Sozialer Wohnbau im 13. Bezirk Hietzing
Beitrag aus Anlass der Sonderausstellung im Bezirksmuseum Hietzing "Gemeindebauten in Hietzing"
19.03.2017
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nahm das Bevölkerungswachstum Wiens und seiner Vororte – wie bei vielen anderen europäischen Städten auch – ein ungewöhnliches Ausmaß an. Die meisten Wohnungen waren hoffnungslos überbelegt.
Im Vordergrund der dem Wachstum Rechnung tragenden Bautätigkeit standen Spekulation und Rentabilität. Die in erster Linie für die Arbeiterfamilien errichteten Zinshäuser hatten in der Regel erbärmlich ausgestattete Kleinwohnungen. Das Wasser und das WC war meist außerhalb der Wohnungen, das wurde aber trotzdem als Verbesserung gegenüber früheren Behausungen mit Wasser und Toiletten im Hof empfunden.
Eine der Reaktionen auf diese unzumutbaren Wohnverhältnisse waren gegen Ende des 19. Jahrhunderts Siedlungen mit einheitlich geplanten Einfamilienhäusern. Mit einem hohen Maß an Selbsthilfe und Eigenverantwortlichkeit stieg der ''unfreie" Mieter zum freien Siedler auf und setzte damit einen weiteren Schritt in der Demokratisierung. Diese Entwicklungen setzten allerdings Visionen voraus, die in die Industriegeschichte Englands, Frankreichs und Deutschlands zurückreichen. Eine davon ist die Gartenstadtidee Englands, wo man selbst in den hochindustrialisierten Städten am Wohnen in den althergebrachten Einfamilienhäusern festhielt
Ein anderer Weg, den Mietshäusern wenigstens zeitweise zu entkommen und die eigene Versorgung zu verbessern, waren ab dem Beginn des 20. Jahrhunderts auch in Wien die Schrebergärten am Stadtrand. Oft illegal zu ganzjährig benutzbaren Wohnhäusern ausgebaut, waren sie in gewisser Weise auch Vorläufer der Siedlungen.
Eine der wichtigsten Maßnahmen gegen den profitorientierten privaten Wohnbau war aber die Mieterschutzordnung mit Kündigungsschutz aus dem Jahr 1917. Darüber hinaus wurde 1919 der kommunale Wohnbau zu einem vordringlichen Anliegen in Wien erklärt. Damals hatten nach einer amtlichen Wohnungszählung 92% aller Wiener Wohnungen das Klosett und 95% das Wasser außerhalb des Wohnungsverbandes, 7% hatten elektrisches Licht und 14% Gas eingeleitet. Mehr als zwei Drittel aller zur Verfügung stehenden Wohnungen waren als Kleinwohnungen eingestuft, sie besaßen also maximal ein Zimmer und ein Kabinett. Unterstützt wurden diese Tendenzen durch den von Bürgermeister Dr. Karl Lueger begonnenen Erwerb von Bauland seitens der Gemeinde Wien. Von 1914 bis 1919 waren es rund 350 ha innerhalb und außerhalb des damaligen Stadtgebietes.
Folgerichtig wurden wurde ein im Zeitablauf zunehmender Anteil der Siedlungen aus der Zwischenkriegszeit von der Gemeinde Wien errichtet. Entstand zunächst der Hauptanteil Teil der Siedlungen im Rahmen von Selbstorganisationen oder von Genossenschaften, die oft von politischen Autoritäten und von Architekten unterstützt wurden, so wurden sie im Laufe der Zeit zunehmend von der Stadtverwaltung verdrängt. Ein von Adolf Loos 1921 formuliertes Ideal hatte den Fruchtgarten im Zentrum der nach Süden orientierten Siedlerstellen mit Wohnküche und getrennten Kinderschlafzimmern.
