Briefe aus Ober St. Veit
01.01.2022
Vorbemerkung
Anfang des Jahres 2021 ist ein für Ober St. Veit sehr interessantes Buch erschienen: Letters Home.
Letters Home ist ein von den Nachkommen des amerikanischen Musikwissenschaftlers Dr. Edwin Eugene Stein privat publiziertes Buch. Sein Gegenstand ist der Aufenthalt Dr. Steins, seiner Ehefrau Catherine Lenore Wagner Stein und der vier Töchter der Familie Stein im Nachkriegs-Wien der Jahre 1954/55. Basis für das Buch sind die während des Wien-Aufenthaltes vor allem von Frau Stein an ihre Eltern und die ihres Mannes geschriebenen Briefe und die von Herrn Stein gemachten Fotos. Viele der Briefe und auch einige der Fotos sind aus Ober St. Veit, da sich die Familie in der Kramer-Glöckner Villa in der Winzerstraße 2 eingemietet hatte. Die bekannte Schauspielerin Josefine (Pepi) Kramer-Glöckner war kurz zuvor gestorben.
Finanziert wurde der Wien-Aufenthalt durch ein Fulbright-Stipendium Dr. Steins und dessen Gehaltes aus einem von der University of Kentucky gewährten Sabbaticals. Der Zweck dieses Sabbaticals waren Musikstudien Dr. Steins. Die Familie fuhr im September 1954 mit der SS America nach Europa und kehrte mit der SS Nieuw Amsterdam im August 1955 zurück. Der Mittelpunkt ihres Europa-Aufenthaltes war eben das kleine Dorf Ober Sankt Veit im 13. Wiener Gemeindebezirk. Die Kinder besuchten Österreichische Schulen, in denen nur Deutsch gesprochen wurde. Die Familie erkundete über Wien hinaus andere Teile Österreichs sowie Frankreich, Italien, Deutschland, Belgien und die Niederlande.
Die Autorinnen des Buches, die vier Stein-Töchter Mary Susan Stein Leahy, Kathleen Elizabeth Stein, Margaret Lenore Stein und Ellen Clare Stein, widmeten das Buch ihren Eltern.
Es ist ein weiteres 1133.at-Projekt, diese für unsere Region besonders interessanten Briefe möglichst authentisch ins Deutsche zu übersetzen und verfügbare Fotos einzuflechten.
Vorweg ein Zeitungsartikel
Übersetzung eines Artikels von Marilyn Kilgus im Lexington Leader vom 28. September 1955: Their Year In Vienna Was Like A Holiday Of Music, With Opera, Symphony And Waltz A Way Of Living
In einem Haus am Rande des Wienerwaldes zu leben. Deutsch sprechen zu lernen, gut genug, um sich mit den Nachbarn zu treffen. Jeden Tag ins Geschäft einkaufen zu gehen, und zum Fleischhauer und zum Bäcker, weil es keinen Eiskasten gibt. Und Musik zu hören – Opern, Symphonien, Walzer – fast in jedem wachen Moment. Das war das „Schicksal“ einer Lexingtoner Familie von September 1954 bis August 1955. Und sie liebten es.
Edwin E. Stein, das Oberhaupt der Familie, war in seinem Element. Als Vorstand des „Department of Music“ der Universität von Kentucky qualifizierte er sich als Flubright Forschungsstipendiat und wurde zum Thema der Musik des 16. Jahrhunderts nach Wien entsandt. Seine Frau und seine vier Töchter im Alter von 11, 9, 8 und 5 Jahren begleiteten ihn. Vermittelt durch Wiener Freunde mieteten sie das ehemalige Wohnhaus von Pepi Kramer-Glöckner, einer der herausragenden Schauspielerinnen Europas, vor mehreren Jahrzehnten.
Die Mädchen waren im Frühjahr an einer öffentlichen Schule eingeschrieben worden. Frau Stein begann ihre täglichen Wege in die benachbarten Geschäfte, und der Professor begann seine regelmäßigen Besuche in der Nationalbibliothek mit ihrer Fülle an primären Quellen für das Musikstudium.
Die Familie ließ sich am Rande des berühmten Waldes nieder, und bald verbrachten die Spielkameraden der Kinder und deren Eltern viel Zeit mit den Steins. In einem zunehmend verständlichen Deutsch wurde meistens über Musik gesprochen.
Weil Pepi Kramer-Glöckners Haus, das nach wie vor voll der Erinnerungen an eine kontinentalweite Bühnenkariere war, am Rande des Wienerwaldes lag, konnten die Steins eine nicht enden wollende Prozession von „Sonntagswanderern“ beobachten – ganze Familien, von Babys auf des Vaters Schultern bis zum Sohn im Teenageralter, Picknickkörbe tragend. Und weil Frau Kramer-Glöckners Haus auch unweit des Schlosses Schönbrunn lag, machten die Steins ihrerseits Ausflüge, um den Tiergarten und die Ausstellung der Kinderkutschen von Kronprinz Rudolf zu sehen.
Wien selbst versäumte es niemals, die Familie mit seinen Versprechen von Mozart in einem offenen Platzkonzert, Strauss in einem alten Café oder Haydn im berühmten gotischen Stephansdom anzuziehen. Sie sahen „schwere“ Opern in der Staatsoper, und „leichte“ Opern in der Volksoper. Sie hörten die Wiener Symphoniker und die Wiener Philharmoniker und sie hörten den „Kaiserwalzer“ aus alten kristallenen Ballsälen dringen. Wenn Dr. Stein nicht gerade Musik hörte, las er oder sprach er über sie.
Als Dr. Stein an seinem Schreibtisch im Fine Arts Building der Universität von Kentucky saß, sagte er: „Wien ist ein Paradies für einen Musiker.“ Als Johannes Brahms ein Jahrhundert vorher über das gleiche Thema sprach, sagte er: „Wien ist des Musikers heilige Stadt.“
Warum ist sie solch ein Paradies?
Der Musiker der Universität sagte, er konnte soviel Zeit wie er wollte in ununterbrochener Forschung verbringen. Er konnte die Originalpartituren der großen Werke Beethovens und Strauss' angreifen und lesen. Er konnte die Kirchen besuchen, wo die Komponisten den Gottesdienst besuchten, spielten und begraben wurden. Und – am allerbesten – er konnte mit dem gewöhnlichen Wiener („ein sanfter entspannter Kerl“) über jeden Aspekt der Musik diskutieren.
Die Familie teilte mit österreichischen Freunden das seltsame Drama einer offiziellen Zeremonie am ersten Tag eines jeden Monats beim Winterpalais, die das Kommando über Wien von einer Großmacht an eine andere „mit bissigem Gruß“ übertrug.
Sie verfolgten mit den Österreichern dem Wiederaufbau der 25 Prozent der Stadt, die während des Krieges zerstört wurden. Beim Abschied im August bedauerte es Dr. Stein sehr, dass er nicht in Wien zu sein würde, um die größte Restaurierung barocker Monumente zu feiern – die ausgebombte Staatsoper, die am 5. November wiedereröffnet werden wird.
Die neue Freiheit Wiens, die im letzten Herbst mit dem Läuten der Glocken der Stephanskirche und in den Straßen tanzend gefeiert wurde, kann mit der ersten Vorstellung im rekonstruierten Opernhaus neuerlich erlebt werden – Beethovens „Fidelio“, das seine Premiere in Wien zu Lebzeiten des Komponisten hatte.
Die Familie Stein begeisterte mit Wiener Gepflogenheiten beim traditionellen Strauss-Neujahrskonzert, dargeboten von den Wiener Philharmonikern im Musikverein.
Aber die unvergesslichste Erfahrung, die Dr. Stein mit Wiener Bürgern teilte, waren die Minuten der musikalischen „Fachgespräche“, die die Tiefe des Musikwissens der Geschäftsleute zeigte.
Die vielleicht signifikanteste Unterhaltung, die er als Fulbrighter Forscher mit dem doppelten Ziel hatte, internationalen Goodwill zu entwickeln, war ein Gespräch bei einem Fleischhauer:
Fleischhauer: Oh, guten Morgen Herr Professor, was haben Sie letzte Nacht gehört?
Stein: Das war die „Zauberflöte“, letzte Nacht.
Fleischhauer: Und sang auch (er nannte einen speziellen Opernstar)?
Stein: Nein (er zählte die Künstler auf).
Der Fleischhauer seinen Kopf schüttelnd: Oh, Professor, es ist zu schade, dass Sie den anderen nicht hören konnten.
Und damit beugte er sich über die Fleischtheke und startete einen technischen Vergleich der beiden Sängerstimmen.
Der Abteilungsleiter der Universität lehnte sich zurück und überlegte: „Da gibt es wirklich einen Unterschied zwischen Wien und anderen Musikzentren der Welt. Wien ist Musik plus Begeisterung.“
Vorbereitender Brief von Hugo Zelzer
Dr. Hugo Zelzer
Sommerschule der Universität Wien
Schloss Traunsee, Gmunden
23. August 1954
Lieber Herr Dr. Stein,
Ich danke für Ihre Briefe vom 7. und 11. August. Bitte entschuldigen Sie meine späte Antwort, die letzten paar Tage war ich sehr beschäftigt, wir hatten hier eine Menge offizielle Besucher, für die ich viel Zeit aufbringen musste. Wir waren auch ein paar Mal in Salzburg, daher konnte ich nicht einmal eine Minute für die wichtigsten Briefe finden.
