Der Name Rucker
Auf dem Weg vom Dorf zum Stadtgebiet
01.05.2011
Den frühesten Hinweis auf den Namen Rucker fand Dr. Franz Twaroch („Auch Grundbücher schreiben Geschichte") in einer Grundbuchseintragung für das Jahr 1713. Damals kam der 17-jährige Andreas Rucker (für diesen Text wird von Beginn an diese Schreibweise gewählt, auch wenn zunächst Andrea und Andre als Vorname und Rukher oder Ruckher als Familienname vorherrschten) nach St. Veit. Er siedelte sich hier an und übernahm Weingärten, die als Folge der Pest unbewirtschaftet waren. Wo er in der ersten Zeit wohnte, ist noch nicht entdeckt, doch dürfte bald das Haus Konskriptionsnummer (CNr.) 20 (Vitusgasse 6) zum Familiensitz geworden sein.
Von den elf Kindern aus seiner 1734 geschlossenen zweiten Ehe starben sechs bei der Geburt oder noch im Kindesalter. Nur den Weg des 1752 geborenen Sohnes Joseph können wir weiter verfolgen. 1776 war er Hauer in Hacking und heiratete Maria Anna Wehedorn aus Baumgarten. Zur Hochzeit wurden ihnen von den beiden Elternpaaren Weingärten und Wiesen überschrieben, weitere kauften sie dazu. Später wurden sie auf dem Erbwege und durch Kauf auch Besitzer des Hauses CNr. 20 und weiterer Weingärten. Von den sechs Kindern Joseph und Maria Annas überlebten das Kindesalter nur zwei, einer davon war der 1792 geborenen Sohn Joseph, der die hier betrachtete Linie weiterführte.
Eine im Jahr 1789 gegebene Unterschrift des Weinhauers Joseph Rucker öffnet uns auch ein Sittenbild dieser Zeit. Damals geriet der St. Veiter Kooperator Dr. Maximilian Kollweg durch eine scharfe Predigt mit den weltlichen Obrigkeiten in Konflikt. Diese sollen darin als abergläubisch, die Untertanen ausnützend, als blind und bestechlich hingestellt worden sein. Außerdem sollen die Wirtshäuser die ganze Nacht mit Säufern besetzt gewesen und die Schulkinder nicht zum Schulbesuch angehalten worden sein. Der St. Veiter Richter Joseph Decker, der Hackinger Richter Martin Waldbauer, die Geschworenen, Herrschaftsbeamten und Jäger fühlten sich von dieser Predigt betroffen und beschwerten sich beim Konsistorium. Kollweg entgegnete, dass der Pfarrer Zandonatti die angegriffene Predigt gehört und gelobt hätte. Joseph Rucker und weitere 30 Nachbarn versicherten nun mit ihrer Unterschrift, dass der Prediger den Richter und den Herrschaftsjäger nicht genannt hatte. Der Frieden wurde wieder hergestellt, doch Kollweg bald darauf trotz Fürsprache von sieben Nachbarn nach Wilfersdorf versetzt. Ein gewisser Groll schien geblieben zu sein, denn noch im selben Jahr wurden Leute aus St. Veit, Lainz und Speising vom herrschaftlichen Jäger beschuldigt, über die Tiergartenmauer zu steigen und dort Holz zu holen. „Es gibt keine ärgeren Leute denn die Veitinger", schimpfte der Forstmeister von Mauer.
1811 heiratete die dritte Generation der Rucker'schen Einwanderer: Der zu diesem Zeitpunkt 19-jährige Joseph Rucker und die 18-jährige Elisabeth Stampfer wurden von Pfarrer Johann Wanzka getraut. Dem Ehepaar wurden ein Anteil am Haus CNr. 20 und Weingärten in die Ehe mitgegeben. Joseph und Elisabeth hatten zehn Kinder, die ihre Kindheit überlebten. Erstaunlicher weise war es die jüngste, die 1835 geborene Tochter Franziska, die mit ihrem aus Baumgarten stammenden Mann den Betrieb weiterführte, dazu aber später.
