In Stein gemeißelt?

Adaptive Vorgänge in Kiefer, Ohr und Gehirn – der Psychiater Alois Alzheimer und der Bildhauer Jakob Gruber
14.11.2014

Eine gemeinsame Veranstaltung von Univ.-Doz. Dr. Herwig Swoboda (HNO Krankenhaus Hietzing mit Neurologischem Zentrum Rosenhügel) und Militärsuperior Dr. Harald Tripp (Militärpfarre beim Militärkommando Wien) im Ehrensaal der Invalidenhauskirche, Fasangartengasse 101

Diese Impuls-Veranstaltung zu den von Dr. Swoboda organisierten Hietzinger HNO-Tagen – heuer ist es bereits der 16. HNO-Tag – wurde wie schon in den Vorjahren im Ehrensaal der Invalidenhauskirche abgehalten und war öffentlich zugängig. Die HNO-Tage führen namhafte Experten aus ganz Europa zum fachlichen Austausch im Krankenhaus Hietzing zusammen.

Die Wahl des Invalidenhauses als Veranstaltungsort für diese Impulsabende ist kein Zufall, denn mit seiner Errichtung in den Jahren 1908–1910, als das Kriegsinvalidenhaus vom 3. Wiener Gemeindebezirk an den oberen Stranzenberg übersiedelt wurde, steht es in der Tradition einer Zeit, als bedeutende Künstler eine Synthese zwischen Musik, Literatur, Kunst, Medizin und manchmal auch der Religion versuchten. Bildplastik, Erzählkultur und Musik gehören ja zu den nachhaltigsten Trägern von Erinnerung und ganz allgemein unserer Kultur, dem Nährboden, auf den jede Form der Medizin angewiesen ist

An diese Synthese wollen auch die HNO-Impulsveranstaltungen anschließen, diesmal durch Hervorheben der Gemeinsamkeiten von Alois Alzheimer und Jakob Gruber. Sie lebten nicht nur zur selben Zeit, sondern beide vereinen auch enormes Wissen und hohes technisches Können mit tiefer Empathie, Jakob Gruber kann sogar ohne weiteres als Bildhauer der Empathie bezeichnet werden.

Alois Alzheimer (1864–1915), der Psychiater mit dem Mikroskop, dissertierte 1888 über die Ohrenschmalzdrüsen und beschrieb 1906 die nach ihm benannte Demenzform, die er die Krankheit des Vergessens nannte.

Der Bildhauer Jakob Gruber (1864–1915) schuf für das Kaiser-Jubiläumsspital acht Bildplastiken, unbeschwerte Putten für die Fassade des Direktionsgebäudes, und die Medaillon-Umrahmungen mit einer Gustav Klimt nachempfundenen Hygieia und einem resignativ reflektierenden Asklepios für die Parkseite der Patientengebäude.