Die Dinge im Zusammenhang mit Ihren Haus sind arrangiert, Sie können sofort nach Ihrer Ankunft am 27. September einziehen. Ihr Zug wird um 22:30 Uhr ankommen, ich werde Sie von der Station abholen und zu dem Haus bringen. Wir werden dafür sorgen, dass sie etwas Treibstoff haben, zumindest für die erste Zeit. Frau Helene Reiser, die Eigentümerin des Hauses, bat mich um eine Vorauszahlung von zwei Monatsmieten (Oktober und November = S 4.000,–), um die Wohnung für Sie reparieren und ausstatten zu können. Ich schrieb Herrn Dr. Willi Schlag, dem Sekretär des Wiener Fulbright-Büros, um diese Angelegenheit umgehend mit ihr zu regeln, d. h. letztendlich, zu Lasten Ihres Stipendiums zu zahlen. Ich denke, das ist einfacher und es ist für Sie egal, ob Sie das Geld im Voraus senden oder ob es nach Ihrer Ankunft abgezogen wird. Bis jetzt habe ich diesbezüglich noch keine Antwort von Dr. Schlag, und ich werde Sie über das Ergebnis informieren.
Durch einen Freund in Wien bestellte ich Konzertkarten, auch dazu habe ich noch keine Antwort. Ich bin mir sicher, Sie können so viele Konzerte besuchen, wie Sie wollen. Wir werden Wege finden, Karten für Aufführungen zu bekommen, an denen Sie besonders interessiert sind.
Auch das Einschulen Ihre Töchter ist erledigt. Sie werden am 1. Oktober anfangen. Zu Ihrem Wunsch, ein Auto benützen zu können, bemühe ich mich sehr. Wie Sie wissen, bin ich kein Experte auf diesem Gebiet. Ich erkundigte mich bei Leuten, die sich auskennen. Sie sollten kein amerikanisches, sondern ein europäisches Auto fahren. Am besten einen Steyr-Fiat (österreichisch) oder einen Volkswagen (deutsch). Die Preise sind (neu): Steyr 1400 (ein größeres Auto von der Größe eines üblichen amerikanischen): S 59.000; Steyr 1100 (kleiner für maximal 5 Personen): S 46.000; Volkswagen (noch kleiner) ungefähr zum gleichen Preis. Einen Steyr zu kaufen hat den Vorteil: kein Zoll, gebaut für die engeren und steileren österreichischen Straßen. Volkswagen ist auch gut, aber hat einen luftgekühlten Heckmotor, den manche Leute nicht mögen. Sie werden ungefähr 40 % des Neupreises verlieren, wenn Sie ihn nach einem Jahr verkaufen. Der Vorteil im Vergleich zu dem amerikanischen Autos sind auch: geringer Kosten (Benzin, Service etc.), billigere Versicherung, billigerer Betrieb. Auf amerikanischen Autos lasten auch hoher Zoll und Transportkosten. Die durchschnittlichen monatlichen Kosten hängen von der Fahrleistung ab. Ungefähr S 1.000 monatlich sollten reichen, aber nur für den Betrieb und ohne Wertverlust. Gebrauchte Autos sind ungefähr im gleichen Verhältnis billiger, wie in den USA. Natürlich haben Sie auch die gleichen Risiken (keine Garantie, vielleicht höhere Reparaturkosten, andererseits verlieren sie beim Wiederverkauf weniger. Wenn Sie wollen, kann ich den Kauf eines Neuwagens vorbereiten, damit er bei Ihrer Ankunft verfügbar ist. Aber ich wage es nicht, für Sie einen Gebrauchtwagen zu kaufen, als Nicht-Experte kann ich die Verantwortung nicht übernehmen. Ich halte es für das Beste, wenn Sie ihn sofort nach Ihrer Ankunft selbst kaufen. Es dauert nur ein oder zweit Tage, ihn betriebsbereit zu haben. Vergessen Sie nicht, eine „International Driver's License“ zu besorgen (für Sie und Ihre Frau, falls sie auch fahren möchte). Sie bekommen sie von der AAA. Hier wird vielleicht eine zusätzliche Prüfung verlangt, das dauert mindestens eine oder zwei Wochen. Die amerikanischen Führerscheine sind in Europa nicht gültig. Nach meiner Ankunft in Wien am 5. September werde ich mich um ein Auto für Sie umsehen. Vielleicht finde ich ein gutes gebrauchtes Auto für Sie. Hier auf dem Land kann ich nicht viel machen. Gerade erzählt mir Edith, dass der Onkel eines unserer Professoren ist ein Chef bei den „Steyr-Werken“. Vielleicht kann er einen verlässlichen und billigen gebrauchten Wagen besorgen. Ich werde Sie es wissen lassen, sobald ich nähere Details erfahre.
Die Garage betreffend: Das Haus Winzerstraße 2 hat keine, aber wir werden eine finden, ich denke in der unmittelbaren Nachbarschaft. Ich werde das ebenfalls erledigen, sobald ich in Wien bin.
Grundsätzlich ist die Idee, ein Auto zu fahren, ausgezeichnet. Sie werden sehen, dass sie das Auto in Wien mehr brauchen, als in Lexington. Die Entfernungen sind groß und der öffentliche Verkehr (U-Bahn, Straßenbahn, Bus) ist nicht allzu gut. Zum Beispiel ist die Staatsoper 8 Meilen von der Winzerstraße 2 entfernt, in spät abends nach dem Ende einer Vorstellung brauchen Sie 50 Minuten, um nach Hause zu kommen.
Ich glaube, das ist das Wichtigste für den Augenblick. Sobald ich Neuigkeiten für Sie habe, lasse ich Sie das wissen. Ich gehe davon aus, dass Sie vom 1. bis 16. September in Lexington sind, daher werde ich Sie dort erreichen.
Unsere besten Grüße an alle Steins. Wir freuen uns, euch bald zu sehen (es sind nur noch 5 Wochen). Herzlich ...
17. Sept. 1954
Liebe Mutter!
Seit den Briten im Jahr 1777 und der Heuschreckenplage im Jahr 32 hat New York nichts mehr so heimgesucht! Sechs von uns sind in einem Raum und staunen über das „Treiben“ in dieser Stadt.
Jeder bläst seine Autohupe und die Leute gehen einfach in alle Richtungen. Wir alle haben Nackenschmerzen vom Blick auf das Empire State Building. Susie war enttäuscht, weil sie dachte, es sei „1000 Stockwerke hoch – und in den Wolken“. Es kostet 2 Dollar zu atmen und 3 Dollar nicht. Wir haben Fernseher im Zimmer und niemand will schlafen. Letzte Nacht saßen wir alle im Zug und was für ein Ärger.
Alle schreiben heute Abend Karten – und jeder hat, glaube ich, ein wenig „leeres Gefühl“, die USA zu verlassen. Es wird für uns alle gut sein zu erkennen, dass es nichts Vergleichbares zu unserem eigenen Land gibt! Ich habe zwei Stunden damit verbracht, mit mehreren Israeliten um den Kauf einer Kamera zu feilschen – und ich denke, morgen früh wird einer von ihnen mich überredet haben, ihn zu betrügen. Wir wollen einen farbigen Dia-Bericht unserer Reise.
Allen unser Bestes.
Liebe, Ed
4. Oktober 1954
Liebe Mama und lieber Papa!
Hier ist wieder Sonntag – und morgen sind es 4 Wochen in Wien! Wir alle lieben es hier – einige Dinge sind hier nicht so bequem wie in den USA, aber die guten Dinge machen das wieder wett! Wir sind gerade von einer 3-stündigen Wanderung durch den Rand des Wienerwaldes zurückgekehrt – und haben Herbstlaub für's Haus mitgebracht. Wir sind nur 3 kurze Blocks vom äußersten Rand der Stadt entfernt und es war die Winzerstraße hinunter, durch die die Russen 1945 nach Wien kamen! Die engen Straßen scheinen nicht breit genug für Panzer und Truppen zu sein, aber sie waren es! Es ist sehr hügelig und grün hier draußen – wie ein Dorf – was es war, bevor sich Wien so weit ausdehnte.