Im Jahr der Hochzeit tauschten Joseph und Elisabeth Rucker ihr Haus CNr. 20 gegen das Haus des Schwagers Michael Stampfer und dessen Frau Anna, geb. Hofkirchner, in der Breiten Zeil, CNr. 118 (Firmiangasse 17), und zogen dort hin. Die Stampfers ließen das alte Rucker'sche Haus niederreißen und bauten an dessen Stelle ein Stadthaus mit zwei Wohnungen.
Joseph und Elisabeth kauften wieder eifrig Weingärten und auch Wiesen. Denn spätestens in den 1830er-Jahren waren viele Weingärten im Ort bereits zu Wiesen geworden. Damit war auch für die Familie Rucker nach drei erfolgreichen Weinhauer-Generationen eine grundlegende Änderung im landwirtschaftlichen Erwerb abzusehen.
Ein Höhepunkt im gesellschaftlichen Leben Joseph Ruckers war wohl die Wahl zum zweiten Kirchenvater im Jahr 1837. 1856 starb er 64-jährig in seinem Haus CNr. 118 an Auszehrung. Das Haus wurde auf die Witwe Elisabeth geschrieben. Diese ebnete den Weg für die weitere Bewirtschaftung des Hofes und verkaufte ihn an den aus Baumgarten gekommenen Schwiegersohn und Milchmeier Franz Schlagenhaufer (geb. 1830) und ihre Tochter Franziska Rucker (geb. 1835), verehelichte Schlagenhaufer. Die Weingärten, die teilweise bereits zu Wiesen geworden waren, überschrieb oder verkaufte sie an die Kinder und für viel Geld auch an Fremde. Damit konnte sie die sukzessive Änderung der Erwerbsart der Familie finanziell unterstützen.
Die Volkszählungen 1869 und 1880 geben Aufschluss über diese berufliche Änderung. 1869 lebte die Familie Schlagenhaufer mit ihren drei Kindern jedenfalls nicht mehr vom Weinbau, sondern vom Milchhandel. An Tieren hatten sie eine Stute, einen Wallach und ein Schwein. Auch die Vermietung von drei Wohnungen musste zum Unterhalt beitragen: In der ersten Wohnung waren der Maurergeselle Johann Loth mit seiner als Wäscherin arbeitenden Frau Barbara, dem als Metalldrechslerlehrling in Sechshaus arbeitenden Sohn Heinrich, dem als Cattun-Drucker in der Fabrik arbeitenden Sohn Engelbert und dem jüngsten Kind Johann eingemietet. In der nächsten Wohnung der Sandwerfer Leopold Hörmann und in der dritten Wohnung die von der Rente lebende Witwe Katharina Zenker mit den Kindern Marie und Johann und der Dienstmagd Josefa Kruger.
In der Volkszählung 1880 bezeichnete sich Franz Schlagenhaufer bereits als Milchmeier und Ökonom, und die Familie hatte einen beachtlichen landwirtschaftlichen Betrieb mit 3 Pferden, 20 Kühen und 8 Schweinen aufgebaut. Drei Knechte und eine Taglöhnerin wurden beschäftigt. Offensichtlich war der ganze Hof mit dieser Tätigkeit und den Dienstnehmern belegt, denn die Wohnungsvermietung war eingestellt worden. Mit Betrieben wie Hölzl (später Wimpissinger), Jauner (Himmelhof) und Seeböck (Kümmerlhäuser) gehörte Schlagenhaufer zu den großen Höfen, die ihre Tätigkeit an die große Milchnachfrage aus Wien angepasst hatten. Wiesen gab es auf dem Boden der ehemaligen Weingärten genug. Die Schlagenhaufer'sche Meierei bestand bis zum Zweiten Weltkrieg, wie die meisten anderen dürfte aber auch sie diesen nicht überlebt haben.
Das berühmteste der zehn Kinder von Joseph und Elisabeth Rucker wurde der 1826 geborenen Joseph Rucker. Er begann als Maurerlehrling und ging in die Geschichte Unter-Meidlings als langjähriger Gemeinderat und wohlhabender Baumeister ein. Er baute und besaß viele Häuser in Unter-Meidling, insbesondere im Bereich der 1866 nach ihm benannten Ruckergasse. Fleiß und Sparsamkeit sollen die Gründe für seinen Erfolg gewesen sein, vermutlich aber auch gehöriger Geschäftssinn und notwendige Härte. Zu letzterer passt eine in Meidling bekannte Legende: Rucker soll im Jähzorn einen Arbeiter vom Gerüst gestoßen haben und dafür zum Tode durch den Strang verurteilt worden sein; er soll sich freigekauft haben und zum lebenslangen Tragen einer schwarzen Binde um den Hals verpflichtet worden sein. Joseph Rucker starb 1898 im Hause Tivoligasse 19 und ruht auf dem Meidlinger Friedhof.
