Die erste urkundliche Nennung St. Veits
Der erste bekannte schriftliche Hinweis auf den Ort St. Veit an der Wien ist die Folge eines in den Jahren 1195 bis 1196 beendeten Rechtsstreites um einen Weingarten in Baumgarten. Zwei der Zeugen stammten aus Sankt Veit.
1195
Das älteste bekannte Dokument, welches sich mit einem Gebiet im alten St. Veit beschäftigt, ist eine Schenkungsurkunde aus dem Jahr 1015 ("Godtinesfeld-Urkunde"). Ein Teil dieses Godtinesfeldes soll dem späteren Veitinger Feld (das heutige Unter St. Veit und der flachere Teil Ober St. Veits) entsprochen haben. Das in seiner ursprünglichen Dorfanlage noch heute bestehende St. Veit hat sich erst später um eine Feste auf dem höher gelegenen westlichen Rand dieses Gebietes entwickelt. Über die tatsächliche Entstehung gibt es keine Nachricht. Dr. Josef Kraft ermittelt in seinem Buch "Aus der Vergangenheit von Ober St. Veit" die zweite Hälfte des 12. Jahrhunderts als Zeitpunkt der Entstehung des Ortsnamens Sankt Veit. Der Name Godtinesfeld ist noch im Mittelalter abhanden gekommen. Nur im Namen der ehemaligen Feldmühle hat er sich bis in die jüngste Vergangenheit in Erinnerung behalten und bis heute als Feldmühlgasse.
Die erste bekannte Nennung unserer Ortsbezeichnung St. Veit findet sich im Formbacher Traditionsbuch. In Traditionsbüchern verzeichneten vor allem Klöster vom 10. bis zum 13. Jahrhundert wichtige Rechtsakte wie Schenkungen und Privilegien. Die Eintragungen erfolgten entweder als Protokoll eines mündlichen Rechtsaktes oder als Abschrift einer Urkunde.
Und doch scheint es berechtigt, mehr über diese Überlieferung zu berichten. Zunächst ist der meist genannte Inhalt (Darlehensgeschäft) zu stark verkürzend, denn erst Verlauf und Ergebnis eines später aufflammenden Rechtsstreites sind wesentlicher Gegenstand der Eintragung. Darüber hinaus ist diese Tradition eine häufig zitierte Quelle für andere Bereiche der Geschichtsforschung, hauptsächlich zu den Babenbergern und zu den Juden. Aber auch die ehemaligen Hietzinger Bezirksteile Breitensee und Baumgarten schöpfen ihre Erstnennungen aus dieser Tradition.
Im Folgenden zunächst die Übersetzung des lateinischen Textes, wie er im "Urkundenbuch zur Geschichte der Babenberger Band IV/1 und 2" wiedergegeben ist (Übersetzungen von Dr. Johann Weißensteiner vom Diözesanarchiv Wien, Fußnoten im Anschluss):
„Wissen soll die nächste Generation und die Söhne, die jetzt geboren werden, sollen ihren Söhnen erzählen: Als der Wiener Bürger Wergand seine Fahrt nach Jerusalem begann (1), erhielt er von Heinrich, Abt der Formbacher Kirche, 10 Pfund (2). Für sein und seiner Eltern Seelenheil schenkte er unserer Kirche mit rechtsgültiger Hand zu ewigem Eigentum Weingärten, wie er sie vom Herrn Hugo von Möllersdorf zu Bergrecht (3) empfangen hatte. Nicht nur bebaute Weingärten sondern auch solche, die der Bebauung zugeführt werden konnten. Über diese Weingärten übte auch der vorgenannte Hugo die Vogtei (4) aus. Er schenkte sie derart, dass während der Abwesenheit desselben Wergand seine Frau namens Gepa alljährlich deren Bebauung durchführen sollte; und falls sich ein Ertrag von bis zu vier Fudern (5) ergäbe, sollte uns davon ein Fuder gegeben werden, bei einem Ertrag von bis zu sechs Fudern sollten wir zwei Fuder erhalten. Falls er aber von seiner Pilgerfahrt nicht zurückkehren sollte und auch die genannte Gepa es unterließe, die Bebauung [der Weingärten] durchzuführen, dann sollten die Weingärten gänzlich in das Besitzrecht unserer Kirche fallen, ihr aber jährlich ein Unterhalt, der mit vier Scheffel Getreide, einem Schwein, dreißig Laib Käse und einem Fuder Wein bemessen sein sollte, als Gegenleistung gegeben werden. Und so geschah es (6), dass