Die letzte Fahrt des 158ers
26.07.1958
Die Mitteilung, dass der 158er eingestellt werden sollte, traf manche Ober St. Veiter sehr hart, darunter auch die Mitglieder des Madrigalchors. Viele von ihnen wohnten entlang der einen Kilometer langen Strecke dieser Linie. Auch sie konnten die Einstellung nicht verhindern und beschlossen, wenigstens die letzte Fahrt der Straßenbahn gegen Mitternacht des 26. Juli möglichst würdig zu gestalten. Dazu riefen sie den zuständigen Stadtrat - Dkfm. Nathschläger - an, um ihn zur Teilnahme an diesem "Trauerkondukt" zu bewegen, was auch gelang.
Otto David hat dieses Ereignis im Kleinen Volksblatt vom 29. Juli 1958 so beschrieben:
OBER-ST.-VEITER ELEGIE, 26. JULI 1958
In der Nacht zum Sonntag vollzog sich an der Grenze der Orte Unter-St.-Veit und Ober-St.-Veit im Wiener Gemeindebezirk Hietzing ein lokalhistorisches Ereignis. In einem Notturno, dessen Beschreibung der Feder des alten Chiavacci bedürfte, wurde der Anfang vom Ende der Straßenbahn gesetzt. Die laue Nacht verlieh der Elegie einen heiteren Zug, der zugleich der letzte war. Um 23.31 Uhr trat der 158er die letzte Bergfahrt nach Ober-St.-Veit an. Auf der lächerlich kurzen Fahrt, die vier Minuten in Anspruch nimmt und durch eine Haltestelle noch halbiert wird, wurde ein neues Zeitalter eingeleitet. Irgend jemand murmelte pessimistisch: "Die Wiener Elektrische liegt in den letzten Zügen...!"
Etwas von dieser Stimmung war auch zu spüren, als sich die ersten "Trauergäste" am Bahnübergang, Endstation 58er, einfanden, um an der "schönen Leich" teilzunehmen. Das Gros stellte der Ober-Sankt-Veiter Madrigal-Chor mit Xaver Meyer, später gesellten sich ein paar versprengte Passanten dazu, am Ende kam auch Stadtrat Dipl.-Kaufmann Nathschläger, dem neben der Straßenbahn auch die Leichenbestattung untersteht. Die Schaffnerin Therese Bruckner (in der Folge kurz Reserl gerufen) und der Wagenführer Adolf Frimmel (später nur Adi genannt) betrachteten mit einiger Wehmut den hell erleuchteten Wagen, der mit blau umflortem Licht unter den breitkronigen Kastanien etwas blass dastand. Das Lied von den "zwei harben Rappen", das nun erklang, mochte ihn an die Zeit erinnern, da die Elektrische der Vorreiter der Zivilisation gewesen war. Nun hatte er dem Auto zu weichen, und das musste ihn ehrlich verdrießen...
"Einsteigen bitteeeh!" - Die Gesellschaft kletterte lärmend in das Innere. "Die letzte Fahrt - ist gratis, Herrschaften!" sagte Reserl in Geberlaune. Ein paar Bummler stürzten noch herbei, und dann setzte sich der Kondukt in Bewegung. Im Rhythmus eines Zügenglöckerls erklang die Fußglocke - vorne und hinten. Oben hämmerte pausenlos die Dachglocke. Es war der Einbruch der Anarchie in die Dienstvorschrift. Ein Kellner mit Hangerl und Weinflasche servierte, der Chor sang zarte Weisen, die dunklen Fensterreihen der Häuser wurden licht, Passanten rieben sich die Augen und sahen mit offenem Mund der Erscheinung nach.
Die einzige Haltestelle wurde streng eingehalten. Ein Versuch, gleichzeitig vor- und rückwärts zu fahren, wurde vereitelt. Es wurde dreißig mal abgeläutet, noch als der Zug längst seinem Ziel, dem prachtvollen Wolfrathplatz, entgegenbrauste. Dort traf Publikumsverstärkung ein, um dem Ständchen beizuwohnen.
Es erklang die Ode an den 158er....
"…und leise hört man's raunen
durch unser stilles Tal,
heut' fahrt der 158er
zum allerletzten Mal…..!"
Es war geradezu rührend. Der Chor hatte den Stadtrat und das Schaffnerpaar in die Mitte genommen, das Licht des Wagens erhellte nur spärlich die nächtliche Szene, zu der die kleinen Häuser eine Filmkulisse bildeten. Der wuchtige Schatten der ehemaligen erzbischöflichen Sommer-Residenz hob sich im Hintergrund wie ein Schattenriss ab.
