Ästhetik als Werterhalt

Ästhetik im Ortsbild als Garant für Identität und Werterhalt des Lebensraumes über Generationen. Eine Anregung von Eduard Issel, Immoinvest
22.02.2010

Welche Kriterien sind für die Identität eines Ortsbildes wichtig? Eine schwierige Frage, vor allem wenn man ins Detail geht. Durch Kriegsereignisse und vor allem die Bautätigkeit in den 1960er- und 1970er-Jahren wurden zahlreiche, für das Ortsbild identitätsstiftende Gebäude den wirtschaftlichen Interessen der öffentlichen Hand oder von Privaten geopfert. Durchgehende architektonische Ensembles sind damit rar geworden, und man muss heute jedes Haus einzeln betrachten. Durchgehende Gebäudezeilen mit einer einigermaßen einheitlichen, historischen Gesamterscheinung sind im Bereich der Ober St. Veiter Schutzzone nur noch die Firmiangasse und die Glasauergasse, obwohl auch hier einzelne Häuser ohne ästhetischen Anspruch gestaltet wurden. Leider ist es noch immer nicht im Bewusstsein vieler Eigentümer, dass schon jede Veränderung der Fenster oder anderer Teile der Außenhaut eine Ensembleschädigung darstellen kann. Um die Qualität zu heben, gehört zukünftig jede einzelne Baumaßnahme in Schutzzonen auf die „Umweltverträglichkeit” (im Hinblick auf das vorhandene Ensemble oder andere schützenswerte Faktoren) von Fachleuten (projektunabhängige Architekten und Kunstsachverständige als Fachbeirat) geprüft. Natürlich sollte Ästhetik nicht bei der Fassade enden, auch Innenräume, Stiegenhäuser, Hinterhöfe und Gartenanlagen etc. sind identitätsstiftend.

Als Immobilienexperte kann ich nur jedem Bewohner und Eigentümer einer Liegenschaft dringend empfehlen, auf die Ästhetik zu achten, denn nur diese garantiert den Werterhalt und damit ganz profan den Preis einer Liegenschaft und ist damit auch wirtschaftlich von Bedeutung.

Worin besteht beispielsweise die Ästhetik und Wichtigkeit des Gebäudes Hietzinger Hauptstraße 170? Dieses Gebäude ist schon wegen seiner Lage wichtig: An einem markanten Sichtpunkt an der Schnittstelle der oberen Hietzinger Hautstraße mit der Glasauergasse und der Einsiedeleigasse gelegen, springt es jedem ins Auge, der sich aus Wien kommend dem Zentrum Ober St. Veits nähert. Das klassische Postkartenmotiv mit der Ober St. Veiter Pfarrkirche schließt meist auch dieses Haus ein. Die äußere Form entspricht in Höhe, Breite und Tiefe einem goldenen Schnitt. Auch die Form des Daches ist noch stimmig. Kastenfenster und leicht gegliederte Fassade sind exemplarisch für das an dieser Stelle im 18. und 19. Jahrhundert gewachsene Ensemble aus biedermeierlichen Vorstadthäusern. Auch die nicht zu dominanten kleinräumigen Geschäfte passen gut in das Bild. Um die Jahrhundertwende wurde dieses, auf ganz alten Fotos noch festgehaltene Ensemble mit dem Bau des Hauses Hietzinger Hauptstraße 172 gebrochen, heute ist es von Verwahrlosung und Leerstehung betroffen. Ein Haus wie die Hietzinger Hauptstraße 170 muss unverändert bestehen bleiben und kann, mit Liebe restauriert, wieder zu einem Juwel gemacht werden. Veränderungen sind allenfalls im Innenhof mit nützlichen Adaptierungen wie Terrassen und Wintergärten im Bereich des Erdgeschoßes denkbar, die Holzveranda im 1. Stock ist jedoch als prägend zu erhalten. Die Nebengebäude sollten im gegeben Stil adaptiert einer Gewerbe- oder Wohnnutzung zugeführt werden.

Gänzlich anders ist das Haus Firmiangasse 21: Ein hervorragendes Beispiel für die ehemals meist aus Streckhöfen bestehende bäuerliche Struktur, die durch Überbauungen oder Umbauten ihre Gestalt änderte und wegen der geringen Grundstücksbreite oft auch diese kleinhäuslerische Außenansicht eines winzigen Gassenfrontenhauses annehmen konnte. Gerade in seiner Schlichtheit inklusive der passenden Proportionen liegt seine prägende Bedeutung für die Umgebung. Daher darf weder an der Dachform, noch an der Fassade, und schon gar nichts an Ausmaß und Proportion der Fenster und Türen geändert werden. Die jüngsten Ereignisse im Innenhof des Hauses will ich lieber nicht kommentieren.

Zum Nachdenken für alle „geldgläubigen Realos“ unter uns: Aus meiner Sicht sind Ästhetik und Wissen die am leichtesten in bare Münze umzusetzenden immateriellen Werte. Vielleicht springt dieser gedankliche Funke über und entzündet ein kleines Lichtlein…
<p><b>Hietzinger Hauptstraße 170 bis 174</b></p><p>Die Häuserfront Hietzinger Hauptstraße 170–174, als sie noch geschlossen war.</p><p><i>&copy; Bezirksmuseum Hietzing</i></p>

Eduard Issel
im Februar 2010