Die kleine Kirche Sankt Veit (Heiliger Vitus) benennt das Viertel und unser besonderer Teil ist Ober St. Veit – Unter St. Veit ist eine große Straße hinunter, näher am Herzen der Stadt! Wir kaufen jeden Tag ein (ohne Kühlschrank, eine Notwendigkeit!) und jeder Bezirk hat viele kleine Läden – keine Supermärkte, und man geht zum Bäcker für Brot, Metzger für Fleisch, Papierladen für Papier, den Obst- und Gemüseladen für „Obst und Gemüse“. Das Essen ist ausgezeichnet – wunderbare Wurst und Käse, ausgezeichnete Milch, süße Butter, Backwaren und Gemüse und obwohl Fleisch und Kaffee teuer und alle Konserven viel zu teuer sind, finden wir andere Dinge sehr günstig und wir essen sehr gut! Das Bier ist wunderbar (und Wein auch) und sehr billig! Jeder scheint das Bier und den Wein zu genießen, und doch habe ich noch nie jemanden „in hins cups“ gesehen!
Edith und Hugo Zelzer haben sich wunderbar um uns gekümmert – uns beim Zug getroffen – „staples“ im Haus für uns gehabt. Sie hilft mir sehr beim Einkaufen usw. Sie haben uns gestern Abend zum Wiener-Schnitzel eingeladen! Um 10 Uhr gingen wir gemeinsam zur Messe nach Sankt Veit. Dann zogen sich alle Wanderklamotten an und machten sich auf den Weg in den Wald. Gegen 13 Uhr machten wir bei einem kleinen alten „Wirtshaus“ mitten im Wald Halt und aßen Bratwurst und Sauerkraut. Die Männer hatten Bier. Edith, die Mädels und ich hatten „Traubenmost“, den frischen Saft süßer heller Weintrauben. Die Mädchen hatten eine Art süße, leichte Pfannkuchen, die mit Marmelade gefüllt waren!
Die Mädchen scheinen die Schule zu lieben. Die Nonnen sind Dominikanerinnen. Die Schule mit dem Namen „Hackinger Kloster“ besteht seit 1876. Sie ist wie ein großes, warmes, fröhliches Bauernhaus, in dem alle lachen, reden und das Leben genießen! Die Nonnen sind so süß und fröhlich, die Kinder alle rotbackig und fröhlich. Es ist etwa 20 Minuten zu Fuß von hier entfernt und die Schulzeiten sind 8–12 oder 1, einschließlich Samstag. Die Mädchen haben gegen 10:30 Uhr Milch und Sandwiches in der Schule! Am ersten Samstag haben wir automatisch „ausgeschlafen“ und Sie können sich unsere Gefühle vorstellen, als wir feststellten, dass es ein Schultag war, aber die Schulleiterin (Mutter Imelda) sagte, sie seien so erleichtert zu erfahren, dass die „amerikanischen Kinder“ nicht krank seien! (All dies mit Edith, die für mich dolmetscht.) Keine der Schwestern spricht Englisch! Die Mädchen haben viel zu lernen, bis sie mehr Deutsch lernen, aber sie lieben Handarbeiten (sogar Margaret häkelt jetzt) und sie lieben auch die Turnstunden!
In den ersten 2 Wochen war es regnerisch und kalt, aber in letzter Zeit war es sonnig und wärmer. Wir müssen uns von innen nach außen warm anziehen, weil es keine Zentralheizung gibt und weil es (in Europa) das ganze Jahr über kälter und regnerischer war als zu jeder Jahreszeit üblich!
Die Österreicher sind wunderbar, alle rotbackig und gesund. Sie scheinen so freundlich und nett zu sein! Jeder hat einen Hund, und die Hunde gehen immer mit den Hausfrauen einkaufen – an der Leine und mit Maulkorb, aber alle scheinen sich über das Ganze zu freuen! Und jeder liebt Kinder – immer ein kleines Streicheln oder ein Gruß und oft kauft ein Fremder in einem kleinen Laden eine Süßigkeit für sie.
Unser Haus ist sehr schön – sehr alt und an Stellen abgenutzt! Das Anwesen erstreckt sich über einen ganzen Block mit wunderschönen Gärten, Obstbäumen, Rosen usw. Der alte Gärtner und seine Frau sind großartig. Ich werde noch einmal über sie schreiben. Er sorgt für unser Feuer usw., seine Frau kümmert sich ums Baby, und ihre Schwiegertochter putzt und wäscht unsere Wäsche – alles so billig, dass sogar wir es uns leisten können! Sie sind wunderbare Menschen! Die Vermieterin ist ein ziemlicher „Schmerz“ aber ist die meiste Zeit in der Stadt! Das Haus war für Diener gemacht – Druckknöpfe überall und ein Signal in der Küche, um zu zeigen, „from whence cometh“ der Ruf! Die Küche und das Bad sind alle weiß gefliest und ich kann mir vorstellen, dass es im Winter kalt ist.
Die Böden sind alle aus hartem Holz, das in diagonalen Mustern verlegt ist.
Unser Schlafzimmer hat einen Kristallleuchter. Orientteppiche liegen auf allen Etagen. Alle Türen zwischen den Räumen sind große Doppeltüren. Die Fenster sind Doppelflügel. Außenfenster schwenken aus – Innenfenster schwenken ein. Und dann sind da noch Holzläden drinnen, weiß emailliert, passend zu den Täfelungen und Holzarbeiten! Die Möbel sind sehr alte echte Biedermeier – wirkliche Antiquitäten – aber von wunderschönen einfachen Linien, die fast modern aussehen – alles helles „Nuss“-Holz mit Streifen aus tiefschwarzem Ebenholz, um die Linie zu betonen und zu begrenzen! Die 3 vorderen Zimmer sind alle im Biedermeierstil eingerichtet und das Musikzimmer hat einen wunderschönen Flügel! Die Anrichte im Wohn-Esszimmer hat englisches Porzellan (blau) für 12 (ca. 50 Speiseteller in verschiedenen Größen) und Gläser in jeder Größe und Form. Die Küche hat Regale mit Töpfen, Wasserkochern, Pfannen in jeder Größe und Form! Die Bettwäsche besteht aus weichen Daunen, Federn, riesigen Kissen usw. All dies, aber keine Zentralheizung oder Kühlschrank! In der Küche sind schwere Filzpantoffel-„Dinger“, die die Köchin (ich!) beim Kochen tragen kann, damit ihre Füße nicht frieren!
Passt Lassie auf dich auf und ist ein braves Mädchen? Wie fühlst du dich in diesen Tagen? Lasst uns bald von euch hören. Denkt an uns alle!
Ich habe vergessen, euch zu sagen, dass der amerikanische Botschafter einen Empfang für alle Fulbrighter (und einige anwesende Beamte des Außenministeriums) hatte. Die amerikanische Botschaft ist wie ein Herrenhaus in einem Film – und für etwa 100 Gäste schien es 25 oder mehr Butler zu geben. Die Tabletts mit Getränken schienen alle erdenklichen Cocktails und Säfte zu haben. Das Essen war hervorragend – und es war wie ein Wunder aus Broten und Fischen – Vorräte ohne Ende!
Eure Briefe kommen in 3 bis 5 Tagen hier an. Wie rasch sind meine? (langsamer, glaube ich!). Die Russen werden hier nicht gemocht – aber niemand scheint von ihnen gestört zu werden. Ich habe nur 2 oder 3 gesehen.
Der Laternenanzünder macht gerade seine Runde, um die Straßenlaternen anzuzünden, also sollte ich besser etwas Abendessen für die Bande besorgen! Unsere Zeit ist eurer um 7 Stunden voraus und es ist jetzt 16:40 Uhr hier und 10:30 Uhr dort, daher wette ich, ihr seid auf dem Weg zur oder von der Messe!
Alles Liebe für euch!
Catherine
4. Oktober 1954
Liebe Mutter!
Wir sind heute Abend vor einer Woche angekommen, und es war für alle viel los. Die ersten zwei Wochen sind einer Orientierungsphase für alle Fulbright-Mitarbeiter gewidmet. Wir sind ungefähr 40 von uns und 60 mit Frauen und Kindern. Sie nehmen uns mit zu Stadtrundfahrten, Vorträgen und vielen schönen Veranstaltungen. Wir haben eine sehr schöne Wohnung ganz in der Nähe des Wienerwalds auf einem Hügel mit Blick auf die Stadt. Wir haben 3 Schlafzimmer, ein Wohnzimmer und Küche und Bad. Die Vermieterin ist streng und nett zugleich. Die Kinder sind heute in die Schule gegangen und ich denke, sie sind ein wenig verwirrt von all dem. Sie sind in einer deutschsprachigen Mädchenschule ca. 10 Gehminuten von hier entfernt. Ein paar der Lehrer sprechen ein paar Worte Englisch, aber nicht viel. Susie hat in der Schule ein Gedicht abgeschrieben, und ich habe die halbe Nacht damit verbracht, es für uns beide zu übersetzen.
Wien ist eine wunderschöne Stadt und sie würde euch nicht anders erscheinen, als jede andere Großstadt. Es ist sehr sauber und hat viele schöne Parks mit Blumen überall!
