Wilhelm Steinhausen
Wilhelm August Theodor Steinhausen wurde am 2. Februar 1846 in Sorau (heute Żary im Westen Polens) als Sohn des Militärarztes August Steinhausen und dessen Ehefrau Henriette geboren. Ab dem 5. Lebensjahr lebte er in Berlin und besuchte die dortige und später die Karlsruher Akademie. Ein Stipendium ermöglichte ihm einen längeren Studienaufenthalt in Italien, nach der Rückkehr lebte er mehrere Jahre in München. Seit 1876 war er in Frankfurt am Main zuhause und wirkte dort unter anderem als Lehrer am Städelschen Kunstinstitut. 1911 erwarb er das Schloss Schöneck im Hunsrück und verbrachte dort einen größeren Teil des Jahres. Steinhausen starb am 5. Januar 1924 in Frankfurt am Main.
26.07.2014
Die Fresken Wilhelm Steinhausens im Faniteum gehören zum kulturellen Grundstock Ober St. Veits. Sie werden in den regionalen Schriften öfters erwähnt, aber nicht eingehender beschrieben. Auf Anregung von Univ. Doz. Dr. Herwig Swoboda, Vorstand der HNO-Abteilung im Krankenhaus Hietzing, soll dieser Mangel mit dem folgenden Beitrag behoben werden. Dr. Swoboda ist im Zuge der Beschäftigung mit der Gleichgewichtsdiagnostik und den Verdiensten des Physiologen Wilhelm Steinhausen jun. auf dessen Vater, den Maler Wilhelm Steinhausen sen. aufmerksam geworden.
Eine der bekanntesten Biografien über Wilhelm Steinhausen sen. wurde anlässlich dessen 75. Geburtstages von Dr. Oskar Beyer verfasst. Schon die damalige Zeit, es war das Jahr 1921, wurde vom Autor als „tropisch-bücherreich“ beschrieben und damit die Befürchtung verbunden, dass seine Biografie genauso wenig Beachtung finden wird, wie eben Steinhausen selbst. Nur ein kleiner Kreis frommer Menschen hatte sich bis dahin um Steinhausens Bilder gesammelt und den Künstler als zugehörig und engverwandt vereinnahmt. Darüber hinaus hatte der Name Steinhausen gar nichts Verführerisches, war nie in Mode gekommen und auch ohne Aussicht auf zukünftige Popularität. Diese damalige Einschätzung Beyers scheint sich bewahrheitet zu haben: Wer in Ober St. Veit, wo sich eines seiner größeren Werke befindet, kennt diesen Künstler? Beyer hielt den Kunstkritikern seiner Zeit, die Steinhausen nicht ernst nehmen wollten, blamable Unwissenheit vor und versuchte in seinem Buch eine Würdigung aller fassbaren Argumente für oder gegen den Künstler. Hier der Versuch eines Exzerptes.
Beschreibung
Steinhausen lebte als Fremdling unter seinen Zeitgenossen. Anfangserfolge konnten nicht über die eher bescheidenen Hoffnungen hinwegtäuschen, die seine Lehrer und Freunde aus der Studienzeit in ihn setzten. Und doch gab es immer einige, die ihn schätzen und sogar liebten. Dieser Kreis wuchs nur ganz langsam über die Lesergemeinde des Kunstwarts und des Christlichen Kunstblattes hinaus, und erst 1903 erschien ein erstes Buch über den Maler, allerdings mit wenig Erfolg. Drei Jahre später bewies das Gedenkbuch zum 60. Geburtstag eine gewisse Verehrung des im Schatten lebenden. Erst von da an richtete sich in Folge von Ausstellungen und Aufsätzen eine breitere Aufmerksamkeit auf ihn. Die Landschaften des „schwach erscheinenden, tatsächlich aber von großer instinktiver Sicherheit getragenen Wollens und Könnens“ des verspäteten Romantikers hatten ein bestimmtes Etwas, wonach alle Landschaftsmaler impressionistischer Herkunft trachteten. Steinhausen wiederfuhr alles, von freudiger Anerkennung bis zu verächtlicher Anfeindung, doch auch die erbitterten Ausbrüche mancher Widersacher belegen, dass er nicht als harmlose Natur einzuschätzen war. Verschwiegen zu werden, war aber trotzdem das typische Schicksal Steinhausens zu dieser Zeit.