wir die vorgenannten Weingärten in unserer Gewalt hatten, bis Herzog Leopold einen gewissen Juden namens Sclom (7) über das Münzamt setzte. Dieser Jude entfachte einen Streit gegen uns indem er behauptete, Werigand sei sein Diener gewesen und habe den Weingarten von seinen Gütern bebaut und dieser sei ihm von einem bestimmten Eigengut aus zugekommen (8). Als danach der vorgenannte Herzog bei Fischau (9) eine Versammlung mit seinen Ministerialen bezüglich der Erbauung seiner neuen Stadt (10) und bezüglich der Änderung hinsichtlich unseres Marktes Neunkirchen (11) abhielt, erinnerten wir ihn an die Verletzung unseres Weingartens und über die Bedrängung durch den Juden. Er hielt Rat mit seinen Ministerialen und entschied, wir sollten unseren Weingarten ohne jeden Widerspruch innehaben. Hierauf geschah es nach kurzer Zeit, dass Herzog Leopold aus diesem Leben schied und als sein Sohn Friedrich die Herrschaft über Österreich ausübte, ging ihn der vorgenannte Jude an, schenkte ihm viel und versprach ihm noch mehr, vermehrte seine Klage und wollte den Weingarten haben, vermochte es aber nicht, da ihn die Frömmigkeit seines Herrn daran hinderte. Als dies geschehen war und viele Kosten vergeudet worden waren, wurde schließlich zwischen den Ministerialen des Herzogs und dem Abt (12) und den Brüdern (13) und mit dem Propst (14) namens Heinrich Rat gehalten (15) und entschieden, der Jude solle die Ernte jenes Jahres einsammeln, dazu noch 20 Pfund erhalten und so von jeder Klage und Belästigung ablassen. Und damit diese Schenkung unseren Nachfolgern verbleibt, haben wir es für passend gehalten, geeignete Zeugen aufzuschreiben, die vom Beginn als Zeugen dieser Schenkung dabei waren, als Wergand diesen Weingarten unserer Kirche schenkte und die später als Zeugen auftraten, als der Jude sowohl mit den Söhnen, wie auch mit den Frauen, völlig Verzicht leistete: Hugo von Möllersdorf, Wigand, Hermann von Pitten, Heinrich Kalb, Berthold Kalb, Albert der Diener, jener Wergand, der zuerst den Weingarten unserer Kirche übergab, Hugo wie oben, Reinprecht in Mödling, Dietwin der Diener des Herrn Hugo, Konrad, Gerunch, Gottschalk, Walchun, Utschalk und Sibot, Verwandte eben des Wergand, Herbord, ein Cousin väterlichseits des Herrn Volchold, und die Bürger Burkhard, Leopold, Rudolf, Marquart, Ortolf, Petrus ungir, Herwig, Wisint, Deinhart, Rüdiger, Herwig, Erbo, Herrand und sein Sohn, Heinrich, Gerung sconair, Ernst, Wolfger, Berthold, Wernhard, Eberhard, Rüdiger, Haitvolk, Konrad, Hermann, Gundolf und seine Söhne, Heinrich, Eberger, Elbwin, Friedrich, Heinrich und Walther.
Und die folgenden traten zuletzt, als wir den Weingarten vom vorgenannten Juden Zlom erhielten, als Zeugen auf: Wigand von Klamm, Hermann von Pitten, Leopold von Krumbach, Heinrich Kalb, sein Bruder, Otto, Erchenbret von Hacking, Marquard von Ütelndorf (16), Ulrich von Haviwa (17), Rudolf von Traiskirchen, Wicfried von Möllersdorf, Albert und Ernst von St. Veit, Wolfger, Vorsteher der Köche des Herzogs, Berthold Hech, Albert von Winna, Ulrich, Erchenger, Wichpot von Prantense (18), Heinrich, der Sohn Hugos, Eberhard, Eberger, Hermann, Rupert, Hetilo, Hermann von Pomerio (19), Leopold, Walchun von Gloggnitz, Reinhold, Eberhard und noch viele andere.
Anmerkungen zu diesem Text:
- Der Beginn der Pilgerfahrt ist um das Jahr 1193 anzunehmen.
- Gemeint sind 10 Pfund Pfennige.
- Das "Bergrecht" ist eine bei Weingärten übliche, oft genau umschriebene Leiheform.
- Der Vogt regiert und richtet im Namen des Landesherren
- Carata = Fuder, ein Weinmaß, in späterer Zeit mit 312 Eimer à 56,6 Liter = 1811,2 l gerechnet.
- Offensichtlich kehrte Wergand von seiner Pilgerreise in das Heilige Land nicht mehr zurück.
