Die Hofwagenfabrik J. Rohrbacher
Der seinerzeit zweitgrößte Dienstgeber des Ortes in der Hietzinger Hauptstraße 119. Die Produktion wurde 1969 eingestellt.
03.12.2015
Chronologie und Beschreibung
Die Familie Rohrbacher stammt aus dem deutschen Böhmerwald. Der älteste urkundlich bezeugte Rohrbacher – Adalbert Rohrbacher – betrieb mit seiner Ehefrau Eva eine Bauernwirtschaft in Hammern bei Eisenstein (Prachiner Kreis).
1815
wird der erste geregelte Linienverkehr mit Stellwagen in Wien aufgenommen.
1817
Der spätere Firmengründer Josef Rohrbacher wird in Hammern geboren.
1825
nimmt die erste Stellwagenlinie vom Mehlmarkt (heute Neuer Markt) nach Hietzing ihren Betrieb auf. Fahrdauer: 1,5 bis 2 Stunden.
1832
kommt Josef Rorbacher nach Wien-Döbling, um dort das Wagnergewerbe zu erlernen. Nachher arbeitet er als Geselle bei der Hofwagenfabrik J. Lohner. Er will sich selbstständig machen und in die Familie eines Wagners einheiraten. Mit Konrad und Katharina Rainer und deren Tochter Marie in der damaligen Bauernzeile, Haus Konskriptionsnummer 93 (später Rudolfsgasse 11, heute Glasauergasse 15) findet er diese Familie.
1844
Josef Rohrbacher heiratet Marie Rainer und übernimmt Haus und Betrieb von dem Witwer Konrad Rainer. Er vergrößert den Betrieb um eine eigene Schmiede und nimmt den Bau von Stellwägen in Angriff. Die Produktion ist auf Anhieb erfolgreich. Für neuartige Wägen mit einem sechssitzigen und einem davon abgeschlossenen viersitzigen Raucherabteil erhält er sogar ein Patent.
1845
wird die Tochter Caroline Rohrbacher geboren.
1852
Das florierende Geschäft macht eine umfassende Vergrößerung notwendig. Josef Rohrbacher kauft daher einen ca. 4½ Joch großen Grund in der Maria-Theresien-Straße 36 (heute Hietzinger Hauptstraße 119) um 4.000 Gulden. Das Geld wird ihm von seinem Bruder Georg, Brauereibesitzer in Pest, vorgestreckt. Die neue Anlage mit Wohn- und Fabriksgebäude, Garten etc. wird großzügig geplant, allerdings bedarf es des entschiedenen Verlangens des damaligen Bezirksamtes Hietzing, dass die Gebäude feuersicher gedeckt werden. Als Erstes werden das Haupt- bzw. Wohnhaus an der Maria Theresien-Straße und die beiden Seitenflügel gebaut. Eine nicht ganz eingehaltene Baulinie führte zu einem langwierigen Prozess gegen den bauausführenden Baumeister Anton Trillsam (vertreten durch den Wiener Bürgermeister Dr. Anton Zelinka), den Rohrbacher nach 13 Jahren verliert.
1853
Gleich nach der Fertigstellung vernichtet ein Brand die Böden und die Dachstühle der Seitenflügel. Die Ausbesserung des abgebrannten Teiles sowie im Laufe der folgenden Jahre die Verbauung des zweiten Hofes werden schrittweise von Baumeister Josef Kopf ausgeführt.
Die Fabrik entwickelt sich rasch zu einer der größten ihrer Art in Wien. Mit der Erzeugung von Stellwagen wird fast eine Monopolstellung erreicht. Unter anderem kommt ein eigener 10-sitziger Pferdeomibus mit getrennten Raucher- und Nichtrauchercoupés zu hoher Beliebtheit.
1863
stirbt Josefs Gattin Marie. Die Ehe war mit 11 Kinder gesegnet, von denen aber 5 noch im Säuglingsalter starben. Die knapp 18 Jahre alte Tochter Caroline Rohrbacher tritt gleich nach dem Tod der Mutter in das Geschäft ein und führt bis zu ihrem freiwilligen Rücktritt die Bücher. Die Mutterstelle gegenüber den jüngeren Kindern übernimmt Josef Rohrbachers Schwester, die „Großtante“ Elisabeth Rohrbacher, geb. am 14. Jänner 1821 in Hammer/Böhmen.
1865
wird die erste Wiener Pferdebahn zwischen Schottenring und Hernals eröffnet.