Damals fand aber auch eine Revolution im Kunstbetrieb statt, die die Maßstäbe und Grundgesetze der Ästhetik änderte. Die Altvordern wurden mehr als Techniker und Artisten empfunden, und nicht mehr als schöpferische Künstler. Es war zu erwarten, dass die expressionistischen Tendenzen der scheuen und intimen Steinhausen-Malerei, die sich noch dazu der technischen Mittel des Impressionismus bediente, den Todesstoß versetzen. Doch Steinhausens Werk konnte sich behaupten. Das Verbindende mit der neuen Strömung war natürlich keineswegs im Ekstatisch-Erregten zu suchen, sondern in den sicher geformten und aus dem Inneren aufgeblühten Ausdruckswerten. Demnach hätten gerade die im Expressionismus gewachsenen neuen Wertmaßstäbe weg von Pinselfertigkeit und Naturnachahmung den Weg zum Verständnis Steinhausens geebnet.
Die damalige Unkenntnis der Werke Steinhausens kann aber auch mit der nahezu unüberwindlichen Scheu und Distanz des Künstlers zum öffentlichen Kunstbetrieb seiner Zeit, der zögerlichen Herausgabe seiner Werke, aber auch mit dem Umstand begründet werden, dass leicht zugängliche und mindere Routinearbeiten als seine Hauptarbeit gewertet wurden. Als innere Hauptursache für Steinhagens Einsamkeit wird von Beyer die „Entlegenheit seines psychologischen Typus“ genannt. Er war für kaum jemanden fassbar. Das Leben Steinhausens war ganz dem Innerlichen, dem Schauen hingegeben und verlief – von den frühen Erfahrungen, der Familiengeschichte und unzähligen Reisen vor allem in Deutschland abgesehen – nahezu ereignislos.
Was das konkrete Werk Steinhausens betrifft, so teilt es Beyer in eine Poesiewelt (im Sinne eines lyrischen Gefühlsgrades) und göttliche Welt (im mystisch-pantheistischen Sinne).
Steinhausens Leben wird von einer lyrischen Gefühlswelt bestimmt. Körperlich und intellektuell blieb Steinhausen hinter seinen Genossen und älteren Brüdern zurück, sein Blick war schon früh auf die idyllischen Werte des Daseins gerichtet. Der frühe Tod des Vaters als entscheidendes Ereignis stand in seltsamer Übereinstimmung mit der Gemütslage des Knaben, nämlich die Traurigkeit der Welt zu spüren. Die bedrückenden Lebensverhältnisse tun ihr Übriges. In Abkehr von der nüchternen und unbarmherzigen Gegenwart wandte er sich ins Innere und in die Welt der Romantiker (Novalis, Wackenroder, Tieck, Brentano und vor allem Hölderlin und Jean Paul). In seinen Bildern lassen sich bis ins Alter die Spuren des Malers Ludwig Richter erkennen. Gern stand er vor den Landschaftsbildern des damals noch unbeachteten Caspar David Friedrich. Steinhausens frühe Malerei und überhaupt die ganze poetische Stufe ist von dieser romantischen Grundlage beeinflusst. Er malt Märchenbilder, träumt von Ritter und Mönchsdarstellungen, macht Bibellesezeichen und Illustrationen in volkstümlichem, Ludwig-Richter-mäßigem Legendenstil. Diese Dinge, von denen sich nur wenige erhalten haben, sind als dürftige Anfänge zu werten. Doch in den Landschaftsbildern, die noch ohne Lehranleitung entstanden (in der Berliner Akademie war die Landschaftskunst noch keine eigene Disziplin) war bereits ein inniges und tiefes Naturgefühl mit Vorliebe zu Dämmeransichten zu erkennen. Sein intensives, fast abgeschlossenes Familienleben im Eigenheim am Rande Frankfurts hat naturgemäß auch zu innigen Familien- und besonders Kinderbildern geführt.