- Lohrmann (Judenrecht und Judenpolitik im mittelalterlichen Österreich) bezeichnet Sclom (auch Schlom, Salomon und andere Schreibweisen) als ersten Juden, der zweifelsfrei in Österreich gelebt hat. Er führt auch - wie viele andere - seine Ernennung zum Münzmeister durch Herzog Leopold V. an und stellt auch den Zusammenhang mit dem Eintreffen des Lösegeldes von Richard Löwenherz in Österreich und der Errichtung der Wiener Münzstätte her. Neben den umstrittenen Grundstücken, die in Baumarten am Wienfluss lagen, gehörten ihm auch vier Baugründe in der heutigen Seitenstettengasse, die neben der damaligen Synagoge lagen. Seit wann sich Sclom in Österreich aufhält, ist nicht genau zu bestimmen. Die Bemerkung, dass Wergand der Pfleger seiner Güter gewesen war, lässt darauf schließen, dass er schon vor 1194 in Österreich Besitz hatte. Einem Bericht des Epharim bar Jakob aus Bonn (Hebräische Berichte über Judenverfolgungen während der Kreuzzüge) zufolge wird Sclom im Juni 1196 von durchziehenden bewaffneten Kreuzfahrern in seinem Haus in Wien ermordet.
- Aronius (Regesten zur Geschichte der Juden) formuliert freier: Dieser (der Jude Schlom) erhebt Anspruch auf den Weinberg, indem er erklärt, dass derselbe ihm gehört habe, und dem Wergand, welcher in seinen Diensten gestanden habe, nur zum Anbau überlassen gewesen sei (dicens Werigandum officiarium suum fuisse et vineam de bonis suis coluisse atque ex proprietate quandam sibi extitisse).
- Heute Bad Fischau, GB Wr. Neustadt.
- Gemeint ist Wiener Neustadt.
- Das Lösegeld für Richard Löwenherz soll die Erweiterung Wiens sowie die Gründung bzw. Befestigung von Wiener Neustadt, Hainburg und Enns wesentlich beschleunigt haben. Der eigentliche Grund für das hochrangige Zusammentreffen in Fischau war die Übertragung der Marktrechte, die das Kloster Formbach in Neunkirchen ausgeübt hatte, an den Herzog, damit sie dieser an seine neue Stadt Wiener Neustadt weitergeben konnte. Bei dieser Gelegenheit wurde dem Herzog auch der Streit wegen des Weinberges vorgetragen. Als Datum dieses Zusammentreffens ist das Jahr 1194 anzunehmen, Herzog Leopold V. starb am 31. Dezember 1194.
- Der Abt des Klosters Formbach.
- Die Benediktiner des Klosters Formbach.
- Probst = Amt in einem Benediktinerkloster.
- Der Ort dieser zweiten Zusammenkunft ist nicht belegt, das Datum ist mit dem Amtsantritt Friedrichs Anfang des Jahrs 1195 und dem Tod des Münzmeisters Sclom im Juni 1196 einzugrenzen. Daraus ergeben sich auch die Datierungsgrenzen für das Auftreten der Zeugen Albert und Ernst von St. Veit und der Eintragung in das Formbacher Traditionsbuch.
- Hütteldorf
- Auhof?
- Breitensee
- Baumgarten
Mehr ist über den Streit um des Weingarten nicht zu erfahren, vor allem nicht die wahren Hintergründe und wem tatsächlich Unrecht geschah. Einerseits waren Pilger und Kreuzfahrer in der Beschaffung der Reisegelder machmal recht „kreativ“, andererseits wird auch die Möglichkeit in den Raum gestellt, dass eine Transaktion zwischen dem Vogt Hugo von Möllersdorf und Sclom die Rechte des Klosters Formbach übersah. Die Eintragung in das Formbacher Traditionenbuch beschränkt sich auf die Ergebnisse der Verhandlungen und der Zeugen. Was die Details des Streits betrifft, wären aber Formbacher Aussagen ohnehin als parteiisch einzustufen. Schon die Aussage, der Jude Sclom „gab viel und versprach noch mehr“ erscheint als unbelegte Wertung. Die Ansiedelung des umkämpften Weingartens in Baumgarten erscheint aufgrund des umfangreichen Grundbesitzes des Klosters Formbachs in dieser Gegend plausibel. Die Sicherheit, dass Albert und Ernst aus dem St. Veit an der Wien stammen, und nicht etwa dem an der Gölsen oder der Triesting, resultiert aus den zahlreichen anderen Zeugen aus naheliegenden Ortschaften (Hütteldorf, Auhof, Breitensee und Baumgarten).
Abschließend sind die Gesamtabbildungen der ersten vier Blätter des Traditionscodex und der Seiten 114 bis 117, die die relevante Eintragung enthalten: