Historisches Ober St. Veit

Kommerzialrat Gerhard Korkisch erzählt über die Entstehungsgeschichte der Ober St. Veiter Handwerks-, Gewerbe- und Vereinsgeschichte „Historisches Ober St. Veit“
24.11.2009

Lange Jahre führte mich mein „Morgenspaziergang“ von der Wohnung in der Firmiangasse zur Arbeit in die Testarellogasse. Vor meinem geistigen Auge stehen noch die vielen Geschäfte auf diesem kurzen Stück Weges.

Schon an der Kreuzung Firmiangasse/Auhofstrasse waren drei Straßen­ecken von Betrieben besiedelt: dem Café Auhof, dem Konsum und dem Steinerwirt. An das Kaffeehaus schloss ein Greißler, rechts vom Konsum waren eine Trafik und ein Friseur, und auf der anderen Seite die kleine Drogerie Trittenwein, wo links neben dem Eingang das Petroleumfass stand (es gab noch bei vielen Haushalten keinen Strom). Den Gastgarten des Steinerwirts säumte auf der anderen Seite das Haus des Rauchfangkehrers Casoli mit einem Obsthandel und einem Milchgeschäft. Mein weiterer Weg in der Auhofstraße war von einem zweiten Milchladen gesäumt, wo noch mit einem Ziment die Milch in die Kannen und später in die Flaschen eingefüllt wurde, weiters von einer Papierhandlung, einer Gemüsehandlung, dem Fleischhauer Schütz und gegenüber einer Parfümerie. Am nächsten Eck war die Bäckerei Schwarz, dann das Auhof-Kino, die Wäscherei und Putzerei Steinfest, der Bautischler Rossmann, die Konditorei Gmatl und an der Ecke zur Testarellogasse ein kleines Lebensmittelgeschäft. Auf der anderen Seite der Auhofstraße, ein Installateur, eine Wein- und Gemüsehandlung, eine Lotto-Toto-Annahmestelle, ein Fleischhauer, ein Fotograf und ums Eck eine Lebensmittelhandlung, daneben noch eine kleine Konditorei.

Viel Gewerbe auf einem Weg von nur ca. 300 m, und wie viele Unternehmen sind heute noch vorhanden? Wie viele Geschäfte waren in der Amalienstraße und wie viele sind heute noch dort? Wie viele Traditionsbetriebe mit jahrzehntelangem Bestand gibt es überhaupt noch in Ober St. Veit? Schon lange hat mich der Gedanke beschäftigt, die Geschichte dieser Traditionsbetriebe für unsere Nachkommen zu dokumentieren. Doch wer sollte dies tun, da ich mich dazu nicht geeignet hielt? Mein Wunsch war, Herrn Dr. Holzapfel für das Projekt zu gewinnen. Er gestaltet schon viele Jahre mit viel Liebe das „Ober St Veiter Blatt’l“, schreibt Artikel und verfasste auch das Buch „Die siebente Farbe“. Als „alter“ Ober St. Veiter sagte er spontan zu, ohne dass wir beide ahnten, was aus den geplanten paar Seiten werden sollte.

Dr. Holzapfel begann zu recherchieren, in der Ober St. Veiter Heimatrunde und im Bezirksmuseum nach alten Dokumenten, Geschichten und Fotos zu suchen. Vor allem aber interviewte er unzählige Zeitzeugen, die teilweise selbst noch in den Unternehmen ihrer Eltern standen oder sich an deren Erzählungen erinnern können. Z. B. über den Lederhosen- und Handschuhmacher Puchhas gegenüber der Volksschule – ich kann mich noch erinnern, von ihm die reparierte Lederhose abgeholt zu haben. In seinem Geschäft wurde mit einer großen Schere dreimal auf das Sprachrohr geklopft, um Kontakt mit der oben liegenden Werkstatt zu bekommen. Auch an den Baumeister Oppolzer kann ich mich erinnern – lesen und schauen Sie nach, wie die Häuser damals ausgesehen haben und wie sie heute aussehen. Viele kleine und größere Unternehmen, ja sogar die einstige Industrie wurden aufgenommen, und die Arbeit wurde immer umfangreicher. Schließlich fanden auch noch die Vereine Eingang. Haben wir in Ober St. Veit wirklich so viele Unternehmen gehabt? Doch, denn alle Einkäufe mussten vor 50 Jahren noch zu Fuß erledigt werden und dafür war die Nahversorgung auf kurzen Wegen notwendig. Außerdem waren viele der Betriebe wichtige Kommunikationszentren. Auch das kulturelle Leben war ein intensives „Miteinander“ in der Region. Einige der im Buch angeführten Jahrzehnte alten Familienunternehmen sind auch Mitglieder der IG Kaufleute Ober St. Veit (alle Mitglieder sind im Anhang angeführt).

Dieses Buch ist ein Nachschlagwerk, voll mit Erinnerungen über alte, nicht mehr vorhandene Unternehmen und einige, die es heute noch gibt. Ich danke Herrn Dr. Holzapfel für die Jahre, die er diesem fast schon wissenschaftlichen Werk gewidmet hat und seiner Familie, die dies tolerierte. Ich danke auch unserem Direktor des Hietzinger Bezirksmuseums, Herrn Prof. Felix Steinwandtner, selbst einmal Fleischhauer, für die vielen Fotos, Unterlagen und Hinweise. Er ist ja das lebende Lexikon von Hietzing. Ich danke auch den vielen Familien, die bereit waren, Herrn Dr. Holzapfel mit Informationen und Unterlagen zu unterstützen.

Ich wünsche Ihnen viel Freude auf dieser Reise von der oft weit zurückliegenden Ober St Veiter Wirtschafts- und Vereinsvergangenheit bis in die Gegenwart.

Anmerkung des Buchautors: Das Buch (ca. 600 Seiten A4) erschien Mitte Dezember 2009 und war zum Preis von € 48,– erhältlich. Die aufgelegten 500 Stück sind vergriffen. Zu einer weiteren Beschreibung des Buches samt Online-Ausgabe kommen Sie HIER.

Kommerzialrat Gerhard Korkisch
im November 2009