Ich bin mir sicher, dass wir hier ein sehr angenehmes Jahr haben werden. Die anderen Gelehrten sind sehr nette Leute – und wir werden gute Freunde. Die Gewichte, Maße und Bräuche sind so unterschiedlich, dass wir Kuriositäten sind; aber ich hoffe, wir passen gut genug zusammen. Wir haben alle modernen Annehmlichkeiten Amerikas außer Heizung. Die Menschen hier sind vollständig auf die Sonne als Wärmequelle angewiesen – abgesehen von einem winzigen Ofen in jedem Zimmer. Man kann den Atem zu jeder Tageszeit sehen. Wir haben einen netten alten Gärtner, der das Feuer macht und die Asche wegträgt. Er ist seit zwanzig Jahren hier und kennt sich bestens aus.
Wir hoffen beide, dass es dir gut geht und Keith, Elsie und Familie in guter Verfassung sind. Es ist noch schwer zu begreifen, dass wir uns in Mitteleuropa befinden, wo Weltgeschichte geschrieben wurde.
Die Leute hier sind sehr gut zu uns, und wir sind sehr glücklich. Nach 9 Jahren wird die Stadt immer noch wiederaufgebaut. 20 % der Stadt wurden in der Schlacht um Wien zerstört. Was für eine Schande.
Die Russen sind hier, haben aber nur ein kleines Kontingent, ähnlich wie die Amerikaner, Franzosen und Briten. Alle Bürger mögen die Alliierten aber nur wenige die Russen. Auf jeden Fall gibt es keine Waffen, Befestigungen usw. von irgendjemandem. Es scheint nur ein paar Geschäftsbüros zu geben.
Wenn du uns dieses Jahr etwas schickst, kennzeichne es bitte sehr deutlich als Geschenkpaket, und es wird zollfrei durch den Zoll geschickt. Wir möchten nach Möglichkeit ein Glas Instantkaffee und ein paar lustige Bücher für die Kinder. Luftpost ist für Pakete unerschwinglich – also gewöhnlich versenden. Aber Briefe immer per Luftpost schicken. So dauert es nur eine Woche.
Uns geht es allen gut und wir haben wirklich eine gute Zeit. Wir werden später ausführlicher schreiben. Es sind sehr wenige Amerikaner hier und wir müssen nur Deutsch sprechen – was sehr schwierig ist.
Bitte passe gut auf dich auf und schreibe! Wir haben noch von niemandem einen Brief bekommen.
Alles Liebe, Edwin
11. Oktober 1954
Liebe Mutter, Keith & Elsie!
Wir sind jetzt zwei Monate hier und fühlen uns wie zu Hause. Die Einarbeitungszeit ist vorbei, und wir machen uns jetzt an die Arbeit, was ein Vergnügen ist.
Wir haben die letzten zwei Wochen damit verbracht, Wien zu sehen und Vorträge zu hören. Sicherlich ist Österreich, das lange Zeit Sitz des Heiligen Römischen Reiches war, reich an Geschichte. Samstag verbrachten wir den Tag in der Sammlung der Juwelen, Kronen, Gewänder, Zepter, Schwerter usw. des Imperiums. Die Erwachsenen machten ebenso große Augen wie die Kinder!
Wir besuchten auch das Schloss Schönbrunn – das 1400 Zimmer hat, die so dekoriert sind, wie ich es noch nie gesehen habe. Wir haben auch Orte gesehen, die mit Brahms, Mozart, Schubert, Schumann, Strauss usw. verbunden sind. Die Stadt ist sehr schön, voller Parks, Bäume und wunderschön gelegen – direkt am Rande des Wienerwalds. Zweimal bin ich mit den Kindern nur wenige Minuten entfernt spazieren gegangen – auf einen hohen Hügel, von dem aus wir ganz Wien sehen können.
Uns geht es gut und wir verstehen uns gut. Unser ganzer Vorgarten ist ein Garten aus Rosen, Kamille und immergrünen Pflanzen. Hinten wohnen ein alter Gärtner und seine Frau, Frau und Herr Fraisl. Sie sind echt alt – und er ist wie aus einem Märchenbuch. Er hat einen Hund – einen weißen Spitz namens Liedi – der Kunststücke macht. Er liebt die Kinder einfach und Frau Fraisl babysittet einen ganzen Abend für 40 Cent! Die Fleischstücke hier sind alle anders als in den USA. Es wird in Streifen geschnitten. Man weiß nie, was man gekauft hat. Catherine macht sich gut in den Läden. Ich dachte immer, Musik sei die universelle Sprache – aber ich glaube, es ist der Zeigefinger.
Die musikalische Kost hier ist absolut unglaublich. Es ist wahr, dass es jeden Abend 2 verschiedene Opern gibt, jede Woche mehrere Symphonie- und Kammerkonzerte.
Ich habe Mozarts Zauberflöte und Honeggers Joan d’Arc gesehen. Ebenfalls gestern war ich in der Kaiserkapelle in der Hofburg und habe ein Hochamt – Mozarts Krönungsmesse für Chor und Orchester – von den Wiener Sängerknaben gehört. Es war wundervoll.
Herr Fraisl kam gerade herein, um auf das Feuer zu schauen – und wir haben ein Mädchen, das an zwei Tagen in der Woche schrubbt und putzt. Ich möchte, dass Catherine auch ein Jahr Urlaub hat.
Die Kinder gehen nicht weit von hier auf eine private Mädchenschule. Keiner der Lehrer spricht Englisch außer ein paar Worten. Die Kinder wissen nicht, was sie davon halten sollen, aber es scheint niemanden zu interessieren. Ihre Englisch- und andere amerikanische Arbeit erledigen wir selbstverständlich hier zu Hause. Es wird ein arbeitsreiches Jahr für sie.
Wir haben noch nichts unternommen, um ein Auto zu kaufen. Wir müssen sehen, wie viel das Leben hier kostet.
Sag Keith, dass er es auf jeden Fall mit Fulbright versuchen soll. Es gibt viele – tatsächlich befindet sich die Mehrheit der Fulbrighter in irgendeiner Phase von angewandten Musik-Projekten. Ich würde ihm empfehlen, sich als Forschungsstipendiat oder Dozent zu bewerben. Diese zahlen am meisten. Ich bin mir sicher, dass er etwas bekommen wird. Stelle sicher, die am besten klingenden Namen verwenden.
Hier ist es derzeit sehr regnerisch und kalt. Wir hatten vorgestern Nacht starken Frost – und da es praktisch keine Zentralheizung gibt, ist alles kalt.
Ihr fragt euch wahrscheinlich, ob wir Russen gesehen haben, wir haben, aber nur wenige. Alle Menschen können sich jetzt frei bewegen, wie sie wollen. Es gibt sehr wenig Spannungen und Kriegsgespräche in Europa. Viel weniger als in den USA.
Bitte passt auf euch auf und grüßt alle herzlich.
Alles Liebe, Edwin
P.S. Wenn ihr uns etwas schickt, stellt sicher, es als Geschenkpaket zu markieren, und es gibt keine Zollgebühren oder Kontrollen. Wir möchten ein Glas Instantkaffee, wenn es euch möglich ist.
25. Oktober 1954
Liebe Mama und Steins, „Incorporated“!
Ed sitzt an seinem massiven Biedermeier-Schreibtisch und sortiert die Millionen von Konzertkarten, die er für dieses Jahr bereits gekauft hat – und was für ein Paradies für Musikliebhaber diese schöne Stadt ist! Ed und ich sind beide immer noch begeistert von „Der Rosenkavalier“, den wir letzte Nacht gesehen und gehört haben – eine großartige Besetzung – eine Inszenierung, die schöner ist als alle, die ich je gesehen habe – Stimmen und Orchester so schön – und diese schöne Strauss-Musik, die ich den ganzen Tag gesummt habe! In unserem Musikzimmer befindet sich ein handsigniertes Bild von Richard Strauss, das der Vater unseres Vermieters (ein berühmter Regisseur) bekommen hat, und nach der Aufführung gestern Abend musste ich hineingehen und das Bild liebevoll tätscheln! Ed hat durchschnittlich 2 Konzerte pro Woche – aber die große Saison fängt gerade erst an, also sollte er in einen Reichtum an Musik „eintauchen“! (Konzerte Dienstag, Donnerstag, Samstag & Sonntag für Ed diese Woche!) Alles in allem scheint der „Edwin“-Zweig der Familie Stein sehr glücklich zu sein – Ed liebt es hier – und hat bereits gesagt, dass er gerne hier „leben“ möchte! Die Mädels sind sehr glücklich – und ich fühle mich wie eine Urlaubsdame! AUSSER wenn ich ins „Eisland“ – in die Küche – gehe, um zu kochen oder Geschirr zu spülen!
Die Kinderschule ist 20–25 Minuten zu Fuß entfernt und erstreckt sich über die Fläche eines großen quadratischen Blocks! Es kann am besten als ein großes, warmes, fröhliches Bauernhaus beschrieben werden, in dem jeder zu leben, zu lachen und das Leben in vollen Zügen zu genießen scheint. Alle haben Zeit, freundlich zu sein, und sowohl die Schwestern als auch die Kinder scheinen so aufgeregt zu sein, die „Amerikaner Kinder“ in der Schule zu haben – unsere Mädchen können ihre eigenen Mäntel kaum zuknöpfen, weil sich so viele eifrige Biber versammeln, um zu helfen! Keine der Schwestern oder Lehrerinnen spricht genug Englisch, aber unsere Mädchen gestehen, dass sie jetzt in der Schule „ein bisschen Deutsch“ sprechen (zu Hause wollen sie nicht!). Sie scheinen die Handarbeit zu lieben – sogar Margaret häkelt jetzt.
