis der Baubehörden, nur die Fassaden zu Schützen und die Zerstörung der hinten anschließenden Baukörper ungeprüft zu tolerieren. Denn zu einem schönen Dorf gehört auch so mancher Blick durch eine schöne Einfahrt.

Konkrete Maßnahmen zur Verbesserung des Schutzzonenmodells sind daher zwangsläufig komplexer Natur und könnten folgende Eckpunkte beinhalten:

1) Die Vergangenheit hat gezeigt, dass die Bewahrung der Schutzzonen aktiver Bürgerbeteiligung bedarf.

2) Die Bürgerbeteiligung darf sich aber nicht in bloßer Verhinderungstaktik erschöpfen, sondern muss mit Maß und Ziel erfolgen und die Behörden unterstützen.

3) Insbesondere sind die Bürger zur Initiative und Zusammenarbeit in der Beschreibung und Bewertung (=Basisinventarsierung) ihrer Schutzobjekte aufgerufen. Die Betroffenen sollten am besten über Geschichte und Wert der einzelnen Objekte Bescheid wissen. Diese Informationen sollten öffentlich verfügbar gemacht werden, vielleicht sogar gemeinsam mit den behördlichen Daten im Kulturgüterkataster. Die Zahl der betroffenen Objekte von über 100 innerhalb des geschützten Ortskernes legt natürlich ein langfristiges Projekt nahe, für das Prioritäten zu setzen sind.

4) Es sollte auch festgehalten werden, ob unmittelbare Maßnahmen zur Erhaltung erforderlich sind, welche Veränderungen am Objekt und der unmittelbaren Umgebung denkbar sind und zur Steigerung der Attraktivität des Dorfkernes beitragen können. Dazu gehören auch die Verkehrsberuhigung und die funktionelle Belebung.

5) Anträge zu den betroffenen Objekten sollten öffentlich bekannt gemacht werden.

6) Die Altstadterhaltungsnovelle sah im § 68 der Wiener Bauordnung die Begutachtung von Bauvorhaben in Schutzzonen durch Experten vor. Dieser mittlerweile verschwundene Absatz sollte wieder geltendes Recht werden.

hojos
im Februar 2010