Geburt

Leider gibt es keine ausreichenden Aufzeichnungen zu den Familienbräuchen unseres Dorfes St. Veit an der Wien. Einen Ersatz bietet das 1888 geschaffene „Kronprinzenwerk” für Niederösterreich, in dem dieses Brauchtum festgehalten ist. Mit großer Wahrscheinlichkeit ist diese Darstellung auch auf das vor wenigen Generationen noch bäuerliche Ober St. Veit zutreffend.
1888

Geburt, Hochzeit und Tod. An diese drei wichtigsten Familienereignisse knüpft sich eine entsprechende Zahl eigentümlicher, oft uralter Bräuche und Meinungen, welche den Charakter unsres Volkes treu wiederspiegeln. Während die Jahresbräuche das selbe vielfach im öffentlichen, namentlich aber im wirtschaftlichen Leben uns vorgeführt haben, treten wir nun eigentlich in die Familie ein und lernen ihre Freuden und Leiden näher kennen. Im Folgenden der die Geburt betreffende Teil.

Winkt in einer Familie das Elternglück, so denken beide Eheleute „Ehzeitig“ aus „G’vaterbitten“. Sie haben bald unter ihren „Freunden“ und Bekannten ein paar Ehrsame, hausgesessene Leute gefunden und brauchen eine Zurückweisung seitens derselben nicht zu fürchten. Denn aus der Taufe heben heißt allgemein „das gute“ oder „das christliche“ Werk, welches niemand ausschlägt, am allerwenigsten Armen gegenüber; man baut sich durch Übernahme des selben „einen Staffel in den Himmel“. Es gilt als eine ganz besondere Auszeichnung für einen Paten, so viele Gödenkinder zu haben, dass sie ihn einst zu Grabe tragen können. Ist nun das Kind geboren, so zieht der Vater sein allerschönstes Gewand an und holt die Gödenleute zur Taufe. Früher tat er das nicht, ohne den „Gödenstecken“, das ist den Rohrstock mit dem Silber- oder Beinknopfe, zur Hand zu nehmen. In seiner Freude warf er denselben im Hause des Gevatters erst zur Stubentür hinein, ehe er selbst eintrat, hob ihn auf und wiederholte dieses Manöver, wenn er Vater eines Knaben geworden war, dreimal, bei Zwillingen mehrere, ja viele Male. Im Ybbstal sprach er beim Eintritte folgende originelle Verse:

„Unter der Hütt’n, oder der Hütt’n –
I waar‘ halt da von weg’n ’s G’vaterbitt’n;
Thats mi nit auslacha,
Myaßts ma an recht an großen Oaringschmalz macha.“

Auch ließ er beim Weggehen den Gödenstecken in des Gevatters Stube zurück – eine Stumme Aufforderung, dass dieser bald Gelegenheit zum Gegendienste bieten möge. Dies geschah in des oft auch Scherzweise dort, wo kein Nachwuchs zu hoffen war. Die Gevattersleute empfangen den Mann als einen Ehrengast wie keinen andern, reichen ihm den Gevattertrunk (im Weinlande) und kochen ihm den bei dieser Gelegenheit üblichen „Oaringschmalz“. (Noch vielerorts gebräuchlich, besonders im V.O.W.W.) Dem Täufling wird vom Paten das „Krösengeld“ (Chrisamgeld) eingebunden (mit „eingefascht“), in der Regel ein Silberstück und einige (drei) kleine Kupfermünzen, welche in der Taufe mitgeweiht werden. Die letzteren (früher Pfennige) sind noch jetzt im Wienerwalde unter dem Namen „Schnattergeld“ bekannt; sie werden beigebeben, damit das Kind leicht und früh reden lernt. Das Krösengeld gilt als unantastbar, es bildet ja die Grundlage aller späteren Ersparnisse. In die Krösenbüchse legt die Mutter auch ein Stückchen von der Nabelschnur des Kindes mit einem roten oder blauen Bändchen geziert, weiter ein „Ammas – Dedl“ (Agnus Dei) das ist ein geweihtes irdenes Medaillon oder sonst ein Heiligenbildchen.
Taufgang, von Alois Greil
<p>Taufgang, von Alois Greil</p>
Das Taufmahl („Kindlmahl) wird fast überall im Elternhause des Täuflings gehalten und dazu werden nebst den Paten auch Nachbarsleute und „Freunde“ (Verwandte), nicht selten auch der Geistliche und der Schullehrer (dieser Früher als Meßner) geladen.

