Kambodscha – Land der Gegensätze
Eine Reise zum Schwerpunkt „Mikrofinanzierung“ haben Anton Schmoll auch großartige Einblicke in ein Land der Gegensätze geöffnet.
27.08.2015
Es ist ein waghalsiges Abenteuer: die Straße zu überqueren während der Rush-
Hour in Phnom Penh, der Hauptstadt Kambodschas. In beiden Fahrtrichtungen sind die Hauptverkehrsadern so voll mit Motorrollern, dass kaum mehr Platz für ein weiteres Vehikel zu sein scheint. In Phnom Penh gibt es schätzungsweise 500.000 Mopeds, die ihre Abgase in die Luft blasen. Die „Normbeladung“ eines Motorrollers sind drei Personen – inklusive Kinder können es aber auch fünf sein. Für uns bleibt es ein Rätsel, dass dieses Verkehrschaos nach ungeschriebenen Gesetzen erstaunlicherweise ohne viele Unfälle funktioniert.
Als Alternative zu einem nervenaufreibenden Spaziergang wählen wir die Fahrt mit einem Cyclo–Fahrer. Mit erstaunlichem Geschick und stoischer Ruhe manövriert er sein Gefährt durch das Verkehrsgewühl, während wir das Alltagsleben betrachten können. Das Leben spielt sich hier auf der Straße ab. Wir sehen zahlreiche Garküchen oder Nudelsuppenverkäufer mit ihren rollenden Suppenküchen. Bereits zum Frühstück am Morgen wird hier eine kräftige Suppe verzehrt.
Das Dorfleben: eine Zeitreise in die Vergangenheit
Szenenwechsel: Langsam und knarrend kommt ein hölzerner Karren mit großen Speichenrädern auf uns zu. Gekonnt und freundlich dreinblickend lenkt der Bauer sein Gefährt, das von zwei Zeburindern gezogen wird. Es ist heiß und wir halten Ausschau nach kühlen Getränken. Da erblicken wir am Straßenrand plötzlich Holzgestelle, auf denen große Limonaden- und Colaflaschen mit gelblicher Flüssigkeit stehen. Wir fragen unseren Fahrer, ob wir hier eine Limonade kaufen könnten. Der lacht – und wir sind verblüfft als wir von deren Inhalt erfahren: Es handelt sich um die „Tankstelle“ für Mopeds – in den Flaschen befindet sich Treibstoff!
Hier auf dem Land ist so ein Moped schon vielfältig genützt – wie zum Beispiel für spezielle Tiertransporte: Auf dem Rücken liegend werden lebende Schweine auf
dem Moped festgeschnallt und zum Markt in die nächste Provinzhauptstadt gebracht.
Die Häuser selbst sind Pfahlbauten – „pteah“ genannt – und zur Gänze aus Holz errichtet. Die Rundhölzer, auf denen die Plattform ruht, sind einige Jahre im Schlamm imprägniert worden, damit sie gegen Termiten geschützt sind. Der Wohnbereich ist über eine Leiter mit 3, 5, 7 oder 9 Stufen zu erreichen (eine gerade Zahl würde Unglück bedeuten), die man bei Bedarf einziehen kann. Durch diese Bauweise ist das Pfahlhaus in der Regenzeit vor Wasser und Bodenfeuchtigkeit ebenso geschützt wie vor Ratten oder Schlangen. Unter den Häusern befindet sich der Platz für das Vieh, den Holzkarren, Ackergeräte sowie für den Webstuhl der Frauen.
Diese Fahrten zu etwas abgelegeneren Dörfern eröffnen uns eine völlig neue Welt. Es ist eine Zeitreise durch das ursprüngliche Kambodscha – in eine Welt, wo die Zeit stehen geblieben zu scheint. Die Eindrücke, die man bei so einer Fahrt von Dorf zu Dorf sammeln kann, gehören für mich neben den berühmten Tempelanlagen von Angkor Wat sicherlich zum Beeindruckendsten dieser Kambodscha – Reise.
Hartes Alltagsleben
Kambodscha lässt sich zweifelsohne als „Land der Gegensätze“ bezeichnen: Auf der einen Seite das pulsierende Leben und die Einkaufspaläste in der Hauptstadt – und im Kontrast dazu die weit verbreitete Armut im ganzen Land. Von den rund 14 Mio Menschen lebt ein Großteil der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze. Über 50% müssen mit weniger als 2 USD pro Tag auskommen.
Da neben den Sehenswürdigkeiten der Bereich „Mikrofinanzierung“ einen wichtigen Schwerpunkt dieser Reise bildete, hatten wir immer wieder Kontakt mit der Bevölkerung und lernten ihre Alltagssorgen kennen. Zielgruppen für Mikrokredite sind Kleinstunternehmer, die ihr Schicksal in die eigene Hand nehmen. Handwerker,
Händler, Bauern oder Selbständige im Dienstleistungssektor nutzen die Möglichkeit der Kreditaufnahme, um unternehmerische Aktivitäten zu starten. Mikrounternehmer benötigen keine großen Investitionen.
So treffen wir einen Fischer, der ein neues Netz erwerben möchte oder eine Näherin, die einen Kredit für eine Nähmaschine benötigt. Und immer wieder wird klar: Bereits relativ kleine Beträge setzen enorme unternehmerische Energie frei.
