Der St. Veiter Altar
Das Dürer’sche Altarwerk zu Ober St. Veit bei Wien
Beitrag von Dr. Moriz Thausing in "Mittheilungen der K. K. Central - Commission zur Erforschung und Erhaltung der Baudenkmale, XVI, Jahrgang. Juli-August 1871, Wien.
1502
Die vierhundertjährige Jubelfeier der Geburt Albrecht Dürer's, die auf den 21. Mai dieses Jahres (1871, anm.) fällt, erhöht noch das ohnehin stets rege Interesse an seinen Werken bei allen Freunden der altdeutschen Kunst. Und dieser Umstand mag es rechtfertigen, wenn wir die Aufmerksamkeit unserer Leser auf ein bisher unbeachtetes Altarwerk aus Dürer's Werkstatt lenken, obwohl demselben eine hervorragende künstlerische Bedeutung nicht beigemessen werden kann.
Dazu fehlt dem „St. Veiter Altare“ - wie wir ihn fortan ganz passend nennen können - die Vollendung von Dürer's eigener Hand; und darum wohl wurde auch das Werk mit dem Namen des großen Meisters bisher noch nicht in Verbindung gebracht, indes sich anderwärts Schulbilder dieser Art stolz mit Dürer's Namen brüsten. Was dem Werke an künstlerischer Vollendung und guter Erhaltung abgeht, das ersetzt reichlich seine Wichtigkeit für die Entwicklung und Geschichte Dürer's.
Und gerade in seiner Eigenschaft als Gesellenarbeit gewinnt der Altar von Ober St. Veit einen besonderen Wert für Wien. So reich nämlich unsere Stadt an eigenhändigen Bildern Dürer's ist, so fehlte es uns bisher doch an irgend einer Vertretung jener Gattung von Gemälden, die von ihm bloß erfunden und entworfen, auch wohl vorgezeichnet und retouchiert, sonst aber von seinen "Knechten" oder Gesellen ausgeführt sind. Als ein ganz merkwürdiges und lehrreiches Beispiel dieser Art mag uns daher der St. Veiter Altar immerhin willkommen sein, auch bei der seltenen Fülle Dürer'scher Originalgemälde, deren sich insbesondere Wien zu erfreuen hat, und worin nur noch München und Florenz mit ihm wetteifern können, ohne es aber zu überbieten.
Ähnliche Schulbilder sind das Holzschuher'sche Altargemälde aus der Sammlung Boisseree, jetzt in der Moriz-Kapelle zu Nürnberg: die Beweinung des Leichnams Christi, und eine andere Darstellung desselben Gegenstandes in der Pinakothek zu München (Saal Nr. 94). Sie stammen wohl sämtlich aus einer Zeit, da Dürer für seine Aufträge noch nicht in dem Masse entlohnt wurde, dass er seine ganze Mühe denselben hätte zuwenden können. Überhaupt stellte man in Ober-Deutschland keine so hohen Anforderungen an ein Altarbild, wie etwa in Italien und den Niederlanden. Bezeichnend ist in dieser Hinsicht die Äußerung Dürer's in einem Briefe an Jakob Heller von 1508, wo er von der Ausführung einer Tafel mit dem größten Fleiße sagt: "Es wäre auch nie erhört worden, auf einen Altar solch' Ding zu machen, wer möchte es sehn!"
Dürer begnügte sich somit, die Komposition zu entwerfen, auch wohl, dieselbe zeichnend mit dunkeln Pinselstrichen auf die grundierte Tafel zu übertragen, wie das an dünnen und schadhaften Stellen in den Gemälden nachweisbar ist. Das Übrige tat dann einer oder mehrere seiner Schüler. Am besten lässt sich das alles beim St. Veiter Altare verfolgen, da uns, sämtliche Zeichnungen zu demselben noch erhalten sind, und zwar im Museum von Basel der Entwurf zum Mittelbilde auf grauem Grunde, mit der Feder emsig gezeichnet und mit dem Pinsel weiß aufgehöht. Unten in der Mitte steht in eigenhändiger Schrift „Albertus Dürer 1502". Wir erfahren daraus zugleich die Entstehungszeit der Arbeit. Das Monogramm weiter rechts ist erst später hinzugefügt, Von ähnlicher Behandlung sind die Zeichnungen zu den vier Flügelbildern, die gegenwärtig im Städel'schen Institut zu Frankfurt am Main aufbewahrt werden.