Fast alle anderen Ober St. Veiter, die den landwirtschaftlichen Wurzeln freiwillig oder unfreiwillig entsagten, waren weniger erfolgreich und führten ein hartes Leben mit Arbeiten meist im Dienstleistungsbereich, auf dem Bau oder in der Fabrik. Ein gutes Beispiel dafür ist ein anderer Zweig der Familie Rucker, der mit der Volkszählung 1869 klarer aus dem Dunkel der Vergangenheit hervortritt. Wohl war er schon vorher durch Käufe von Wiesen aufgefallen, ein Hausbesitz in Ober St. Veit konnte aber bisher nicht nachgewiesen werden. Nun – 1869 – wohnte in einer der 10 Wohnungen des Hauses CNr. 159 (Auhofstraße 123) der 1829 geborene selbständige Wäscher Leopold Rucker mit seiner Mutter, der Wäschergehilfin Juliana, seiner Frau Anna (einer geborenen Brummer), drei in der Fabrik arbeitenden Kindern (das jüngste davon 11 Jahre alt) und drei weiteren kleinen Kindern.
Laut Volkszählung 1880 hatte die Familie des Leopold Rucker einen sozialen Aufstieg geschafft und besaß die bescheidene, auf fremdem Pachtgrund errichtete Arbeiterhütte CNr. 287 (Amalienstraße 13). Dort lebte sie gemeinsam mit Leopolds jüngerem Bruder, dem Zimmermanngehilfen Josef Rucker (geb. 1827 in Speising), und dessen Familie. In Leopolds Wäscherei arbeiteten jetzt mehrere Familienmitglieder.
Offensichtlich waren die Ruckers erfolgreich genug oder hatten ausreichenden Rückhalt in den prominenten Familien Brummer (Schwiegereltern von Leopold) und Eisenbauer (Schwiegereltern von Josef), um der Wiener Baugesellschaft und dem Wiener Bank-Verein den Grund, auf dem ihre Arbeiterhütte stand, im Jahr 1885 abzukaufen. Leopold und Anna Rucker erwarben die CNr. 287 (Amalienstraße 13), Josef und Anna Rucker kauften den Nebengrund Amalienstraße 15 und ließen im selben Jahr die Erbauung des Hauses CNr. 355 auf dieser Parzelle anmerken.
Die Amalienstraße 13 wurde in der Folge an verschiedenste Namen weitervererbt und 1918 an Anton und Karoline Stöckl verkauft. Im Umkreis war sie deswegen auch als „Stöckl-Haus" bekannt. Das Besitzerkarussell drehte sich weiter, und das kleine Haupthaus und die hinzugekommenen Nebenhäuser beherbergten die verschiedensten Familien und Betriebe, unter anderem das Transportunternehmen Schattinger. Auch die Amalienstraße 15 wurde wiederholt auf dem Erbwege weitergegeben. Die Ehefrau des derzeitigen Eigentümers, Frau Helga Fitzka geb. Mitterbacher, ist die Ururenkelin des 1902 verstorbenen Josef Rucker, der diese Liegenschaft 1885 erworben hatte. Ihr Ehemann Friedrich Fitzka hat in den Jahren 1973 bis 1982 sämtliche durch Vererbung verstreuten Besitzanteile sukzessive aufgekauft.
Von den ehemaligen Arbeiterhütten auf den Grundstücken Amalienstraße 13 und 15 wurde der auf der Liegenschaft Amalienstraße 13 liegende Teil im Jahr 2012 abgebrochen. Damit ist der auf der Liegenschaft Amalienstraße 15 liegende Teil der letzte Zeuge einer der wirtschaftlich schwierigsten Zeit Ober St. Veits und der beginnenden Verbauung dieser Gegend. Das seit dem Jahre 1961 auf dieser Liegenschaft lebende Ehepaar Fitzka erhält dieses historische Gebäude in bestem Zustand.