Schwimmende Dörfer am Tonle Sap (oder: ein Fluss ändert seine Richtung)
Bei unserer Flussfahrt über den größten Süßwassersee Südostasiens, dem Tonle Sap, sehen wir die Fischer und die hier ansässigen Vietnamesen, wie sie in ihren kleinen Holzhäusern auf Stelzen oder in „schwimmenden Dörfern“ leben. Wie im ganzen Land machen auch hier die Kinder einen fröhlichen Eindruck und begrüssen uns immer mit wildem Winken.
Das Wasserreich hier überrascht jedes Jahr mit einem Naturwunder: Ein Fluss ändert seinen Lauf! Der Tonle Sap ist nämlich weltweit der einzige Fluss, der auch gegen seine ursprüngliche Richtung rückwärts fließt. Immer dann, wenn der Mekong die Monsun- und Schmelzwasser kaum mehr aufnehmen kann, wird durch seine Fluten der Nebenfluss Tonle Sap zurückgedrängt. Dieser fließt nun entgegen seinem natürlichen Lauf in den Tonle Sap See und verursacht damit Überschwemmungen gigantischen Ausmaßes. Die Oberfläche des Sees vergrößert sich bei diesem Naturschauspiel bis zum Siebenfachen! Das bewaldete Gebiet der umliegenden Regionen steht unter Wasser – und nur mehr die Baumkronen ragen aus den Fluten.
Die Menschen haben sich schon lange auf das jährliche Hochwasser eingestellt und nützen dieses Naturereignis, das ihnen jedes Jahr enormen Fischreichtum beschert. Geht der Wasserstand am Ende der Regenzeit wieder zurück, machen sie ihre Hausboote von der Verankerung wieder los. Zusammen mit ihren schwimmenden Gärten und Dorfschulen werden sie von Motorbooten ins Schlepptau genommen und zu neuen Liegeplätzen gebracht. So folgen die Khmer mit ihren Hausbooten dem Wasser – einem alten Spruch entsprechend, der besagt: „Wo das Wasser ist, ist der Fisch.“
Die Gesichtstürme von Ankor Thom
In der Ebene zwischen dem Tonle Sap – See und dem Berg Phnom Kulen liegen mehr als siebzig große Tempel aus verschiedenen Kunstepochen und mehr als
tausend Heiligtümer aus der Zeit der Khmer.
Entsprechend dem Kosmosbild im Hinduismus baute Jayavarman VII. am Beginn des 13. Jhdt. seine „Große Stadt“ (wie die wörtliche Übersetzung von Angkor Thom heißt) als Mittelpunkt des Universums. In der geographischen Mitte der Stadt liegt der Bayon Tempel. Das charakteristische Merkmal dieses Bauwerkes sind die berühmten Gesichtstürme, von denen heute noch 37 erhalten sind. Von jedem Turm blicken bis zu 4 Meter hohe Gesichter herab, von denen keines dem anderen gleicht. Gemeinsam ist ihnen jedoch der sanfte, lächelnde Gesichtsausdruck. Über die genaue Bedeutung dieser steinernen Antlitze gibt es nur Vermutungen: Stellen die in Stein gehauenen Gesichter das Bild des Bodhisattva Avalokiteshvara dar (der Buddhist Jayavarman VII ließ sich ja als dessen Inkarnation verehren) oder hat sich der König selbst hundertfach verewigen lassen?
Angkor Wat – das Weltkulturerbe
Viele verbinden mit Angkor die Hauptstadt von Suriyavarmann II, unter dessen Herrschaft das Reich seine politisch und kulturell höchste Blüte erlebte. Von der Stadt selbst und dem königlichen Palast, der ebenso wie die Häuser aus Holz erbaut war, ist nichts mehr erhalten geblieben. Nur der weltberühmte Tempel von Angkor Wat hat die zahlreichen Kriege, Eroberungen und die zerstörerische Kraft des Urwalds überlebt. Der Tempel wurde in vierzig Jahren zwischen 1110 bis 1150 erbaut und dem hinduistischen Gott Vishnu geweiht. Das Volumen des Angkor Wat entspricht dem der Pyramiden in Ägypten und ist damit einer der größten Tempelkomplexe der Welt.
Der gesamte Komplex bildet ein Rechteck von 1.500 x 1.300 m Länge und ist entsprechend der hinduistischen Mythologie eine perfekte Nachbildung des Universums: Der gesamte Aufbau von Angkor Wat ist dem Berg Meru nachempfunden, dem Wohnsitz der Götter – die fünf Türme symbolisieren die fünf
Gipfel.
Den Mittelpunkt der Anlage bildet eine dreistufige Pyramide, in deren Zentrum der vierfach abgestufte Zentralturm mit seiner Lotoskrone über 60 Meter hoch in den Himmel ragt. In seinem Innersten befand sich das Allerheiligste (das ein Standbild
Vishnus gewesen sein dürfte), zu dem nur die Priester Zutritt hatten.
Bei der Heimreise werden wir am Flughafen noch einmal an diesen Ort erinnert: Trägt doch die heutige Nationalfahne von Kambodscha in ihrer Mitte die fünf Türme von Angkor Wat.