Bauliche Veränderungen in Ober St. Veit
Interview mit der Vorsitzenden des Hietzinger Bauausschusses Bezirksrätin Dorothea Drlik.
18.04.2017
Im Folgenden wird die Langversion des Interviews für das Ober St. Veiter Blatt'l Nr. 72 (Mai 2017) wiedergegeben. Die von hojos gestellten Fragen sind in grüner kursiver Schrift dargestellt, die Antworten von Bezirksrätin Dorothea Drlik in normaler Schriftart.
Sehr geehrte Frau Bezirksrätin Drlik, welche Möglichkeiten hat der Bezirk, um auf das Baugeschehen in Hietzing einzuwirken?
Im eigentlichen Bauverfahren praktisch nur im Falle von Anträgen nach § 69 (Abweichungen vom Bebauungsplan) und § 81/6 (Abweichungen im Ausmaß von Dachgauben) der Wiener Bauordnung. Hier hat der Hietzinger Bauausschuss die Möglichkeit, diese Anträge zurückzuweisen. In so einem Fall stellt die Magistratsabteilung 37 (das ist die für die Bewilligung von Bauvorhaben zuständige Baupolizei) das geplante Bauvorhaben an den Architekten mit dem Auftrag zurück, dieses entsprechend den Vorstellungen des Bezirkes abzuändern. Meist kommt es zu einem Konsens. Ist der Bauwerber dazu aber nicht bereit, bleibt ihm nur mehr der Weg zum Verwaltungsgericht Wien. Vor dem Abbruch des Hauses Hietzinger Hauptstraße 100–102 haben wir das ja erlebt. Ansonsten hat der Bezirk im Bauverfahren eine gewöhnliche Parteienstellung, wie alle Anrainer.
Im Falle von Überarbeitungen der Flächenwidmungs- und Bebauungspläne durch die Magistratsabteilung 21 haben die Bezirke das Recht, eine Stellungnahme abzugeben. Unsere Argumente haben durchaus Gewicht, trotzdem werden sie sehr oft negativ beurteilt und verworfen. Hier gibt es also kein tatsächliches Vetorecht.
Kann es sein, dass Diskussionen über Bauangelegenheiten sehr oft den Bezirksteil Ober St. Veit betreffen?
Ja, und das ist durchaus erklärbar, denn Ober St. Veit ist ein spezieller Bezirksteil mit besonderer Topografie, bemerkenswerter Verbauung und mit einem großen Verkehrsproblem. Im Unterschied zu anderen Grätzln blieb in Ober St. Veit ein großer Teil des gewachsenen, noch dörflich anmutenden Ortskernes erhalten. Darüber hinaus gibt es viele erhaltenswerte Gründerzeithäuser, und an den Berghängen haben sich schöne Villenviertel mit Werken namhafter Architekten entwickelt. Eine große Belastung ist vor allem der von Speising mitten durch den Ortskern in die Westeinfahrt fließende Durchzugsverkehr. Die betroffenen Straßenzüge, man müsste eigentlich sagen: Gassenzüge, sind damit überfordert, und das bedroht natürlich die Lebensqualität und letztendlich auch die Bausubstanz.
Trotz des Verkehrsproblems ist die Lebensqualität aber noch sehr hoch, und Ober St. Veit erlebt gerade jetzt einen enormen Druck zur baulichen Verdichtung in praktisch allen Ortsteilen. Vor allem die Gebiete mit villenartiger Besiedelung fürchten wegen des Eindringens großvolumiger Wohnbauten um ihren Ortscharakter.
Ja, leider ist das so, vor allem nördlich des Gemeindebergs, und die Geschwindigkeit der Bautätigkeit nimmt zu. Die letzte Welle begann mit dem Arwag-Bau in der Ghelengasse 36–40. In Bau sind die Eigentumswohnungen in der Ghelengasse 25, und für große Aufregung sorgt das Projekt am oberen Ende der Schweizertalstraße (Nr. 39). Eine Notwendigkeit ist der Neubau des St.-Josefs-Heimes am Stock im Weg. Natürlich hätten wir uns den Neubau etwas kleiner und mit mehr Parkplätzen vorgestellt, doch unsere diesbezüglichen Wünsche wurden von der Stadt Wien nicht übernommen. Und an Stelle des Franziskusheimes und des Elisabethheimes, die ihre Funktion verlieren, werden wahrscheinlich Wohnbauten errichtet.
