Hellas an der Donau

Ein Programm aus dem „Wiener Werkel“, präsentiert von josev macht theater
16.05.2019

Noch während des Verfahrens zur Liquidation des Rechtsträgers des Kabaretts „Literatur am Naschmarkt“ (mangels ausreichenden Vermögens), versuchte der Schauspieler und Anwärter der NSDAP Adolf Müller-Reitzner die Erbmasse zu retten und gründete in der Liliengasse 3 die Kleinkunstbühne „Wiener Werkel“. So stellte zumindest der Mitbegründer der „Literatur am Naschmarkt“ und Mitakteur des „Werkels“ Rudolf Weys den Beginn der Kleinkunstbühne dar. Doch dürfte das „Wiener Werkel“ tatsächlich über Wunsch und Auftrag des Wiener Propagandaamtes in der Reisnerstraße entstanden sein. Direktor Müller-Reitzner gab dem Unternehmen als Parteimitglied vermutlich lediglich die gewünschte Legitimation, ebenso die Schauspieler und Akteure, die ungefähr zur Hälfte Mitglieder der NSDAP waren (siehe Einleitung zu „Bombenstimmung“ von Hans Veigl). Doch erwies sich das „Wiener Werkel“ – in den Folgejahren oftmals zensuriert und mehrmals verboten – als wankelmütig bis resistent gegenüber der neuen Ideologie. Hier fanden sich auch die bewährten Kräfte des ehemaligen „Burgtheaters der Kleinkunst“, eben der „Literatur am Naschmarkt“, wieder ein: Wilhelm Hufnagl, Walter von Varndal, Rudolf Steinboeck, Robert Horky, Josef Meinrad, Hugo Gottschlich, Erich Nikowitz, Oskar Wegrostek und ein wenig später Christl Räntz, die dann Direktor Adolf Müller-Reitzner heiraten sollte. Offizielle Hausautoren des „Werkels“ wurden Rudolf Weys und Franz Paul, inoffizielle, weil nicht arisch, Kurt Nachmann und Fritz Eckhardt. Regie führte bis zu seinem frühen Tod Müller-Reitzner, nach ihm zumeist Christl Räntz. Für die Musik sorgte Josef C. Knaflitsch, die Kostüme gestaltete Lambert Hofer. Zehn Programme konnte das „Wiener Werkel“ von Jänner 1939 bis zur allgemeinen Theatersperre im Herbst 1944 spielen; in ihnen lag alles, was das Wesen der Wiener Kleinkunstbühne ausmachte: nörgelnde Anpassung und versteckter Widerstand.

Diese Programme gliederten sich in zwei kürzere Teile mit Kaberettnummerncharakter und ein längeres, sogenanntes Mittelstück. Die Programme sind nur mehr teilweise erhalten. „Ein Mann kehrt heim nach Ithaka“ ist aus dem fünften Programm (Premiere am 29.10.2019), „Iphigenie in Wien“ findet sich in dem zehnten und letzten. Für beide zeichnet offiziell Christl Räntz verantwortlich, wobei zweiteres wahrscheinlich ihr nur zugeschrieben wird, da es sich in Art und Gestaltung von ihren anderen Werken unterscheidet.

Das sogenannte Mittelstück kann als eigene Gattung im Theater der (Zwischen)Kriegszeit bezeichnet werden, die es in dieser Art danach nicht mehr gab. In diesem findet gleichsam eine Synthese von Kabarett und Theater statt. Charakteristische Elemente und Verfremdungseffekte zum Umgehen der Zensur sind beispielsweise zweideutige Worte und Sätze, grotesk überzeichnete, anscheinend nicht ernstzunehmende Charaktere oder das Versetzen der Handlung in eine andere (ferne) Zeit oder an einen anderen Ort. Die bereits, von Josev zur Aufführung gebrachten Stücke Jura Soyfers „Der Weltuntergang“ und „Astoria“ sind typische und bekannte Beispiele für Mittelstücke.