Das Hauptbild des St. Veiter Altares zeigt eine ungemein belebte Kreuzigung Christi mit an die sechzig Figuren, darunter ein Dutzend Krieger zu Pferd, die geschickt in mannigfachen Gruppen übereinander angeordnet sind. Auf der Höhe, hinter welcher noch Jerusalem an einer Seeküste sichtbar wird, stehen die drei Kreuze mit dem verscheidenden Heiland und den Schächern, deren beide Seelen nach altertümlicher Weise in Gestalt kleiner nackter Figuren von je einem Engel und Teufel empfangen werden. Bloß Magdalena sitzt am Fuße des Kreuzesstammes denselben umfassend, indes die Gruppe der übrigen Frauen mit Johannes und der ohnmächtigen Mutter weiter zur Linken erscheint. Ringsum Gedränge von Schergen und Soldaten. Unter den Gestalten, die in fast verdoppeltem Maßstabe den Vordergrund unten erfüllen, sieht man links ein wenig vom Rücken einen Ritter zu Pferd, zu welchem Dürer dasselbe Reiterstudium von 1498 auf der Albertina benützte, das ihm auch zu den beiden Kupferstichen, dem St. Georg zu Pferd von 1508 und dem Ritter mit Tod und Teufel von 1514, gedient hat, und das von seiner Hand die spätere Aufschrift führt: „Das ist die Rüstung zu der Zeit in Deutschland gewesen".
Verlangte schon der Vordergrund überhaupt eine genauere Durchbildung, so ist namentlich die rechte Seite mit der Gruppe der um Jesu Gewänder würfelnden Landsknechte sorgfältiger behandelt. Möglicherweise lässt sich hier im Einzelnen sogar Dürer's eigener Pinselstrich erkennen, z. B. in dem Kopfe des vorgebeugten, eben die Würfel haltenden Burschen, der verkürzt von oben gesehen wird; niedergekauert, mit bloßem Halse, in der Zipfmütze und der sonstigen Handwerkertracht der Zeit. Es ist, wenn ich mich nicht täusche, derselbe bartlose knochige Kopf, der aus einem Bildnisse Dürer's in der Münchener Pinakothek (Cabinet 147) mit der Jahreszahl 1500 bekannt ist und der von Strixner lithographiert wurde. Der junge Mann erscheint auch dort in derselben nachlässigen Kleidung, in welcher dem Meister niemand saß, der sein Porträt bestellt hatte. Es ist die Werkeltagstracht eines Gesellen, der Dürer'n nahegestanden haben muss; und vielleicht hat es doch mit der Überlieferung seine Richtigkeit, nach welcher der Dargestellte Dürer's Bruder Hanns wäre. Man hat diese Benennung, welche das Bildnis aus dem Cabinet Praun mitbrachte, neuester Zeit mit dem Einwande abgelehnt, dass ja Dürer's jüngster Bruder, der nachmalige königlich polnische Hofmaler Hanns im Jahre 1500 erst 10 Jahre alt gewesen sei, vergaß dabei aber ganz seiner beiden älteren Brüder gleichen Namens, deren einer 1470, der andere 1478 geboren war. Zur Nachricht von der Geburt des jüngsten im Jahre 1490 bemerkt Dürer's Vater noch ausdrücklich: „Das ist mein dritter Sohn der Hanns heißt". Der zweitgeborne des Namens nun kömmt hier allerdings in Betracht, da urkundlich im Jahre 1507 ein Hanns Dürer als Meister in die Zunft der Schneider von Nürnberg aufgenommen wird (Jahrbücher für Kunstwissenschaft I. S. 222). Dieser möchte nun wohl ein Bruder Albrecht Dürer's gewesen sein, da Dürer zwar im Jahre 1524 Andreas und den jüngsten Hanns als seine einzigen noch lebenden Geschwister bezeichnet, zugleich aber auch erwähnt, dass von den fünfzehn übrigen „etliche in der Jugend, die andern, so sie erwachsen, gestorben seien". Der zweitgeborene Hanns mag denn einer der letzteren gewesen und zwischen 1507 und 1524 verstorben sein. Ein Alter von 29 Jahren würde für die Erlangung des Meisterrechts ebenso zutreffen wie 22 Jahre für das Münchner Porträt. Dessen grobe Züge haben allerdings mit dem edlen Antlitze Albrecht Dürer's wenig Ähnlichkeit, wohl aber mit dem des Bruders Andreas, des Goldschmiedes, dessen Bild aus dem Jahre 1514, da er Meister wurde, eine Silberstiftzeichnung Dürer's in der Albertina bewahrt. Jedenfalls verdient das Wiedererscheinen desselben Kopfes auf dem Hauptbilde, des St. Veiter Altares bemerkt zu werden.
