SOS Kulturerbe Wien
Mehrere Wiener Bürgerinitiativen demonstrierten am 25. September für den Erhalt und gegen die fortschreitende Zerstörung des Kulturerbes in Wien und Österreich.
25.09.2014
Ob Denkmalschutz oder Schutzzone, kein wertvolles Haus oder historischer Garten ist mehr vor Zerstörung sicher. Prominente Beispiele sind der Wiener Eislaufverein, das Otto Wagner Spital Steinhof, die Trabrennbahn Krieau, der Augarten, das Hopf-Haus in Kagran, der Türkenwirt, der Bauernmarkt 21, die Breite Gasse 15, die Khevenhüllerstraße 4, das Casino Zögernitz und in der ganzen Stadt die Dachlandschaft. Sie alle sind von Abriss oder Überformung bedroht oder diesen bereits zum Opfer gefallen. Über 30 Bürgerinitiativen setzten jetzt ein deutliches Zeichen gegen diese Tendenzen: Sie veranstalteten einen Demonstrationszug mit Kundgebungen vor dem Wiener Eislaufverein, dem Parlament und dem Rathaus und richteten einen Forderungskatalog an den Bund und die Stadt Wien.
Die Demonstration stand unter dem Ehrenschutz von Maler Prof. Ernst Fuchs, dem Stadtökologen Univ.Prof. Dr. Bernd Lötsch und dem Burgschauspieler Prof. Bruno Thost. Weitere prominente Unterstützer finden Sie auf www.kulturerbewien.at.
Von der Wiener Stadtregierung wollte niemand die Protestnote samt Forderungskatalog übernehmen, daher wurden sie am Seitentor des Rathauses angeschlagen.
Die Forderungen an die Stadt Wien
- Großzügige Ausweitung von Schutzzonen wie im Schutzzonenmodell von 1996 angedacht.
- Bessere Erhaltung in Schutzzonen. Vorrang des „öffentlichen Interesses“ vor der Entscheidung auf Erteilung einer Abbruchbewilligung (technische/wirtschaftliche Abbruchreife). Durchsetzung der Wiederherstellung des baulich guten Zustandes.
- Erhöhung des Kulturförderbeitrages für die Altstadterhaltung statt Senkung (wie in den letzten Jahren).
- Viel mehr bestandsgenaue Widmungen in Schutzzonen, um keine Anreize für Zerstörung von historischem Bestand sowie unpassenden Dachausbauten zu geben.
- Erhaltung der Kulturlandschaft, wie z.B. die Heurigenorte mitsamt deren Weinhängen.
- Besserer Schutz vor Verbauung für historische Gärten und Parks (z.B. Augarten), historische Sportstätten (Hohe Warte, Krieau) und alte Innenhöfe.
- Hochhausausschlusszonen in historischen Bauensembles, insbesondere innerhalb des UNESCO-Weltkulturerbes Wien (z.B. Eislaufverein, Hotel Intercontinental).
- Respekt und Achtung vor dem Weltkulturerbe und der damit verbundenen Einhaltung der Bestimmungen im Geiste der UNESCO-Konvention für den Schutz des Welterbes (statt Konfrontation mit der beratenden Fachorganisation ICOMOS).
- Verschärfung von Strafen bei rechtswidrigem Abriss oder Veränderung historisch wertvoller Häuser im Sinne einer tatsächlich abschreckenden Wirkung (wie die Wiederherstellung eines zerstörten Hauses).
Die Forderungen an das Parlament / an den Bund
- Erhaltungspflicht für Denkmäler statt nur Verbot vor Zerstörung, d.h. “aktiver Denkmalschutz” (Konvention von Granada, 1985).
- Bessere personelle wie finanzielle Ausstattung des Denkmalamtes (gemäß Rechnungshofbericht).
- Sondermaßnahmen für die rasche Unterschutzstellung der über 30.000(!) schützenswerten, aber noch immer nicht geschützten Denkmäler (gemäß parlamentarischer Beantwortung 2010).
- Umgebungsschutz für Denkmäler, der den Namen verdient.
- Denkmalschutz muss Bundeskompetenz bleiben – keine Verländerung.
Von allen Institutionen wird Transparenz und Auskunftspflicht, umfassender Informationszugang sowie Parteistellung für NGOs zur Wahrnehmung des öffentlichen Interesses in allen den Kulturgüter- und Umweltschutz sowie die Raumordnung (insbesondere Widmungen) betreffenden Verfahren gefordert.
