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DiePresse.com 19.02.2016, 18:00 Uhr, Printausgabe vom 20.02.2016
Ende des 19. Jahrhunderts waren die Vororte nicht begeistert von der Eingemeindung in Wien.
„Alexander Strecker“, schreibt der Heimatforscher Gebhard Klötzl, „war seiner Herkunft, Bildung und Gesinnung nach“ unter allen Bürgermeistern von Ober- und Unter St. Veit die interessanteste Persönlichkeit. Heute erinnert der nach ihm benannte Park in Hietzing an jene ferne Zeit, als die vierzig Vororte rund um Wien noch nicht in die Reichshaupt- und Residenzstadt eingemeindet waren – eigenständige Kommunen mit Bürgermeister, Gemeinderat, Gemeindekassa, Nachtwächter, Dorfpolizisten und Friedhof. So auch die Nachbarorte Unter- und Ober St. Veit im Westen Wiens. Bis 1891. Dann schluckte die große glitzernde Stadt die kleinen umliegenden Dörfer, baute ihnen oftmals prächtige Schulgebäude, quasi als Entschädigung für die Aushändigung der prallen Gemeindekassa, was die Einheimischen voll Zorn verfolgten.
Ein Manager als Ortsbürgermeister
Gebhard Klötzls Belohnung für seine akribische Forschungsarbeit ist ein umfassendes Geschichtswerk über die Entwicklung der beiden heutigen Hietzinger Ortsteile. So schildert er am Beispiel Alexander Streckers, wie ein begnadeter Manager zur Mitte des 19. Jahrhunderts das zerrüttete Finanzwesen Ober St. Veits wieder in Ordnung brachte, indem er den Amtsträger abwählen ließ und ein Sparpaket durchboxte. Dabei war der Mann nur zufällig hier für kurze Jahre ansässig. Er stammte aus Deutschland, war Betriebsdirektor der Westbahn und zog sich später wieder in seine Heimat zurück. Aber er hinterließ einen soliden Etat. Armenhaus und Kinderbewahranstalt waren ihm zu verdanken, oft griff er persönlich ins Portemonnaie, etwa um die Straßenbeleuchtung zu forcieren. Anderseits wusste er auch zu sparen: Die Gemeindespende für eine Huldigungsadresse zur Silberhochzeit des Kaiserpaars lehnte er 1879 brüsk ab. Ober St. Veit war ziemlich der einzige Ort, der solches wagte.
Die schöne Postmeisterin
Das Werk Klötzls hat den Vorteil, der es von so manchem Heimatbuch freundlich unterscheidet: Es hat Humor. Da werden auch die kleinen Skandale im Dorfleben beschrieben, die Unterschlagung der hübschen Postmeisterin für ihren armen alten kranken Vater ebenso wie legendäre Wirtshausraufereien, auch ein Aufstand der Freiwilligen Feuerwehr. Die Bezirkshauptmannschaft veranlasste die Degradierung der ganzen Truppe und deren Abrüstung. Erst der neuen FF wurde das Vermögen wieder ausgehändigt.
Das Ende der Eigenständigkeit in den Neunzigerjahren, die von Wien recht offensiv betriebene Eingemeindung stieß zum Teil auf erbitterten Widerstand der Vororte. Die damals dominierende liberale Stadtregierung versprach aber den Einwohnern eine Verbesserung der Lebensverhältnisse durch die gewaltige Vergrößerung des Wirtschaftsraums – eine trügerische Hoffnung, vermerkt der Chronist spitz: Sie wurden ähnlich betrogen, wie die Österreicher 2002 bei der Einführung des Euro. Die Preise in den eingemeindeten Vororten stiegen nämlich auf das Stadtniveau, und in der Stadt blieb alles gleich teuer . . . (hws)
http://www.wienerzeitung.at/nachrichten/wien/stadtleben/800731_Wiens-idyllischer-Westen.html
Wienerzeitung.at vom 13.02.2016, 06:15 Uhr
Ober St. Veit
Wiens idyllischer Westen
Von Heiner Boberski
Wien. 1890/91 wurden 40 Vorortgemeinden der Großstadt Wien eingemeindet, darunter auch Ober und Unter St. Veit, die sich 1867 voneinander getrennt hatten. Wie es in den Jahrzehnten vor der Eingemeindung in solchen Dörfern an der Peripherie zuging, schildert das neue Buch "Von Bürgermeistern und Affären - Die Wiener Vorortegemeinden Ober und Unter St. Veit 1848-1891".
Der Autor Gebhard Klötzl kennt viele Werke zur Geschichte von Wiener Außenbezirken und hält in aller Bescheidenheit seines für das gründlichste zu dieser Thematik. Er hat es mit einem Jusstudium - er ist hauptberuflich Rechtsanwalt - und einem Geschichtestudium zu zwei Doktoraten gebracht.
