Eine Zeitreise durch meine Kindheit

Mag. Franz Stabler über Gebhard Klötzls Buch: "Von Bürgermeistern und Affären"
26.07.2016

Das Buch von Gebhard Klötzl über Ober- und Unter St.Veit 1848–1891, das ich zunächst aus Interesse für Wiener Geschichte erworben und gelesen habe, hat mich auf eine Zeitreise in meine Kindheit entführt. Als 1949 geborener (KH St. Josef), aufgewachsener (Firmiangasse 9), eingeschulter (VS Wolfrathplatz 1955–59) Ober St. Veiter habe ich noch einen kleinen Abglanz der von Gebhard Klötzl dokumentierten Zeit erkannt. Natürlich beruhen meine Erinnerungen nicht auf wissenschaftlichen Fakten wie im Buch. Sie sind ein Geflecht aus selbst Erlebtem, Erzählungen in der Familie und später Angelesenem – und demgemäß unscharf. Diese Erinnerungen beginnen zwar erst 60 Jahre nach der im Buch beschriebenen Ära, doch war noch einiges vorhanden.

Zunächst die Vielzahl kleiner Geschäfte in denen man in den 1950er-Jahren fast alles bekam (nur für weniges wurde in die „Stadt“ gefahren). Allein in der Firmiangasse gab es zwei Bäcker, einen Fleischhauer, ein Haushaltswarengeschäft (mit einer Spielzeugauslage, von der ich nicht wegzubringen war), einen Wild- und Geflügelhändler sowie eine Modistin. Dazu kam ein Wirtshaus (heute Schneider-Gössl), wo auch Bier über die Straße verkauft wurde. Am Wolfrathplatz und auf der Hietzinger Hauptstrasse waren die Geschäfte dicht nebeneinander: Tabaktrafik, Installateur, Gemüsehändler, Milchgeschäft, Meinl (anfangs nur Kaffee und Tee), Kurzwaren, Drogerie, Fischhändler, Friseur, Papiergeschäft, Elektrohändler, Lebensmittelgeschäft und andere, die meinem Gedächtnis entschwunden sind.

Und dann gab es die Konditorei, in der es nicht nur Eis im Sommer gab, sondern das für uns Kinder auch die Quelle kleiner Süßigkeiten war (viel gab es den 1950er-Jahren allerdings nicht).

Das Cafe Zinsler (heute Raiffeisen) war dagegen nichts für Kinder, wohl ein Treffpunkt tags für die Damen, abends eher für die Herren. Mein Vater (Baumeister) ging regelmäßig dorthin zum Billardspiel mit einem Spenglermeister und einem Gerber- und Färbermeister aus der Amalienstraße.

Viele der im Buch zitierten Namensträger (wohl eher die Nachfahren) z.B. Schuldmayer, Glasauer, Stach etc. habe ich als Kind gekannt, und ich hatte die strenge Auflage, höflich zu grüßen. Es war kein Dorf mehr, aber eine überschaubare Welt, in der man einander zumindest vom Sehen kannte und wusste, „wer wer war“.

Selbst Originale wie im Buch beschrieben gab es. Z.B. die „Kirchenmarie“ mit ewig gleichen Topfhut und weiten Röcken. Ihr wächsernes Gesicht und die nur halb geöffneten Augen waren mir als Kind unheimlich. Wie der Name sagt, war sie zu jeder Tageszeit in der und um die Kirche anzutreffen.

Von den Gebäuden bleiben mir in erster Linie die Kirche, die damals noch einen zusätzlichen hölzernen, gedeckten Aufgang hatte, die Volksschule und das daneben liegende Feuerwehrdepot in Erinnerung. Beeindruckend war auch der 158er im Pendelverkehr mit den alten Garnituren, der aber bald vom profanen Bus abgelöst wurde.

Berührt hat mich das auf Seite 59 wiedergegebene Aquarell des Hauses Firmiangasse 1. Es stammt von meinem Mittelschulprofessor Domiczek. Ich habe das Haus genauso in Erinnerung und verbinde damit die aufgeschnappte Erzählung, dass an der Wand eines Raumes noch ein eiserner Ring aus der Zeit als Gemeindekotter befestigt war. Neben dem Haus war damals noch ein äußerst enger Durchgang – die Mesnerstiege.

Es tauchen noch viele Bilder aus meinem Gedächtnis auf, die an die im Buch beschriebene Zeit erinnern. Die Werkstatt des Schusters (das Haus steht gottlob noch), die beiden Bauernhöfe in der Glasauergasse und der Vitusgasse), die Gstätt‘n neben dem Streckerpark, das Auhofkino, … aber genug.

Obwohl ich nun schon einige Jahrzehnte in einem anderen Bezirk wohne, kommen „Heimatgefühle“ nur für Ober St. Veit auf. Meine jährliche „Wallfahrt“ zeigt mir allerdings, dass nur wenig aus meiner Kindheit erhalten geblieben ist.

Gebhard Klötzl danke ich für Erweckung verschollener Erinnerungen durch seine Publikation über das alte Ober St. Veit und empfehle es auch Neu-Ober St. Veitern.

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Mag. Franz Stabler
im Juli 2016