Einige der Wortmeldungen im Rahmen der Kundgebungen
Durch die Wortmeldungen während der Kundgebungen und während des Demonstrationszuges wurden die oben genannten Übelstände und Forderungen aus den Blickwinkeln der zahlreich vertretenen Initiativen (siehe Fotos oben) untermauert.
Claus Süss von der Initiative Denkmalschutz nannte einige der Ursachen für den laxen Denkmalschutz in Wien: „ … in Wien arbeiten ungefähr 10 Beamte im Denkmalamt und in Prag sind es 50. … Eine weitere Zahl: In Wien sind ungefähr 2% der historischen Gebäude unter Denkmalschutz, im internationalen Vergleich ist das ungefähr die Hälfte, üblich sind 4%. 8–10% der historischen Bausubstanz ist nach dem Wiener Altstadterhaltungsgesetz geschützt, wobei das kein wirklicher Schutz ist, denn es hat eine Literaturwissenschaftlerin zuletzt so treffend im Standard bemerkt, das Wiener Schutzzonengesetz ist in seiner Wirksamkeit ungefähr so zu bezeichnen, als würde man versuchen, die Mafia mit Pfefferspray zu bekämpfen. Von den insgesamt 70.000 denkmalschutzwürdigen Objekten in Österreich sind derzeit rund die Hälfte, 35.000, geschützt. Will man jetzt die noch vorhandene Substanz unter Denkmalschutz stellen, würde man mit dem vorhandenen Personalbestand über 100 Jahre benötigen, um einen rechtskräftigen Denkmalschutz zu erwirken. Sie sehen, wie der politische Wille im Umgang mit unserem baukulturellen Erbe bestimmt ist, nämlich absolut willenlos.“
Caus Süss fasste auch die Fakten zum Ausgangspunkt der Kundgebung, dem Hochhausprojekt auf dem Gelände des Wiener Eislaufvereins, zusammen: „Es gibt einen Projektwerber für die Verbauung des Eislaufvereinareals. Der Prozess rundherum ist sehr bemerkenswert und interessant. Hier gibt es also einen Bauwerber, der ein für Bauentwicklungen völlig wertloses Grundstück gekauft hat, nämlich den Wiener Eislaufverein. Der hat keine Baulandwidmung und darüber hinaus hat er noch für die nächsten Jahrzehnte einen Pächter. Unter normalen Gesichtspunkten würde man so ein Grundstück nicht erwerben, weil es wertlos ist. … Wenn man sich als gut vernetzter Projektentwickler sicher sein kann, dass man nicht ausgelacht sondern hofiert wird, geht man dieses Risiko durchaus ein.
Ich mache hier in diesem Zusammenhang nicht dem Projektentwickler den Vorwurf, weil es ist ja nur systemimmanent, dass ein Bauwerber versucht zu bauen und nach den heutigen Gesichtspunkten versucht er nicht nur zu bauen, sondern er versucht das Maximum zu verwerten und für ihn und seine Gesellschaft das Maximum an Ertrag zu erwirtschaften. Das ist kein Geheimnis, das wissen wir alle. Nur, das Bemerkenswerte an diesem Vorgang ist, dass sich die Ordnungshüter, die zuständigen Behörden und Politiker für seinen privaten Werbefeldzug einspannen lassen. Das ist ein Skandal besonderer Natur, und das ist, was wir als Bürgerinitiativen in verschiedensten Projekten in dieser Stadt und in diesem Land erfahren haben. Es geht um nicht nachvollziehbare Prozesse und Entscheidungen, und genau darum sind wir heute hier zusammen gekommen, um das System dieser Stadt infrage zu stellen. Und wenn Sie sich engagieren, dann sind Sie ein Projektmörder, Denunziant und ein Berufsdemonstrant.
