Die Realgewerbe

Eine historische Ausnahme im Gewerberecht. Eine Betrachtung mit besonderer Berücksichtigung Ober St. Veits
01.09.2009

Die Befugnisse zur Ausübung eines Gewerbes sind an die Person gebunden, auf deren Namen der Gewerbeschein oder die Konzession lautet, und können nicht übertragen werden. Abgesehen von wenigen Ausnahmen wie den Vertretungsregelungen und temporären Maßnahmen ist diese privatrechtliche Unübertragbarkeit von Gewerberechten ein wesentlicher Grundsatz in den jüngeren Gewerbeordnungen.

Eine historische Ausnahme sind die Realgewerbe, denn diese konnten wie Sachen verkauft, verschenkt, verpfändet und vererbt werden. Sie heißen radizierte Gewerbe, wenn sie im Grundbuch eingetragen und damit wie anderes Zubehör gemeinsam mit dem Haus übertragbar waren, oder verkäufliche Gewerbe, wenn sie vom Eigentümer ganz selbständig übertragen werden konnten. Die Realgewerbe gehen auf jene Zeit zurück, als das Recht auf Gewerbeverleihung insbesondere auf dem Land noch den Grundherrschaften zustand und von diesen als Einnahmenquelle ausgiebig genützt wurde.

Grundsätzlich konnten solche Rechte nur vor dem Inkrafttreten der Gewerbeordnung 1859 erworben werden, denn diese hat die zu dieser Zeit in den Kronländern der Monarchie bereits bestehende Tendenz zur Ausmerzung dieser Privilegien in Form des Verbotes der Neubegründung zum Gesetz erhoben. Ab der Gewerbeordnungsnovelle 1934 waren Realgewerbe nur mehr dann gültig, wenn bis zum 1.2.1934 um deren ausdrückliche Anerkennung durch die Gewerbebehörde angesucht worden war; nachher war auch die Anerkennung nachgewiesener alter Rechte nicht mehr möglich. Zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Novelle war in Wien allerdings kein einziges Verfahren (mehr) anhängig.

Nach der Art ihrer Entstehung wird in alten Kommentaren zu den Gewerbeordnungen folgende Einteilung der Realgewerbe vorgenommen:

  1. Radizierte Gewerbe: Sie sind mit dem Eigentum einer Liegenschaft derart verbunden, dass sie mit dieser auf einen neuen Eigentümer übergehen.
  2. Dominikalgewerbe: Sie wurden von den Grundherrschaften entweder mit einem Teil eines „Dominikalkörpers“ (z.B. einer Taverne) oder ohne diesen als gesondertes Recht an dritte Personen übertragen und konnten so zum Realgewerbe werden. Je nach dem, ob sie mit einer Realität verbunden sind oder nicht, sind sie als radizierte oder verkäufliche Gewerbe zu betrachten.
  3. Schankgewerbe: In der Zeit von Michaeli bis Georgi (29. September bis 24. April) stand den Gemeinden oder Untertanen zusammen ein halbjähriges Schankrecht zu. Fremde Weine durften jedoch nur in einem eigens dazu bestimmten Haus (z.B. Gemeindegasthaus) ausgeschenkt werden. Mit der Grundentlastung nach der Aufhebung der Grundherrschaften 1848 wurden diese Schankrechte ohne Entschädigung aufgehoben.
  4. Verkäufliche Gewerbe: Diese konnten privatrechtlich von einem Inhaber auf einen anderen übertragen werden.

Radizierte und verkäufliche Gast- und Schankgewerbekonzessionen werden im Volksmund häufig als „Maria-Theresien-Konzession“ bezeichnet. Der Inhalt dieses Ausdrucks ist allerdings unpräzise, und keineswegs sind damit nur Realkonzessionen aus der Zeit Maria-Theresias gemeint. Manche Gewerbehistoriker bezweifeln überhaupt die Existenz von der Erzherzogin verliehener Realgewerbe.

Abgesehen von der stark rückläufigen Zahl anerkannter Realgewerbe wurde ihre Bedeutung ab 1859 auch wegen des leichteren Zugangs zu vielen Gewerbearten gering. Als in jüngerer Vergangenheit noch relevant wurden nur mehr jene bezeichnet, die das Recht der Ausübung des Gast- und Schankgewerbes beinhalteten. Darüber hinaus ist anzumerken, dass der Besitzer einer Gewerbeberechtigung auch die nach aktueller Gewerbeordnung erforderlichen Befähigungsnachweise haben muss, um das Gewerbe tatsächlich ausüben zu dürfen (z.B. Meisterbrief). Besitzt er das nicht, so kann er das Gewerbe nur durch einen Stellvertreter (Geschäftsführer) oder Pächter betreiben.

Die radizierten Gewerbe mussten im gerichtlichen Grundbuch eingetragen sein, die verkäuflichen Gewerberechte hatte das Bezirksamt in Vormerkbüchern in Evidenz zu halten.