Ellen scheint ziemlich zufrieden damit zu sein, bei mir zu Hause zu sein, aber ich denke, sie wird froh sein, nächsten Herbst zur Schule zu gehen!
Unser Haus ist ein heftiger Platz – alt und geflickt und von den Jahren abgenutzt, aber es war einmal schön, genauso wie die Einrichtung (und sie ist es noch)! Hat Ed euch erzählt, dass die letztes Jahr verstorbene Mutter der Vermieterin eine sehr berühmte Schauspielerin war, „Pepi Kramer-Glöckner“. Die Bilder und Erinnerungsstücke wurden entfernt, um Platz für uns zu machen – das Sommerhaus war gerade so zum Bersten gefüllt (neben Richard Strauss! an der Musikzimmerwand haben wir noch Johann Strauss und Furtwångler signiert!). Das Haus war für Dienstboten gemacht – Klingeln in jedem Zimmer mit „Rufsignal“ im hinteren Flur neben der Küche. Gott sei Dank wurden sie ausgeschaltet! Ihr könnt sich die Signale vorstellen, die ich bekommen würde, wenn sie es nicht wären! Die Böden sind aus schönem Hartholzparkett in einem diagonalen Design – Orientteppiche überall, echte Biedermeier-Möbel – alt (wirklich antik), aber so schön einfach in der Linie und alles aus hellem Holz mit Ebenholzbesatz! Es sieht heute sehr nach guter Moderne aus!
Alle unsere Türen sind riesig, doppelt und etwa 8 Fuß hoch, die Fenster sind doppelt und haben zusätzlich innenliegende Fensterläden, die nachts geschlossen werden können! Im Wohnzimmer gibt es einen Koksofen und in den anderen drei Räumen Kachelöfen. Das Bad und die Küche sind alle gefliest (weiß) – eine Gasheizung und ein Wasserheizer im Bad – in der Küche ein Gasherd und ein Kohle- oder Holzherd für den Winter – Küche und Bad sind von den „Wohnzimmern“ getrennt und kalt – in der Küche sind lustige, schwere Filzpantoffeln, die man über die Schuhe schieben kann, damit die Köchin (ich!) ihre Füße im Winter nicht auf dem Fliesenboden erfriert. Oh ja! Es gibt eine sehr effiziente Müllabfuhr, sodass ich keine Eierschalen oder Knochen verbrennen muss, Mama!
Das Bon-Voyage-Telegramm war toll. Vielen, vielen Dank an euch alle für die freundlichen Gedanken und Wünsche – ich wünschte, Keith könnte bei einigen dieser Konzerte meinen Platz einnehmen – er würde so viel von ihnen profitieren!
P.S. Unsere nette Wiener Freundin Frau Seltzer sagt: „Es ist keine gute Idee, alles in einem Karton zu deklarieren, den man verschickt“! Das könnt ihr selbst interpretieren! Wenn ihr es als „Geschenkpaket“ kennzeichnet und nichts wertvolles drinnen ist, sollte es zollfrei sein.
Das Haus und der Garten nehmen ein breites Grundstück ein, das einen ganzen Block tief ist! Der alte Gärtner hält das Feuer am Laufen – und seine Frau liebt die Kinder und „sittet“ für S. 10 (40 ¢) pro Nacht. Die Schwiegertochter, Frau Maritza, putzt und wäscht (von Hand im Keller) für S. 5 die Stunde (20¢) und sie ist ein Genie!
Übrigens wurde uns klar, dass Eds neuer Mantel für hier nie warm genug sein würde, also brachte ich ihn zum Schneider und er fütterte und wattierte ihn vollständig (sogar doppelt gefüttert durch Brust und Rücken) und stellte den ganzen Stoff und die Arbeit für 160 Schilling bereit ($ 6,40).
Du solltest mich beim Einkaufen sehen! Es ist eine ziemliche Erfahrung, die deutschen Namen für Lebensmittel lernen zu müssen – und die Art, Gewichte in Dekagramm und Kilogramm und Geld in Schilling und Groschen zu berechnen. Es gibt Hunderte von kleinen Läden – nichts gleich einem Supermarkt! Ein Fleischgeschäft für Fleisch, Papiergeschäft für Servietten, Schreibwaren, Toilettenpapier usw., ein separates Obst- und Gemüsegeschäft, eine staatlich kontrollierte Apotheke für alle Medikamente, sogar Aspirin, eine „Drogerie“ für Toilettenartikel, Seife usw., ein Bürstengeschäft für alle Bürsten (vom Besitzer handgefertigt).
Blumen sind schön und billig – Käse, Wurst aller Art, Brot und Gemüse, Milch, wunderbar süße Butter und Eier sind billig und reichlich – und gut! Fleisch ist gut – zu moderaten Preisen! Alle Konserven oder Fertiggerichte wie Cornflakes (28 ¢ eine kleine Schachtel) sind sehr teuer. Wiener Kaffee kostet mehr als in Amerika und schmeckt anders aber o.k. Amerikanischer Kaffee (so sagte mir eine Frau von Fulbright) kostet hier 4,00 $/Pfund! (Und ich liebe das Geräusch deines Pakets, Mama! Die Kinder werden die Comics auch lieben.)
Eure Briefe sind alle gut adressiert und wir haben alle bekommen. Die Luftpost (normal) erreichte uns Samstag – das blaue Aerogramm kam Montag morgens. Luftpostbriefe erreichen uns oft in 3 Tagen, was phänomenal erscheint – normalerweise längstens 5 Tage!
Sagt Frau „Bob“, dass das Hotel Bristol im Krieg nicht beschädigt wurde, obwohl es die Häuser auf beiden Seiten waren. Übrigens ist es von den Amerikanern für wichtige Leute beschlagnahmt – und ist ein ziemlich amerikanisches Zentrum. Es ist eines der 3 Top-Hotels in Wien! Ich werde nach den Leuten fragen, die sie genannt hat, wann immer ich dort bin! Lebte sie in Wien oder kannte sie nur die Leute?
Die Wiener scheinen Kinder & Hunde zu lieben. Jeder hat einen Hund und alle Hausfrauen gehen mit ihren Hunden jeden Tag einkaufen – an der Leine und mit Maulkorb – aber alle scheinen sich über die ganze Sache zu freuen. Jeder hat Blumen und Pflanzen in allen möglichen Ecken und Winkeln! Die „Bäkerei“-Läden sind voll mit den verlockendsten kleinen Kuchen und Konfekten voller Schlagsahne, Schokolade, Nüssen und all diesen dickmachenden Dingen! Die Süßwarenläden sind überall und haben Hunderte von Gläsern und Tabletts und Schachteln mit allen erdenklichen Süßigkeiten! Ich fühle mich wie ein Kind, wenn ich in eines hineingehe!
In Liebe, Katharina
28. Oktober 1954
Liebe Mama und Papa!
Euer am Montag, den 25. geschriebener und um 14:30 Uhr versandter Brief ist gerade angekommen! Kaum zu glauben, dass die Post so schnell kommt! Wie lange dauern meine Briefe? Zu unserer Adresse: Die XIII ist unser Stadtbezirk (es gibt insgesamt 26) und 89 ist unsere Poststation. Alle eure Briefe sind jedoch rechtzeitig angekommen, und wir scheinen sie alle erhalten zu haben!
Wir wissen, dass Lassie nicht mehr lange durchhalten wird, also mach dir bitte keine Sorgen, wenn sie stirbt. Ihr Gehör ist seit dieser Ohroperation vor anderthalb Jahren nicht mehr so gut. Ja, wir wussten, dass ihre Zähne abgenutzt sind, aber sie packt einen Knochen mit der Begeisterung eines Welpen an! Das neue Haus klingt großartig, und ich kann mir vorstellen, wie sie in der Minute hineinkrabbelt, in der Dad herausgekrochen kam! Übrigens, Papa, scheint Ellen diejenige zu sein, die am meisten davon spricht, nach Hause zu kommen, und sie sagt, dass sie Oma und Opa für „einen langen, langen Tag“ besuchen und die ganze Zeit Mais essen und Opa helfen wird, sich um Daisy Mae zu kümmern.
Mach dir keine Sorgen über die Kälte dieses Hauses. Wir werden unsere Longies und kuscheligen Wollsachen anziehen (die ich bei Sears gekauft und mitgebracht habe) und ich habe auch Woll- und Nylonstrümpfe usw. gekauft, damit wir gut vorbereitet sind. Die Zimmer gehen ineinander über und der „Koksofen“ hat das Haus warm genug gehalten. (Er hat ein Luftzufuhrsystem, das das Feuer 12–18 Stunden mit einer Nachfüllung am Brennen hält!) In jedem der anderen Räume ist ein Ofen vom Boden fast bis zur hohen Decke – mit schönen Fliesen bedeckt. Wir haben sie noch nicht einmal benutzt, aber jeder sagt, mit 8 oder 10 Holzscheiten und dann morgens fest verschlossen heizt der Ofen 12 Stunden oder länger! Im Badezimmer haben wir eine Gasheizung und in der Küche (neben dem Gasherd einen Kohle- oder Holzherd, in dem Herr Fraisl den ganzen Winter ein Feuer machen wird!