Die Komposition der mittleren Tafel entspricht genau der Vorlage auf der Baseler Zeichnung. Bloß Lückenbüßer, wie die zwei balgenden Hunde im Vordergrund links, ein anderer rechts in der Mitte sitzend, und der schreitende Knabe darunter, wurden in der Ausführung weggelassen. Auch haben sämtliche Figuren an Lebendigkeit und Charakteristik viel verloren; an deren Stelle trat, eine gewisse plastische Glätte und Idealisierung. Nach Art altdeutscher Schulbilder überhaupt sind vielfach die starken schwarzen Konturen stehen geblieben und hie und da sieht man auch die dunklen Schraffierungen der Schatten durch die Farbenschicht hindurchscheinen. Die flüssige glasige Malerei der Gewänder erinnert an die frühere Art Albrecht Altdorffer's. Ließe sich dessen bisher angenommene Lehrzeit bei Dürer sicher nachweisen, so wäre seine Beteiligung an der Ausführung des St. Veiter Altares auch nicht ganz unwahrscheinlich. Sein Alter stünde dem nicht entgegen, seitdem die neuesten Nachforschungen meines gelehrten Freundes, Hauptmann Woldemar Neumann in Regensburg, das bisher angenommene Geburtsjahr 1488 über den Haufen geworfen haben. Altdorffer wurde nämlich schon 1505 als Bürger von Regensburg aufgenommen, musste damals also, der dortigen Bürgerordnung gemäss, das 25. Lebensjahr bereits erreicht haben; er kann daher keine 10 Jahre jünger als Dürer gewesen und nicht nach dem Jahre 1480 geboren worden sein.
Viel sicherer aber lässt sich die Hand eines anderen Malers in unserem Bilde nachweisen, nämlich die des Hanns Schäufelein von Nördlingen. Auch diesen treuesten Nachfolger Dürer's hat man bisher als viel zu jung angesehen. Er kann nicht im Jahre 1492 geboren worden sein, wie noch Sighart (Geschichte der bildenden Künste im Königreich Baiern, München 1863 S. 631) behauptet. Er müsste sonst schon in seinem 15. Jahre in voller Kraft- und Styl-Entfaltung dagestanden haben, denn bereits im Jahre 1507 erschien zu Nürnberg seine große, so stark an Dürer gemahnende Holzschnittfolge in dem Speculum passionis des Dr. Pinder. Kurz zuvor muss er noch bei Dürer gearbeitet haben, und als dieser bei seiner Abreise nach Venedig gegen Ende des Jahres 1505 seine Werkstatt auflöste, mag sich Schäufelein selbstständig gemacht und jenen Auftrag übernommen haben. Auch sein Geburtsjahr dürfte somit um ein ganzes Jahrzehnt hinauf zurücken sein.