In der Folge sind die im Dienstbuch B Häuserbuch 1845–1880 noch ersichtlichen radizierten Gewerbe für Ober St. Veit angeführt. Angegeben sind Konskriptionsnummer (CNr), Heutige Adresse, Bezeichnung der Besitzung, damalige Besitzerfamilien und Anmerkungen:

  • CNr. 26 / Hietzinger Hauptstraße 153 / Ein Haus mit darauf radizierter Fleischhauer-Gerechtigkeit / Kaiser, Linzer / Zuletzt im Dienstbuch B Häuserbuch 1845–1880
  • CNr. 52 / Einsiedeleigasse 1 / Ein Haus samt darauf radiziertem Bäckergewerbe und dazugehörigem ein Viertel Wiesen / Will, Schneider / Das Gewerbe besteht bis heute
  • CNr. 61 / Hietzinger Hauptstraße 146 / Ein Haus samt darauf radiziertem chirurgischem Gewerbe und dazugehörigem Garten / Schmid, Döltl /Zuletzt im Dienstbuch B Häuserbuch 1845–1880
  • CNr. 92 / Glasauergasse 36 / Ein Haus samt darauf radiziertem Schmiedgewerbe und dazugehörigen Hofstatt und Garten / Holzroiter, Herzig, Glasauer / Das Gewerbe besteht bis heute
  • CNr. 93 / Glasauergasse 15 / Ein Haus samt darauf radiziertem Wag­nergewerbe und dazugehörigem Garten / Reiner, Rohrbacher / Das Gewerbe wurde 1859 gelöscht
  • CNr. 100 / Hietzinger Hauptstraße 174 / Ein Haus samt darauf radizierter Krämerei- und Greißlerei-Gerechtigkeit / Donner, Klementschitz, Kramer / Zuletzt im Dienstbuch B Häuserbuch 1845–1880
  • CNr. 114 / Firmiangasse 25 / Ein Haus samt darauf radiziertem Schuhmachergewerbe und dazugehörigem ein Achtel Hofstattweingarten / Kusterer, Schwarz / Zuletzt im Dienstbuch B Häuserbuch 1845–1880

Demnach war das Ober St. Veit des 19. Jahrhunderts offensichtlich untypisch, denn da gab es keine einzige radizierte Schankgerechtigkeit. Zwei dieser Gewerbe haben die Aufnahme in das um 1880 neu angelegte Grundbuch und in das ab 1981 elektronisch geführte Grundbuch geschafft: Das radizierte Bäckergewerbe in der Einsiedeleigasse 1 (=Hietzinger Hauptstraße 147) und das radizierte Schmiedegewerbe im Haus Diabelligasse 6 / Glasauergasse 36.

Allerdings handelt es sich dabei nur noch um Reminiszenzen, denn die eigentumsrechtliche Zersplitterung und die liberale Gewerbeordnung von 1859 nahmen diesen Eintragungen viel von ihrer rechtlichen oder wirtschaftlichen Relevanz. Allerdings schützten sie deren Inhaber noch lange vor den einschränkenden Konzessionserteilungskriterien „Gebietsschutz“ und „Bedarfsprüfung“. Die immer noch fortbestehenden radizierten Gewerbe wurden dann durch § 377 der Gewerbeordnung 1973 mit einer dreijährigen Übergangsfrist zum Auslaufen gebracht. Wenn man innerhalb dieser Frist der Behörde nachweisen konnte, dass das Gewerbe innerhalb der letzten 5 Jahre ausgeübt worden war, konnte man es in ein Personalgewerbe umwandeln, musste dazu aber einen Befähigungsnachweis nachbringen. Die Gewerbebehörden hatten danach in allen Fällen die Grundbuchsgerichte zu verständigen, dass das radizierte Gewerbe zu löschen ist. Bei der Wiederverlautbarung der Gewerbeordnung im Jahr 1994 unterlief den Gesetzesredaktoren ein kurioser Irrglaube: In der Meinung, dass nun die Löschung aller radizierten Gewerbe nach so langer Zeit längst erfolgt sein müsste, erklärten sie den § 377 GewO für gegenstandslos und hoben ihn auf. In Wahrheit sind in Österreichs Grundbüchern immer noch zahlreiche Eintragungen radizierter Gewerbe verstreut, keineswegs nur in Ober St. Veit. Deren Löschung aus den Grundbüchern fehlt nun eine einwandfreie Rechtsgrundlage. Bis zum EU-Beitritt Österreichs (1995) lebten übrigens immer noch der „Gebietsschutz“ und die „Bedarfsprüfung“ fort – diese illiberalen Kriterien waren mit dem EU-Wettbewerbsrecht nicht vereinbar und mussten deshalb weitestgehend aufgegeben werden.

Hier zum Nachlesen der § 377 der Gewerbeordnung 1973:

<p><b>Auszug aus er Gewerbeordnung 1973</b></p><p>§ 377 die Real- und Dominikalgewerbe betreffend</p><p><i>&copy; Archiv 1133.at</i></p>

Quellen:
Heller, Dr. Emil: Kommentar zur Gewerbeordnung und zu ihren Nebengesetzen. Manz Verlag, Wien 1912.
Heller, Dr. Emil: Kommentar zur Gewerbeordung und zu ihren Nebengesetzen. Zweite, nach dem neuesten Stand der Gesetzgebung gänzlich umgearbeitete Auflage, herausgegeben von Dr. Wolfgang Laszky, Magistratsoberkommissär der Stadt Wien und Dr. Gerhard Nathansky, Magistratsoberkommissär der Stadt Wien unter Mitwirkung von Dr. Robert Heller, Rechtsanwalt in Wien. Erster Band. Manzsche Verlags- und Universitäts-Buchhandlung, Wien 1935–1937
DDr. Gebhard Klötzl, Rechtsanwalt in 1140 Wien, Leegasse 7/7 (Recherche zum aktuellen Stand des Gewerberechts)
Gewerbeordnungen 1973 und 1994
Diverse Grundbücher.

hojos
im September 2009, aktualisiert im September 2021