Von der frühesten Geschichte unseres Bezirkes
Von Erhard Dollinger
Dort, wo schriftliche Quellen noch schweigen, sind es die Bodenfunde, die Licht in das Dunkel der Vergangenheit bringen. Gerade die ältesten Zeugnisse der Geschichte unserer Heimatstadt Wien finden sich nach den derzeitigen Ergebnissen der Forschung (Anm.: Stand ca. 1975) nur in unserem Bezirk. Doch dies mag kein Zufall sein, denn die Gesteinsart, die der Mensch zur Herstellung seiner Werkzeuge benötigte, steht hier reichlich an.
Es ist wohl sehr reizvoll, die geistigen und körperlichen Fähigkeiten dieser Frühgeborenen der Menschheit aus ihren Hinterlassenschaften zu erfahren und zu beurteilen. – Schon in der Altsteinzeit lebten hier Jäger, die das Mammut, ein elefantenähnliches Tier der Eiszeit, jagten und die in einer harten und gefahrvollen Umwelt lebten. Um ihr gewachsen zu sein, mussten sie über Kraft, Mut und geistige Wendigkeit verfügen.
Die Altsteinzeit (bis ca. 10.000 v.Chr.)
Im Jahre 1969 stieß man bei Erdarbeiten in Lainz auf einen großen Knochen, der sich als Rest eines Mammutstoßzahnes erwies. In weiterer Folge kamen an der Fundstelle des Stoßzahnes auch Hornsteinsplitter zum Vorschein. Dies deutete auf eine Bearbeitung durch Menschenhand hin. Das war ein Alarmzeichen und die entsprechenden wissenschaftlichen Untersuchungen wurden eingeleitet.
Als man auch Steinwerkzeuge bergen konnte, ergab sich anhand der typologischen Eigenart dieser Geräte eine Möglichkeit zur Altersbestimmung. Man hatte eine Station der Mammutjäger entdeckt, die hier in Lainz vor rund 20.000 bis 25.000 Jahren hausten. Mit dieser Erkenntnis, die in unserem Bezirk erstmals für den Raum von Wien gewonnen wurde, gelang es nun, das erste sicher nachweisbare Erscheinen des Menschen in unserer Heimatstadt um ca. 15.000 Jahre früher anzusetzen.
Doch die Eiszeitgletscher gingen allmählich zurück und die tundrenartige, fast baumlose Landschaft bedeckte sich mit dichten Urwäldern. Das Klima wurde feuchter und wärmer. Man nennt diese Zeit die Mittelsteinzeit.
Mittelsteinzeit (ca. 10.000–6.000 v.Chr.)
Im Jahre 1958 gelang es dem Schreiber dieser Zeilen auf dem zur Wlassakgasse gelegenen Südhang zahlreiche Steingeräte aufzusammeln. Unter etlichen Klingen, Schabern und Pfeilspitzen befanden sich auch zwei querschneidige Pfeilspitzen, die für die Endphase der Mittelsteinzeit charakteristisch sind.
Der übrige Fundbestand weist, durch die Kleinheit der Werkzeuge bedingt, auf eine vor rund 8.000 Jahren übliche Verwendung hin. Funde aus dieser Zeit sind in unserer Heimat sehr selten, da damals die Bevölkerungszahl sehr gering war. Die Wirtschaftsform bestand hauptsächlich aus Jagd, Fischfang und dem Sammeln von Wurzeln und Kräutern. Für diese Zeit muss auch eine nomadisierende Wirtschaftsform angenommen werden. Ganz anders ist die Lebensweise in der Vollen Jungsteinzeit.
Volle Jungsteinzeit (ca. 6.000 bis 2.000 v.Chr.)
Jetzt wird der Mensch sesshaft, denn nun beginnen die frühesten Bauernkulturen in unserer Heimat. Es ist nicht mehr fast ausschließlich die Jagd, die den Menschen mit Fleisch versorgt, sondern man beginnt bereits mit der Zucht von Rindern, Ziegen und Schweinen. Auch der Hund tritt damals schon als Haustier auf. Doch die Hauptnahrungsmittel bilden bereits die Früchte des Feldes. Man hält an der heimischen Scholle fest, die man nur ungern verlassen möchte.
Daraus entwickelt sich erstmals ein Gefühl der Heimatzugehörigkeit. Die fruchtbare Mutter Erde spendet Nahrung. In dieser Zeit formt man auch weibliche Tonfiguren, die gebrannt werden. Diese Fruchtbarkeitsidole lassen Rückschlüsse auf die Geisteshaltung der Menschen zu. Das mütterliche Prinzip tritt in den Vordergrund. Die Frau betreut das Vieh und bereitet das Essen. Die Mahlzeiten, die früher am offenen Feuer zubereitet wurden, werden nun in großen Tongefäßen am Herd gekocht. Doch Geschirr ist zerbrechlich und bei der Neuherstellung werden immer wieder andere Gestaltungsideen und Verzierungsarten verwendet. So hat jede Zeitepoche auch die für sie charakteristische Keramik.