… Es gibt vier Schutzfaktoren in der Wiener Innenstadt, und Sie müssten eigentlich glauben, besser kann man eine Stadt nicht schützen. Es gibt hier zum einen das Denkmalschutzgesetz und die höchste Anzahl von denkmalgeschützten Objekten, es gibt hier das Altstadterhaltungsgesetz, Sie müssen wissen, die gesamte Wiener Innenstadt ist nach dem Altstadterhaltungsgesetz eine Schutzzone, und es gibt einen Staatsvertrag zwischen der Republik Österreich und der UNESCO, und dieser Staatsvertag beinhaltet einen Managementplan. Und darüber hinaus gibt es noch im Falle von Flächenwidmungen eine sogenannte strategische Umweltprüfung. Man könnte sagen, wir können uns ruhigen Gewissens auflösen, es besteht kein Grund zur Demonstration. Und trotzdem ist es möglich, dass hier ein Projektentwickler auf einem nicht einmal als Bauland gewidmeten Grundstück, mehr oder weniger in Form eines kooperativen Planungsverfahrens (tätig ist), und dieses kooperative Planungsverfahren ist von der Stadt unterstützt worden, die maßgeblichen Beamten, die eigentlich die Schutzzone und das Weltkulturerbe und den Managementplan schützen sollen, haben sich von einem Projektentwickler abwerben lassen als Erfüllungsgehilfen seiner Gewinnabsichten, und das finde ich wirklich bemerkenswert.
Und wissen Sie, wie das alles erklärt wird? Es wird mit dem öffentlichen Mehrwert erklärt. Und das wurde uns allen Ernstes nicht nur seitens der Politik zu verstehen gegeben, sondern freundlicherweise auch von der Projektentwicklungsgesellschaft, die uns dazu eingeladen hat, uns zu erklären, wie es dazu kommen kann, dass hier aller Voraussicht nach – wir hoffen zwar noch immer nicht – ein Hochhaus errichtet wird, in der Höhe von 73 Meter. Wir haben uns erlaubt zu fragen, wo ist dieser öffentliche Mehrwert? Und dann wurde allen Ernstes erklärt, ‚ja wir machen das Konzerthaus wieder sichtbar‘. Sage ich, ‚wieso, das ist ja sichtbar, das wird ja dann eher in den Schatten gestellt durch das hier geplante Hochhaus‘. ‚Nein, das ist nicht sichtbar, Sie haben die Planken rund um den Eislaufplatz vergessen, und die verstellen die Sicht auf das Konzerthaus!‘ Das ist allen Ernstes eine Argumentation. In weiterer Folge wird der öffentliche Mehrwert dadurch erklärt, dass nicht nur in der Johannesgasse an dem Hotel Intercontinental vorbeigegangen werden kann, sondern in nächster Zukunft auch dahinter, auch das ist ein öffentlicher Mehrwert. Es wird in weiterer Folge damit versucht zu erklären, dass der Eislaufverein in Zukunft unterirdisch eine Eislaufhalle bekommt. … Oben, nämlich, das ist genau die Qualität des Eislaufvereines, dass man an frischer Luft und Sonne fahren kann, das wird dezimiert. Das wird nicht so oft erwähnt, wie die unten geplante Eislaufhalle. Dann könnte sich noch ein Turnsaal für die benachbarte Schule ausgehen. All das sind die öffentlichen Mehrwerte, die es rechtfertigen, inmitten des mehrfach geschützten Gebietes ein Hochhaus zu errichten.
Und jetzt muss man sogar den Hochhausschutzplan von Wien ändern, weil an besagter Stelle ein Hochhaus gar nicht gebaut werden darf, und zwar nicht nur nach den Richtlinien, die ich genannt habe, sondern auch nach dem eigenen Hochhauskonzept der Stadt Wien. Das ist unangenehm, deswegen muss man jetzt diesen Fauxpas relativ rasch reparieren. Also Sie sehen, in Wien ist wirklich alles möglich, weil Wien ist anders.“
Als letzter Redner der Kundgebung vor dem Rathaus hielt Univ.Prof. Dr. Bernd Lötsch folgendes Referat:
"Diese Versammlung macht Hoffnung. Wien hat viele Architekten, darunter auch einige Bedeutende. Das erschwert den Städtebau erheblich. Statt angemessen – großkotzig, statt harmonischer Einfügung – schrille Selbstdarstellung, statt Ensembledialog und Stimmigkeit – Bruch und Schock um jeden Preis. Die Verhässlichung passiert nicht aus Geldmangel, sie ist teuer kalkulierter Kulturkrieg zur Tilgung der Tradition. Geschichtslos führt zu gesichtslos.