In Ermangelung anderer Zeugnisse würde uns indes der St. Veiter Altar den sicheren Nachweis liefern, dass Schäufelein schon im Jahre 1502 in Dürer's Werkstätte tätig war. Im Gegensatze zu dem unerschöpflichen Reichtume seines Meisters, hat er frühzeitig einen bestimmten männlichen Typus angenommen, von dem er sich, wie ja so mancher der größten Italiener, nie mehr ganz entfernte. Gleich diesen idealisiert er stets nach einer bestimmten Richtung hin, die ihn auch in vielen Köpfen der St. Veiter Gemälde sogleich kenntlich macht. Es sind längliche regelmäßige Gesichter mit vorspringenden Stirnen und Brauen, mit bedeutenden, wenig eingesattelten Nasen und tief eingeprägten Mundwinkeln, die den sonst edlen Zügen einen Anflug von fast ironischem Lächeln verleihen. Gar lehrreich ist in dieser Beziehung mancher Vergleich zwischen Dürer's Zeichnung in Basel und dem Gemälde, wo z. B. der martialische Landsknecht mit der Hahnenfeder auf der Kappe zur äußersten Rechten des Vordergrundes statt seines trotzigen herausfordernden Doggengesichtes einen sogenannten schönen edlen Kopf bekommen hat.
Deutlicher noch als das Hauptbild verraten die Innenseiten der Altarflügel die hervorragende Beteiligung Schäufelein's an der Malerei. Auf der linken Seite ist der Auszug zur Kreuzigung dargestellt, der sich, aus einem befestigten Stadttore kommend, rechts hin bewegt, in der Mitte Christus mit dem Kreuze, unterstützt von Simon von Cyrene, dahinter die heiligen Frauen mit Johannes. Die Komposition hat viel Ähnlichkeit mit der entsprechenden in der „grünen Passion" Dürer's in der Albertina von 1504, aus der sich dann die vollendete Darstellung der Kreuztragung in der großen Holzschnittpassion entwickelt hat; nur kniet die heil. Veronika mit dem Schweißtuche statt zur Linken, zur Rechten des Vordergrundes. Noch näher steht die Anordnung dieses Flügelbildes einem Holzschnitte Hanns Schäufelein's. (Bartsch 28.) Seinen Typus zeigt auch ganz der wohlerhaltene blasse Kopf des Heilandes. Das Ganze bewahrt eine gute Haltung im Kolorit, obwohl die Gewänder in gebrochenen Farben gemalt sind.
Die innere Fläche des rechten Flügels zeigt den auferstandenen Christus, wie er der vor ihm knieenden Magdalena als Gärtner erscheint. Er steht links in rotem fliegenden Mantel, in der einen Hand die Osterfahne und zugleich den Spaten haltend, mit der anderen segnend. Im Hintergrunde rechts sieht man das offene Grab mit dem Engel und den schlafenden Wächtern und noch weiter kommen zwei heilige Frauen heran; das Übrige füllt eine üppig belaubte Landschaft mit einem hohen Baume zur Rechten, Die schlankeren Körperformen dieses Christus verraten zwar Dürer's Entwurf, doch kann ihn und namentlich den edlen Kopf niemand anderer gemalt haben als Schäufelein; dagegen erscheint der Frauenkopf kalt, wulstig und verkniffen. In der Behandlung der Draperie und der Landschaft wird man an Michel Wolgemut erinnert, was die sehr gegründete Vermutung Rudolf Weigel's unterstützen würde, dass Schäufelein ursprünglich, gleich wie Dürer selbst, ein Schüler des Nürnberger Altmeisters gewesen sei. Die Komposition kehrt sehr ähnlich wieder auf einem mit Dürer's Zeichen und der Jahreszahl 1614, versehenen Kupferstiche Dietrich Kruger's, herausgegeben von B. Caymox, nur in anderem weniger überhöhten Formate.
Der St. Veiter Altar hat nämlich die beträchtliche Höhe von Meter 2,23 auf eine Breite im Hauptbilde von 1,58, in den Flügeln je von 0,7. Alle Teile sind unmittelbar auf das grundierte Holz gemalt.
Die ganze Länge der beiden äußeren Flügelfelder füllt je eine lebensgroße Heiligengestalt von vorn gesehen und darunter ein Wappenschild. Auf dem linken Flügel steht St. Sebastian an den Baumstamm gefesselt und von mehreren Pfeilen durchbohrt. Der nackte Körper ist sehr durchgebildet, in grauen wohl vertriebenen Schatten modelliert und ziemlich kräftig gemalt. Der längliche Kopf mit blondem Kraushaar ist scharf im Profile rechts hingewandt, indes das Auge im Winkel herausblickt ohne viel Ausdruck, schlaff, leidend. Die Form des nach oben sehr erweiterten Brustkorbes, die Haltung von Kopf und Beinen, kurz die ganze Anatomie erinnert stark an den Adam des Kupferstiches von 1504. Sie beruht bereits auf theoretischen Proportionsstudien und liefert somit ein neues Denkmal des frühzeitigen Beginnes von Dürer's Forschungen nach den Körpermassen.