Wie kam es, dass Klötzl mit großer Akribie umfangreiches Material, insbesondere 40 Kartons mit Akten zu Ober und Unter St. Veit im 19. Jahrhundert im Wiener Stadt- und Landesarchiv, durchforstete und daraus ein so einzigartiges Werk machte? "Bereits als Ministrant", sagt der Ober St. Veiter, "bekam ich Interesse an der Baugeschichte der Kirche." Als er später ins Baukomitee zur Renovierung des pfarrlichen "Vitushauses" berufen wurde, begann seine Vertrautheit mit Archivarbeit.
Außerdem ist Klötzl familiär belastet. Sein Großvater, der Historiker und Archivdirektor Josef Kraft, nach dem in Ober St. Veit ein Weg benannt ist, hatte eine Geschichte von Ober St. Veit begonnen, war damit aber nur bis etwa 1820 gekommen. An diesen 1952 veröffentlichten Text schließt Gebhard Klötzl an, der viele Jahre nebenberuflich an seinem Buch gearbeitet hat: "Mich hat überrascht, wie viel Material es für diese Zeit gibt. Ich dachte, das lasse sich viel schneller erledigen."
Klötzl hat sich intensiv mit der damaligen Art der Gemeindeverwaltung - von der Kanalisierung bis zur Armenfürsorge - und mit der Rolle des Bürgermeisters befasst. Er weist auch auf originelle Details hin - etwa eine bei Ober St. Veit verbleibende "Enklave" an der Lainzer Straße, als Unter St. Veit die Trennung von Ober St. Veit betrieb.
Die Volkszählungen der Jahre 1869 und 1880 zeigen laut Klötzl eine sehr heterogene Bevölkerung, die sich für ganz St. Veit zwischen 1857 und 1890 von 2715 auf 5914 Bewohner mehr als verdoppelte: "Etwa die Hälfte war in der Landwirtschaft tätig, im Wiental lebten etliche Fabrikarbeiter, außerdem gab es viele Kleinstgewerbetreibende und an den Berghängen Sommerhäuser der besseren Herrschaften."
Zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte dieser Gegend hat bereits 2009 der Lokalhistoriker Josef Holzapfel das Buch "Historisches Ober St. Veit" veröffentlicht. Klötzl will mit seinem Buch trotz aller Wissenschaftlichkeit auch "Normalverbraucher" erreichen. Daher bezieht er auch eine Menge unterhaltsamer Alltagsgeschichten bis hin zu Wirtshausrauferein ein - die handelnden Personen könnten aus Nestroy-Stücken stammen: ein Sicherheitskommissär mit skandalösem Lebenswandel, ein trunksüchtiger Feuerwehrhauptmann, ein männlicher und ein weiblicher Postmeister, die Gelder veruntreuen, ein falscher Offizier, der vorgibt, Spendengelder für verwundete Kameraden zu sammeln, ein jähzorniger Kaufmann... Vinzenz Jerabek, der sich als Autor J. Vinzenz nannte, sah sein Heimatdorf Ober St. Veit in den 1880er Jahren noch so: "Das Dorf Ober St. Veit ist zu dieser Zeit ein Idyll im Grünen gewesen. Am Rand des Wienerwaldes gelegen, besaß es eine Fülle von Wiesen, Äckern, Weingärten, eine schöne Au an der Wien, bewaldete Hügel und vor allem die ,Edleseelackn‘, ein Gewässer unterhalb des Roten Berges."
Der Verkehr zwischen der Stadt und den Dörfern war ständig intensiver geworden, viele pendelten täglich hin und her. Als 1887 eine Dampftramway zwischen Hietzing und Ober St. Veit eröffnet wurde, bahnte sich die Eingemeindung an. Der Widerstand der Dorfbewohner dagegen war zunächst groß. "Man hat ihnen viele Vorteile versprochen", weiß Klötzl, doch kaum etwas davon gehalten. Der Anschluss an die Wiener Hochquellenwasserleitung erfolgte erst viel später, mit der Einführung der Bauordnung der Stadt Wien und dem Ansteigen der Preise auf das Niveau der Stadt hatten die St. Veiter gar keine Freude. Die auf die Eingemeindung hinarbeitende liberale Stadtregierung schnitt sich damit freilich ins eigene politische Fleisch, denn durch die neuen Stimmbürger aus den Randgemeinden kamen bald die Christlich-Sozialen in Wien ans Ruder.
Klötzl nennt noch eine Besonderheit in den Landgemeinden: Frauen mit Grundbesitz hatten das Wahlrecht! Sie konnten es aber in den öffentlichen Wahlversammlungen nur durch Bevollmächtigung eines Mannes ausüben. Dieses Recht ging mit der Eingemeindung verloren - bis 1919, als das allgemeine Wahlrecht für alle Bürgerinnen und Bürger eingeführt wurde.
Die "gute alte Zeit", in der sehr vieles besser war, habe es jedenfalls nie gegeben, betont Gebhard Klötzl. Manchem dürfe man nachtrauern, aber bei vielem sei es gut, dass es heute überwunden sei.
"Von Bürgermeistern und Affären - Die Wiener Vorortegemeinden Ober und Unter St. Veit 1848-1891". Von Gebhard Klötzl im Homedia Verlag, 336 Seiten, 30 Euro.