Die Anforderungen, die er aus den Augen dieser Kinder herauszulesen glaubte, beeinflussten seine breite christliche Malerei. Auch hier sind die Einschätzungen mannigfaltig; er wurde als „Pietist unter den Malern“ bezeichnet und auch als „letzter Nazarener“. Letzteres lässt Beyer allerding nur hinsichtlich der schlechteren Bilder Steinhausens gelten. Als seine größte Leistung unter den biblischen Darstellungen wird der von ihm geschaffene Christustypus genannt, der nicht mehr das aus einer blauen Jenseitigkeit entstammende Wunderwesen ist, sondern ein Menschensohn, der trotz seiner menschlichen Niedrigkeit und Verlassenheit innerlich göttlich leuchtet.
In diesen Bereich ordnet Beyer Bilder ein, denen eine über das Lyrische hinausführende Kunstvollkommenheit konzediert wird. Hinsichtlich seiner Entwicklung entspricht Steinhausen weder dem von Anfang an mit reichen Gaben gesegneten Genie, noch denjenigen, die sich aus bescheidenen Anfängen stetig weiterentwickeln. Steinhausen ist schwer einzuordnen, die Disposition zu höchster Vollkommenheit entsteht gewissermaßen unter der Oberfläche oder ist sogar von Anfang an in ihm, um in besonderen Momenten aus seiner fluktuierende Natur herauszukommen, wie eine Sonne aus Nebel und Finsternis. In diese Kategorie werden die einzigartigen Werke eingeordnet, die Steinhausens „Unsterblichkeit“ garantieren. Auf dieser in seltenen Momenten erreichten Stufe des Bewusstseins und der künstlerischen Äußerung gibt es keinen Raum mehr für lyrische, idyllische und pietistische Bilder, nur mehr reine Menschendarstellung und reine Naturdarstellung. Konkret sind das biblische Bilder und Landschaften wie früher, doch in der Empfindung herrlich erhöht und bereichert, eine im freiesten und lautersten Sinne religiöse Kunst, die ohne bestimmtem Bekenntnis Gemeinschaft stiftet. Beispiele sind das „Mahl zu Emmaus“ die „Erblindung des Paulus“, der „Sturm auf dem Meere“. Zum Vergleich der Darstellungskraft in diesen vollkommenen Schöpfungen muss schon Rembrandt bemüht werden. Verglichen mit der Menge der sonstigen biblischen Arbeiten Steinhausens sind es wenige, doch genug, um ein Buch zu füllen. Hier wird dann auch eine enge Verwandtschaft zu Caspar David Friedrich erkannt.
Es war übrigens in Ober St. Veit, wo Steinhausen, der vorher nur kleine Naturgedichte gemalt oder biblische Szenen in Landschaft gebettet hatte, Lanckoronskis Auftrag im Faniteum ausführte und ihm die reine, große, schweigende Natur erstmalig aufgegangen sein soll. Quasi über Nacht ist er in eine Ausdruckswelt hineingewachsen, die mit ihren Gipfeln in das „Absolute“ reicht. Zu den Waldgebieten, die ihn tiefer als alles andere befruchtet haben, zählt eben auch der Wienerwald. Beispiele dieser Schaffensstufe sind das „Waldtal“, die „Parkwiese“ und der „Sonnenuntergang“, vergeistigte Malerei, der auch die beste Reproduktion niemals ihre eigentliche „Seele“ zu geben vermag.
Exkurs zu den Wandmalereien Steinhausens
Man sollte meinen, dass die Monumentalkunst dem eher lyrischen Grundcharakter Steinhausens fremd ist, da sie eine hohe formale, lineare, dramatisch-aktivistische Begabung, ein Gefühl für elementare Farbenwerte, Flächengliederung und Architektur erfordert. Und doch ziehen sich Wandmalereien durch sein ganzes Werk hindurch, die Bergpredigt im ehemaligen Kaiser-Friedrich-Gymnasium in Frankfurt, die „Werke der Barmherzigkeit“ in Faniteum und die im Krieg zerstörten Bilder in der Lukaskriche sind die Hauptwerke.
