Kriegsende in Ober St. Veit

Die ersten Tage nach Kriegsende in Ober St. Veit aus der Erinnerung von Johann Brennig jun.
08.04.1945

8. / 9. April 1945
Johann Brennig jun. ist aus dem Lazarett Greiseneckergasse mit Kamerad Stocklasek und einem Heimschläferschein einfach nach Hause gegangen. Es herrschte totales Chaos, in der Linzerstrasse tobten noch Kämpfe, die Rote Armee marschierte am 9. April über den Lainzer Tiergarten ein.

9. / 10. April 1945
Um dem totalen Chaos Herr zu werden gründete Johann Brennig jun. die Unterbezirksleitung Ober St. Veit der Österreichischen Freiheitsbewegung. Freiwillige Helfer konnte sich bei Vater Johann Brennig im Friseurgeschäft in der Tuersgasse 3 einschreiben. Ein altes Briefmarkenalbum musste dafür herhalten. Zu diesem Zeitpunkt gab es noch Kämpfe der SS in der Bossifabrik. Die Einschreibung erforderte zu diesem Zeitpunkt noch viel Mut, denn niemand konnte den weiteren Verlauf der Ereignisse vorhersehen. Manche ließen sich am nächsten Tag wieder streichen.

Initiator Brennig jun. und Hofer Josef (Sohn vom Feuerwehrfunker, wohnhaft im Feuerwehrhaus neben der Schule in der Hietzinger Hauptstraße) begannen mit der Organisation des Lebens nach dem Krieg. Freiwillige Helfer der 1. Stunde waren: Familie Josef, Franz und Leopold Mikuhs, Friessnecker, Robausch, Liebl, Cekada, Musil, Bleban, Binder Hans, Schreiner Hans, Pernhaupt, Linner, Grüneis, Ehepaar Koller (KZ), Krampf, Knoth, Schopper Oskar, Schwab Leopold, Duchacek, Stanzl Franz, Markes Karl, Kastler Toni, Fuchs Ludwig, Gradinger, Familie Gruber, Heindl, Klensky, Starka, Ehrenberger, Marchart J., Dirnberger. u. a.

Ab 10. April 1945
Brennig und Hofer ersuchten um Unterstützung durch Offiziere der Roten Armee und erhielten durch Major Axelrod (Chef der Propagandakompanie mit Sitz in der Winzerstraße) die Räumlichkeiten im Kloster in der Vitusgasse 7 (vormals Sitz der NSDAP) zugewiesen. Major Axelrod war Deutscher, emigrierte aber mit der Machtergreifung Hitlers nach Russland und brachte es dort zum russischen Major. Er war sehr sympathisch und hielt dem Führungskader der Freiheitsbewegung Vorträge, unter anderem über das Halten von Referaten. Abgehalten wurden diese in der Wohnung einer Frau Brenzan in der Tuersgasse 21. Mit anwesend war bei diesen Vorträgen ein Herr Otto Bieber, Sohn des Afrikaforschers. Er wohnte in der Auhofstraße 144 und lebte vom Handel mit Büroartikel und Schreibmaschinen. Der Sohn Otto Biebers und Enkel des Forschers war in Afrika geblieben.

Die Organisation kümmerte sich um

1) die Verteilung vorhandener Lebensmittel (durch Konsumleiter Musil), Milch für Kleinkinder etc.
3) die Einsammlung der Waffen, die Entschärfung von Bomben, die Bewachung von Molkereien etc. (Cekada Karl und Mitarbeiter). Die Waffen wurde Paketweise an die Russen übergeben. Diese handhabte dies relativ locker und gestattete der Freiheitsbewegung eine bewaffnete Abteilung. Hans Brennig z.B. hatte eine Pistole, die zum Wachdienst eingeteilten (Molkereien, Kühe etc.) trugen ein Gewehr.
4) Auch die Leichen mussten bestattet werden. Dazu wurde der vorhandene Splittergraben beim Streckerpark verwendet.
5) die Gesamtorganisation wurde von Johann Brennig jun (Sekretär) und Josef Mikuhs (Obmann) wahrgenommen.

Folgende Episoden sind Johann Brennig noch in Erinnerung:
In der Bäckerei Schwarz prügelten sich die nobelsten Frauen um das wenige Brot in den Stellagen.
Der Steiner Wirt in der Auhofstraße hortete die gesamte Kriegszeit über viel Wein. Als er flüchtete wurde der Vorrat geplündert, mit entsprechenden Folgen auch von den Russen.
Frau Hauser vom Milchgeschäft (eine Nationalsozialistin der ersten Stunde, sie hieß vor der Eindeutschung Houcar) versteckte ein Schwein. Es wurde beschlagnahmt und aufgeteilt.
Herr Kosternetz vom Lebensmittelgeschäft in der Tuersgasse 7 (es war das arisierte jüdische Geschäft Tichy) hortete ebenfalls Wein und Lebensmittel. Er fürchtete aber die Folgen einer Entdeckung durch die Russen und folgte daher – natürlich ungern – der Aufforderung von Mitarbeitern der Freiheitsbewegung, diese Aufzuteilen. Die Bevölkerung versammelte sich am Hintereingang und nahm die Waren zur Verteilung entgegen. Nachher wollte er Geld und drohte sich aus Verzweiflung umzubringen. Er wurde sicherheitshalber die ganze Nacht bewacht, erholte sich aber bald und machte später die besten Geschäfte mit den Russen. Als er gestorben war, grub man in seinem Familiengarten am Himmelhof eine Milchkanne aus, sie war voller Geld.

1. Mai 1945
Erstmals seit 1934 gab es wieder einen Aufmarsch mit roter Fahne bis nach Schönbrunn. Von Josef Hofer und anderen wurden in Ober St. Veit Ansprachen gehalten. Die Mitarbeiter der Freiheitsbewegung und russische Soldaten mussten während dieser Zeit die Kühe bewachen, damit die Milch nicht geplündert wurde. Es war anstrengend und wurde mit viel Wein erleichtert. Prost!!!

Einige mutige Ober St. Veiter der letzten Kriegstage sollen noch erwähnt werden:
Frau Auguste Glasauer versteckte in den letzten Kriegstagen desertierte Soldaten unter der Brückenwaage in ihrem Anwesen.
Frau Schopper aus der Glasauergasse verhinderte die von der SS vorgesehene Lagerung von Sprengmittel und Waffen im Rudolfshof und in der Eselsgrube.

Prominente NS-Mitglieder flüchteten in der letzten Minute über die Tiergartenmauer (Ortsgruppenleiter Lauer, vorher Lehrer sowie Frieshofsverwalter Jerabek). Weniger Prominente blieben hier, stellten sich der Verantwortung und bemühten sich die Trümmer des 1000-jährigen Reiches zu beseitigen. Beispielsweise halfen sie, Splitterbomben vor dem Glasauer-Anwesen auszugraben und das durch einen Bombenangriff der letzten Kriegstage zerstörte Dach der Bäckerei Schwarz zu reparieren.

Die Freiheitsbewegung wurde später aufgelöst und Parteien gegründet. Politische Widersprüche und Parteiengezänk hatten die Gemeinsamkeiten der ersten Stunde waren bald wieder zunichte gemacht.

Johann Brennig
im April 2005