Unsere engere Heimat gehörte damals dem donauländischen Kulturkreis an. Nach der Keramik müssen wir
1. die ältere Gruppe – die linearkeramische Kultur
2. die jüngere Gruppe – die bemaltkeramische Kultur
unterscheiden. Zu der älteren Gruppe gehören die Fundstellen im Feldgarten von Schönbrunn und in der Wenzgasse. Dort wurden neben Stein Werkzeugen auch zahlreiche Keramikbruchstücke aufgefunden. In dieser Zeit finden sich auch bereits geschliffene Steinbeile.
Weitaus zahlreicher sind die Hinterlassenschaften der jüngeren Gruppe, die ihren Namen der Verzierungsart der Keramik durch Bemalung in verschiedenen Farben verdankt. Die Gesteinsvorkommen der Klippenzone dürften dazu geführt haben, sich mit der Gewinnung, Verarbeitung und dem Handel des hier anstehenden Hornsteines oder Radiolarit intensiv zu beschäftigen.
Dem Verfasser glückte es im Jahre 1958 auf dem Flohberg in Lainz einen Bergbaubetrieb mit aus dieser Zeit datierenden Keramik aufzufinden. Der 10 m hohe Hügel wird im Norden durch die Gobergasse, im Osten durch die Steinhardtgasse und im Süden und Westen durch die Jagdschloßgasse begrenzt.
Ebenfalls wurden aus dieser Zeit noch weitere Fundstellen im Hörndlwald, Lainzer Tiergarten, Winkelbreiten und Garten des Jesuitenkollegs vom Verfasser erstmals festgestellt. Darüber hinaus gibt es noch zahlreiche andere Fundgebiete in unserem Bezirk. Davon seien besonders der „Rote Berg“ und der „Küniglberg“ hervorgehoben. Die Menschen, die damals unseren Bezirk besiedelten, waren friedlich und arbeitsam. Nicht Waffen, sondern Werkzeuge des täglichen Gebrauches wurden hergestellt. Wesentlich verändert zeigt sich das Leben in der Späten Jungsteinzeit.
Späte Jungsteinzeit (2.000–1.800 v.Chr.)
Die Zeiten waren unruhiger geworden. Nicht mehr sind es die fruchtbaren Gebiete der Ebene, die früher bevorzugt wurden. Nun siedelte man sich auf Bergeshöhen an, die einen weiten Blick in das umgebende Land gestatteten.
Zwar wurden die Felder weiter bestellt, aber diese Bauernkrieger mussten ständig auf der Hut vor feindlichen Angriffen sein. Es war die Zeit der nordischen Wanderungen. Zahlreiche verschiedenartige Kulturströmungen brachten Unruhe und Bewegung in die einzelnen Stammesgruppen. Diese Kultureinflüsse fanden ihren Niederschlag im keramischen Fundmaterial. Aus der späten Jungsteinzeit sind in unserem Bezirk bisher nur zwei Fundstellen – Gemeindeberg (Seehöhe 320 m) und Nikolaiberg (Seehöhe 268 m) bekannt. Die zahlreichen Funde vom Gemeindeberg, die überwiegend auf nordische Kulturbeziehungen hinweisen, deuten auf eine sehr reiche Ansiedlung hin. Hier wurden neben großen Mengen von Steinklingen, Schabern, Steinbeilen, Pfeilspitzen und unterschiedlich verzierter Keramik auch zwei Kupferpfriemen aufgefunden. Weitaus geringer ist das Material vom Nikolaiberg, der vielleicht nur die Funktion eines Vorpostens am Talpass von Hacking ausübte. Hier konnte der Verfasser öfter Keramik und Steingeräte, allerdings nur in geringen Mengen, bergen. Vom Fuß des Nikolaiberges stammt auch eine Lochaxt aus Hornblende-Andesit. Sie dürfte aus dem ungarischen Raum hierher verhandelt worden sein. Handelsware kam damals schon aus fernen Gebieten, wie es auch bei den beiden erwähnten Kupferpfriemen der Fall war.
Und allmählich verliert auch das einst so begehrte Steinmaterial immer mehr an Bedeutung, denn es wird von einer Metalllegierung verdrängt, die einem ganzen Zeitabschnitt den Namen gab. Es beginnt die Bronzezeit.
Nun wird unser Bezirk mangels entsprechender Rohstoffvorkommen hauptsächlich Durchzugsgebiet vereinzelter Händler.
Naturgemäß sind auch die Funde zahlenmäßig gering; von der verlängerten Hummelgasse – Ecke Beckgasse stammt eine schöne Bronzelanzenspitze und aus dem Wienflussbett, mit der Fundortangabe „bei St. Veit“ eine Axt, ebenfalls aus Bronze; einige wenige Tonscherben vom Gemeindeberg. Etwas reichhaltiger sind die Funde der Eisenzeit.
Eisenzeit (800 v.Chr. bis 14 n.Chr.)
Zwischen Veitingergasse und Tolstojgasse wurden einige Gräber aus dieser Zeit aufgefunden, die Grabbeigaben (darunter ein Eisenschwert) enthielten. Am Osthang des Roten Berges wurden mit dem sogenannten Kammstrich verzierte Keramikbruchstücke aufgesammelt.