Um den Kunden die Finanzierung der Fahrzeuge zu erleichtern, wird im gleichen Jahr die „Erste Wiener Omnibusgesellschaft“ als Kommanditgesellschaft mit Josef Rohrbacher als einen der haftenden Gesellschafter gegründet. Für die Umwandlung in eine Aktiengesellschaft kann trotz potenter Interessenten wie Prinz Rohan und dem Bankhaus Schiller und Lustig das notwendige Aktienkapital nicht aufgebracht werden.
Die Gesamtfinanzierungssumme steigt auf 200.000 Gulden, die Schuldner und anderen Gesellschafter – alles Kunden von Josef Rohrbacher – werden zahlungsunfähig, und bald können die Schwierigkeiten nicht mehr verborgen werden. Die Gläubiger wenden sich an Josef Rohrbacher als einzigen kapitalkräftigen Gesellschafter, und der kann dem Konkurs nur entgehen, indem er die aufgrund des verlorenen Prozesses fällige Bauschuld an Trillsam nicht begleicht. Dieser kennt aber kein Erbarmen und erwirkt die Lizitation (Versteigerung) der Fabrik. Wieder ist es Geld seines Bruders Georg, mit dem Josef Rohrbacher die Fabrik für seine Kinder ersteigern kann.
1866
Die Geschäfte gehen wegen des Krieges mit Preußen sehr schlecht. Außerdem lagern die an Österreichs Seite gegen Preußen kämpfenden Sachsen nach der Schlacht bei Königgrätz vom 3.7.1866 auch in Ober St. Veit und sind teilweise in der Fabrik einquartiert. Zur Erinnerung wird die zur Fabrik führende Gasse bis 1894 Sachsengasse genannt; heute heißt sie Testarellogasse.
1870
Die Beeinträchtigung der Geschäfte durch die politischen Ereignisse hält bis zum deutsch-französischen Krieg 1870/71 an. Der folgende Aufschwung wird vor allem von ärarischen Aufträgen getragen.
1873
ist die Fabrik wieder stark genug, um sich an der Wiener Weltausstellung in der neu errichteten Rotunde in voller Konkurrenzfähigkeit zeigen. Im selben Jahr wird wegen der großen Entfernung der Fabrik zum Stadtzentrum eine „Niederlage“ am Opernring 6 eröffnet. Dieser Niederlage wird vor allem der Verkauf von Luxuswagen zugewiesen.
1874
Julius Rohrbacher schließt sein Studium an der Technischen Hochschule Wien (Dipl.-Ing. Maschinenbau) ab und tritt in das väterliche Unternehmen ein.
1881
Am 21. Juli langt ein Dampfkessel ein. Er wird von sechs Pferden gezogen.
1883
Die unermüdliche Arbeit im Geschäft, der vorzeitige Tod der Ehefrau, die große Familie, der vielfache Ärger im Beruf und in der Öffentlichkeit zehren frühzeitig die Kräfte des „k. k. priv. Wagenfabrikanten“ Josef Rohrbacher auf und er stirbt am 23. Dezember im 67. Lebensjahr an „Erschöpfung und Herzerweiterung“. Seither führen drei seiner Kinder die Firma „J. Rohrbacher“ als Offene Handelsgesellschaft. Das sind Dipl.-Ing. Julius Rohrbacher, Karl Rohrbacher und Caroline Rohrbacher.
1884
Am 1. Oktober werden die Wiener Postpaketwagen eingeführt. Im selben Jahr wird dem Unternehmen der Hoftitel „k. u. k. Hofwagenfabrik J. Rohrbacher“ verliehen.
1886
Ab 1. Februar wird zur Federn- und Achsenherstellung mit zwei Dampfhämmern geschmiedet.
Die Aufwärtsbewegung der Fabrik und die zeitgemäßen Modernisierungen des Fabrikbetriebes vollziehen sich nach durchaus soliden Grundsätzen. Sie geschehen niemals überstürzt, immer nur nach Maßgabe der eigenen Kräfte. Es ist geradezu Geschäftsprinzip, keine fremden, vor allem aber keine Bank-Kredite in Anspruch zu nehmen. Dieser Grundsatz sichert dem Unternehmen ein hohes Ansehen. Allerdings stellt die Aufrechterhaltung dieses Prinzips besonders in der Nachkriegszeit die Geschäftsführung vor schwere Probleme, die nur unter Aufbietung aller Kräfte bezwungen werden können.
1887
Die Dampftramway fährt von der Kaiser-Franz-Josef-Brücke (später Hietzinger Brücke, nachher Kennedy-Brücke) nach Ober St. Veit.
1893
erfolgt der erste Spatenstich zum Bau der Stadtbahn bei der Annagasse in Hernals.
1894
wird die bisherige Kreuzstraße in Rohrbacherstraße umbenannt.