Manche seiner Fresken werden als kompositorisch rein und lichtvoll gelöst eingeschätzt, in den Wiener Fresken wird hin und wieder sogar eine Verwandtschaft mit Puvis de Chavannes erkannt. Doch sind die Großdarstellungen zu wenig aus der Intuition geschöpft und sie haben die Gesetze ihrer Gestaltung nicht von der Wand und deren optischen und stilistischen Voraussetzungen erhalten, sondern sind in vergrößerter Weise von anderen Formaten übernommen worden. Beyer gibt zu, dass man die großfigurigen Bilder Steinhausens als „große, schweigende, schwebende Schattenhaftigkeiten auffassen muss, um ihnen nicht mehr schroff verneinend oder höhnisch gegenüberzustehen“. Auch bezeichnet er die seelische Intensität seiner Einzelbilder als viel zu groß, als dass man sie zyklisch aneinandergereiht ertragen könnte. Ein einziges Steinhausen-Bild über dem Altar eines einfachen Kirchenraumes vermag eher seine volle, wenn auch leise Wirkung zu entfalten.
Abbildungen
Beyer hat in seinem 1921 erschienenen Buch auch versucht, mit einer neuen Bildauswahl einen Eindruck vom Werk Steinhausens zu geben. Diese Auswahl ist nur beispielhaft, basiert aber auf dem vollständigen Lebenswerk Steinhausens, denn der Künstler hatte seine Arbeit im Jahr 1919 krankheitsbedingt beenden müssen. Gegliedert ist die Auswahl in die drei Hauptkreise Porträts, biblische Motive und Naturbilder. In letzterer sind auch Idyllen und Märchendarstellungen integriert, die eigentlich als eigene Gruppe zu sehen sind. Im Folgenden ein ganz kurzer Auszug daraus:
Die Porträts Steinhausens sind als mehr oder weniger intime Dokumente aufzufassen. Steinhausen konnte nur Menschen malen, deren seelisches Wesen er kannte, und das war vor allem seine Familie, engste Freunde und er selbst. Auftragsbilder blieben leer und maskenhaft.
Als Beispiel für diesen Bereich dient das Bild "An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen" aus der Reihe der großen Bergpredit-Kompositionen im heutigen Heinrich-von-Gagern-Gymnasium in Frankfurt am Main. Es war der den Arbeiten in Faniteum in Ober St. Veit folgende Großbildauftrag und schon deshalb vergleichenswert.
Steinhausen in Ober St. Veit
Der Kunstkenner Karl Graf Lanckoronski war offensichtlich schon damals von den Qualitäten Steinhausens überzeugt und beauftragte ihn mit der Verschönerung des Hauptkorridors neben der Sakristei des Faniteums. In den Jahren 1894 bis 1897 entstanden direkt an der Wand zur Sakristei das Monumentalfesko "Die Werke der Barmherzigkeit", daneben an der Stirnseite des Korridors "Der gute Hirt" und vis-a-vis im Stiegenhaus „Hl. Christophorus mit Jesuskind, im Hintergrund Klosterneuburg“ und „Ruhe auf der Flucht nach Ägypten“. Ob Lanckoronski mit dem Werk zufrieden war, ist nicht überliefert. Fest steht nur, dass der Auftrag nicht festgestellt wurde und statt dem 7. Werk der Barmherzigkeit (Tote bestatten) nur eine weiße Wand verblieb.
Die Bilder im Einzelnen
Der lange Wien-Aufenthalt hatte über die Auftragserfüllung hinaus auch eine entscheidende Bedeutung für die künstlerische Entwicklung Steinhausens. Erst seit diesem Zeitpunkt nehmen die Landschaften ohne menschliche Figuren einen breiten und entscheidenden Raum in seinem Schaffen ein. In der Einsiedelei, wo er wohnte, malte er die ersten seiner „Tagebuchblätter“, kleine Landschaftsstudien in Öl, die in flüssig-transparenter Malweise flüchtige Stimmungen, Lichterscheinungen und Wolkenbildungen festhalten.
Weitere Informationen über Wilhelm Steinhausen bieten
die Internetseite der Steinhausen-Stiftung
und Wikipedia.