Die Mauerziegel des St.-Josefs-Heimes
Eine lokale Ziegelkunde
03.08.2017
Der Hauptbericht zum St.-Josef-Heim (Einsiedelei) ist unter www.1133.at/document/view/id/49, die Fotos vom Abbruch des Heimes sind unter www.1133.at/document/view/id/1222 aufrufbar.
Die vor ca. 9400 Jahren gebauten Lehmhäuser von Çatalhöyük in Zentralanatolien bestehen aus den ältesten uns bekannten Ziegeln. Die Ziegelkultur in China kennt seit etwa 7.300 Jahren auch den gebrannten Ziegel. Erste Höhepunkte erreichte die Ziegelbaukunst in Mesopotamien.
Im antiken Europa waren es die Griechen, Etrusker und Römer, die das Ziegelbrennen zu hoher Blüte brachten. Die Ausdehnung des Römischen Reiches brachte den Ziegelbau und die Kunst des Ziegelbrennens auch in unsere Region.
Mit dem Abzug der Römer und während der Völkerwanderung geriet diese Technik in unserem Gebiet in Vergessenheit und kehrte erst mit den Klostergründungen im Rahmen der deutschen Einwanderungswellen zurück. Der Besitz eines Ziegelofens war in der Folge den Ständen (Adel, Klerus und große Städte) vorbehalten. Diese produzierten vor allem für den Eigenbedarf, verkauften aber auch an Dritte. Ein stark zunehmender Bedarf an Baumaterial, der die kleinen ständischen Ziegeleien überforderte, führte um 1750 zur Aufhebung dieses Privilegs. Nun konnte jedermann, der einen tauglichen Grund besaß, einen Ziegelofen errichten und Ziegel verkaufen.
Die Tätigkeit der Ziegelproduktion lag lange Zeit vor allem in den Händen einheimischer (im Wiener Raum) oder italienischer (im ländlichen Bereich) Familien, die an Ort und Stelle Tonvorkommen suchten, die Ziegel herstellten und oft auch bei der Errichtung der Gebäude beteiligt waren. Vor allem Großbauvorhaben wie die Wiener Stadtmauer oder der Wiener Neustädter Kanal zogen auch Ziegler aus anderen Regionen an.
Die für unsere Region bedeutendste Ziegelproduktion nahm ihren Ausgang vom Ziegelhof der Herrschaft Inzersdorf am südlichen Abhang des Wienerberges. Alois Miesbach, der den Betrieb zuerst pachtete und zwischen 1824 und 1826 kaufte, und sein Neffe und Erbe Heinrich Drasche schufen ein Imperium, das zur heutigen Wienerberger AG, dem weltweit größten Ziegelproduzenten, wurde. Miesbachs Gefühl für die Voraussetzungen eines erfolgreichen Ziegelwerkes (ausreichende Mengen guten Lehms, gute Verkehrsverbindungen und genügend Arbeiter) waren dafür ausschlaggebend.
Die Mauerziegel im Abbruchmaterial des St.-Josef-Heimes geben einen interessanten Einblick in die historische Ziegelproduktion und die Entwicklung der Linie Miesbach-Drasche-Wienerberger.
Ermöglicht wird dieser Einblick durch die der Qualitätssicherung dienenden Pflicht zur Kennzeichnung der Mauerziegel. Diese bestand in Österreich – ausgehend vom Baumaterial für Festungsbauten – seit dem 16. Jahrhundert, wurde aber kaum eingehalten. Kaiser Karl VI. bekräftigte diese Kennzeichnungspflicht in seinem Patent vom 13. April 1715. Dort wird über Bestimmungen zur Sicherstellung der geforderten Abmessungen und über Verkaufspreislimits hinaus erinnert, dass „von einem jedwederen Ziegel-Ofens-Eigentümer oder Bestand-Inhaber die in seinem Ziegel-Ofen brennende Ziegel mit einem eigenen gewissen und kennbaren Zeichen gewiß und unfehlbar gezeichnet“ werden müssen. Die Überwachung blieb aber auch danach recht ineffizient, und Maria Theresia bevorzugte zur Qualitätssicherung die „unvermutete Visitationen der Ziegelöfen“. Die konsequentere Einhaltung der Kennzeichnungspflicht ist erst ab dem Zirkularschreiben der Niederösterreichischen Landesregierung vom 19. Jänner 1825 feststellbar.
In die darauffolgenden Jahre fiel der Bau wesentlicher, bis zuletzt bestandener Gebäudeteile der ehemaligen Einsiedelei, und trotzdem enthielt die Abbruchmasse mehrheitlich unbezeichnete Ziegel. Das kann an einer weiterhin mangelhaften Durchsetzung liegen, aber auch daran, dass viele Ziegel sehr wohl älter (einige Bauteile reichen in die Zeit vor 1825 zurück) oder bereits ein Produkt späterer Mechanisierung in der Ziegelproduktion waren.
Mit dem Ringofen und der Entwicklung einer Strangpresse waren schon in den 1850er-Jahren die Voraussetzungen für eine industrielle Ziegelproduktion geschaffen, doch der Überfluss an billigen Arbeitskräften im Wiener Raum verzögerte die Mechanisierung auf Basis der Strangpresse. Diese wurde erst mit den Arbeiterstreiks 1895 und noch mehr mit dem Rückzug der italienischen Arbeiter 1915 und der generell knapper werdenden Arbeitskraft als Folgen des Ersten Weltkrieges vordringlich. In der Strangpresse wird ein mit hohem Druck durch eine rechteckige Öffnung gepresster Lehmstrang zur Ziegelgröße geschnitten.
Dieses Verfahren machte zunächst das Eindrücken von Ziegelzeichen unmöglich. In diesem Zeitfenster von der beginnenden Mechanisierung bis zur Wiedereinführung der Ziegelbeschriftung im Rollenstempelverfahren wurden ebenfalls wesentliche Gebäudeteile des St.-Josefs-Heimes errichtet.
Trotz des Überwiegens der ungekennzeichneten Ziegel fanden sich am Gelände des ehemaligen St.-Josefs-Heimes auch viele gekennzeichnete Mauerziegel mit den unterschiedlichsten Ziegelzeichen. Das älteste dieser Zeichen trägt einen Buchstaben als Bezeichnung des Ortes, aus dem der Ziegel stammt. Die jüngeren Zeichen nennen die Initialen der Hersteller, zunächst nur mit einfachen erhabenen Buchstaben, später oft sehr kunstvoll in den Ziegel geprägt und häufig um weitere Informationen ergänzt (die Nummer des Werkes oder der Arbeitspartie, die Eigenschaft als Hoflieferant etc.).
Fast alle Ziegel, auch die unbezeichneten, haben das Format der historischen altösterreichischen Mauerziegel: ca. 29 cm lang, 14 cm breit und 6,5 cm hoch. Die Identifikation der im Folgenden abgebildeten Ziegelzeichen verdanke ich dem Direktor des Wiener Ziegelmuseums in 1140 Wien, Penzinger Straße 59, Herrn Dr. Gerhard Zsutty.