1895
Über das Gebiet der österreichisch-ungarischen Monarchie hinaus werden auch viele andere Länder beliefert, z. B. Rumänien, Russland, Ägypten, Persien, Nordamerika, Australien und sogar Java. Auf Grund von Empfehlungen einflussreicher Kunden wird die Filialfabrik „Erste bulgarische Wagenfabrik J. Rohrbacher“ in der bulgarischen Hauptstadt Sofia errichtet. Anfangs entspricht sie den Erwartungen, wegen der unsicheren Verhältnisse wird sie aber rasch wieder aufgelassen.
1897
nimmt die erste elektrisch betriebene Linie der städtischen Straßenbahnen ihren Dienst auf.
1898
tritt Ing. Richard Krasser (Enkel des Firmengründers Josef Rohrbacher) als Maschinenbauingenieur in das Unternehmen ein. Im selben Jahr wird die erste Stadtbahnlinie eröffnet.
1899
nimmt die untere Wientallinie der Stadtbahn den Verkehr auf.
1900
Die Erzeugung von „Equipagen“ tritt immer mehr zugunsten von öffentlichen und ärarischen Aufträgen (Post- und Feldbahnwagen, Omnibus, Möbelwagen, Geschäftswagen aller Art (besonders für die Wiener Molkerei), elektrische Straßenbahnwagen der Neuen Wiener Tramway, Elektrische Bahn Gmunden, Wiener Straßenbahn u. a. m.) in den Hintergrund. Der Verkaufs- und Schauraum wird vom Opernring 6 anfangs des neuen Jahrhunderts in die Praterstraße 53 verlegt.
1902
beginnt der elektrische Betrieb auf der letzten Pferdebahnlinie der ehemaligen Wiener Tramway-Gesellschaft. Das Straßenbahnnetz der neuen Wiener Tramwaygesellschaft wird „verstadtlicht“.
1904
übergibt Caroline Rohrbacher ihre Anteile an ihren Neffen Ing. Richard Krasser und scheidet nach 41-jähriger Tätigkeit aus dem Unternehmen aus.
1906
beginnt die Geschäftsverbindung mit der neu gegründeten „Kraftfahrzeug Gesellschaft m.b.H.“, der späteren „Österreichischen Saurer-Werke AG“. Dadurch ergeben sich Ergänzungen in der Fertigung von Lastkraftwagen.
1908
wird Ing. Richard Krasser der Titel „k. u. k. Hoflieferant“ verliehen.
1911
folgt Dipl.-Ing. Josef Rohrbacher jun. seinem Vater Dipl.-Ing. Julius Rohrbacher. Der Mitgesellschafter Karl Rohrbacher wird ausgezahlt.
1914–1918
Schon vor dem Ausbruch des 1. Weltkrieges wird die Firma mit umfangreichen Heeresaufträgen (Feldbahnen und Fuhrwerke aller Art etc.) bedacht. Der Auftragsstand besteht fast nur aus Kriegslieferungen.
1919
Nach dem Krieg erleidet das Unternehmen schwere Rückschläge.
1920
wird die J. Rohrbacher OHG in eine Ges.m.b.H. umgewandelt.
1934
Die Weltwirtschaftskrise erfasst das Unternehmen. Die beiden Gesellschafter Dipl.-Ing. Josef Rohrbacher jun. und Ing. Richard Krasser treten ihre Anteile an die „Österreichischen Saurer-Werke“ ab. Die J. Rohrbacher Ges.m.b.H. wird im Konzernverband mit Kommerzialrat Ing. Richard Krasser als Geschäftsführer weitergeführt. Die Liegenschaft bleibt noch über 20 Jahre im Eigentum der Familie.
1939–1945
wird vor allem für die Rüstungsindustrie produziert, u. a. verschiedene Aufbauten für Lastkraftwagen der Saurer Werke. Das Unternehmen hat 500 Mitarbeiter.
1951
stirbt KR Ing. Richard Krasser im 77. Lebensjahr.
1960
verkaufen die Eigentümer die Liegenschaft.
1969
wird die Produktion endgültig eingestellt.
1976
werden Fabrik- und Wohngebäude abgebrochen.
1977–1979
errichtet BASF-Österreich seinen Firmensitz an der Adresse Hietzinger Hauptstraße 119.
1986
Mit der Errichtung von Eigentumswohnungen und dem Pensionistenwohnheim Trazerberg in der Schrutkagasse 63 ist das ehemalige Fabriksareal vollständig neu verbaut.
