Die Lieder über den Wienfluss

Sie stammen aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.
02.10.2014

Es gibt nur wenige Lieder, die den Wienfluss besingen, und keines, das ihn so uneingeschränkt verherrlicht, wie andere Lieder die Donau.

Ich fand nur ein Beispiel, das den Wienfluss wenigstens in den ersten beiden Strophen positiv besingt: "Der Wienfluss der ist meine einzige Freud‘!" Ein Couplet aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, mit Text und Musik von A. Randl, gesungen von der Soubrette Clotilde Kowala. Hier die ersten beiden Strophen:

Die Donau die wurde in Versen bedacht,
Der Strauss hat darüber an Walzer gemacht,
Die Donau die Blaue so heisst‘s im Gedicht,
A schöneres Wasserl das giebt‘s amal nicht,
Doch ich hab‘ a ganz and‘re Meinung davon,
Die Wien ist mir lieber seit langer Zeit schon,
D‘rum sagt‘ ich es immer und sag‘ es noch heut‘,
I: Der Wienfluss der ist meine einzige Freud‘! :I
 
Wie ich hab‘ die Schul g‘stürzt als ganz kleiner Knab‘,
Ging ich schon voll Freuden im Wienfluss hinab,
Da hätten‘s mich einmal nur schleifen seh‘n soll‘n,
Denkt hab‘ ich mir, d‘Schul soll der Teufel halt hol‘n.–
Im Sommer hab‘ ich mich bei‘m Wienfluss erfrischt,
Dort hab‘ ich tagtäglich zehn Stunden lang g‘fischt,
D‘rum sag‘ ich es immer und sag‘ es noch heut,
I: Der Wienfluss der ist meine einzige Freud! :I

Die folgenden Strophen, in denen sehr ironisch auf den Duft und die Wasserqualität eingangen wird, können nicht mehr als Loblied bezeichnet werden:

Und unlängst war's Wiedner Theater beend't,
Da bin ich in Eile nach Hause g'schwidt g`rennt. –
Da fragt' mich ein Fremder ich kenn' mich nicht aus,
Wie kommt man denn da in d'Leopoldstadt hinaus?
Sie gehn's nur dem G'ruch nach so kommen's schon hin,
Den richtigen Weg finden's nur durch die Wien,
D'rum sagt' ich es immer und sag' es noch heut,
I: Am Wienfluss da hab'n selbst die Fremden ihr Freud.– :I
 
Die Quellen der Donau, die sind längst bekannt,
Die Donau entspringt ob'n im Eschingenland,
Die Quellen der Wien zu ergründen ist schwer,
Sie kommen von sehr vielen Seiten daher.
A jedes Haus liefert a bisserl dazu,
Von alle Stöck' fliessen's in d'Wien ohne Ruh,
Die Wien hat stets Wasser uije des is g'scheit,
I: D'rum ist auch der Wienfluss mei anzige Freud! :I
 
Die Hochquellenleitung geht gar so oft aus,
Mitunter da hab'n ma ka Wasser im Haus
Dann leiten's die Schwarza hinein s'is so Brauch,
Dafür krieg'n ma wieder den Typhus im Bauch.
Vielleicht leiten's gar noch den Wienfluss hinein,
Da hätt'n ma a Wasserl so klar und so rein.
A klein's Stamperl Wienfluss o Gott des wär g'scheit,
I: Dann hätten die Wiener am Wienfluss a Freud'. :I

Im Rahmen der Präsentation des Buches "Die Wien. Vom Kaiserbrünndl bis zur Donau" am 2. Oktober 2014 im Bezirksmuseum Hietzing kamen drei Strophen dieses Liedes nach über 100-jähriger Pause wieder zur Aufführung. Hier ist eine Tonaufnahme dieser Interpretation von Florian Kalny (Klavier, Gesang) und Sebastian Naber (Gitarre, Gesang):

<p><b>Der Wienfluss der ist meine einzige Freud'!</b></p><p>Die erste Seite des Notenblattes</p><p><i>&copy; Archiv 1133.at</i></p>

Im zweiten mir bekannten Lied mit dem Wienfluss als Hauptgegenstand, dem Walzerlied „Alter Wienfluss pfürt die Gott!" von Franz Scherer (Text  und Musik) und Josef Hornig (Text), wird der Wiefluss gar nicht wehmütig in sein steinernes Grab entlassen.