Niemand scheint die Wirtin (Frau Reiser) allzu sehr zu mögen, und Gott sei Dank bleibt sie in der Stadt (sie arbeitet für die Amerikanische Bibliothek). Die Fraisls (der Gärtner und seine Frau) arbeiteten für ihre Mutter, der alten Schauspielerin, und leben hier seit über 20 Jahren. Das Testament der alten Dame besagte, falls die Tochter sie jemals hinauswerfen würde, muss sie ihnen ein Haus kaufen (die Mutter wusste wohl, dass Frau Reiser eine Spekulantin war!). Sie ist so herrisch, aber wir stellen uns ihr entgegen! Wir lieben den Gärtner und seine Frau. Er ist in seinen 70ern – liebt die Kinder und fährt mit ihnen in seiner Schubkarre. Seine Frau babysittet für 10 Schilling (40 ¢) pro Nacht. (Sie wollte zuerst keine Bezahlung, aber wir haben darauf bestanden!) Sie macht süße Knödel und bringt sie unseren Mädchen!
Ihr Hund (Liedi) ist weiß und hat Haare in den Augen (wie ein Schäferhund). Sie liebt Pflaumen und Walnüsse aus dem Garten, und Papa würde es toll finden, wenn sie Pflaumen isst und den Kern ausspuckt. Sie knackt auch ihre eigenen Walnüsse! (Der Nussbaum ist riesig und direkt vor dem Küchenfenster!) Herr Fraisl hat den Vögeln beigebracht, aus seiner Hand zu fressen, und wenn er pfeift, kommen sie einzeln zum Fressen! Sie sind so gute Menschen – Edith Zelzer hat neulich gesagt, dass sie schon traurig sind, weil wir nächstes Jahr nach Hause zurückkehren und sie „uns alle lieben“! Die Schwiegertochter ist meine Putzfrau – Montag wäscht sie (von Hand im Keller) und die Kleider sind schön sauber! Und Freitag putzt sie das ganze Haus, wachst alle Böden, schrubbt Küche, Bad und Flure. Sie ist wirklich ein Genie und so günstig. (Ich fühle mich wie eine echte Dame!)
Die Blätter rauschen wunderbar. Es ist so hügelig und schön hier draußen! Wirklich eines der schönsten Viertel der Stadt. Der polnische Konsul wohnt an der Ecke uns gegenüber und der britische General drei Häuser weiter die Straße runter (er befehligt die gesamte britische Besatzungsarmee!)
Ich habe Teebeutel mitgebracht, genug für eine Weile, aber Edith sagt, dass sie schwer zu bekommen sind, also könntest du ein paar schicken, wenn es passt (Tee ist hier erhältlich, aber nicht in Beuteln). Sie haben auch kein Popcorn, aber die Mädchen möchten es. Es wird in Plastiktüten geliefert und ist möglicherweise leicht zu versenden! Die Pantoffeln klingen großartig, aber ich sehe hier viele in den Läden, also wäre es töricht, wenn ihr sie kaufen und Porto bezahlen würdet!
P.S. Wäre es Lorraine Briske oder Mary Louise? Lorraines Ehemann ging zur U. of M. und Ed glaubt, ihn zu kennen (mir fällt sein Name nicht ein!). Wenn ihr meint, das Briske-Mädchen ist in Wien stationiert, hätten wir gerne ihre Adresse – falls wir unbedingt etwas Amerikanisches brauchen, jeder im Militär hat PX-Privilegien!
In Liebe, Katharina
1. November 1954
Liebe Mama und Papa!
Werde versuchen etwas kleiner zu schreiben und mehr in meine Briefe zu bekommen! Wir sind alle okay. Die langen Spaziergänge und das Leben im Allgemeinen scheinen rosigeren Wangen und meiner Meinung nach einer besseren Gesundheit zuträglich zu sein! Dies ist eine arbeitsreiche Woche – 2 oder 3 Konzerte für mich und 5 für Ed, also sind wir fleißig! Ich habe Jean Oakes geschrieben – muss aber Jud schreiben als Antwort auf seine beiden Briefe! Die Tage vergehen wie im Flug! Jeder nimmt das Leben so leicht! Sogar die Geschäfte schließen von 12:30 Uhr bis 4 wochentags – und schließen samstags um 3 Uhr!
Unser Deutsch wird langsam besser, aber ich werde nie so viel wie Ed und die Mädchen tun, da sie es jeden Tag zwangsläufig anwenden müssen!
Apropos Weihnachten – alle raten davon ab, Carepakete zu verschicken, da sie sehr langsam sind (auch einige Sachen darin wie Mehl, Zucker, Fett etc. sind hier sehr gut und günstig!) – manchmal 3 oder 4 Monate, obwohl das Geld vorausgeschickt wird – und die Pakete sind schon hier auf Lager sind!
Geschenkpakete sind zollfrei, wenn sie als „Geschenkpaket“ deklariert und gekennzeichnet sind. Allerdings hat Eds Mutter letzte Woche ein Paket verschickt – Instantkaffee, Ohrenschützer, Funnies für die Mädchen usw. und die Postvorschriften waren so streng, dass sie jeden Artikel neu verpacken musste, Wert usw. muss deklariert werden, wenn ihr also etwas schickt, überprüft das im Voraus im Postamt in Harbor Beach. (Unsere Freunde hier sagen, dass es nicht notwendig ist, jede Kleinigkeit zu deklarieren! Also beurteilen das, wie ihr wollt! Ich denke, bis zu einem Wert von 20 $ ist es zollfrei.) Wir können hier so viel kaufen und das Porto ist sehr hoch. Wenn ihr eine Kleinigkeit für die Mädchen zu Weihnachten verschicken wollt, ist das o.k., aber sendet nicht viel. Instantkaffee ist hier sehr teuer (jeder Kaffee ist das!). Wenn du ein bisschen davon schicken möchtest, wäre es für Ed und mich in Ordnung! Wir diskutieren über Weihnachten. Wir können Geschenke so einfach und kostenlos in unseren Koffer zurückbringen, also werden wir zu Weihnachten einfach eine kleine Erinnerung schicken und euch etwas Schönes mitbringen, wenn wir nach Hause kommen!
Pakete dauern in beiden Fällen 4 bis 8 Wochen! Hier geht alles langsam voran! Unsere Koffer waren in Paris, als wir dort waren, sind aber hier erst angekommen, als wir schon 2 Wochen da waren! Edith sagt, die meisten Pakete brauchen so oder so sechs Wochen!
In Liebe, Katharina
3. November 1954
Liebe Schwestern der Pfanne (Sisters of the Skillet)!
Bitte entschuldigt zunächst die Tatsache, dass ich diesen Brief durchschreibe, aber wenn ihr wisst, wie viel Zeit vergangen ist, seit wir Lexington verlassen haben, werdet ihr feststellen, dass ich rasch begonnen habe, mich zu entspannen, auszuruhen und das Leben leicht zu nehmen (wie ein echter Wiener!). Sogar die Geschäfte hier sind jeden Nachmittag von 12 bis 16 Uhr geschlossen, damit jeder ein gemütliches Essen und eine Siesta genießen kann. Niemand scheint es eilig zu haben, irgendetwas zu tun. Die Konzertkarten sind alle mit „8:00 Pünktlich“ beschriftet, und so haben Ed und ich uns die ersten ein, zwei Wochen pflichtbewusst beeilt und zerrissen – bis wir sahen, dass die Säle bis dahin noch nicht einmal zur Hälfte gefüllt waren, also schlendern wir jetzt „mit der Bande“ etwa 15 oder 20 Minuten später hinein.
Zweitens – bitte verzeiht diese schreckliche Schreibmaschine. Meine Finger können mit all den Dingen, die ich dir zu erzählen vorhabe, nicht mithalten … und mein Tippen ist alt und rostig (war sowieso nie zu gut!).
Ich war ein bisschen traurig, als der Zug aus dem Bahnhof in Lexington abfuhr, aber das seltsamste Gefühl war, als die America abfuhr und diese Wasserkluft zwischen uns und den wunderbaren alten USA immer größer wurde. Die Leute auf dem Schiff schrien und winkten den Leuten auf dem Dock zu, und wir standen nur da, bis Ed sagte: „Komm, lass uns einfach jemandem zuwinken.“ Die Schifffahrt war großartig – absolut nichts zu tun, außer sich anzuziehen, zu essen, zu schwimmen (unsere Kinder wollten es jeden Tag), Filme sehen und sich Zeit für Besichtigungen zu nehmen, spazieren zu gehen oder was auch immer. Unsere Kabinen waren sehr schön und befanden sich direkt am Ende einer Halle, sodass wir nach Belieben hin und her konnten, um etwas zu bestellen. Die Mahlzeiten waren sehr gut – aber sie schienen zu rasch aufeinander zu folgen, um sich wohl zu fühlen – und bei all den wunderbaren Dingen, die auf den Speisekarten aufgeführt waren, tat es mir immer leid, dass ich nicht beide Menüs essen konnte.
