Der letzte traditionelle Hornkammmacher Österreichs
Thomas Petz arbeitet in der 5. Generation
29.04.2010
Zwischen den Häuserfluchten der Nobilegasse in Wien-Fünfhaus ist eine Oase versteckt. Von außen fast nicht zu sehen, hat sich hinter einem verwachsenen Zaun und einem blühenden Vorgarten ein kleines Gebäude erhalten. Noch älter als dieses Haus ist das darin ausgeübte Gewerbe: die Hornkammmacherei des Thomas Petz.
Der erste der Petz’schen Kammmachertradition, Tobias, wurde 1837 in der königlichen Freistadt Ödenburg von seinem Lehrmeister „frei und ledig" gesprochen. Wenige Jahre später zog er nach Wien und gründete hier nach langer Gesellentätigkeit im Jahr 1862 seinen eigenen Betrieb. Vor der Übersiedlung in die Nobilegasse war dieser in der Roten Fabrik (so genannt wegen der Ziegelfassade) in der Gablitzgasse in Ottakring gemeinsam mit Drechslern, Tischlern, Bürstenmachern, Stabziehern, Drehern etc. eingemietet. Die Kämme wurden damals händisch aus verschiedenen Materialien wie Holz, Horn, Schildpatt (Schildkrötenpanzer, heute verboten) hergestellt.
Es war die Witwe von Tobias’ Sohn Franz, die 1913 das Haus in der Nobilegasse 13 kaufte und den Betrieb dorthin übersiedelte. Schon während der Zeit ihres Sohnes Friedrich Petz, der den Betrieb ab 1923 in dritter Generation führte, verringerte sich die Zahl der Kammmacher deutlich: Das nach dem Ersten Weltkrieg verkleinerte Österreich hatte noch rd. 200 Kammmacher, nach dem Zweiten Weltkrieg waren es nur mehr 80.
1958 übernahm Friedrich Petz (II) den Betrieb in vierter Generation und führte ihn gemeinsam mit seiner Frau Eleonore fast ein halbes Jahrhundert lang. Er war der letzte Meister dieser Zunft, denn nachher wurde die Kammmacherei zum freien Gewerbe. In dieser Periode brachten die schon lange vorher wirksamen Veränderungen das Kammmachergewerbe endgültig zum Verschwinden. Die größte Gefahr für den Hornkammmacher war natürlich von der beginnenden industriellen Fertigung der Kämme ausgegangen. Die ersten Kunststoffe, die für Kämme verwendet wurden, waren Hartgummi und etwas später das Zelluloid. Zunächst blieb auch bei Verwendung dieser Materialien die Handarbeit im Vordergrund, doch hatte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auch die Industrie mit der Herstellung von Kämmen aus diesen Materialien begonnen. Weltweit zuerst auf diesem Gebiet wird die 1856 gegründete „Harburger Gummi-Kamm-Compagnie" genannt.
Für die Familie Petz wurde von diesen Neuerungen zuerst der in den 1930er-Jahren aufgekommene, handgefertigte Zelluloidkamm relevant. Ihm folgte der von Semperit produzierte Hartgummikamm mit der Marke „Matador". Er war der erste in unserer Region industriell gefertigte Kamm. Fatal für die konventionellen Kammmacher Österreichs wurde schließlich der importierte Spritzgusskamm.
Die Familie Petz reagierte jedoch und begann, über den Kamm – das bisherige fast ausschließliche Hauptprodukt – hinaus auch andere Accessoires wie Bürsten, Salatbestecke, Schuhlöffel etc. zu produzieren. Dies geschah vor allem in Zusammenarbeit mit dem Designer Arch. DI Carl Auböck. Durch diese Diversifizierung konnte der Bedrohung durch den Kunststoffkamm widerstanden werden. In den Glanzzeiten boten Friedrich und Eleonore Petz bis zu 200 Produkte an und beschäftigten 5 Mitarbeiter. Brillen wurden nie produziert, sie erfordern eine gänzlich andere Technik. Die Diversifizierung erlaubte auch die bessere Nutzung des in seiner Struktur sehr unterschiedlichen Horns. Der dünnere Bereich beim Hornansatz eignet sich gut für Steckkämme, der stärkere mittlere Bereich eignet sich für stärkere Platten, aus denen größere Salatbestecke, Schuhlöffeln etc. geschnitten werden können. Dickwandige, stark geschwungene Hörner sind anders aufzuschneiden und eignen sich am besten für Kämme. Ein großes Hornlager war immer notwendig, sowohl wegen des technischen Lagerungserfordernisses von 3–6 Monaten als auch zur prompten Erfüllbarkeit der variierenden Bestellungen. Verwendet wird übrigens Ochsenhorn, ein in der erforderlichen Qualität nur mehr in Entwicklungsländern erhältliches Nebenprodukt der Rinderzucht.
In den späten 1950er-Jahren ließ Friedrich Petz (II) einen Mechanikermeister auf Basis eigener Entwürfe eine Aufpressanlage für das Horn mit Luftdruck und Kettenantrieb und eine Horizontal-Fächerpresse anfertigen. Das Verschwinden der Hornplattenhersteller machte diese Investitionen auch zur Produktionssicherung notwendig. Beide Anlagen sind heute noch in Betrieb. Die Nachfrage erwies sich nach den guten Jahren zwar stet rückläufig, ließ das Geschäft aber lukrativ genug bleben.
Ab 1985 begann mit der Pensionierung von Friedrich Petz (II) die allmähliche Reduzierung auf den hobbymäßigen Betrieb. Im April 2007, als Friedrich Petz bereits 82 Jahre alt war, begann der neue Aufschwung: Der Enkel Thomas Petz hatte seine Liebe zum Hornkammmachergewerbe entdeckt und ließ sich die Arbeit von seinem Großvater zeigen. Am 1. September 2008 meldete Thomas Petz das freie Gewerbe bei der Bundesinnung der Bildhauer, Binder, Bürsten- und Pinselmacher, Drechsler, Korb und Möbelflechter sowie Spielzeughersteller an. Bald begann er mit der Herstellung von Schmuck aus Horn. Schmuckgegenstände wie Ketten, Armreifen etc. erzielen gute Preise und haben den Vorteil der besseren Materialausnutzung, auch benötigen sie weniger Produktionsstufen. Im Vordergrund bleibt aber das Traditionsprodukt Kamm. Nach dem Tod des Großvaters im Mai 2009 steht Großmutter Eleonore nach wie vor mit Rat und Tat Thomas Petz zur Seite.