Einen wesentlichen Wandel auf kulturellem und wirtschaftlichem Gebiet brachte unserer Heimat die Römerzeit.
Römerzeit (14–395 (433) n. Chr.)
Die römische Wasserleitung führte von Atzgersdorf kommend, durch die Fasangartengasse und entlang des Küniglberghanges nach Hietzing. Dort dürfte sie den Wienfluss überquert haben. In weiterer Folge erreichte sie das Legionslager am Hohen Markt und die beim Aspangbahnhof gelegene Zivilstadt. Dort sicherte sie hinlänglich die Wasserversorgung.
Ein kleines römisches Dorf befand sich Ecke Veitingergasse/Roter-Berggasse. Dort stieß man auf Mauerreste und einen Ziegel mit dem Stempel der X. Legion. An Kleinfunden kamen Münzen, Keramikbruchstücke mit Tier- und Pflanzenornamenten, eine blaue Glasperle und ein Webgewicht aus Blei an das Tageslicht. Zum Dorf gehörte auch ein kleines Gräberfeld mit zwei Steinsarkophagen, einem Ziegelgrab und einer einfachen Erdbestattung. Es wurde Ecke Sauragasse/Gobergasse aufgedeckt. Auch Streufunde von Münzen und Keramik wurden in unserem Bezirk häufig gemacht.
Doch der Germanenstrom im Jahre 395 n. Chr. brachte den römischen Einrichtungen und damit auch unserem kleinen Dorf das Ende. Unser Bezirk versinkt in den nächsten 400 Jahren im Dunkel der Geschichtslosigkeit. Keine Funde berichten uns mehr darüber.
Aber plötzlich tritt eine Änderung ein. Aus den Steppen Innerasiens kommend, dringt ein Reitervolk auch in unser Gebiet vor. Es sind die Awaren.
Ihre Hinterlassenschaften im Gräberfeld von Unter St. Veit dürfte auf die Zeit gutnachbarlicher Beziehungen mit den Baiern unter Herzog Tassilo III. (757–788) zurückgehen.
Bei Erdarbeiten wurde zwischen der Station Unter St. Veit und der Veitingergasse entlang der Verbindungsbahn ein Gräberfeld freigelegt, das mindestens vier Reiterbestattungen und eine unbestimmte Zahl von Frauengräbern enthielt. Die dabei aufgefundenen Gefäße zeigten die typische awarische Ausprägung und waren zum Teil mit einem Wellenband verziert. Auch für diese Zeit charakteristische dreiflügelige Pfeilspitzen aus Eisen fanden sich. Als besonders wertvolles Objekt wurde ein mit Palmetten ornamentierter Peitschenknauf geborgen. Dieses Fundstück weist auf einen höhergestellten awarischen Reitführer hin. Dafür würden auch die reich vergoldeten Riemenzungen sprechen, die am Gürtelende befestigt wurden.
Auf die eingangs angedeuteten gutnachbarlichen Beziehungen der Awaren mit den Baiern dürfte auch das bisher einzige, östlich der Enns aufgefundene, frühbairische Grab in Zusammenhang zu bringen sein. Es wurde 1957 in der Spohrstraße, also im Raum des awarischen Gräberfeldes aufgedeckt.
In einem Abhängigkeitsverhältnis zu den Awaren standen die Slawen.
Sie erlangten erst nach Niederwerfung der Awaren durch Karl d. Großen eine gewisse Eigenständigkeit. Aus dieser slawischen Frühzeit besitzen wir in dem Ortsnamen Lainz ein sprachgeschichtlich wertvolles Denkmal. Der Ort wird 1352 „Luenz“ genannt. Diese Bezeichnung geht auf das altslovenische Wort „Lonko“ zurück. Die Übersetzung lautet „Moosbach“ oder noch treffender „Sumpfbach“. Darunter wird wohl der Lainzer Bach zu verstehen sein, der an den Sumpfwiesen von Wolkersbergen vorbeifloss.
Auf den slawischen Ursprung von Lainz könnte auch das Gräberfeld, vermutlich aus dem Ende des 8. Jhdts. stammend, hindeuten. Es wurde 1910 nahe der Veitingergasse in der Spohrstraße aufgedeckt. Die Bestattungen enthielten typische frühslawische Grabbeigaben. Das Gräberfeld dürfte noch aus der Zeit der awarischen Besetzung stammen. Doch auch die Slawen werden bald von den frühdeutschen Siedlern in unserer Heimat abgelöst. Es beginnt die Zeit der Babenberger.
Die Zeit der Babenberger (976–1246 n. Chr.)
Aus dieser Zeit gibt es nur wenige Bodenfunde. Einige braune Tonscherben, manchmal mit goldglänzendem Glimmer durchsetzt, gehören dem Ausgang des 11. oder Beginn des 12. Jhdts. an. Sie stammen vom oberen Ende der Münichreiterstraße und von der Gobergasse.
Dafür aber beginnen jetzt die schriftlichen Quellen immer reichlicher auszusagen und der ur- und frühgeschichtliche Teil unserer Geschichte findet sein Ende.