Die Passagiere schienen eine kongeniale Truppe zu sein – darunter 60 Fulbrighter (inkl. Ehefrauen und Kinder) nach Österreich. Wirklich viele von ihnen haben wir nicht kennen gelernt, bis uns unser Am. Expressbus zu unserem Hotel in Paris brachte. Ich denke, unsere einzige Beschwerde über die ganze Reise war, dass Old Man Sun von dem Tag an, an dem wir New York verließen, bis mindestens drei Wochen nach unserer Ankunft in Wien Winterschlaf zu halten schien. Unsere erste Gruppe Farbdias kam heute aus Paris zurück, und sie sind trotz des fehlenden Sonnenscheins überraschend gut geworden.
Als wir am 6. Morgen aufwachten, lagen wir vor der Südküste Irlands vor Anker.
Um über das „The Wearing of the Green“ zu sprechen – Irland trägt alle erdenklichen Farbtöne und Schattierungen – kein Wunder, dass Iren Grün lieben! Als der Morgennebel aufstieg, kam die Sonne durch die Wolken, und wir konnten diese lieblichen sanften Hügel meilenweit sehen, die für alle Welt wie ein Flickenteppich aus Feldern aussahen und sich mit dem dunkleren Grün der Hecken vermischten. Der Hafen von Cobh ist nach den rauen Gewässern vor der Küste so friedlich, und die Stadt selbst scheint sich vom Rand des Wassers direkt an den Seiten der Hügel zu erheben. Wir lagen gerade lange genug im Hafen vor Anker, damit ein paar Passagiere ein- und aussteigen konnten, und dann kehrten wir für den rauesten Teil unserer Reise ins offene Meer zurück. (Es war immer noch nicht all zu rau, und ich freue mich, berichten zu können, dass keiner der Steins seekrank wurde.)
Am nächsten Morgen kamen wir in Le Havre an. Aussteigen aus dem Schiff und hinein in den Bootszug für eine 2- oder 3-stündige Fahrt nach Paris. Leider kamen wir dort Samstag Nachmittag an, und wir reisten am Sonntag in der Nacht wieder ab, so dass wir wirklich nicht viel Aufenthalt hatten. Wir drängten uns in eine Besichtigungstour und ein paar der milderen Dinge, die eine Familie mit vier Kindern genießen kann. Wir sahen den Eiffelturm, den Arc de Triomphe, die Kirche Sacre Coeur, die unglaublich schönen Tuilerien-Gärten, spähten sehnsüchtig auf die Außenseite des Louvre, gingen zur Messe am Sonntag in der schönen Kathedrale Notre Dame. Wir nahmen die Kinder mit zum „Wunschbrunnen“ und Karussell im Park, aßen köstliches französisches Essen, tranken ein Glas Wein in einem Straßencafé und machten einfach „Gummihals“. Die jüngeren Mitglieder der Gruppe gingen am Samstagabend aus, um die schwule Seite von Gay Paree zu sehen, aber ein warmes Bett fühlte sich für die großen Steins genauso gut an wie für die Kleinen, also machten wir uns alle früh auf. Übrigens sind die Süßigkeiten- und Bon-Bon-Läden von Paris eine Sehenswürdigkeit – 3 oder 4 in jedem Block und die Süßigkeiten so hübsch und so fröhlich verpackt, dass sie einfach glitzern – und es schmeckte genauso gut, wie es aussah. Die französischen Konditoreien sind auch großartig, aber ich glaube, die in Wien sind noch besser.
Da wir nachts in den Zug einstiegen, verpassten wir Frankreich (mit Ausnahme des Teils zwischen Le Havre und Paris, den wir vom Schiffszug aus gesehen hatten) und auch den größten Teil der Schweiz, aber als wir am Montagmorgen aufwachten, war die Landschaft einfach großartig! Wir umrundeten gerade den Vierwaldstättersee und die Alpen stiegen aus dem Wasser in die Wolken, so weit wir sehen konnten. Immer wieder glitzerten die schneebedeckten Gipfel auf uns herab. Manchmal waren wir so hoch, dass die Erde auf atemberaubende Weise vom Rand der Eisenbahnschienen abzufallen schien, und doch gab es gewaltige Berge, deren Gipfel nie sichtbar waren. Wir sahen die Schweiz im Wert von „2 Stunden“ und überquerten dann die Grenze nach Österreich, und das ganze Österreich, das wir an diesem Tag durchquerten, bot mehr von derselben unglaublich schönen Landschaft. Ich glaube nicht, dass eine der Zollinspektionen aus mehr als einem schnellen Stempel auf unseren Pässen bestand, der mit einem sehr netten Lächeln versehen wurde. Wir wurden nie länger als ein paar Sekunden angehalten!
Wir kamen spät in der Nacht und inmitten eines kalten Regens in Wien an, aber alle waren so aufgeregt, dass es unsere Stimmung nicht ein bisschen trübte! Unsere gute Freundin Edith Zelzer war am Bahnhof, um uns zu begrüßen. Der Bahnhof ist übrigens einer der modernsten, den ich je gesehen habe – und ich muss auch sagen, dass der Orient-Arlberg-Express einer der schönsten Züge ist, die ich je gefahren bin. Wir hielten es für das Beste, die erste Nacht im Hotel zu bleiben, und so kamen wir am nächsten Morgen zu „unserem“ Haus.
Das Haus ist sehr alt, aber sehr schön. Es gehörte einer sehr berühmten Wiener Schauspielerin, die letztes Jahr verstorben war und deren Tochter unsere Wirtin ist. Es ist wunderschön mit echten Biedermeier-Möbeln eingerichtet – sehr helles Holz mit Ebenholzbesatz – und so einfach und anmutig, dass es trotz der Tatsache, dass es alt genug ist, um als antik bezeichnet zu werden, wie richtig modern aussieht. Die Böden sind alle in einem diagonalen Muster verlegt, und die Teppiche sind alle sehr sanft gefärbte orientalische Teppiche. Alles ist abgenutzt und vieles wurde repariert, aber man merkt, dass alles liebevoll gepflegt wurde. Im Hauptschlafzimmer haben wir einen glitzernden Kronleuchter mit Prismen, eine wunderschöne, in Öl gemalte Madonna über den Betten und einen riesigen Schminktisch mit Spiegel (den, da bin ich mir sicher, die ehemalige Dame des Hauses sehr gewürdigt hat). All dies, aber keine Zentralheizung oder Kühlschrank. Das Bad und die Küche sind riesig und alle schwarz-weiß gefliest. Ich bin mir sicher, dass sie sich dadurch mindestens zehn Grad kälter anfühlen, als sie wirklich sind. Das Haus wurde zu einer Zeit gebaut, als jeder Diener hatte. (Jedes Zimmer hat eine Art Klingel und eine Tafel in der hinteren Halle zeigt „von woher kommet“ das Läuten. Danke, dass sie alle getrennt wurden! Könnt ihr euch diese Bande von mir mit einem solchen Gerät vorstellen, um das Dienstmädchen anzurufen … mich!). Die Küche befindet sich in einem langen Flur und ist ungefähr wie Iceland am Morgen. Unter dem Ofen sind zwei sehr seltsam aussehende schwere „Dinge“ aus Filz. Edith sagt, sie sind über die Schuhe zu ziehen, damit die Füße des Kochs (das bin ich) nicht frieren.
Die Vermieterin wohnt in der Stadt, wo sie für die amerikanische Botschaft arbeitet, und so haben wir das Haus ganz für uns allein. Der alte Gärtner und seine Frau wohnen in einem Häuschen im Hinterhof, und sie sind wunderbare Menschen. Sie scheinen die Kinder zu lieben und die Kinder lieben sie.
Herr Fraisl, der Gärtner, hütet unser Feuer und Frau Fraisl babysittet (sie wollte nicht bezahlt werden, und das Höchste, das sie akzeptierte, waren 10 Schilling pro Abend, 40 ¢). Das Gelände ist wunderschön gepflegt und hat eine reiche Vielfalt an Blumen, Obstbäumen (sogar diese faszinierenden Spalier-Birnen- und Apfelbäume). Wir wohnen in einem Vorort namens Hietzing am Rande des Wienerwaldes. Die Aussicht ist grandios und an klaren Tagen breitet sich ganz Wien wie auf einer Postkarte vor uns aus. Es ist alles so deutlich sichtbar, dass ich kaum glauben kann, dass es eine Stadt mit 2 Millionen Einwohnern ist (fast so groß wie Detroit). Ach ja, ich darf nicht vergessen, euch zu sagen, dass die Schwiegertochter der Fraisls am Montag für mich wäscht. (Schön saubere Wäsche – alles von Hand im Keller, und sie putzt das ganze Haus Freitagnachmittag – wachst sogar alle Böden.) Hilfe ist so günstig und so gut, dass sogar die Steins es sich leisten können. (Wenn ich nicht aufhöre, diese Fehler zu machen, werdet ihr euch wünschen, ich hätte jemanden eingestellt, der mein Tippen übernimmt.)