Die 2013 gegründete Theatergruppe „josev“ brachte in der Zeit ihres Bestehens bisher vier Stücke zur Aufführung: „Der Weltuntergang“ und „Astoria“ von Jura Soyfer und „Mit dem Kopf durch die Wand“ und „Figaro lässt sich scheiden“ von Ödön von Horvath. Nun folgten mit dem Titel „Hellas an der Donau“ die beiden Mittelstücke „Ein Mann kehrt heim nach Ithaka“ und „Iphigenie in Wien“ an einem Theaterabend.

Gemein ist allen von josev aufgeführten Stücken, dass sie in der Zwischenkriegszeit entstanden und so Zeugen einer bewegten Zeit sind. Mehr oder weniger explizit sprechen sie Themen an, die von (fragiler) Identität, Fiktion und Wirklichkeit, Sehnsüchten und Wünschen, Furcht und Hoffnung sprechen, und in dieser unbewussten elementaren Deutlichkeit tiefen Einblick in die Seele der Menschen damals und des Menschen überhaupt geben.

Während alle bisherigen Stücke an zwei Abenden aufgeführt wurden, gab es zu „Hellas an der Donau“ drei Vorstellungstermine, und zwar von 16. bis 18. Mai 2019 im Rahmen der Hietzinger Festwochen. Der Große Festsaal im Amtshaus Hietzing war an allen drei Abenden ausverkauft, und das Publikum hatte große Freude an der kurzweiligen Reise durch Raum und Zeit. Es kam nach Troja, um von dort aus mit Odysseus die Abenteuer seiner Irrfahrten gen Heimat auf Ithaka, wo ihn seine Penelope erwartet, zu bestehen. Es erlebte auch, wie im antiken Aulis Iphigenie nur knapp ihrer Opferung entgeht, um stattdessen im Wien der 1940er-Jahre wiederzuerwachen.

Hellas an der Donau. Präsentiert von josev macht theater. Schlussfoto der Premiere am 16. Mai 2019 © Archiv 1133.at
<p><b>Hellas an der Donau</b></p><p>Präsentiert von josev macht theater. Schlussfoto der Premiere am 16. Mai 2019</p><p><i>&copy; Archiv 1133.at</i></p>

Besonders hervorgehoben sei die Rolle, welche Musik und Gesang (im wahrsten Sinn des Wortes) spielen. Sie erzeugen Stimmungen und wecken Assoziationen, begleiten und prägen die Handlung, charakterisieren Figuren und erzeugen eine Tiefe, die alleine durch das gesprochene Wort nicht möglich wäre. Im Wiener Werkel wurde ein Großteil der Musik von Carl Josef Knaflitsch (29.09.1907 – 22.2.1982) komponiert, originale Noten sind im Kabarettarchiv in Graz erhalten.

Josev hat sie für die beiden Stücke neu transkribiert, Florian Peter Kalny und Sebastian Naber haben sie gespielt und gesungen. In der Folge können die Lieder als mp3-Datein angehört werden, sie sind in der aktuellen Theaterlandschaft einzigartig:

Ein Mann kehrt heim nach Ithaka

Iphigenie in Wien

Wer Lust und vor allem Zeit (insgesamt über 2 Stunden) hat, kann sich auch die Videoaufzeichnung der Stücke ganz oder teilweise anschauen:

Hellas an der Donau
Zwei Stücke aus dem Programmen des legendären Wiener Werkels, präsentiert von josev macht theater im Rahmen der Hietzinger Festwochen 2019
16.05.2019

josev bedankt sich beim treuen Publikum für die großzügigen Spenden. Mit dem Reinerlös der drei Vorstellungsabende wird die Sozialorganisation neunerhaus unterstützt. neunerhaus ermöglicht obdachlosen und armutsgefährdeten Menschen ein selbstbestimmtes und menschenwürdiges Leben mit Medizinischer Versorgung, Wohnen und Beratung: https://www.neunerhaus.at/

Quellen:
Hans Veigl: Bombenstimmung – Das Wiener Werkel. Kabarett im Dritten Reich. Wien: Verlag Kremayr & Scheriau, 1994;
Recherchen von josev macht theater

hojos
im Juni 2019