Worauf führen sie diese massive Verdichtung zurück?
Über die allgemein steigende Wohnungsnachfrage aufgrund des Wachstums der Stadt hinaus hat so eine Tendenz natürlich mehrere Ursachen. Primär liegt es an der Flächenwidmung, die ja solche Bauten zulässt. Auf dieser Ebene sehen wir bis dato keine Bereitschaft Wiens, umzudenken. Vor Kurzem war das Plandokument 7564E, das genau dieses Gebiet behandelt, in der öffentlichen Auflage, und unsere Einwendungen zu den geplanten Aufzonungen wurden nicht berücksichtigt. Für die Verhinderung der Verhüttelung wäre natürlich auch die Verkleinerung oder Abzonung bestehender Widmungen notwendig, aber dies ist zur Zeit noch undenkbar.
Ein weiterer Hauptgrund für die Verdichtung ist das wirtschaftliche Umfeld. Die Erhaltung von Villen ist sehr teuer, und angesichts der heutigen Grund- und Baupreise kann Wohnungseigentum nur mehr in kleinen Einheiten geschaffen werden. Da sind Wohnbauprojekte mit 15 oder gar 30 Einheiten auf möglichst kleinem Grund in möglichst guter Lage die logische Folge.
Der Wunsch nach Erhalt einer lebenswerten Umgebung erscheint mir aber legitim. Wie kann man diesen unterstützen?
Zunächst versuchen wir das mit der Einrichtung von Schutzzonen nach § 7 der Wiener Bauordnung. Das ist ein langwieriger Prozess. Bei der Verlängerung der Schutzzonen in der Hietzinger Hauptstraße und in der Auhofstraße hatten wir Erfolg. Der war mühsam errungen und kam hinsichtlich des Hauses Hietzinger Hauptstraße 100–102 leider zu spät. Im Rahmen der Überarbeitung des Plandokuments 7564E (große Teile Ober St. Veits) haben wir auch Schutzzonen für den Bereich Adolfstorgasse 5–23, Adolfstorgasse 2,4 und 8 verlangt. Viele der dort stehenden Häuser stammen aus der Wende zum 20. Jahrhundert, sind architektonisch interessant und charakteristisch für dieses Gebiet rund um das Schloss Ober St. Veit.
Vorgeschlagen haben wir auch Schutzzonen für Häuser in der Matrasgasse und in der Winzerstraße. Wir haben uns das alles gut überlegt und fachlich untermauert, trotzdem wurde es nicht in die Flächenwidmung aufgenommen. Hier ist vor allem in der dafür maßgeblichen Magistratsabteilung 19 (Abteilung Architektur und Stadtgestaltung) ein Umdenken notwendig.
Schutzzonen können nur begrenzte Gebiete schützen, und auch das nur sehr mangelhaft, wie wir an zahlreichen Beispielen, zuletzt in der Schweizertalstraße 16, gesehen haben. Außerdem ist es den Behörden schon jetzt nicht möglich, die Schutzzonen mit der in der Verordnung genannten Qualität, wie z.B. einer umfassenden Katalogisierung der erhaltenswerten Komponenten, zu handhaben. Aber es wird doch auch immer von Stadtplanung und Stadtentwicklung gesprochen. Gibt es kein grundsätzliches Konzept, wie unser Raum weiterentwickelt werden soll?