Die Konzerte und Opern sind fantastisch und Ed hat die Zeit seines Lebens. Er ist manchmal 3 oder 4 Nächte weg – und auch ich besuche mehr als je zuvor. Wir werden euch mehr erzählen müssen, wenn wir zurück sind.
Wir sind letzte Woche in die Innenstadt gefahren, um die Zeremonie zu sehen, bei der die vier Besatzungsmächte die Wache der Stadt wechseln. Diesmal haben die Franzosen von den Briten übernommen, und nächsten Monat werden sie die Russen haben, dann die Amerikaner. Das Ganze ist sehr bunt mit Musikkapellen, Soldaten, Generälen und Botschaftern überall auf dem Heldenplatz. Dies ist die einzige Gelegenheit, etwas Russisches zu fotografieren, also können wir euch vielleicht ein paar interessante Bilder zeigen.
Die russischen Soldaten und ihre Frauen sehen aus und verhalten sich genauso, wie man es erwarten würde. Pfui! Die Wiener, von Natur aus sanfte, liebenswürdige Menschen, grüßen jeden mit einem Lächeln, aber wenn ein Russe vorbeikommt, achten sie nicht mehr als auf ein Blatt, das im Wind weht. Sie werden auf offensichtlichste Weise ignoriert. Übrigens, als die Russen 1945 in Wien einmarschierten, kamen sie aus dem Wienerwald und die Winzerstraße (unsere Straße) hinunter, die so eng ist, dass es schwer ist, sich die Panzer und Truppen vorzustellen, die die Leute hier beschreiben. Dieser Vorort ist wie ein kleines Dorf, das es war, bevor die Stadt zu ihm herausgewachsen ist. Alle sind so freundlich und nett. Alle Läden sind klein (auch in ganz Wien) und man muss Fleisch im Fleischladen, Milch im Milchladen, Obst und Gemüse im Spezialgeschäft, Papier jeglicher Art im Papierladen kaufen usw. Wahrscheinlich könnte ihr euch meine Schwierigkeiten beim Einkaufen vorstellen, weil ich lernen musste, wie man auf Deutsch fragt. Die Gewichts- und Maßangaben sind in Kilogramm und Liter statt in lbs. und qts., und das Geld in Schilling und Groschen statt in Dollar und Cent. Man darf sich nicht selbst bedienen, also muss man sagen, was man will und wie viel. Neulich wollte ich einen Knochen für den Hund des Gärtners kaufen und alle im Fleischladen lachten, weil ich nach „einem Hundebein“ fragte … Ah me!
Das Essen scheint sehr reichlich zu sein und einiges davon ist wunderbar – Fleisch ist gut, aber nie ganz so abgelegen wie bei uns, also schmeckt sogar das Rindfleisch zart, wie Kalbfleisch (Ed sagt, es schmeckt, als würde man Kinder essen).
Die Wurst und der Käse sind köstlich, ebenso die süße Butter, Brot, Obst, Gemüse, Milch und Backwaren. Konserven gibt es zwar, aber extrem teuer, Kaffee auch, aber darauf kann ich einfach nicht verzichten. (Der Kaffee hier ist ganz anders als unserer.) Die Hühner sehen schrecklich dürr und unterernährt aus und das billigste, das ich gesehen habe, kostet umgerechnet 2 Dollar. Zucker, Mehl und Grundnahrungsmittel im Allgemeinen sind nicht ganz so fein (oder sollte ich besser verfeinert sagen) wie bei uns, aber in Ordnung. Ihre getrockneten Suppen sind viel schmackhafter als unsere. Süßigkeiten und Desserts sind „nicht von dieser Welt“ und ich habe einfach nicht genug Willenskraft, um auf diese Leckereien in den Schaufenstern zu verzichten.
Die Schaufenster in der Innenstadt sehen sehr attraktiv aus, aber die meisten Waren sind qualitativ nicht mit unseren vergleichbar, wenn man sie aus der Nähe betrachtet. Ausnahmen davon gibt es natürlich bei sehr hochwertigen Produkten wie Lederwaren, Petit-Pointe-Stickereien und feinem Porzellan.
Ich muss mich immer noch kneifen, wenn wir durch die Räume gehen, in denen Kaiser Franz Joseph lebte, oder wenn wir in einem Museum Schwert und Krone Karls des Großen sehen, oder wenn wir eine Straße entlang gehen, auf der Napoleon ging, oder wenn wir am Sonntag die Messe in einer Kirche hören, die vor 900 Jahren gebaut wurde. Wir sind alle sehr aufgeregt und mit großen Augen, aber ich bin sicher, der größte Nervenkitzel wird unsere Rückkehr zu all euch guten Freunden und Nachbarn sein. Wir sprechen so oft von euch – meistens beginnend mit „Nun, es ist ungefähr 13 Uhr in Lexington, was werden die Leute wohl tun!“
Die Kinder scheinen mit der Schule sehr zufrieden zu sein – obwohl sie zu Hause kein Deutsch sprechen, sagen sie, dass sie sich mit ihren Mitschülern unterhalten können. Die Schule ist für sie 20 Minuten zu Fuß entfernt (10 Minuten für die Wiener) und kann am besten als ein großes, warmes, fröhliches Bauernhaus beschrieben werden, in dem jeder Zeit zum Lachen und Genießen hat.
Die Schwestern und die Kinder sind so aufgeregt, 3 kleine Amerikaner in der Schule zu haben, dass unsere Mädchen kaum ihre eigenen Mäntel zuknöpfen können, weil sich immer eine Bande von eifrigen Bibern versammelt, um zu helfen. Handarbeiten lernen alle kleinen Mädchen in der Schule, und so wird hier heute einiges gestrickt und gehäkelt. Unsere Kleinen scheinen in diesem Klima alle sehr gesund zu sein, und sie essen alle wie Pferde. Alle Leute hier haben schöne rosa Wangen, weil sie so oft im Freien sind, und unsere Mädchen bekommen sie auch. Der November scheint ein nebliger und kühler Monat zu sein und wir sollten im Dezember Schnee und Kälte bekommen – darauf freue ich mich nicht zu sehr – aber alle berichten, dass der Frühling in Wien besonders schön ist.
Ich hasse es, einen Brief so voller Neuigkeiten über „uns“ zu schreiben, aber die Umstände machen es so. Wir würden uns über jede „Post von zu Hause“ freuen, wissen aber, dass ihr alle sehr beschäftigt seid. Übrigens dauert die Post auf dem Landweg ungefähr vier Wochen, also ist der einzige schnelle Weg die Luftpost – und wenn ich nicht aufhöre zu schreiben, kann ich mir das Porto nicht leisten. Unser Bestes für euch alle!
Hinüber zu den Last-Minute-„Releases“!
P. S. Wir sind gespannt, ob der Neuankömmling schon bei Karp angekommen ist! Ich hoffe, es ist alles in Ordnung!
P.S.S. Eds Mutter schrieb, dass E. Lansing Schnee hatte und sie dachte, Lexington auch! Wir haben – noch nicht!
P.S.S. Wenn jemand von euch Zeit finden sollte, uns eine Nachricht zu schicken, ist der beste Weg zur Post per Luftpost – 15 ¢ – und manchmal kommt die in 3 Tagen an. (Surface Mail dauert 4–6 Wochen.)
P.S.S. Edith & Hugo senden liebe Grüße an alle!
P.S.S. Jane – die 3 Säcke „Zeug“ kommen gerade recht!
P.S.S. Wenn ich mit der Straßenbahn fahre, gebe ich meinen Röcken einen zusätzlichen kleine Schwung, damit diese üppigen Nylonslips ein wenig herausschauen können – ich fühle mich darin wie eine echte Dame! Danke nochmal „euch allen“.
P.S.S. Der Gärtner und seine Frau haben den süßesten Hund namens „Liedi“ – weiß und verspielt – sie hat Haare in den Augen, außer wenn Fraisls ihr einen Pony verpassen! Sie isst Pflaumen, spuckt den Kern vorsichtig aus – knackt auch ihre eigenen Walnüsse, die sie unter dem Walnussbaum sammelt. Herr Fraisl ist der süßeste alte Mann – wie eine Elfe in einem Buch. Er hat den Wildvögeln beigebracht, einer nach dem anderen zu kommen und aus seiner Hand zu fressen, wenn er 3 kurze Pfiffe von sich gibt.
Liebe Millie und Jane, wenn ihr mit diesen Brief fertig seid, wären vielleicht die Musikfrauen der Fakultät interessiert! Gebt ihn einfachweiter und bittet sie, ihn weiterzugeben, bitte.