Geschichte und Gedächtnis
Gedenkereignisse der letzten Tage
12.06.2015
Am 2. Juni 2015 fand die Feier zur Benennung des "Felix-Steinwandter-Parks" statt. Es handelt sich um den ca. 500 Quadratmeter große Beserlpark vor dem Bezirksmuseum Hietzing, Am Platz 2. Die Verdienste von Prof. Felix Steinwandtner (1937–2012 als Bezirksvorsteher-Stv. und Leiter des Bezirksmuseums Hietzing rechtfertigen diese Ehrung, doch was sagt der den Park dominierende Kaiser Max zu dieser Adressänderung?
Am 12. Juni 2015 wurde aus Anlass des 125. Geburtstags von Egon Schiele (1890–1918) eine Gedenktafel am Haus seines Ateliers in der Hietzinger Hauptstraße 101 feierlich enthüllt. An seinem Sterbehaus vis-a-vis (Hietzinger Hauptstraße 114) gibt es bereits eine vom Kulturverein Hietzing gestiftete Tafel. Dieser jung gestorbene Meister erfreut sich allgemeiner Bekanntheit und muss hier nicht näher vorgestellt werden.
Weniger bekannt ist einer der ganz großen Hietzinger: Dr. Hans Przibram. Geboren am 7. Juli 1874 in Lainz, von 1907–1919 Mitbesitzer des Hackinger Schlosses, von 1919 bis zu seiner Flucht 1939 wohnhaft in Ober St. Veit in der Hietzinger Hauptstraße 122, gestorben am 20. Mai 1944 im KZ Theresienstadt. Er war einer der allzu lange vergessenen Wissenschaftler, die nun von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) an eben diesem 12. Juni 2015 mit einen Gedenktag bedacht wurden: "Die Biologische Versuchsanstalt (BVA) – Geschichte und Gedächtnis".
Die Biologische Versuchsanstalt (BVA, auch: Vivarium) im Wiener Prater war eine der weltweit ersten Forschungseinrichtungen für experimentelle Biologie. Sie wurde 1903 von den Biologen Hans Przibram, Wilhelm Figdor und Leopold von Portheim privat gegründet und 1914 der Akademie der Wissenschaften als Schenkung übertragen. 1938 wurden ihre Gründer sowie die jüdischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verfolgt und vertrieben. In den letzten Kriegstagen wurde das Gebäude weitgehend zerstört, 1946 wurde die BVA aufgelöst. Mehr zu Hans Przibram und seiner bahnbrechenden Forschungseinrichtung erfahren Sie HIER.
Als erster Programmpunkt des Gedenktages wurde um 10 Uhr vor dem Schulverkehrsgarten in der Prater Hauptallee 1 eine Tafel zur Erinnerung an die Biologische Versuchsanstalt (BVA), die hier ihren Standort hatte, enthüllt. Es sprachen der Präsident der Österreichischen Akademie der Wissenschaften Anton Zeilinger, Hans Przibrams Enkel Mathias Baumann und Stadtrat Andreas Mailath-Pokorny. Anwesend waren auch zahlreiche Nachkommen der BVA-Gründer Wilhelm Figdor, Leopold von Portheim und vor allem von Hans Przibram.
Am Nachmittag wurde der Gedenktag in der Aula der ÖAW, Dr. Ignaz Seipel-Platz 2, fortgesetzt. Präsident Anton Zeilinger enthüllte zunächst eine Büste von Hans Przibram. Diese war der Akademie 1947 von Hans Przibrams Bruder, dem Physiker Karl Przibram gestiftet worden. Warum sie erst jetzt aufgestellt wurde, kann nur ansatzweise mit dem bis 1964 an der Akademie wirkenden Antisemiten Fritz Knoll erklärt werden. Dieser war für die Zerstörung der BVA 1938 und die Beraubung ihrer Leiter verantwortlich, durfte aber nach dem Krieg als minder belastete Person gemäß Verbotsgesetz 1947 in der Akademie weiterarbeiten. Einen wesentlichen Anteil an der wiedergekehrten Erinnerung an Hans Przibram haben wohl die 2013 und 2014 von Klaus Taschwer im Standard publizierten Artikel und das in der ÖAW 2014 veranstaltete Symposium "100 Jahre Biologische Versuchsanstalt".
Anschließend sprachen Stefan Sienell und Klaus Taschwer zu der von ihnen kuratierten und jetzt eröffneten Ausstellung "Experimentalbiologie im Prater. Zur Geschichte der Biologischen Versuchsanstalt 1902–1945".
