Martin Staudinger darf Leitartikel schreiben
Muss man sich fürchten?
08.08.2016
Diesmal will er uns erklären, warum Trump, Hofer & Co wirklich gefährlich sind (profil Nr. 32, 47. Jg, 8. August 2016; wer will, kann das unter http://www.profil.at/meinung/martin-staudinger-zaubertintenkiller-trump-hofer-strache-7515587 im vollen Wortlaut lesen).
Gleich zu Beginn erfahren wir, dass nicht ihre Ideen das Gefährliche sind, sondern die skrupellose Bereitschaft, die Demokratie zu demolieren. Das lässt aufhorchen, schließlich steht auch in Österreich wieder eine Wahl bevor, und von einem Qualitätsmedium wie dem Profil kann man ernst zu nehmende Hinweise erwarten.
Also, worin besteht das Demokratiegefährdende an den beiden Herren?
Zunächst sind es die in Umlauf gesetzten Prophezeiungen oder Gerüchte, dass es bei den bevorstehenden Wahlen nicht mit rechten Dingen zugehen könnte. Und in Österreich habe die Parteiführung (gemeint ist offensichtlich die FPÖ) nichts unternommen, um diesen Unsinn zu bremsen, wo doch dies das Vertrauen in die demokratischen Prozesse schwäche. Logischer erschiene mir hier die Frage, ob nicht vielmehr die nachhaltige Untätigkeit der Wahlbehörden etc. gegenüber den Schlampereien und die Merkwürdigkeiten bei der Briefwahl das Demokratievertrauen beschädigen.
Dann eröffnet uns Herr Staudinger, warum alle „gaga, unmenschlich, widerwärtig“ seienden Ideen der Rechtspopulisten „prinzipiell zulässige Positionen“ sind. „Hey Leute, das ist Demokratie! Und da gibt es sogar ein Recht auf Standpunkte, die blödsinnig erscheinen mögen.“ Danke. Und jetzt erfahren wir sogar, dass gar nicht so wenigen Linken, die nur eine Meinung zulassen wollen, autoritäres Denken im Kopf herumspukt. Wer hätte diese Läuterung nach der bisher geübten Verteufelung jeder auch noch so realistischen Befürchtung erwartet? Bleibt aber noch die Kleinigkeit, wie man mit diesen unsinnigen Meinungen die Nähe zur Verhetzung meidet.
Aber dieser Absatz war nur ein Zwischenschritt zu den jetzt hoffentlich stichhaltigen Beweisen, warum Trump, Hofer & Co. längst damit begonnen haben, grundlegende Spielregeln der Demokratie zu missachten und – mehr noch – skrupellos bereit sind, die Demokratie per se zu demolieren!
Eine der Methoden der Demokratiezerstörung bestehe darin, „dem demokratischen System mehr oder weniger subtil die Lösungskompetenz für aktuelle Herausforderungen abzusprechen; die repräsentative Demokratie durch Präferenz von Volksabstimmungen und Referenden zu schwächen …“. Ich denke, solche Vorwürfe kann man jedem Kritiker entgegenhalten. Doch grundsätzlich ist das eine glatte Umkehr der Kausal-Kette denn eventuelle Zweifel an der Lösungskompetenz der Demokratie entstehen in erster Linie durch schlechte Politik. Außerdem: Mit der Ausprägung unserer heutigen repräsentativen Demokratie waren schon viele unzufrieden, ohne deswegen in den Verdacht der Demokratiefeindlichkeit zu geraten.
Und dann zieht Herr Staudinger den Vergleich mit der Gedankenwelt des „NS-Staatsrechtlers“ Carl Schmitt. Wie soll man das wirklich deuten? Carl Schmitt hat so viele Denker beeinflusst, und es lässt sich alles Mögliche vermuten. Vielleicht wollte Herr Staudinger mit einem Zitat auch bloß dem Vorwurf „Lernen Sie Geschichte“ entgehen.
Ein weiterer Vorwurf: „Die Medien mit ‚Lügenpresse‘-Vorwürfen unglaubwürdig zu machen; und im Internet eine Gegenrealität aufzubauen, in der Verschwörungstheorien freier Lauf gelassen wird.“ Tja, hier kann man Herrn Staudinger bestenfalls Befangenheit zugestehen. Aber der Vorwurf, dass im Internet etwas einheitlich Gesteuertes „aufgebaut“ wird, scheint mir die eigentliche Verschwörungstheorie zu sein. Es gibt zwar – sicher nicht von den sogenannten „Rechtspopulisten“ initiierte – Versuche, die Meinungsfreiheit auch im Internet einzuschränken, doch bis heute kann sich dort jedermann artikulieren, und man findet alles, vom beleidigenden Schrott bis zum wissenschaftlichen Artikel. Dass im Internet von den meisten Bloggern besser zwischen Ursache und Wirkung unterschieden wird, als etwa durch einen Herrn Staudinger, hat wohl andere Gründe.
Und dann kommt die in vielen Medien übliche Schelte des Viktor Orban, der sein Bekenntnis zum „Ende der liberalen Demokratie“ in die Tat umzusetzen trachtet. Wie hat das Herr Orban gemeint, und wie hat es Herr Staudinger verstanden? Zu unserer Erlösung wird dann zugestanden, dass wir noch nicht soweit wie die Türkei sind, doch ist unschwer zu erkennen, wem in Österreich Herr Staudinger einen solchen Weg zutraut. Richtig, er sieht die Gefahr keineswegs in der Islamisierung von Teilen Europas.
Unsere Demokratie ist in der Tat gefährdet, doch Herr Staudinger schaut krampfhaft in die falsche Richtung und mit ihm wohl unser „Leitmedium“ und die Mehrheit unserer Printmedien. Eine mögliche von den „Rechtspopulisten“ tatsächlich ausgehende Gefahr kann durch diesen sogenannten Leitartikel jedenfalls nicht entlarvt werden.