"Es fuhr in alten Zeiten
einst eine Straßenbahn
vom Wolfrathplatz hinunter
bis zur Verbindungsbahn.
Sie fuhr durch die Allee
von Blüten überdacht,
von 5.30 Uhr morgens bis 11.30 nachts..."
Eine Salve aus allen Glocken, und der Zug trat die Talfahrt an. Die erste Haltestelle war das Ober-St.-Veiter Kasino. Der feucht-fröhliche Zug hielt knirschend. Hände mit Gläsern voll Wein streckten sich den Fahrgästen entgegen, die zur Hälfte bei den Fenstern heraushingen. Die Glocken bimmelten, der Chor sang und trank dazwischen.
Dann rutschte der Wagen ein Stück den Hang hinunter. Frau Reserl verkaufte Fahrscheine als Andenken, die Signaturtafeln verschwanden unter den Armen von Sammlern, in den Fenstern der Häuser standen die Menschen in Nachthemden und winkten. Sogar die überraschten Polizisten von der Wachstube grüßten die Exzedenten mit freundlicher Geste. Vor dem Restaurant Spiller wurden die Trauergäste mit Dürnsteiner gelabt, die Brötchen kamen zu spät... "A so was", murmelte der Pessimist in der Ecke, "a so was - jetzt wolln's sogar die Tramway a'schaffen! Dös kann net guat ausgehn!"
Zwischen zwei Gläsern fiel mir Weinheber ein: "Wann i amal der Herrgott wa, i schaffet alles a!" Dann stand der Bahnschranken vor uns mit seinen bösen, blutrünstigen Augen. Eine alte Frau überreichte Reserl einen Blumenstrauß. Das Gros der Gäste weigerte sich, den Wagen zu verlassen. "Zur Remise!" schrie jemand. "Zur Remise!" sang der Chor im Chor. Die Schranken gingen hoch, unter Gebimmel und Lachen rumpelte der Wagen über die Bahngleise. Der Chor bemerkte verhallend:
"Nur noch die beiden Schienen
zeug'n von entschwundener Pracht,
auch diese werd'n verrost'n
und schließlich weggebracht..."
Es war fünf Minuten nach Mitternacht. Ober-St.-Veit hatte seine Straßenbahn verloren. Ich kann als Grenzbewohner die Nöte des Nachbarn nachempfinden. Ich bin Unter-St.-Veiter.
Otto David hat dieses Ereignis im Kleinen Volksblatt vom 29. Juli 1958 so beschrieben:
OBER-ST.-VEITER ELEGIE, 26. JULI 1958
In der Nacht zum Sonntag vollzog sich an der Grenze der Orte Unter-St.-Veit und Ober-St.-Veit im Wiener Gemeindebezirk Hietzing ein lokalhistorisches Ereignis. In einem Notturno, dessen Beschreibung der Feder des alten Chiavacci bedürfte, wurde der Anfang vom Ende der Straßenbahn gesetzt. Die laue Nacht verlieh der Elegie einen heiteren Zug, der zugleich der letzte war. Um 23.31 Uhr trat der 158er die letzte Bergfahrt nach Ober-St.-Veit an. Auf der lächerlich kurzen Fahrt, die vier Minuten in Anspruch nimmt und durch eine Haltestelle noch halbiert wird, wurde ein neues Zeitalter eingeleitet. Irgend jemand murmelte pessimistisch: "Die Wiener Elektrische liegt in den letzten Zügen...!"
Etwas von dieser Stimmung war auch zu spüren, als sich die ersten "Trauergäste" am Bahnübergang, Endstation 58er, einfanden, um an der "schönen Leich" teilzunehmen. Das Gros stellte der Ober-Sankt-Veiter Madrigal-Chor mit Xaver Meyer, später gesellten sich ein paar versprengte Passanten dazu, am Ende kam auch Stadtrat Dipl.-Kaufmann Nathschläger, dem neben der Straßenbahn auch die Leichenbestattung untersteht. Die Schaffnerin Therese Bruckner (in der Folge kurz Reserl gerufen) und der Wagenführer Adolf Frimmel (später nur Adi genannt) betrachteten mit einiger Wehmut den hell erleuchteten Wagen, der mit blau umflortem Licht unter den breitkronigen Kastanien etwas blass dastand. Das Lied von den "zwei harben Rappen", das nun erklang, mochte ihn an die Zeit erinnern, da die Elektrische der Vorreiter der Zivilisation gewesen war. Nun hatte er dem Auto zu weichen, und das musste ihn ehrlich verdrießen...