Den Gevattersleuten obliegen gegenüber der Wöchnerin und dem Patenkinde mehrere Verpflichtungen. Da ist besonders zu erwähnen die „Zutrag“ oder das „Weiset“. Die Gevatterin bringt nämlich der Mutter das „Sechswochenbrod“, welches aus Semmeln, Zwieback und Candiszucker besteht, womit der Sauglappen („Sutzel“, „Zutzel“, „Schlotzer“) des Kindes gefüllt wird.

Im Laufe des ersten oder zweiten Jahres nach der Geburt wird das Kind von den Paten mit dem „Wutzelgewand“ beschenkt, welches zumeist aus einem Kleidchen, Hemdchen und Häubchen besteht. Als letzte Gabe bekommt der kleine Pate im Alter von 6 bis 12 Jahren (je nach der Gegend verschieden) das „Godlgewand“ und einiges Geld. Das Patenhemd ist meist so groß zugeschnitten, dass es nicht sofort in Verwendung kommen kann, sondern erst als „Hochzeitshemd“, wozu es oft von Anfang her bestimmt ist, getragen wird. Stirbt das Patenkind vor dem Ausgewanden, so haben die Gödenleute die ganzen Begräbniskosten zu tragen. Für diese und andere Opfer und Verpflichtungen, namentlich auch für die Sorge und Teilnahme, welche die Paten ihrem Schützlinge in den verschiedensten Lagen des Lebens zuwenden, werden sie bei jeder Gelegenheit mit besonderer Auszeichnung behandelt. Heiratet der junge Göd, oder wird er Priester, oder stirbt er, so nehmen die Paten beim Hochzeits-, Primiz- oder Totenmahl die ersten Ehrensitze ein. Die Gevattersleute ihrzen einander, was bei unserem Landvolke in des die Ansprache in der 3. Person bedeutet. Ein Mann soll jedes Mal, wenn er an seines Gevatters Haus vorübergeht, den Hut abnehmen.
Mancherlei Gefahren bedrohen das neugeborene Kind. Solange es nicht getauft ist, kann es gar leicht von einer Hexe oder, wie man im Gebirge geglaubt, von einem Wildfräulein mit einem Wechselbalge vertauscht oder von der „Trud“ angesaugt werden, welch letzteres man freilich sogleich an den aufgeschwollenen Brustwärzchen erkennt und für die Zukunft durch einen auf die Wiege gezeichneten Trudenfuss hintanhalten kann. Große Gefahr ist auch, dass das kleine Kind „verschrien“, „verschaut“ oder „verneidet“ wird. Besonders Menschen, deren Augenbrauen über der Nase zusammenreichen, sind zu fürchten. Man Schützt das teure Kleinod vor all diesen Bösen Einflüssen, indem man, wenn man es anblickt, ausspuckt, mit den Fingern eine „Feige“ im Sack (Tasche) macht, den Daumen einzieht, es bekreuzt oder in Kreuzform mit Speichel benetzt, mit dem Absud gewisser Kräuter wäscht, oder in dem man das kleine Geschöpf an der Nase zupft, ihm einen Wolfszahn umhängt, ein Kleidungsstück verkehrt anzieht, an dem rechten Ärmel oder auf dem Häubchen ein rotes Bändchen aufnäht und dergleichen mehr. Den „Schreck“ bannt man durch umgehängte Schrecksteine, die Fraisen stillt man durch einen unter das Haupt des Kindes gelegten „Fraisbrief“ oder auch durch „Abbeten“, doch darf hierbei kein einziges Wort wiederholt werden. Ist das Kind getauft, so ist es weniger bösen Einflüssen ausgesetzt.