Genau das ist auch für uns in der Bezirksvertretung ein wichtiger Ansatz. Aber es ist klar, dass wir als Hietzinger Bauausschuss hier Unterstützung brauchen. Wir haben daher in der Sitzung der Hietzinger Bezirksvertretung vom 15. März 2017 einen einstimmigen Antrag an die Stadt Wien gerichtet, ein räumliches Entwicklungskonzept für unseren Bezirk zu erarbeiten, das zukünftig als Planungsinstrument und Entscheidungshilfe dienen soll. Natürlich wollen und müssen wir daran mitarbeiten. Begründet haben wir den Antrag damit, dass der gültige Bezirksentwicklungsplan vor mehr als 20 Jahren erarbeitet wurde und den seither festzustellenden Veränderungen nicht mehr Rechnung tragen kann. Alles, Potentialflächen, Schongebiete oder Tabuzonen der Siedlungsentwicklung, Infrastruktur, Parks, Spielplätze etc. ist in Hinblick auf die ausufernde Siedlungsentwicklung für ein neues Entwicklungskonzept fachlich fundiert aufzunehmen. Ein großer Aufwand, dem wir uns aber auf jeden Fall stellen müssen. Denn wenn der Fachbeirat der Stadt Wien immer wieder von einer positiven Struktur des Bezirkes insbesondere wegen seiner lockeren Verbauung spricht, muss diese auch näher beschrieben und ihr Schutz ermöglicht werden.
Und wenn sich die Stadt Wien weigert?
Dann müssen wir uns die Experten aus allen Bereichen, auch aus der Magistratsabteilung 19, nach Hietzing holen und im Rahmen von lokalen Veranstaltungen versuchen, Lösungen zu erarbeiten.
Das klingt nach einer eher langfristigen Unternehmung. Welche kurzfristigen Handlungsmöglichkeiten gibt es noch?
Vor allem eine ständige Wachsamkeit und Kleinarbeit im Rahmen unserer Möglichkeiten. Es gibt in Ober St. Veit ja auch Beispiele gelungener Konsenssuche. Ein Beispiel ist der Umbau des Hauses in der Auhofstraße 197 (vormals inkl. Restaurant Weinbrunnen), der sich meines Erachtens gut in die Umgebung einfügt. Wie hier erweist es sich immer wieder als vorteilhaft, wenn Althausbestandteile in Projekte integriert werden können. Deren Proportionen, Fassadengliederungen, dekorativen Elemente etc. geben auch dem vergrößerten Neuen einfach einen ansprechenderen „Touch“. Auch moderne Architektur kann sich städtebaulich überzeugend in alte Ortsteile einfügen, aber vielfach ist das wirtschaftliche Diktat ein Hemmnis für gute, jedoch oft teure Lösungen.
Jedenfalls ist zu sagen, dass sich der Ortskern Ober St. Veits in einem sehr guten Erhaltungszustand befindet. Es gibt hier etliche Beispiele einer gelungenen Revitalisierung. Das ist natürlich vor allem den Hauseigentümern zu verdanken, die eine hohe Ortsverbundenheit zeigen.
Aber auch der Ortskern läuft durch ständige, manchmal auch nur subtile Änderungen (Vergrößerungen, Dachgauben, Hauseinfahrten, Fenster, Gesimse etc.) Gefahr, seinen Charakter zu verlieren. Manche prägenden Häuser sind nach heutigen Standards kaum mehr nutzbar oder überhaupt technisch abbruchreif.
Das ist ein ständiger und angesichts des Siedlungsdruckes schwieriger Optimierungsprozess, wobei uns die im Ortskern bestehenden dem Bestand entsprechenden Widmungen entgegenkommen. Gemeinsam mit der MA 19 und der MA 37 müssen wir versuchen, Lösungen zu finden, die sich in das Ensemble einfügen. Mit „wir“ meine ich alle politischen Kräfte im Bezirk; mir war und ist es immer ein Anliegen, alle einzubeziehen und die Dinge gemeinsam zu bewältigen. Natürlich bedeuten Kompromisse oft erhöhte Kosten für den Bauwerber, die ihm aber durch ein adäquates System an Förderungen und flankierenden Maßnahmen erleichtert werden sollten.
Langfristig ist eine architektonische Veränderung des Ortskernes allerdings nicht zu verhindern, schließlich sind die Anforderungen an den Wohnbau ganz andere als früher, und auch die Vorstellungen eines zeitgemäßen örtlichen Stadtbildes ändern sich. Aber auch das sollte Gegenstand eines Entwicklungskonzeptes sein: Wie stellen wir uns das zukünftige „Dorf in der Stadt“ eigentlich vor? Dazu gehören auch Fragen zu einer Belebung durch gemischte Nutzung und Überlegungen zur Verkehrsberuhigung; denn nur ein Grätzl, das lebt, bietet uns Lebensqualität und hat Zukunft.
Ich danke für das Interview.
Bitte gerne.