Als ich einen freischaffenden Stadtplaner warnte, mit dem 70-Meter-Klotz zwischen Konzerthaus und Stadtpark würde Wien den UNESCO-Welterbestatus verlieren, entgegnete er trocken: „Hoffentlich!“ Der Hass heutiger Reißbretttäter, der Hass auf den Reichtum des architektonischen Erbes geschieht aus deren berechtigter Notwehr. Notwehr von Nichtskönnern im Dienste gieriger Kubaturschinderei der Bauspekulanten. Ich frage mich, ob Wiens Stadtplanung von diesen Kräften getrieben wird. Von Kräften, die den Welterbestatus am liebsten wegbekämen und ihn so lange verwässern wollen, bis ihn keiner mehr ernst nimmt. Wenn selbst der Welterbebeauftragte für die Wiener Innenstadt schreibt, Zitat: „Die UNESCO-Deklaration darf keinesfalls zeitgemäße Architekturformen behindern, die Innenstadt darf nicht zum Museum verkommen!“ Verkommen würde sie nur durch provokante Einbauten in Glas, Beton und Metall. Die ganze Welterbezone, liebe Freunde, die ganze Welterbezone ist nicht mehr als zwei Prozent des bebauten Gebietes oder zwei Prozent der Wiener Gebäudesubstanz. Die würden sicher nicht verkommen, wenn man sie von Störungen freihält.
Diese Versammlung ist ja kein Plädoyer gegen zeitgenössisches Bauen, denn das zeitgenössische Bauen hatte weiß Gott bereits seine Chance. In nur 30 Jahren hat die Nachkriegsgeneration mehr Kubatur gebaut und mehr Fläche verbetoniert, als alle Generationen in unserer mehrtausendjährigen Kulturgeschichte, in 30 Jahren mehr Kubaturen als in den letzten3000 Jahren. Allerdings ist es bei allen diesen Bauorgien nirgends gelungen, den Charme gewachsener Zentren zu erreichen. Deshalb versucht ja die neue Architektur, vielleicht auch im dumpfen Bewusstsein ihrer Kälte und Bedeutungslosigkeit, zunehmend sich an historischer Baukunst zu reiben um wenigstens durch Spannung und Schock an Bedeutung zu gewinnen. Gute Architektur muss ins Zentrum, sagt ihr Schlachtruf. Gute Architekur braucht kein Zentrum, gute Architektur schafft ein Zentrum, entgegnete ein geistvoller Kritiker der brutalen Moderne.
Welche Lösungen haben wir? Die einzige Chance, das Wüten der brutalen Moderne im historischen Stadtkern nicht zum Kulturkrieg eskalieren zu lassen, wäre die friedliche Einigung auf einen historischen Gradienten. Dieser bedeutet ob in Florenz, Venedig, Bamberg oder anderen Welterbestädten, die verehrungswürdigen Reste historischer Ensembles als unvermehrbare Güter zu erhalten und sensibel von innen her zu revitalisieren, bestes Beispiel, das Palais Ferstel und draußen freihalten von zynischen Designergags. Es gibt einen historischen Gradienten von der Innenstadt zum Stadtrand hin zu befolgen, an dessen Peripherie sich das neue Bauen austoben mag, sofern das menschlich, sozial und ökologisch noch erträglich scheint. Wenn Sie ins Tech-Gate hinausfahren, mit der U1, dann lernen Sie das Gruseln. Das ist niemals Urbanität. Alleine diese drei Forderungen, menschlich, sozial und ökologisch, müssten eigentlich neue Formen entstehen lassen, denn viele hässliche Großbauten der 1970er- bis 1990er-Jahre sind unattraktiv und längst Energievernichtungsmaschinen geworden. Der viel gepriesene Minimalismus des neuen Bauens kann sich als Ort wohl nur auf die Zahl gestalterischer Einfälle pro verbauter Milliarde beziehen und sicher nicht auf seine Dimensionierung, die jedes menschliche Maß sprengt.
Oberstes Ziel des historischen Gradienten muss es sein, nichts Unwiederbringliches mehr zu zerstören. Wer ins Zentrum will, hat sich dort zu benehmen, wie ein Gast. Und wenn Wien heute in seinem Kern Welterbe ist, dann hat es das der Generation unserer Eltern und Großeltern zu verdanken, die aus dem Schutt der Bombenangriffe mit rekonstruktivem Städtebau versucht haben, die zerstörte Pracht wiederherzustellen. Und das gleiche gilt für Dresden, das es mit rekonstruktivem Städtebau von Ruinenfeldern wieder zur Metropole der Kultur gebracht hat. Und das lassen wir uns nicht durch Bauspekulanten und Kubaturschinderei zerstören.
Sie sind auf dem richtigen Weg, danke!"