Der andere Flügel zeigt St. Rochus im Pilgergewande. In der Rechten hält er den Stab, die Linke deutet auf die entblößte Wunde am Bein. Der Kopf ist von gewöhnlichen Formen und von fast weinerlichem Ausdruck. Die ganze Figur erscheint nun derb und farblos; sie hat am meisten durch Übermalung gelitten. Die beiden Heiligen finden sich in ähnlichen Stellungen auf einem kleinen Holzschnitte Schäufelein's vereinigt, nur ist dort neben Rochus noch ein Engel sichtbar (Bartsch 48). Die beiden Wappen aber, welche wir unter den beiden heiligen Figuren der Außenflügel angebracht sehen, sind keine anderen, als die aus Lucas Cranach's Werken so wohlbekannten kurfürstlich sächsischen, links der Rautenkranz, rechts die zwei gekreuzten Schwerter. Bei dem Mangel jeder literarischen oder urkundlichen Nachricht über die Herkunft des St. Veiter Altares geben uns diese Wappenschilde einen um so willkommeneren Aufschluss über seine Geschichte. Sie lassen uns kaum im Zweifel darüber, dass das Werk im Auftrage des Kurfürsten Friedrich des Weisen gemalt wurde, für welchen Dürer ja auch 1504 die Anbetung der heil. drei Könige und 1508 die Marter der zehntausend Christen unter Sapor vollendet hat. Der St. Veiter Altar ist somit zugleich ein Zeugnis für die frühere Anknüpfung des Verkehres zwischen Dürer und dem Kurfürsten.
Wie das Bildwerk nach Wien gelangte ist nicht bekannt, und wir wissen nur, dass der Altar vor noch nicht zehn Jahren aus dem erzbischöflichen Palaste in der Stadt nach der Sommer-Residenz zu Ober St.-Veit gebracht und daselbst in einem der Gemächer aufgestellt wurde. Bei dieser Gelegenheit wurden die beiden Seiten der Flügel auseinandergesägt und neben dem Hauptbilde an einer Wand befestigt. Zugleich wurden die stellenweise wohl ziemlich schadhaften Gemälde in einer leider etwas zu kräftigen Art restauriert. Wie Augenzeugen versichern, zierte das Werk noch vor einem Menschenalter etwa den Altar der Haus-Kapelle im erzbischöflichen Palaste, wo es damals durch eine neue Arbeit von Kuppelwieser ersetzt wurde. Dies bestätigen auch zwei Inschriften auf der Rückseite von Dürer's Zeichnung zum Mittelbilde, deren Kenntnis ich eben nach Abschluss dieser Zeilen einer freundschaftlichen Mitteilung des Baseler Museum-Directors E. His-Heusler verdanke. Sie rühren teils von der Hand seines Großvaters Peter Vischer, des früheren Besitzers der Zeichnung, teils von dessen gleichnamigem Sohne her, und lautet die erstere: „Die Altartafel mit zwei Flügeln, nach dieser Zeichnung von Albrecht Dürer gemalt, befindet sich in, der Hauskapelle des erzbischöflichen Palastes auf dem St. Stephansplatze in Wien". Die andere jüngere Schrift besagt: "Das Original-Gemälde dieser Kreuzigung befindet sich als Altarbild in einer verlassenen Hauskapelle des Erzbischofs in Wien, wo es Maler Ludwig Vogel von Zürich im Jahre 1509 gesehen. P. V."
Die große Lücke, welche gleichwohl in der äußeren Geschichte des St. Veiter Altares offen bleibt, lässt sich bisher freilich nur durch die Vermutung ausfüllen, dass derselbe auf gleichem Wege in kaiserlichen Besitz gelangte wie die zwei anderen oben erwähnten Gemälde, die Dürer später für den Kurfürsten gemalt hatte, und welche Kurfürst Christian dem großen Dürerliebhaber Kaiser Rudolf II. im Jahre 1603 verehrt haben soll. Möglich dass der Kaiser, oder einer seiner Nachfolger dem frühen Schulbilde keinen Platz unter den Meisterwerken seiner Kunstkammer gönnen mochte und es lieber seiner kirchlichen Bestimmung zurückgab, und dass es auf diese Art in erzbischöfliches Eigentum überging.
Da diese Mitteilungen indes nur den Zweck haben sollen, die Freunde altdeutscher Kunst auf das bisher wenig geachtete Dürer'sche Altarwerk zu Ober-St.-Veit, aufmerksam zu machen und demselben seinen PIatz in der Kunstgeschichte anzuweisen, so enthalten wir uns jeder näheren Untersuchung über seine Herkunft und überlassen es dem Eifer der Lokalforschung, weitere Nachrichten über seine äußeren Schicksale zu Tage zu fördern.
Dazu fehlt dem „St. Veiter Altare“ - wie wir ihn fortan ganz passend nennen können - die Vollendung von Dürer's eigener Hand; und darum wohl wurde auch das Werk mit dem Namen des großen Meisters bisher noch nicht in Verbindung gebracht, indes sich anderwärts Schulbilder dieser Art stolz mit Dürer's Namen brüsten. Was dem Werke an künstlerischer Vollendung und guter Erhaltung abgeht, das ersetzt reichlich seine Wichtigkeit für die Entwicklung und Geschichte Dürer's.
Und gerade in seiner Eigenschaft als Gesellenarbeit gewinnt der Altar von Ober St. Veit einen besonderen Wert für Wien. So reich nämlich unsere Stadt an eigenhändigen Bildern Dürer's ist, so fehlte es uns bisher doch an irgend einer Vertretung jener Gattung von Gemälden, die von ihm bloß erfunden und entworfen, auch wohl vorgezeichnet und retouchiert, sonst aber von seinen "Knechten" oder Gesellen ausgeführt sind. Als ein ganz merkwürdiges und lehrreiches Beispiel dieser Art mag uns daher der St. Veiter Altar immerhin willkommen sein, auch bei der seltenen Fülle Dürer'scher Originalgemälde, deren sich insbesondere Wien zu erfreuen hat, und worin nur noch München und Florenz mit ihm wetteifern können, ohne es aber zu überbieten.
Ähnliche Schulbilder sind das Holzschuher'sche Altargemälde aus der Sammlung Boisseree, jetzt in der Moriz-Kapelle zu Nürnberg: die Beweinung des Leichnams Christi, und eine andere Darstellung desselben Gegenstandes in der Pinakothek zu München (Saal Nr. 94). Sie stammen wohl sämtlich aus einer Zeit, da Dürer für seine Aufträge noch nicht in dem Masse entlohnt wurde, dass er seine ganze Mühe denselben hätte zuwenden können. Überhaupt stellte man in Ober-Deutschland keine so hohen Anforderungen an ein Altarbild, wie etwa in Italien und den Niederlanden. Bezeichnend ist in dieser Hinsicht die Äußerung Dürer's in einem Briefe an Jakob Heller von 1508, wo er von der Ausführung einer Tafel mit dem größten Fleiße sagt: "Es wäre auch nie erhört worden, auf einen Altar solch' Ding zu machen, wer möchte es sehn!"
Dürer begnügte sich somit, die Komposition zu entwerfen, auch wohl, dieselbe zeichnend mit dunkeln Pinselstrichen auf die grundierte Tafel zu übertragen, wie das an dünnen und schadhaften Stellen in den Gemälden nachweisbar ist. Das Übrige tat dann einer oder mehrere seiner Schüler. Am besten lässt sich das alles beim St. Veiter Altare verfolgen, da uns, sämtliche Zeichnungen zu demselben noch erhalten sind, und zwar im Museum von Basel der Entwurf zum Mittelbilde auf grauem Grunde, mit der Feder emsig gezeichnet und mit dem Pinsel weiß aufgehöht. Unten in der Mitte steht in eigenhändiger Schrift „Albertus Dürer 1502". Wir erfahren daraus zugleich die Entstehungszeit der Arbeit. Das Monogramm weiter rechts ist erst später hinzugefügt, Von ähnlicher Behandlung sind die Zeichnungen zu den vier Flügelbildern, die gegenwärtig im Städel'schen Institut zu Frankfurt am Main aufbewahrt werden.
