Der Julien-Hof
Lainzer Straße 147, EZ 105 Lainz, Konskriptionsnummer 12
03.01.2016
Am südwestlichen Abhang des Küniglberges lag früher der Großteil der Lainzer Weingärten. Den unteren Rand säumte eine Reihe alter Weinbauern-Häuser, im Nordwesten beginnend mit der Konskriptionsnummer 1, dem Anwesen des Weinhauers Franz Wambacher. Von den 19 Häusern in dieser Reihe wurden im Jahr 1819 noch 16 von Weinbauern bewirtschaftet. Doch damals hatte bereits ein grundlegender Strukturwandel eingesetzt. Adeliger Besitz, wie das Jagdschloss und das Gartenpalais de Pauli, Zeugen früherer Beliebtheit des Ortes als Jagdgebiet, waren in den Besitz bürgerlicher Geschäftsleute gekommen. Die Mobilität stieg, die Stadt rückte immer näher, und der von Trockenheit und Krankheiten geplagte Weinbau unterlag. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bauten immer mehr Geschäftsleute ihre Villen und Häuser auf den ehemals landwirtschaftlichen Flächen, die Gewerbelandschaft wurde vielfältiger, und der Dorfcharakter verblasste zusehends. Manche Bauern waren geschickt genug, um aus dem Wandel Nutzen zu ziehen. Herr Wambacher konnte sich zum stadtbekannten Meiereibesitzer hocharbeiten, in dessen Haus die Mitglieder des kaiserlichen Hofes verkehrten. Im Jahr 1884 stellte die Familie mit Karl Wambacher auch den letzten Bürgermeister von Lainz, der die Eingemeindung nach Wien zu exekutieren hatte. Doch die meisten ehemaligen Bauern mussten ihre Häuser vermieten oder verkaufen.
Auch die Geschichte des Julien-Hofes ist eng mit diesem Strukturwandel verbunden, und an seinem Beginn steht der Rückzug der Weinhauerfamilie Fasset (auch Faseth). Nachfahren des Hauers Joseph Fasset verkauften das Haus Konskriptionsnummer 12 bzw. Lainzer Straße 147 mit Vertrag vom 27. Juli 1884 an Herrn Jakob Weiner. Dieser ließ das alte landwirtschaftliche Gemäuer noch im selben Jahr abreißen und von Herrn Baumeister Wambacher ein zweigeschoßiges Wohnhaus im späthistorischen Stil erbauen. Nach Umbauten 1896 und 1907 verfügte das Gebäude inklusive seiner Flügelbauten über zwei Geschäftslokale und 7 Wohnungen.
Zur Benennung des Hauses in „Julien-Hof“ gibt es nur den naheliegenden Hinweis auf den gleichnamigen Vornamen der Frau Jakob Weiners. Doch die mit dem Pakt vom 24. März 1859 beginnende Ehe von Jakob und Juliana Weiner dürfte nicht ganz friktionsfrei verlaufen sein. Darauf lassen der grundbücherlich dokumentierte Kampf um das Recht auf Gütergemeinschaft und um den halben Julien-Hof schließen.
Recht bald nach dem Tod Jakob Weiners erfolgte 1899 der Verkauf an Fremde. Von den weiteren Eigentümern sind Johann und Milada Nothart hervorzuheben. Sie sind Nachfahren des Weinhauers Sigmund Nothhardt (später: Nothart) im Nachbarhaus Konskriptionsnummer 13 bzw. Lainzer Straße 149. In der Reihe der Nachfahren befindet sich mit dem Wirtschaftsbesitzer Franz Nothart auch ein Bürgermeister von Lainz (von 1861 bis 1864). Gleich der Familie Wambacher – aber nicht ganz so erfolgreich – reagierten auch die Notharts auf den Niedergang des Weinbaus mit dem Wechsel zur Milchmeierei. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde daraus ein Kaffeehausbetrieb: Im Lehmann der Jahre 1921/22 sind Franz Nothart erstmals als Kaffeeschänker und sein Sohn Johann als Kaffeesieder eingetragen. Später wurde von der Familie auch ein Kohlenhandel betrieben. Johann und Milada Nothart waren erfolgreich genug, um 1925 den benachbarten Julien-Hof zu kaufen.