Eine Unternehmensbeschreibung aus der Geschichte der Familie Rohrbacher
Im ersten Hof befanden sich das „Comptoir“, Materiallager, Zeichenstube, Tischlerei, Sattlerei, Plattiererei und der Pferdestall. Im Quertrakt befand sich die Lackiererei und die Spenglerei. Im zweiten Hof waren die Maschinenhalle, Schmiede, Maschinenhaus mit Dampfkessel und dem 30 m hohen Rauchfang. In dem später rechtsseitig angelegten dritten Hof waren eine große Waggonhalle und der Holzlagerplatz.
Die Fabrik wurde in den Gründungsjahren ganz patriarchalisch geführt: Die Arbeiter – die „Gesellen“ wie man sie damals nannte – wohnten in den ersten zwanzig Jahren in den Dachzimmern des rechten Seitentraktes und bekamen auch in der Fabrik das Mittagessen, das in der großen Küche des ersten Stockes (der späteren Küche der Wohnung von Caroline und Mathilde Rohrbacher) gekocht wurde. Die Küche besorgten der Reihe nach Marie Rohrbacher, die Frau von Josef Rohrbacher, Elisabeth Rohrbacher (die „Großtante“) und Emilie und Mathilde Rohrbacher (zwei der Töchter des Josef Rohrbacher).
Im Parterre – auf der linken Seite des Hofes war ein eigener Vorbau – befand sich eine „Schank“ als eine Art Greißlerei, in der die Arbeiter Bier, Wein, Würsteln, Butter, Käse und Brot gegen ein eigenes Fabrikgeld, das jeden Samstag bei der Lohnauszahlung in Abzug gebracht wurde, bekommen konnten. Diese Schank wurde von Mathilde Rohrbacher betrieben.
Das Sammeln von Wertmarken aus der Monarchie, die u.a. für Firmenkantinen, Gasthäuser und zu Werbezwecken massenweise geprägt wurden, ist ein eher vernachlässigtes Randgebiet der Numismatik. Sammlern wie Erich Heisler verdanken wir den aktuellen Einblick. In seinem online abrufbaren Katalog beschreibt er auf Seite 27 (Nummer 7) die bekannten Rohrbacher Wertmarken und die dazu auffindbaren Katalog-Beschreibungen.
In dieser christlich-patriarchalischen Atmosphäre entstand ein Brauch, wie er sich in der Geschichte der Wiener Industrieunternehmen kein zweites Mal vorfinden dürfte: Die korporative Teilnahme der Arbeiter an der jährlichen Fronleichnamsprozession in Ober St. Veit. Die erste Anregung dazu ging von Mathilde Rohrbacher aus, die durch die Führung der Fabrikschank mit den Arbeitern ständigen Kontakt hatte. Sie streckte einzelnen Arbeitern Geld zum Ankauf eines schwarzen Anzuges vor und brachte es schließlich dahin, dass die Arbeiter korporativ an der Fronleichnamsprozession teilnahmen. Josef Rohrbacher stiftete eine dunkelrote „Gesellenfahne“ mit den Bildern der Namenspatrone (hl. Josef und hl. Maria), die bei jedem korporativen Ausrücken (also auch bei Leichenbegängnissen) mitgetragen wurde. Der Brauch der gemeinsamen Teilnahme am Fronleichnamsumzug hielt sich bis zum Jahr 1916.
Eine Unternehmensbeschreibung aus dem Heimatbuch des 13. Bezirkes, 2. Band 1932
Zur holzverarbeitenden Industrie zählt wohl nur zum Teil die Wagenfabrik J. Rohrbacher, Hietzinger Hauptstraße 113. Alle Arten von Straßenfahrzeugen, sowohl für Pferde- wie auch für Automobilbetrieb, Waggons für Straßen- und Kleinbahnen gehen aus dieser Fabrik hervor. Der Rohbau der Wagen ist Wagner- und Tischlerarbeit, zu der gut ausgetrocknetes Holz verwendet wird. Es wird beschlagen oder mit Blech verkleidet, wobei Schmiede, Schlosser und Spengler in Tätigkeit treten. Der Unterbau mit seinen Achsen, Federn und Rädern erfordert Dreher, Radmacher, Schmiede und Federnschlosser. Die Ausstattung des Wageninneren ist Tapezier- und Sattlerarbeit, zur Fertigstellung kommen noch Lackierung und Plattierung (für blanke Metallteile) hinzu. Die Professionisten müssen eine dreijährige Lehrzeit durchmachen, ehe sie zu einfachen Arbeiten herangezogen werden. Für die komplizierteren Arbeiten ist eine längere Praxis notwendig. Die Wiener Wagenbauindustrie hat sich seit etwa 100 Jahren einen guten Ruf, auch im Ausland, erworben. Vorzüge ihrer Erzeugnisse sind Leichtigkeit, Eleganz der Form und eigenartiger Geschmack in der Ausführung.