Der Wiener Madrigalchor
Betrachtungen anlässlich des bald 55-jährigen Bestehens des Wiener Madrigalchors
10.09.1951
Damals, im Jahre 1951, gab es im Grunde genommen keinen Bedarf an einem zusätzlichen Chor in unserer Region. Alle Pfarren hatten ausgezeichnete Chöre unter kompetenter Leitung, und das galt insbesondere für die Pfarre Ober St. Veit. Aber vermutlich war genau das der fruchtbare Boden, auf dem mit jugendlicher Begeisterung Außergewöhnliches gedeihen konnte.
Jedenfalls gab es ab 10. September 1951 neben dem traditionellen Kirchenchor auch einen Ober St. Veiter Jugendchor. Der 18-jährige Xaver Meyer hatte ihn gegründet - ermutigt von Freunden und ausgestattet mit gehörigem musikalischen und pädagogischen Rüstzeug. Die Mitgliederzahl wuchs genauso wie die Anzahl und die Schwierigkeit der Chorlieder. Der Tenor konnte bald sehr hoch, und der Bass in der Person des Clemens Papak „abgrundtief“ geführt werden. Noch im Gründungsjahr brachte der Zusammenschluss mit dem Chor der Pfarrjugend Hietzing weiteren „stimmlichen“ Zuwachs für den fortan als „Chor der Katholischen Jugend von Ober St. Veit und Hietzing“ auftretenden Klangkörper.
„Wir wollen ja nicht hoch hinaus: Von Herzen wollen wir musizieren ...!“ Der zweite Teil dieser Feststellung in den Ober St. Veiter Pfarrnachrichten vom 1.12.1952 gilt gewiss bis heute, der erste aber keineswegs. Ein Sieg bei einem Wiener Wettsingen und eine erste Konzerttournee an den Attersee zeigten schon in der 2. Saison, dass hier ein respektabler Konzertchor heranwuchs. Und richtig: Auftritte im Wiener Konzerthaus, Aufnahmen im Österreichischen Rundfunk, weitere Siege bei Wettbewerben wie z. B. dem österreichischen Bundesjugendsingen in Salzburg und die erste Auslandstournee überzeugten eindrucksvoll. Kammersänger Anton Dermota, ebenfalls Ober St. Veiter, war der erste namhafte Künstler, der bei Konzerten des Chors mitwirkte. Das steigende Renommee führte bald zu einer langen Liste. Es folgten Konzert auf Konzert, Reise auf Reise und die Kritiker waren hingerissen. Trotz allen Ruhmes jedoch blieb Ober St. Veit die „Heimatkirche“ und war Schauplatz unzähliger Messen, Hochzeiten, Konzerte, „Rendezvous im Pfarrgarten“, Dreikönigssingen etc., die der Chor künstlerisch prägte.
Ein Bericht im Kleinen Volksblatt über ein Ereignis vom 20. Juli 1958 war aus Ober St. Veiter Sichtweise aus zweierlei Gründen bemerkenswert: Erstens wurde darin mit einer dem alten Chiavacci durchaus ebenbürtigen Feder die letzte Fahrt der Straßenbahnlinie 158 (die ja durch Busse ersetzt wurde) geschildert. Und zweitens wurde über einen Chor berichtet, der für die Stimmung bei dieser „schönen Leich“ sorgte. Es war „unser“ Chor, der zu diesem Zwecke bereits mit seinem neuen Namen genannt wurde: „Madrigalchor St. Veit“. Dieser Name entsprach dem damaligen musikalischen Schwerpunkt und wurde offensichtlich auch dem Alter der Musiker gerechter als der alte - schließlich waren sie dem „Mädchen- und Knabenalter“ längst entwachsen. 1964 wurde dann mit „Wiener Madrigalchor“ der endgültige Name gefunden.
In diesem frühen Moment im langen Leben des Wiener Madrigalchors möchte ich mit der Aufzählung der weiteren Etappen und Erfolge auf dem Wege zu seiner internationalen Geltung aufhören. Die Kirchen und Konzerthäuser in ganz Europa könnten Bände füllen. Ebenso das ständig wachsende Repertoire, mit dem der Chor seine Zuhörer für die musikalischen Welten von der Renaissance bis zur Moderne, mit Werken von Bach und Händel bis zu Orff und Schönberg begeistert. Lesen Sie darüber ausführlich und authentisch in der Chronik, die anlässlich der fünfzigjährigen Chorgeschichte im Jahre 2001 herausgegeben wurde. An dieser Stelle seien nur mehr ein paar Worte aus einer Kritik im Kurier vom 31. März 1961 zitiert, die vor allem dem Dirigenten Xaver Meyer galten: ... die Illusion der Vollendung beginnt; die Kritik verstummt. So die Matthäuspassion; so auch die Aufführung unter Xaver Meyer.“
Jawohl, ein paar Worte noch zu den maßgeblichen Personen: Xaver Meyer und Clemens Papak. Clemens Papak („whose commanding personality demands respect and loyalty from the choir members“ – englische Pressestimme vom 29. Juli 1955) leitete vom Beginn bis ins Jahr 1992 mit Geschick und unermüdlichem Einsatz die organisatorischen Belange des Ensembles.
Eine entscheidende Voraussetzung für den künstlerischen Aufstieg und Bestand eines Chors ist jedoch ein faszinierender Chorleiter. Der Gründer Professor Dr. Xaver Meyer repräsentierte diese Schlüsselperson von Beginn an eindrucksvoll, der Chor war Teil seiner selbst geworden. In der Welt des Flüchtigen und Vergänglichen bewahrte er ihn über mehr als ein halbes Jahrhundert als Hort der Sing- und Lebensqualität.
Mit dem Rückzug von Clemens Papak aus der organisatorischen Leitung, die von Ewald Königstein als organisatorischer und Maria Haschek als schriftführender Vorstand übernommen wurde, ist der erste Teil des Generationswechsels vollzogen.
Nachtrag: In zwei letzten Auftritten mit dem Wiener Madrigalchor am 9. und 18. Juni 2006 verabschiedete sich auch Dr. Xaver Meyer vom Ober St. Veiter Publikum. Ihm folgte Ricardo Luna als künstlerischer Leiter. Wenige Jahre später, im 20. März 2009, beendete der Wiener Madrigalchor seine künstlerische Arbeit. Ein Teil der Chormitglieder führt die Tradition des Klangkörpers als Neuer Madrigalchor fort.