Die Heinkel-Werke in der Angermayergsse 1
Ein Zeitzeugenbericht
1945
Die sogenannte Blum-Villa in der Angermayergasse 1 wurde 1941 von der Geheimen Staatspolizeistelle Wien beschlagnahmt und 1942 an Dr. Ernst Heinkel, den Gründer der Ernst-Heinkel-Flugzeugwerke, verkauft. Dieser ließ die Villa für seine Wohnzwecke adaptieren. In den unteren Geschoßen wurden Konstruktionsbüros etabliert. Laut Angabe von Zeitzeugen wurden diese technischen Räume nur deshalb eingerichtet, um dem Haus den Status eines kriegswichtigen Objektes zu verleihen. Damit konnte man den zu dieser Zeit üblichen Einquartierungen von nach Bombenangriffen obdachlosen Familien entgehen. Die in den Südhang gegrabenen alten Kelleranlagen wurden – entgegen manchen Darstellungen – niemals zur Herstellung von Flugzeugmotoren oder anderen Komponenten verwendet. Darin war ein solider Luftschutzbunker mit Zugängen vom Freien und direkt aus dem Haus eingerichtet.
Die Hauptstandorte für die Entwicklung der Heinkel-Jagdflugzeuge, die wegen der Bombardierung des Rostocker Werkes im April 1942 nach Wien verlegt wurden, waren die Konstruktionsabteilung in der Fichtegasse, die Betriebsstätten in der Schwechater Brauerei und in der Seegrotte (Hinterbrühl). Auf dem Flugplatz Schwechat-Heidfeld waren die Endmontage, das Einfliegen und die Erprobung der Mustermaschinen sowie mehrere Lager für Zwangsarbeiter angesiedelt.
Im Folgenden wird das Gedächtnisprotokoll einer Zeitzeugin wiedergegeben, die die letzten Kriegsmonate in der Angermayergasse 1 arbeitete:
"Nach der Matura im März 1943 wollte ich nicht zum Arbeitsdienst an die Ostfront, sondern in Wien bleiben. In der Mittelschule hatte jemand die Heinkel-Werke vorgestellt und ich bewarb mich dort. Auf der Suche nach dem Personalbüro in der Fichtegasse traf ich eine Deutsche, mit der ich ins Gespräch kam. Als sie erfuhr, dass ich mich bewerbe wollte, umarmte sie mich und nahm mich gleich bei der Hand. Ich sei ihr vom Himmel geschickt worden, denn sie brauchte dringend einen Ersatz für sich selbst. In der Hoffnung, ihren Verlobten zu finden, wollte sie unbedingt an die Ostfront. So kam ich zu einer Schreibtischarbeit in der Fahrwerksstatik in der Fichtegasse 11.
Dass wir einen Flughafen in Schwechat haben, ist Heinkel zu verdanken, er hatte ihn für seine Flugzeuge angelegt. Für seine Leute samt deren Familien, die er aus dem zerbombten Rostock mitbrachte, errichtete der neben dem Flugplatz die Heidfeldsiedlung. Sie wurde in Streifen mit Einfamilienhäusern darauf angelegt. Bei einer Rundfahrt durch den Flughafen werden heute die Reste dieser Siedlung gezeigt. Im Flughafen selbst war auch ein Gefangenenlager.
Einmal erlebte ich einen Alarm am Flughafen. Meine Aufgabe als technische Rechnerin war ja die Dimensionierung der Fahrwerkbeine und mein Chef gab mir die Erlaubnis, einmal in die 219 hineinzukriechen. So konnte ich mir die Knöpfe anschauen, die die von uns berechneten Beine betätigten. Als wir im Flugzeug saßen hatten wir das Pech eines Fliegeralarms, und als Gast durfte ich hinaus. Die anderen hatten irgendwelche Dienste, Feuerwache etc., die Gefangenen durften sowieso nicht hinaus. Ich bin aus dem Werk hinaus und in den Wald hineingelaufen. Da waren ein paar Soldaten neben mir und die fragte ich, was ich jetzt machen sollte. Ich sollte mich auf den Bauch legen und warten. Wir sahen zu – und das ist für einen jungen Menschen fürchterlich – wie Männer über die Werksmauer kletterten und in den Wald rannten. Aus Angst um ihr Leben weigerten sie sich, im Werk zu bleiben. Nachher wurden sie sicherlich drakonisch bestraft. Schrecklich war auch nach dem Angriff das Schreien der Menschen, die im Wald ihre Angehörigen suchten.