"Einsteigen bitteeeh!" - Die Gesellschaft kletterte lärmend in das Innere. "Die letzte Fahrt - ist gratis, Herrschaften!" sagte Reserl in Geberlaune. Ein paar Bummler stürzten noch herbei, und dann setzte sich der Kondukt in Bewegung. Im Rhythmus eines Zügenglöckerls erklang die Fußglocke - vorne und hinten. Oben hämmerte pausenlos die Dachglocke. Es war der Einbruch der Anarchie in die Dienstvorschrift. Ein Kellner mit Hangerl und Weinflasche servierte, der Chor sang zarte Weisen, die dunklen Fensterreihen der Häuser wurden licht, Passanten rieben sich die Augen und sahen mit offenem Mund der Erscheinung nach.
Die einzige Haltestelle wurde streng eingehalten. Ein Versuch, gleichzeitig vor- und rückwärts zu fahren, wurde vereitelt. Es wurde dreißig mal abgeläutet, noch als der Zug längst seinem Ziel, dem prachtvollen Wolfrathplatz, entgegenbrauste. Dort traf Publikumsverstärkung ein, um dem Ständchen beizuwohnen.
Es erklang die Ode an den 158er....
"…und leise hört man's raunen
durch unser stilles Tal,
heut' fahrt der 158er
zum allerletzten Mal…..!"
Es war geradezu rührend. Der Chor hatte den Stadtrat und das Schaffnerpaar in die Mitte genommen, das Licht des Wagens erhellte nur spärlich die nächtliche Szene, zu der die kleinen Häuser eine Filmkulisse bildeten. Der wuchtige Schatten der ehemaligen erzbischöflichen Sommer-Residenz hob sich im Hintergrund wie ein Schattenriss ab.
"Es fuhr in alten Zeiten
einst eine Straßenbahn
vom Wolfrathplatz hinunter
bis zur Verbindungsbahn.
Sie fuhr durch die Allee
von Blüten überdacht,
von 5.30 Uhr morgens bis 11.30 nachts..."
Eine Salve aus allen Glocken, und der Zug trat die Talfahrt an. Die erste Haltestelle war das Ober-St.-Veiter Kasino. Der feucht-fröhliche Zug hielt knirschend. Hände mit Gläsern voll Wein streckten sich den Fahrgästen entgegen, die zur Hälfte bei den Fenstern heraushingen. Die Glocken bimmelten, der Chor sang und trank dazwischen.
Dann rutschte der Wagen ein Stück den Hang hinunter. Frau Reserl verkaufte Fahrscheine als Andenken, die Signaturtafeln verschwanden unter den Armen von Sammlern, in den Fenstern der Häuser standen die Menschen in Nachthemden und winkten. Sogar die überraschten Polizisten von der Wachstube grüßten die Exzedenten mit freundlicher Geste. Vor dem Restaurant Spiller wurden die Trauergäste mit Dürnsteiner gelabt, die Brötchen kamen zu spät... "A so was", murmelte der Pessimist in der Ecke, "a so was - jetzt wolln's sogar die Tramway a'schaffen! Dös kann net guat ausgehn!"
Zwischen zwei Gläsern fiel mir Weinheber ein: "Wann i amal der Herrgott wa, i schaffet alles a!" Dann stand der Bahnschranken vor uns mit seinen bösen, blutrünstigen Augen. Eine alte Frau überreichte Reserl einen Blumenstrauß. Das Gros der Gäste weigerte sich, den Wagen zu verlassen. "Zur Remise!" schrie jemand. "Zur Remise!" sang der Chor im Chor. Die Schranken gingen hoch, unter Gebimmel und Lachen rumpelte der Wagen über die Bahngleise. Der Chor bemerkte verhallend:
"Nur noch die beiden Schienen
zeug'n von entschwundener Pracht,
auch diese werd'n verrost'n
und schließlich weggebracht..."
Es war fünf Minuten nach Mitternacht. Ober-St.-Veit hatte seine Straßenbahn verloren. Ich kann als Grenzbewohner die Nöte des Nachbarn nachempfinden. Ich bin Unter-St.-Veiter.
Siehe auch: Meyer Xaver: Wiener Madrigalchor - Eine Chronik über 50 Jahre Chorgeschichte. Wien: Wiener Madrigalchor 2001 ISBN 3-9501490-0-7