Schuberts Winterreise
in der Versorgungsheimkirche
15.09.2019
Am Freitag, den 15. November 2019 gab es von 18 bis 20 Uhr wieder eine interessante, von Univ.-Doz. Dr. Herwig Swoboda organisierte Veranstaltung in der Versorgungsheimkirche, und zwar mit folgendem Programm:
Begrüßung durch P. Edmund Dorner, Rektor der Kirche St. Karl Borromäus
Herwig Swoboda, Vorstand der HNO-Abteilungen Hietzing und Wilhelminenspital sprach über die Formensprache Leonardos und Rembrandts in der Versorgungsheimkirche
Johannes Schwendinger (Bass) und Johannes Wilhelm (Klavier) interpretierten die Winterreise von Franz Schubert (1797–1828) D 911 nach Wilhelm Müller (1794–1827)
Nach dem Konzert gab es einen Kirchenrundgang mit Agape in der Sakristei.
Die Veranstalter danken der KLAVIERgalerie für die Bereitstellung eines Feurich-Flügels.
Franz Schubert wurde 1797 in Himmelpfortgrund in eine musikalische Familie aus Nordmähren geboren. Im familiären Kreis und im Stadtkonvikt unter Wenzel Rružička und Antonio Salieri erlangte er frühe musikalische Reife. Sein Liederzyklus „Winterreise. Ein Cyclus von Liedern von Wilhelm Müller… 1827“ wurde wegen eines dunklen Charakters von Musik und Text teilweise reserviert aufgenommen. Julius Stockhausen (1826–1906), Schüler des Erfinders des Kehlkopfspiegels Manuel Carcía jr. (1805–1906), führte 1860 erstmals den gesamten Zyklus auf, nachdem er dies mit „Die schöne Müllerin“ 1856 in Wien ebenfalls als erster gewagt hatte.
Wilhelm Müller lässt das lyrische Ich eines Brautsuchenden sprechen, der die winterliche Stadt seiner Geliebten verlässt, die ihn zugunsten eines anderen abgewiesen hat. Seine Erstarrung widerspiegelt sich in der Natur. Das Aufbäumen gegen den Verlust der weiterhin geliebten weicht heftiger Kränkung, die ihn Ruhe im eigenen Ende ersehnen lässt. Die bewusste Abwendung vom persönlichen Schmerz und die Zuwendung nach außen befähigen ihn, einen einsamen alten Leiermann und dessen Lebensmut wahrzunehmen. Im Gedanken des lyrischen Ichs, sich ihm anzuschließen, endet der Zyklus.
2007 wurde der Text vom gehörlosen Schauspieler Horst Dittrich in Gebärdensprache (ÖGS) übertragen. Schuberts Liederzyklen nach Wilhelm Müller „Die schöne Müllerin“ (1823) und „Winterreise“ (1827) bilden einen Höhepunkt europäischen Liedschaffens.
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Der Veranstalter Dr. Herwig Swoboda wäre nicht er selbst, würde er nicht die Kunstwerke in der Versorgungheimkirche in Form und Aussage interpretieren und in einen Kontext mit ganz großen Vorbildern stellen. Ganz an vorderster Stelle bietet sich dafür natürlich der Schutzpatron der Kirche an, der heilige Karl Borromäus. Er ist auch am von Hans Zatzka geschaffenen Altarblatt dargestellt:
Das Motiv führt auf den Mailänder Kardinal Federico Borromeo (1564–1631) zurück, Cousin und Nachfolger des 1584 verstorbenen, 1602 selig und 1610 heiliggesprochenen Karl Borromäus (Carlo Borromeo). Federico war ein großer Kunstmäzen und auf direktem und indirektem Wege ein wichtiger Konservator des Nachlasses von Leonardo da Vinci. Der berühmte Codex Atlanticus (eine gebundene Sammlung von Zeichnungen, Skizzen und Notizen Leonardo da Vincis) wurde 1637 der von ihm begründeten Biblioteca Ambrosiana überlassen.
Federico Borromeo beauftragte 1624 Giovanni Battista Crespi, Carlos Monument als Teil des Sacro Monte in Arona (Carlo wurde 1538 in Arona geboren), zu gestalten. Hergestellt wurde es von Siro Zanella aus Pavia und Bernardo Falconi aus Bissone (fertiggestellt 1698). Die begehbare Statue sollte erst 1886 von der Freiheitsstatue in New York als höchste Statue der Welt abgelöst werden.
Die unnmittelbare Vorlage für unseren Borromäus in der Versorgungsheimkirche kann nun in der Darstellung des italienischen Malers Giuseppe Bertini (1825–1898) im Glasfenster im Mailänder Dom gesehen werden. Auch hier ist es noch ein segnender Borromäus. In Zatzkas Darstellung nimmt Borromäus das Buch in die rechte Hand und muss das Segnen dem Jesuskind überlassen.
Insgesamt, vor allem in seinem Rahmen, erinnert der Hochaltar in der Versorgungsheimkirche an den Altar August Staches für die Mikromosaikkopie von Leonardo da Vincis Letztem Abendmahl, der die Großleistung Bossis und Raffaellis ergänzte. Stache war Onkel des Architekten der Votivkirche Heinrich von Ferstel.
Die Mailänder Malerfamilie De Predis war mit Leonardo (+1519) über viele Jahre mit den zwei Ausführungen der Felsgrottenmadonna befasst. Der älteste Bruder Cristoforo war führender Buchmaler und stolz mit MUT (mutulus) signierender Gehörloser. Die ausdruckstarke Gestik der Figuren hat verschiedentlich veranlasst, darin die Erfahrung Leonardos mit der Gebärdensprache zu erkennen, über die er ja im Malereitraktat schrieb, das von Francesco Melzi zusammengestellt und ab 1651 publiziert wurde.
Leonardo, mit Josquin Desprez und Franchino Gaffurio bekannt, war, aus der Werkstatt des musikalischen Verrocchio kommend, ein namhafter „Bratschist“ der Zeit kurz vor Entwicklung der Geigenfamilie (7-saitige Lira da braccio, mit der man nach griechisch-antikem Vorbild eigenen Gesang/Sprechgesang begleite). So passt er auch zu Schubert. Rembrandt (+1669) passt nach Ansicht Herwig Swobodas zu Schubert durch sein unverfälschtes Auftreten, und zu Leonardo durch seine Abendmahlkopien als Zeichnung.