Putti an der Fassade des Verwaltungsgebäudes des Krankenhauses Hietzing. Die Putti stehen für den Verein Säuglingsschutz, der von Theodor Escherich (der Entdecker des Hauptkeims der Mikrobiologie, des Bacterium coli commune (E. coli, "E." steht für Escherichia)) 1905 begründet wurde und in die Begründung der neuen Kinder-Universitätsklinik 1911 mündete. Das neue AKH war ja mit Ottokar v. Chiaris neuer laryngologischen Klinik 1911 „Konkurrent“ des Kaiser-Jubiläumsspitals – aber kein Gesamtkunstwerk wie das Kaiser-Jubiläumsspital. Die Aufwertung des Kindes kommt in unserem Bezirk in der Volksschule Steinlechnergasse zum Ausdruck, aus pädagogischer und HNO-Sicht mehr noch im Taubstummeninstitut (Bundesinstitut für Gehörlosenbildung) in der Maygasse, dessen ursprüngliches Gebäude von ca. 1908 nun dem Orthopädischen Spital Speising gehört, und in den Begründungen des HNO-Arztes Gustav Alexander, dem Kindergarten für Taubstumme und dem für Taubblinde. © Dr. Herwig Swoboda
<p><b>Putti an der Fassade des Verwaltungsgebäudes des Krankenhauses Hietzing</b></p><p>Die Putti stehen für den Verein Säuglingsschutz, der von Theodor Escherich (der Entdecker des Hauptkeims der Mikrobiologie, des Bacterium coli commune (E. coli, "E." steht für Escherichia)) 1905 begründet wurde und in die Begründung der neuen Kinder-Universitätsklinik 1911 mündete. Das neue AKH war ja mit Ottokar v. Chiaris neuer laryngologischen Klinik 1911 „Konkurrent“ des Kaiser-Jubiläumsspitals – aber kein Gesamtkunstwerk wie das Kaiser-Jubiläumsspital. Die Aufwertung des Kindes kommt in unserem Bezirk in der Volksschule Steinlechnergasse zum Ausdruck, aus pädagogischer und HNO-Sicht mehr noch im Taubstummeninstitut (Bundesinstitut für Gehörlosenbildung) in der Maygasse, dessen ursprüngliches Gebäude von ca. 1908 nun dem Orthopädischen Spital Speising gehört, und in den Begründungen des HNO-Arztes Gustav Alexander, dem Kindergarten für Taubstumme und dem für Taubblinde.</p><p><i>&copy; Dr. Herwig Swoboda</i></p>
Josef Skoda, Medaillon am Krankenhaus Hietzing. Josef Skoda hatte die physikalische Untersuchung auf eine wissenschaftliche Basis gebracht. Die von Josef Gruber stammende Umrahmung des von Franz Klug geschaffenen Medaillons zeigt links eine Gustav Klimt nachempfundene Hygieia, die Göttin der Gesundheit, und rechts Asklepios, deutsch Äskulap, den Gott der Heilkunst. Aber dieser Asklepios ist kein orakelnder Arzt, sondern ein reflektierender und erinnert an Hamlet. Fotografiert am 8. April 2013 © Archiv 1133.at
<p><b>Josef Skoda, Medaillon am Krankenhaus Hietzing</b></p><p>Josef Skoda hatte die physikalische Untersuchung auf eine wissenschaftliche Basis gebracht. Die von Josef Gruber stammende Umrahmung des von Franz Klug geschaffenen Medaillons zeigt links eine Gustav Klimt nachempfundene Hygieia, die Göttin der Gesundheit, und rechts Asklepios, deutsch Äskulap, den Gott der Heilkunst. Aber dieser Asklepios ist kein orakelnder Arzt, sondern ein reflektierender und erinnert an Hamlet. Fotografiert am 8. April 2013</p><p><i>&copy; Archiv 1133.at</i></p>
Farbglasierte Tonfigurine einer Demenz-Patientin. Diese Tonfigurine aus der Ergotherapie des Geriatriezentrums Klosterneuburg ist fast ein Missing Link zwischen dem geriatrischen Neuropsychiater Alois Alzheimer und dem Bildhauer Jakob Gruber. Modellieren ermöglicht neben Musik- und Gartentherapie einen tragfähigen Zugang zu Demenzkranken. Demenzpatienten verzichten im Gegensatz zu kognitiv uneingeschränkten Patienten auf Vorlagen und lassen ihrer Phantasie freien Lauf. Diese anthropomorphe Tierdarstellung einer Demenzkranken erinnert an prähistorische Skulpturen. Reflexion und Symbolik sind bei ihr in eingeschränkter, aber ausdrucksvoller Form erhalten. Kunst als Therapie, Therapie als Kunst. © Dr. Herwig Swoboda
<p><b>Farbglasierte Tonfigurine einer Demenz-Patientin</b></p><p>Diese Tonfigurine aus der Ergotherapie des Geriatriezentrums Klosterneuburg ist fast ein Missing Link zwischen dem geriatrischen Neuropsychiater Alois Alzheimer und dem Bildhauer Jakob Gruber. Modellieren ermöglicht neben Musik- und Gartentherapie einen tragfähigen Zugang zu Demenzkranken. Demenzpatienten verzichten im Gegensatz zu kognitiv uneingeschränkten Patienten auf Vorlagen und lassen ihrer Phantasie freien Lauf. Diese anthropomorphe Tierdarstellung einer Demenzkranken erinnert an prähistorische Skulpturen. Reflexion und Symbolik sind bei ihr in eingeschränkter, aber ausdrucksvoller Form erhalten. Kunst als Therapie, Therapie als Kunst.</p><p><i>&copy; Dr. Herwig Swoboda</i></p>

Jakob Gruber hatte auch die Büste für das Denkmal des Botanikers Franz Unger im Arkadenhof der Universität Wien geschaffen. Daher ist es wohl kein Zufall, dass sich unter den Besuchern dieser Veranstaltung auch Frau Prof. Dr. Ingeborg Schemper-Sparholz und ihre Mitarbeiterin Mag. Andrea Mayr befanden, die das gegenwärtige Projekt der Gelehrtenbüsten im Arkadenhof der Universität Wien bearbeiten.

Erinnerung, Liebe und Obsorge prägen die Medizin dort, wo einfache Lösungen nicht zur Verfügung stehen, und wo sie Nachhaltigkeit aus ihrer kulturellen Einbettung schöpft. Jaak Panksepp, der Doyen der Neurobiologie des Affekts, weist auf die biologische Verankerung des Mitgefühls hin und gibt uns folgenden Satz für den heutigen Liederabend mit: "All mammals have intrinsic abilities to resonate with the pains and joys of others through primal emotional contagion. Further scientific understanding of our deep social-emotional nature, with our capacity for sorrow and joy, may eventually give us a deeper knowledge about the kinds of creatures we are, and thereby help us promote nurturant behaviors in the future history of our human journey, that so far, has included so many tragic flaws in our capacity to show empathy – namely care toward others."

Wie manche Wege dann im Leben zusammenführen zeigte Dr. Swoboda anhand eines Beispiels aus dem Krankenhaus Hietzing. Bis in die 1950er-Jahre war in der Tuberkulosebehandlung die Sanatoriumsmedizin ganz üblich, und der damalige Pavillon III, wo jetzt die Strahlentherapie ist, hatte Liegeterrassen auf der Südseite. Hier wurde Jakob Gruber im Jahr 1915 mit finaler Tuberkulose eingeliefert, er konnte seine kleine Familie mit Frau und Tochter nicht mehr ernähren. Er sprang aus dem ersten Stock des Pavillons mit dem von ihm mitgestalteten Relief von Josef Skoda und war auf der Stelle tot. Josef Skoda, der Internist, der der inneren Medizin den Weg gewiesen hatte, war selbst an Tuberkulose erkrankt.

Der Pavillon III des Krankenhauses Hietzing. Die Tuberkulose-Station des früheren Kaiser-Jubiläums-Spital mit den Liegeterrassen links. Hier wurde Jakob Gruber 1915 mit finaler Tuberkulose aufgenommen. Von hier sprang er aus dem ersten Stock. An der Ostwand rechts sieht man das Medaillon des selbst an Tuberkulose erkrankten Josef Skoda. © Dr. Herwig Swoboda
<p><b>Der Pavillon III des Krankenhauses Hietzing</b></p><p>Die Tuberkulose-Station des früheren Kaiser-Jubiläums-Spital mit den Liegeterrassen links. Hier wurde Jakob Gruber 1915 mit finaler Tuberkulose aufgenommen. Von hier sprang er aus dem ersten Stock. An der Ostwand rechts sieht man das Medaillon des selbst an Tuberkulose erkrankten Josef Skoda.</p><p><i>&copy; Dr. Herwig Swoboda</i></p>

Bei den folgenden Fachbeiträgen ging es dann um die Geschichte der Zahnregulierung und den reichen Schatz an medizinischen Schaustücken im Zahnmuseum, um die Verdienste Johannes Essers um die rekonstruktive Chirurgie, die ihn auch nach Wien führte, "wo man nicht nur Freunde hat" und wo er seine Prinzipien ausarbeitete, um die heutigen Prinzipien in der rekonstruktiven Gesichtschirurgie und schließlich um die neuesten Erkenntnisse in der Neuroplastitzität und zum Lernen. Bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts hieß es: "Alles was im Erwachsenengehirn zugrunde geht, ist verloren und wird nicht mehr ersetzt". Doch Ende des 20. Jahrhunderts gab es klare Evidenz: Es gibt neue Nervenzellen auch im Erwachsenengehirn, allerdings nur auf zwei Territorien beschränkt (=Neuroneogenese).

Alles hochinteressante und meist fulminant präsentierte Vorträge, wie man sie in Hietzing nur selten geboten bekommt. Auch der medizinisch durchschnittlich begabte Zuhörer konnte profitieren, musste aber die permanente Nähe zum "Übersteuerungsbereich" durch Mut zur Lücke meistern.

In diesem Sinne entspannend aber genauso beinduckend waren die musikalischen Beiträge von Johannes Schwendinger und Johannes Wilhelm. Passend zu einem der medizinischen Themen des Tages, der rekonstruktiven Chirurgie, deren Fortschritte zu einem großen Teil auf die Behandlung von Kriegsverletzungen zurückzuführen sind, handelte auch die nach lebhaften Beifall gewährte Zugabe ebenfalls vom Krieg: "Die Grenadiere". 

<p><b>In Stein gemeißelt?</b></p><p>Ehrensaal der Invalidenhauskirche, 14. November 2014</p><p><i>&copy; Archiv 1133.at</i></p>
<p><b>In Stein gemeißelt?</b></p><p>Ehrensaal der Invalidenhauskirche, 14. November 2014</p><p><i>&copy; Archiv 1133.at</i></p>
<p><b>In Stein gemeißelt?</b></p><p>Ehrensaal der Invalidenhauskirche, 14. November 2014</p><p><i>&copy; Archiv 1133.at</i></p>
<p><b>In Stein gemeißelt?</b></p><p>Ehrensaal der Invalidenhauskirche, 14. November 2014</p><p><i>&copy; Archiv 1133.at</i></p>
<p><b>In Stein gemeißelt?</b></p><p>Ehrensaal der Invalidenhauskirche, 14. November 2014</p><p><i>&copy; Archiv 1133.at</i></p>
<p><b>In Stein gemeißelt?</b></p><p>Ehrensaal der Invalidenhauskirche, 14. November 2014</p><p><i>&copy; Archiv 1133.at</i></p>
<p><b>In Stein gemeißelt?</b></p><p>Ehrensaal der Invalidenhauskirche, 14. November 2014</p><p><i>&copy; Archiv 1133.at</i></p>
<p><b>In Stein gemeißelt?</b></p><p>Ehrensaal der Invalidenhauskirche, 14. November 2014</p><p><i>&copy; Archiv 1133.at</i></p>
<p><b>In Stein gemeißelt?</b></p><p>Ehrensaal der Invalidenhauskirche, 14. November 2014</p><p><i>&copy; Archiv 1133.at</i></p>
<p><b>In Stein gemeißelt?</b></p><p>Ehrensaal der Invalidenhauskirche, 14. November 2014</p><p><i>&copy; Archiv 1133.at</i></p>
<p><b>In Stein gemeißelt?</b></p><p>Ehrensaal der Invalidenhauskirche, 14. November 2014</p><p><i>&copy; Archiv 1133.at</i></p>

Vorträge

Harald Tripp, Militärsuperior der Militärpfarrre: Gedanken zum Invalidenhaus als Begegnungsstätte und zu den Herausforderungen des medizinischen Fortschrittes.

Herwig Swoboda, HNO, KH Hietzing: Alois Alzheimer und Jakob Gruber (1864–1915), Erinnerung und Aufmerksamkeit

Johannes Kirchner, Universitäts-Zahnklinik und Zahnmuseum: Knochen – Wachs in unseren Händen? Formbarkeit knöcherner Strukturen in der Zahnmedizin

Herwig Swoboda, HNO, KH Hietzing: Johannes Esser (1877–1946), ein structive surgeon in Österreich-Ungarn

Gerlinde Weigel, plastische und wiederherstellende Chirurgie, LKU Graz: Rekonstruktive Gesichtschirurgie und ihre Prinzipien heute

Manfred Schmidbauer, Neurologie, KH Hietzing: Neuroplastizität und Neuroneogenese im Gehirn des Erwachsenen

Lieder

Johannes Schwendinger, Bass
Johannes Wilhelm, Klavier

Franz Schubert
Auf der Donau (J. Mayrhofer)
Der Wanderer (G. Ph. Schmidt)
Fahrt zum Hades (J. Mayrhofer)
Robert Schumann
Freisinn (J. W. v. Goethe)
Allnächtlich im Traume (H. Heine)
Frühlingsfahrt (J. v. Eichendorff)
Der Spielmann (H. C. Andersen)
Richard Strauss
Allerseelen (H. v. Glim)
Traum durch die Dämmerung (O. J. Bierbaum)
Ach weh mir unglückhaftem Mann (F. Dahn)
Nichts (H. v. Glim)

Im Anschluss wurde zu einer kleinen Agape gebeten.

hojos
im November 2014