Man wäscht ihm drei, auch neun Tage lang beim Baden das Köpfchen nicht, um das Chrisam nicht wegzuspülen; erst an dem einen oder dem anderen der genannten Tage wird dieses „abgebadet“ („Chrisambad“). Die getauften Kindlein stehen unter besonderem, höherem Schutze. Sie lächeln oft im Schlafe, weil die Englein mit ihnen spielen. In ein Haus, in welchem ein kleines Kind schläft, schlägt der Blitz nicht ein. In machen Bauernhäusern werden zufolge dieser Meinung bei herannahendem Gewitter die Kinder, zum wenigsten das kleinste „schlafen gelegt“.

Allerhand Meinungen gelten auch im Betreff der Wöchnerin. Während der Schwangerschaft soll sie sich vor Allem an nichts „versehen“, was auf sie einen ungünstigen Eindruck machen könnte. – Wenn eine Mutter im Wochenbette stirbt, so kommt sie unmittelbar in den Himmel, denn „In den sechs Wochen – Steht der Himmel offen.“ Ein kleines Kind „bringt einen Wagen voll Arbeit ins Haus“, aber die Mutter muss in den Wochen gewisser, auch leichterer Arbeiten sich enthalten. Wenn sie näht, so wird das Kind erblinden, wenn sie spinnt, so spinnt sie ihm einen Strick um den Hals. Auch andere Vorsichtsmaßregeln soll sie nicht außer Acht lassen. Sie soll nicht zum Fenster hinaus schauen, wenn sie draußen ein Geräusch hört, dann es könnte ihr das Kindlein von einer Hexe leicht „vertragen“ werden. Solange die Wöchnerin nicht vorgesegnet ist, soll sie nicht über die Dachtraufen hinaus gehen, weil sie sich allerlei bösen Einflüssen aussetzen würde und an Stelle des Kindes ihr ein Wechselbalg in die Wiege gelegt werden könnte. So ein Kobold ist aber ein gar unsauberes Geschöpf; er bleibt immer klein, ist buckelig und „verwachsen“, hat einen sehr großen Kopf, der freilich bei aller Hässlichkeit zugleich ein „gescheiter Kopf“ ist.

Eines weiteren wichtigen Ereignisses im Leben des heranwachsenden Kindes sei hier kurz gedacht, es ist dies der Empfang des Sakramentes der Firmung. Die anlässlich desselben erwählten Paten spenden gewöhnlich ein Gebetbuch und ein Rosenkränzchen, reichere auch goldene oder silberne Uhren und dergleichen mehr, öfter auch einzelne Kleidungsstücke oder ganze Anzüge. In bürgerlichen Kreisen gibt man gerne silberne Essbestecke. Für die beiden Viertel O. und U.M.B insbesondere ist charakteristisch, dass daselbst fast ausschließlich ledige Firmpaten gewählt werden. Die Firmlinge geben für die erhaltenen Geschenke dem Paten, wenn er heiratet, eine kleine Aussteuer, in der Regel eine fein geschliffene Weinflasche mit ebensolchen Trinkgläsern. Sie erfreuen sich als Junggesellen oder Ehrengäste bei der Hochzeit eine besonderen Auszeichnung.

Am Schlusse dieses Abschnittes möge nach der Meinung des Volkes über besonders begabte oder sonst bevorzugte Kinder kurz Erwähnung geschehen. Die allzu gescheiten, „Kreuzköpfe“ werden nicht alt. Besonderes Glück haben die „Neusonntagskinder“, das sind solche, welche an einem Sonntag geboren werden, an dem der Mond „neu wird“ und welche ihren Namen mit auf die Welt bringen, das heißt nach dem Heiligen benannt werden, dessen Fest auf ihren Geburtstag fällt. Neusonntagskinder „sehen“ mehr als andere Sterbliche, blicken in die Zukunft, wissen um das Treiben in der Geisterwelt, erkennen leicht die Hexen, an den roten Ringen um die Augen, finden Schätze und haben in allen ihren Unternehmungen Glück.

Quellen:
[BL-]194[-BL-]Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild[-BL]

hojos
23. März 2009