Stefan Sienell erläuterte in seiner Eigenschaft als Archivar der Österreichischen Akademie der Wissenschaften die für die Ausstellung zur Verfügung gestandenen Quellen. Hauptquelle ist das in der Akademie erhalten gebliebene Akten- und Bildmaterial (5 Kartons), das zentrale Vorgänge in der BVA belegen kann. Die internen Bestände der BVA wurden ja in den letzten Kriegstagen 1945 ein Raub der Flammen. Die wissenschaftliche Tätigkeit ist in den 284 sogenannten „Mitteilungen aus der Biologischen Versuchsanstalt“ dokumentiert, die bis 1939 in den Schriftreihen der Akademie erschienen sind. Andere Einblicke als die „dienstliche“ Überlieferung geben die Nachlässe der Protagonisten. An erster Stelle wird hier das bemerkenswerte Material des in Wien befindlichen Familienarchives Eisert genannt (Frau Eisert, geb. Baumann, ist eine Enkelin von Hans Przibram). Einige Unterlagen, die Hans Przibram bei seiner Flucht nach Amsterdam mit sich führte, u.a. seine Skizzenbücher aus den 1890er-Jahren, gelangten in das Stadtarchiv Amsterdam. Erstaunlicher Weise wurden auch im Nachlass von Fritz Knoll, der die damnatio memoriae der BVA eifrig betrieben hatte, Unterlagen über die Biologische Versuchsanstalt gefunden. In den letzten Jahren ist auch einiges über die BVA und ihre Protagonisten publiziert worden, aber noch längst nicht alles erforscht und gesagt.
Klaus Taschwer beschäftigte sich in seiner Rede mit den Gründen für die späte Anerkennung der BVA, mit den bisher erfolgten Würdigungen und mit der Bedeutung auch für die heutige Biologie. Darin wurden einige interessante Aspekte speziell zur BVA und deren Protagonisten herausgegriffen, die hier im vollen Wortlaut wiedergegeben sind:
Die Ausstellung selbst besteht aus konzise gehaltenen Tafeln mit aufschlussreichen Bildern und Texten zu den wichtigsten Aspekten der Biologischen Versuchsanstalt. Sie sind in der Folge abgebildet.
Als weitere neu installierte Einrichtung präsentierten Heidemarie Uhl und Johannes Feichtinger das Virtuelle Gedenkbuch für die Opfer des Nationalsozialismus an der ÖAW.
Den Abschluss bildete ein Vortrag von Eva Jablonka, The Cohn Institute for the History and Philosophy of Science and Ideas, Tel Aviv University, zum Thema: „Back to the Vivarium: Plasticity and Inheritance Then and Now”. Der Vortrag fand im beeindruckenden Theatersaal der Akademie statt und wurde von Gerd Müller, Universität Wien, KLI Konrad Lorenz Institut, eingeleitet. Gerd Müller moderierte auch die abschließende Diskussion.
Die Kernaussagen Eva Jablonkas entsprechen denjenigen, die der Biologe und Wissenschaftshistoriker Manfred Laubichler von der Arizona State University während des ÖAW-Symposiums im Vorjahr tätigte: Zum Verständnis der Evolution stellen sich zwei grundlegende Fragen: Wie kommt das Neue, eine Variation, zustande, und was passiert mit dieser Variation. Die zweite Frage wird mit Darwins natürlicher Selektion beantwortet, doch die erste Frage nach dem Ursprung der Variation, einer der systematischen Forschungsschwerpunkte der BVA, ist in der Biologie nach 1945 in Vergessenheit geraten. Dafür verantwortlich gemacht werden die aufkommende Genetik und die Molekularbiologie: Diese haben die Grundlagen für Vererbung und Mutation erkannt und die Variation auf messbare Mutationsraten reduziert. Seit ein paar Jahrzehnten führen die neuen Forschungsgebiete der Evolutionären Entwicklungsbiologie und der Epigenetik wieder zu einer Rückbesinnung. Die Epigenetik will klären, welche Faktoren die Aktivität eines Gens und damit die Entwicklung der Zelle zeitweilig festlegen und ob bestimmte Festlegungen an die Folgegeneration vererbt werden. Und hier kommt wieder die BVA ins Spiel, denn Experten wie Przibram, Kammerer und andere haben versucht, den Evolutionsprozess als komplexes, vielschichtiges, kausales Geschehen zu verstehen und nicht nur als zufällige Variation und Selektion. Daher müssen die vielen fachlich gut gemachten Experimente der BVA neu analysiert und bewertet werden, und zwar nicht nur aus geschichtlichem Interesse, sondern wegen ihres Potentials für zukünftige Experimente.
An allen Programmpunkten dieses Tages war der Präsident der ÖAW Alfred Zeilinger mit einleitenden Worten, Referaten und Schlussworten beteiligt.