Mei goldenes Wien! O du herrliche Stadt!
Wie warst du einst einfach und schlicht,
Seit dem man aus dir eine Großstadt g'macht  hat,
kriegst due ganz ein anderes G'sicht.
Der Steffel, der Alte, der wird repariert,
Verbaut werd'n die Gärten, die grün';
Die Brücken, die einst über'n Wienflusss hab'n g'führt,
Verschwinden g'rad so wie die Wien.
I: Alter Wienfluss, leb' wohl! Pfürt di' Gott!
Von dir scheiden, das fallt uns nöt schwer;
Du bist jetzt schon aus der Mod',
Dei' Düfterl dös brauch' ma nöt mehr. :I
 
Wann i an die Jugendjahr z'ruck denken tua,
Mir is's grad a so als wia heut,
Wia ia mi' so lustig und heiter als Bua
Hab g'spielt an der Wien voller Freud.
Hab' Fischerln oft g'fangt und dann umpritschelt fest,
Und hab i mi' bad't in der Wien,
Da bin i beim H'raussteig'n viel schmutziger g'west,
Als wie i hinein g'stiegen bin.
I: Alter Wienfluss, leb' wohl! Pfürt di' Gott!
Von dir scheiden, das fallt uns nöt schwer;
Du bist jetzt schon aus der Mod',
Dei' Düfterl dös brauch' ma nöt mehr. :I
 
Verbaut wird jetzt alles, die Park reißen s' weg,
D' Elisabethbrucken, o mein!
Die is jetzt verschwunden, steht nimmer am Fleck,
Wo tun ihre Denkmäler sein?
Die san d'rinn im Rathaus gut aufg'hob'n jetzt word'n,
Der Starhemberg hat raisoniert,
Sagt: Neugierig bin i, was mit mir no' tuan,
Jetzt haben s' mit' derweil delogiert.
I: Alter Wienfluss, leb' wohl! Pfürt di' Gott!
Von dir scheiden, das fallt uns nöt schwer;
Du bist jetzt schon aus der Mod',
Dei' Düfterl dös brauch' ma nöt mehr. :I
 
Fahrt längst auf der Wien zwischen Bäume schön grün
Die Wientalbahn prächtig daher.
Das Wasserl, das bleibt uns beständig im Sinn,
Die Ausdünstung aber viel mehr
Die Gelsen, die z'widern, die san retiriert,
Um die, da is wirklich ka' Schad,
Und d'rinn in der Chronik ganz g'wiss dieses Liad:
Die Wien! einen Ehrenplatz hat.
I: Alter Wienfluss, leb' wohl! Pfürt di' Gott!
Di' deckt jetzt a steinernes Dach.
Du bist für uns Wiener jetzt tot,
Schlaf wohl und wiar nimmermehr wach. :I

Auch dieses Lied wurde von Florian Kalny (Klavier, Gesang) und Sebastian Naber (Gitarre, Gesang) als musikalische Begleitung der Buchpräsentation vom 2. Oktober 2014 gesungen, und zwar im ersten Teil zwei Originalstrophen und im zweiten Teil statt der Originalstrophen zwei neue Strophen:

<p><b>Alter Wienfluss, pfürt di' Gott</b></p><p>Die erste Seite des Notenblattes</p><p><i>&copy; Archiv 1133.at</i></p>

Das dritte in der Wienfluss-Präsentation von Kalny/Naber vorgetragenen Lied hat nicht den Wienfluss zum Gegenstand, sondern handelt von einer verloschenen Liebe, die im Stadtpark an einem "Bankerl an der Wien" begann.

Eine Handvoll weiterer Volkslieder aus dem 19. Jahrhundert, die durch die „Flugblätter" dokumentiert sind, nennt den Wienfluss nur in einzelnen Strophen und spielt dabei meist auf seine negativen Seiten wie seinen „Geruch“ an. Das Wienerlied des 20. Jahrhunderts übersieht den Fluss gänzlich.

hojos
im Oktober 2014