In den beiden Geschäftslokalen des Julien-Hofes sind zu dieser Zeit ein Farben- und Lackehandel Martin und ein Delikatessengeschäft Partusch überliefert. Im Haus wohnten und/oder arbeiteten auch mehrere andere Parteien, u.a. eine Hebamme, ein Schlosser, eine Staatsbibliothekarin, ein Fleischhauer, eine Gebäudeverwalter, die Betreiberin eines Modesalons und ein Fotograf. Doch für die Erhaltung – und damit betreten wir allmählich den Erinnerungsbereich lebender Zeitgenossen – scheint nicht genug Geld dagewesen zu sein. Der Julien-Hof auf Nr. 147 und das ebenerdige Haus daneben auf Nr. 149 begannen irgendwann zu verfallen. Margarete Girardi hat den Julien-Hof schon in ihrem 1947 erschienenen Buch (Wiener Höfe einst und jetzt, E. Müller Wien, S. 112) als Schandfleck bezeichnet.
Dazu kam Anfang der 1990er-Jahre die Verpachtung des Kaffees Nothart an einen Außenstehenden, dessen Geschäftspraxis zu vielen Polizeieinsätzen führte und diesen Flecken in zusätzlichen Verruf brachte. Die Bemühungen zu einer Auflösung des Pachtvertrages scheiterten lange, doch Anfang der 2000er-Jahre konnte man sich einigen, und das nicht mehr sanierbare Gebäude wurde bald darauf abgebrochen.
Einer großflächigen Verwertung des Areals Lainzer Straße 147 und 149 stand der leerstehende Julien-Hof im Wege, und die Besitzer stellten im Jahr 2006 einen Abbruchantrag. Die begutachtende MA 19 stufte das Objekt als wesentlichen Teil der Schutzzone Lainz und als erhaltungs- und subventionswürdig ein. Damit war der Abbruch verhindert, doch eine Sanierung wurde aus heute nicht mehr nachvollziehbaren Gründen verabsäumt. Sehr wohl abgebrochen wurden die hinteren Flügelbauten. Nachhaltiger Zankapfel war auch die Ausgestaltung eines Wegerechtes zwischen den beiden Grundstücken hinauf zum Küniglberg.
Nach jahrelangen Diskussionen brachten neue Investoren Bewegung in die Sache. Das Architektenteam S+B Gruppe erarbeitete ein Projekt für die Neugestaltung des Julien-Hofes. Geplant sind ein Geschäftslokal und 36 Wohneinheiten sowie 39 Abstellplätze in der Tiefgarage. Die Quadratmeterpreise der Wohneinheiten werden mit mindestens 4.000 Euro angesetzt. Der „alte Julien-Hof“ soll im Wesentlichen erhalten und auf den Erhalt der Fassade geachtet werden. Abweichungen soll es in der Bauhöhe bzw. bei den Fenstern in den Dachflächen geben. Die Einfahrt in die Tiefgarage „Julien-Hof NEU“ soll im Kreuzungsbereich Fasangartengasse / Lainzer Straße errichtet werden. Geplant ist auch die Übersiedlung der Polizeistelle Gloriettegasse mit mehr als 50 Polizistinnen und Polizisten in das Geschäftslokal des Julien-Hofes. Nach anfänglicher Kritik an einzelnen Punkten des Projektes (fehlendes Verkehrskonzept, kein örtliches Parkplatzkonzept, Einfahrt im verkehrsreichen Kreuzungsbereich) herrscht nunmehr weitgehende Akzeptanz, und der Baubescheid hat Rechtskraft erlangt. Laut dieser Baubewilligung muss die Möglichkeit für einen drei Meter breiten Weg zum Küniglberg geschaffen werden, dieser muss aber nicht offen sein.
Die Lebens- und Arbeitsqualität in den neuen Gebäuden wird zufriedenstellend sein, und der Bereich um den Lainzer Ortskern eine wirtschaftliche Aufwertung erfahren. Kann der Gebäudekomplex aber auch dem Sinn der Schutzzone gerecht werden? Positiv ist die weitgehend unveränderte Erhaltung der Straßenfassade des Haupttraktes des Julien-Hofes zu werten, doch die von heutigen Rentabilitätsvorgaben dominierte Bauweise des anschließenden Traktes wird die historische Gebäudezeile weiter verändern. Für den Platz als Geschäftszentrum negativ zu werten ist der Wegfall der beiden Geschäftslokale im historischen Trakt und die weitgehende Geschäftslosigkeit des modernen Teiles.