Die Landwirtschaft in der Geschichte (Ober) St. Veits
01.05.2011
Wie jedes andere Dorf war auch das alte St. Veit an der Wien ernährungsmäßig autark. Seit den frühesten Anfängen werden die Menschen Felder bestellt, Vieh auf Weiden getrieben, Obstbäume gesetzt und in einem kleinen Garten in der Nähe des Hauses ihr Gemüse angebaut haben. Am Ausmaß der Landwirtschaft als Quelle der Selbstversorgung hat sich im Laufe der Jahrhunderte wenig geändert, das ältere St. Veit wird in der Literatur auch niemals als Anbaugebiet zur Versorgung anderer Regionen genannt. Große Ausnahme ist natürlich der in einem eigenen Kapitel dargestellte Weinbau als finanzielle Haupteinnahmenquelle des Ortes, und das spätere Wachstum der Milchwirtschaft.
Fast alles Land mit Menschen und Gebäuden war Eigentum des Grundherrn. Mann und Frau einer Familie besaßen (= wurden vom Grundherrn damit belehnt) meist das Gebäude, das sie behausten, samt Hof und angrenzendem Garten oder kleinem Feld. Alle anderen Flächen (Wald, Wiesen, Felder etc.) wurden von den Dorfbewohnern gemeinschaftlich genutzt. Für Land und Gebäude mussten Abgaben (das Zehent, meist ein Anteil an der Ernte) an den Grundherrn abgeliefert oder Dienstleistungen (der Robot) erbracht werden. Einen Eindruck von der Zusammensetzung der Flächen gibt die folgende Tabelle aus dem Protokoll zum Franziszeischen Katasterplan 1820. Mit großer Wahrscheinlichkeit ist darin noch die mittelalterliche Flächennutzung erkennbar.
Art | Joch | Klafter |
Bauparzellen | 14 | 20,72 |
Obstgärten | 19 | 15,21 |
Gemüsegärten | 1 | 582,18 |
Ziergärten | 1 | 1414,61 |
Englische Anlagen | 2 | 70,95 |
Hutweiden | 60 | 1182,51 |
Schafweiden | 7 | 423,69 |
Wiesen | 269 | 536,93 |
Acker | 232 | 1407,15 |
Weingarten | 123 | 1268,45 |
Gstetten | 15 | 1424,56 |
Schottergruben | 0 | 105,6 |
Steinbrüche | 0 | 543,4 |
Teiche und Lacken | 0 | 1497,82 |
Gottesacker | 0 | 323,4 |
Wald | 6 | 1085,35 |
Wege und Straßen | 34 | 847,28 |
Fluss- und Bachparzellen | 29 | 564,65 |
Gesamtes Area | 812 | 13314,46 |
Gesamtes Area berechnet | 820 | 514,46 |
Mit dem Niedergang des Weinbaus gewann die Rolle der Milchwirtschaft an Gewicht. Dies ist schon in der frühen Beschreibung der Landwirtschaft Ober St. Veits im Rahmen der „Darstellung des Erzherzogthums Oesterreich unter der Ens" von Franz Xaver Schweickhardt evident. Der 1833 gedruckte siebente Band zum „Viertel unterm Wienerwald" schreibt dazu auf den Seiten 54 und 55: „Die Bevölkerung von hier beträgt 277 Familien, 589 männliche, 628 weibliche Personen und 315 Schulkinder. Der Viehstand umfasst 56 Pferde und 143 Kühe. Die Einwohner, größtentheils Kleinhäusler, sind Hauersleute, welche wenig Ackerbau, dagegen mehr die Weinpflege und hauptsächlich einen Milchhandel nach Wien treiben. Sie besitzen Hausgärten, jedoch haben sie nur wenig Obst. In guten Jahren ist der St. Veiter Wein als ein wohlschmeckender Gebirgswein gesucht, in schlechten Jahrgängen aber sauer und nur gering im Werthe. Das hiesige Klima ist sehr gesund aber scharf, und die Gegend starken Winden ausgesetzt. – Das Trinkwasser ist gut." Auf Seite 64 wird nochmals auf die Landwirtschaft eingegangen: „Die meisten Erzeugnisse sind Wein und Milch, welch letztere die Einwohner täglich zum Verkaufe nach Wien führen, was ihnen den besten Erwerbszweig liefert. Vorzügliches Augenmerk wird auf die Wiesenkultur gerichtet. Nach diesem Zweige folgt die Rebenpflege; ganz gering aber ist der Ackerbau, der bloß Korn, Gerste und Hafer liefert. Obst gibt es wenig. ... Fischerei gibt es keine und die Jagdbarkeit besteht bloß aus einigen Hasen."
1839 soll es in Ober St. Veit an die 150 Kühe gegeben haben (Adolf Schmidl: Wiens Umgebungen auf 20 Stunden im Umkreise, 3. Band. Wien 1939).
1851 errichtete die Gemeinde eine öffentliche Viehschwemme, von deren Benützung die Unter St. Veiter aber dezidiert augeschlossen waren. Viehzucht war zu dieser Zeit noch ein bedeutender Landwirtschaftszweig, nicht aber im gewerblich-frühindustriellen Unter St. Veit.
Die Gemeinde besaß bis zum Jahre 1859 stets zwei Stiere, die bei einem Bauern untergebracht waren. Das Futtergeld war damals dem Halter Reich ausgefolgt worden, der auch die Fütterung und den Einsatz der Stiere zu organisieren hatte. 1861 verkaufte man auch den noch verbliebenen Gemeindestier und kündigte dem Halter.
1866 wurden Quellen im kaiserlichen Tiergarten gefasst und das Wasser zu einem gemauerten Auslaufbrunnen auf dem Wolfrathplatz geleitet: eine Erleichterung für Häuser ohne guten Brunnen. Die Investition kostete die Gemeinde enorm viel Geld.
1869 zählte man in Ober St. Veit 273 Kühe, 118 Pferde, 101 Schweine, 62 Ziegen und 92 Bienenstöcke.
1880 war die Zahl der Kühe auf 378 gewachsen. Das Geschäft mit der Milch verlangte auch den Frauen große Mühe ab: Sie fuhren um 4 Uhr früh in die Vorstädte und in die Stadt, um ihre Erzeugnisse zu verkaufen. So wurde z. B. die Milch der Meierei Eisenhuber in der Firmiangasse 5 an einem Stand bei der Mariahilfer Kirche angeboten (Weissenbacher: In Hietzing gebaut, Band I, Seite 33).
Aber auch die Milchwirtschaft und mit ihr die Reste des Ackerbaus mussten der Verstädterung Ober St. Veits weichen. Die letzten Meiereibesitzer in Ober St. Veit waren die Familien Glasauer (Glasauergasse 34, bis 1946) und Wimpissinger (Hietzinger Hauptstraße 143, bis 1962). Auch die Familie Ruckenthaler in der Vitusgasse 6 wird als eine der letzten Meiereien genannt. Nach 1945 und bis in die 1950er-Jahre soll man von hier aus die Kühe zur Weide auf die Himmelhofwiese getrieben und bis in die 1960er-Jahre im Stall gehalten haben. Die letzten Kühe haben Ober St. Veit am 27. Jänner 1978 verlassen, als auch das St.-Josefs-Heim am Stock im Weg die Kuhhaltung beendete. Die Milchwirtschaft hatte den Weinbau bloß ein Jahrhundert überlebt.
Ein eigenes, teilweise sehr kräftiges Leben im Ort führten die Gärtnereien, die durch ihre forcierte Bodennutzung auch im dichter besiedelten Raum einen wesentlichen Beitrag zur Versorgung leisten konnten.