Durch dieses Erlebnis und eine Bauchoperation belastet, musste ich auch einen Luftangriff am Arbeitsplatz erleben. Der tiefe Luftschutzbunker in der Fichtegasse war uns unheimlich, wir haben daher den im Akademischen Gymnasium bevorzugt. Der ragte etwas über die Erde und war nicht so sicher wie die tieferen, aber er hatte ein Fenster auf die Straße und man fühlte sich nicht so eingeschlossen. Um das Neujahr 1944/45 fielen die Bomben auf den Schwarzenbergplatz und der ganze Boden bebte. Es war fürchterlich und ich wurde Besinnungslos. Als ich wieder zu mir kam, führte mich mein Chef nach Hause und verlegte dann meinen Arbeitsplatz aus Rücksicht auf meine Gesundheit in die Heinkel-Villa. Ich arbeitete im Portiergebäude neben der Einfahrt bei Prof. Schrenk von der theoretischen Aerodynamik. Dort wurden u. a. unbemannte Flugkörper entworfen. Ich hatte an einer Rechenmaschine Tabellen auszurechnen.
Gegen Ende des Krieges in der Karwoche 1945 evakuierte ein Sonderzug alle Heinkel-Beschäftigten zu den Jenbacher-Werken nach Tirol. Es sind nur die Österreicher dageblieben und zwei Deutsche, die vergessen wurden, weil sie im Krankenstand waren. Sie haben geheult, weil sie nicht mitgenommen wurden. Wir waren noch immer Angestellte der Heinkel-Werke und hatten die Aufgabe, alle Unterlagen zu verbrennen. Zu dritt kamen wir in der Früh, verbrannten Unterlagen und gingen am Nachmittag wieder nach Hause. In den Bunker zogen die alten Herren des Volkssturmes mit einem großen Radioapparat und notierten Codenummern. An Hand der Codenummern wussten sie den genauen Standort der Russen. Die Männer in Uniform hatten das fatale Problem, nicht zu wissen, wann sie die Uniform ausziehen und nach Hause laufen sollten. Hätten sie es zu früh getan, wären sie erwischt und erschossen worden. Das waren ja unvorstellbare Zustände. Aber wir hatten den Vormarsch der Russen – jetzt sind sie in Purkersdorf, jetzt sind sie in Hadersdorf etc. – am Plan genau verfolgt. Als Angestellte durften wir bei Alarm in den Bunker gehen. Der Bunker war an der Seite des Gebäudes, wie ein Stollen ging er in den Berg hinein. Als die Russen da waren, blieben wir natürlich zu Hause und versteckten uns.
Interessant ist auch, dass es Spionage gab. Wir bauten einen Langstreckenflieger, die HE 219, der genug Benzin mitnehmen sollte, um weite Strecken ohne Auftanken fliegen zu können. Mit Benzin auch in den Flügeln veränderte sich das Gewicht, und die Federn der Beine – zu der Zeit sprang ein Flugzeug bei der Landung – mussten das aushalten, auch bei Seitenwind etc. Das war schwer zu rechnen. Für den Test dieser Maschinen musste der Motor einer feldtauglichen Maschine ausgebaut werden, wir hatten ja keine Reservemotoren. Die Probeflüge fanden über der Lobau statt. In der Flurgasse wohnte ein solcher Pilot, der prompt herunterfiel, weil der Fallschirm nicht aufging. Er lag ein Jahr im Gips, ein junger Mann mit etwa 25 Jahren. Als er aus dem Gips heraus war, kam er uns besuchen. Er konnte es nicht mehr erwarten, wieder zu fliegen. Diese Leute hatten eine nicht verständliche Begeisterung. Das war die Vorgeschichte zur Funktion von Spionage. Die Flugmotoren bekamen wir aus Wiener Neustadt. Sie wurden per Lastwagen ins Werk herein geliefert. Die Fahrer mussten einen Passierschein mit Uhrzeit, Datum und Unterschrift ausfüllen. Der Fahrer fuhr zur rechten Zeit beim anderen Tor wieder hinaus, der Motor war aber verschwunden. Wir hatten einen Werksspionagedienst, von dem wir nicht wussten, wer dazugehört, und dieser befasste sich damit. Den Motor fanden sie aber nicht mehr. Er musste ruiniert oder unglaublich rasch zerlegt worden sein. Dem Chauffeur konnte man nichts nachweisen, er war ja zur richtigen Zeit herausgekommen. Solche Sachen hatten sich abgespielt.
Ich war zwischen 1943 und 1945 bei Heinkel, also immerhin 2 Jahre und da hatten wir schon gedruckte Listen, was uns alles an Material fehlte. Ursprünglich wollten wir mit Aluminium bauen. Jetzt wurden auf der technischen Hochschule mithilfe aus Frankreich zwangsevakuierter Techniker Flugzeughüllen aus Schichtholz gerechnet. Das waren neu angefangene Versuche und Berechnungen. Holz gab es ja genug, Aluminium aber nicht."