Siehe auch den zu den frühen Siedlungsbewegungen passenden Beitrag zur SAT von Ing. Christian Gold: http://www.1133.at/document/view/id/858
Die Stadt tendierte aber aus ökonomischen und auch aus politisch-ideologischen Gründen immer mehr zur Blockbauweise wie zum Beispiel beim Karl-Marx-Hof. Entfielen 1921 noch 55% des gesamten Wohnbauprogramms auf Siedlungshäuser, waren es 1925 nur mehr 4%. Zwischen 1923 und 1934 wurden in Wien 337 städtische Wohnungsanlagen mit fast 64 000 Wohnungen errichtet. Dies war der erste Höhepunkt in der städtischen Wohnbauentwicklung, in der vor allem auf die Bedürfnisse der Bewohner nach Licht und Luft sowie auf den Komfort mit eigenem Bad und WC Rücksicht genommen wurde. Die Anlagen hatten großzügig angelegte Höfe und Grünflächen und zeugten in ihrem äußeren Erscheinungsbild vom Selbstbewusstsein der manuell arbeitenden Bevölkerungsschicht. In die Anlagen wurden Gemeinschaftseinrichtungen, wie Wäschereien, Kindergärten, Kinderspielplätze, Badeanstalten, Bildungs- und Fürsorgeeinrichtungen (z. B. Büchereien, Ambulatorien, Mütterberatungsstellen) sowie Geschäfte, integriert. Die Abschirmung gegenüber der Außenwelt trug manchem Bau die Bezeichnung "Arbeiterburg" ein. Die Planung erfolgte durch die Architekturabteilung des Stadtbauamtes in Zusammenarbeit mit Privatarchitekten. Ein schönes regionales Beispiel für den Sozialbau der Gemeinde Wien in Blockbauweise aus der Zwischenkriegszeit stellt die 1929 errichtete Anlage von Victor Reiter in der Speisinger Straße 84–98 dar.
Nach 1945 musste die Gemeindeverwaltung die zerstörten Wohnungen möglichst rasch und billig durch neue ersetzten, und es entstanden bis 1950 10.000 neue Wohnungen. Man war lediglich auf Quantität mit geringem architektonischen Anspruch bedacht. Die vorherrschende Bauform war bis in die späten sechziger Jahre der in parallelen Zeilen angeordnete oder versetzte Blockbau, zumeist ohne Miteinbeziehung von Höfen und Plätzen. Die einzige Gemeinschaftseinrichtung war oftmals nur das Konsum-Lebensmittelgeschäft. Eine Ausnahme in dieser Hinsicht bildet der 1949–54 errichtete Hugo-Breitner-Hof in Wien 14., der städtebauliche Ansätze erkennen lässt und in gewisser Weise an die Struktur der Zwischenkriegsbauten erinnert.
Bisweilen versuchte man, ein ansprechenderes Ambiente durch künstlerische Ausgestaltung zu erreichen. Ein Beispiel hiefür ist der 1952–55 von Viktor Adler errichtete "Steinitz-Hof" in der Auhofstraße 6a-6b (= Hietzinger Kai 7-9). Österreichische Künstler schufen die in der Grünanlage aufgestellten Plastiken und die heute nur mehr teilweise erhaltenen Wandgestaltungen.
Den Flachbau hatte die Gemeinde nach 1945 fast zur Gänze privaten und gemeinnützigen Bauunternehmungen überlassen. Viele der alten Siedlungen sind heute kaum mehr als einheitlich geplante Anlagen erkennbar, weil sie meist in Eigeninitiative der Bewohner den erhöhten Ansprüchen angepasst wurden. Auch die verbindenden Gemeinschaftseinrichtungen gingen verloren. Die wohl prominentesten und in ihrer geplanten Anlage erhaltenen Beispiele des Siedlungsbaus unter der Leitung der Gemeinde Wien sind die Siedlung Lockerwiese (1928–32, 1938) und die Werkbundsiedlung (1930–32).
Zu differenzierteren gestalterischen Lösungsversuchen im kommunalen Wohnbau kam es erst in den 1970er-Jahren. Doch wie in anderen Bezirken Wiens besteht auch in Hietzing das Problem, den für die Wohnqualität so wertvollen Grünraum zu bewahren. Großprojekte von Mehrfamilienhäusern, seien sie von öffentlicher oder privater Hand geplant, stehen besonders im Prioritätenkonflikt zwischen Neuschaffung von Wohnraum in "guter Lage" und Erhaltung des die Qualität ausmachenden Grünraumes. Überwiegt die Sorglosigkeit letztem gegenüber, führt sich das "Bauen im Grünen" ad absurdum.
Einen Überblick über den kommunalen Wohnbau in Hietzing mit seinen über 50 Anlagen, wovon ca. 2/3 aus den 1950er- und 1960er-Jahren stammen, gibt die am 19. März 2017 anlässlich des Tages der offenen Tür der Wiener Bezirksmuseen eröffnete Sonderausstellung "Gemeindebauten in Hietzing" im Bezirksmuseum Hietzing (siehe Fotobericht unten). Die Ausstellung ist bis 28. Juni 2017 während der Öffnungszeiten des Museums (Mittwoch 14 bis 18 Uhr, Samstag 14 bis 17 Uhr) zu besichtigen. Hier kann man auch etwas über so manchen prominenten Bewohner der Hietzinger Gemeindebauten erfahren.