Das Hauptbild des St. Veiter Altares zeigt eine ungemein belebte Kreuzigung Christi mit an die sechzig Figuren, darunter ein Dutzend Krieger zu Pferd, die geschickt in mannigfachen Gruppen übereinander angeordnet sind. Auf der Höhe, hinter welcher noch Jerusalem an einer Seeküste sichtbar wird, stehen die drei Kreuze mit dem verscheidenden Heiland und den Schächern, deren beide Seelen nach altertümlicher Weise in Gestalt kleiner nackter Figuren von je einem Engel und Teufel empfangen werden. Bloß Magdalena sitzt am Fuße des Kreuzesstammes denselben umfassend, indes die Gruppe der übrigen Frauen mit Johannes und der ohnmächtigen Mutter weiter zur Linken erscheint. Ringsum Gedränge von Schergen und Soldaten. Unter den Gestalten, die in fast verdoppeltem Maßstabe den Vordergrund unten erfüllen, sieht man links ein wenig vom Rücken einen Ritter zu Pferd, zu welchem Dürer dasselbe Reiterstudium von 1498 auf der Albertina benützte, das ihm auch zu den beiden Kupferstichen, dem St. Georg zu Pferd von 1508 und dem Ritter mit Tod und Teufel von 1514, gedient hat, und das von seiner Hand die spätere Aufschrift führt: „Das ist die Rüstung zu der Zeit in Deutschland gewesen".
Verlangte schon der Vordergrund überhaupt eine genauere Durchbildung, so ist namentlich die rechte Seite mit der Gruppe der um Jesu Gewänder würfelnden Landsknechte sorgfältiger behandelt. Möglicherweise lässt sich hier im Einzelnen sogar Dürer's eigener Pinselstrich erkennen, z. B. in dem Kopfe des vorgebeugten, eben die Würfel haltenden Burschen, der verkürzt von oben gesehen wird; niedergekauert, mit bloßem Halse, in der Zipfmütze und der sonstigen Handwerkertracht der Zeit. Es ist, wenn ich mich nicht täusche, derselbe bartlose knochige Kopf, der aus einem Bildnisse Dürer's in der Münchener Pinakothek (Cabinet 147) mit der Jahreszahl 1500 bekannt ist und der von Strixner lithographiert wurde. Der junge Mann erscheint auch dort in derselben nachlässigen Kleidung, in welcher dem Meister niemand saß, der sein Porträt bestellt hatte. Es ist die Werkeltagstracht eines Gesellen, der Dürer'n nahegestanden haben muss; und vielleicht hat es doch mit der Überlieferung seine Richtigkeit, nach welcher der Dargestellte Dürer's Bruder Hanns wäre. Man hat diese Benennung, welche das Bildnis aus dem Cabinet Praun mitbrachte, neuester Zeit mit dem Einwande abgelehnt, dass ja Dürer's jüngster Bruder, der nachmalige königlich polnische Hofmaler Hanns im Jahre 1500 erst 10 Jahre alt gewesen sei, vergaß dabei aber ganz seiner beiden älteren Brüder gleichen Namens, deren einer 1470, der andere 1478 geboren war. Zur Nachricht von der Geburt des jüngsten im Jahre 1490 bemerkt Dürer's Vater noch ausdrücklich: „Das ist mein dritter Sohn der Hanns heißt". Der zweitgeborne des Namens nun kömmt hier allerdings in Betracht, da urkundlich im Jahre 1507 ein Hanns Dürer als Meister in die Zunft der Schneider von Nürnberg aufgenommen wird (Jahrbücher für Kunstwissenschaft I. S. 222). Dieser möchte nun wohl ein Bruder Albrecht Dürer's gewesen sein, da Dürer zwar im Jahre 1524 Andreas und den jüngsten Hanns als seine einzigen noch lebenden Geschwister bezeichnet, zugleich aber auch erwähnt, dass von den fünfzehn übrigen „etliche in der Jugend, die andern, so sie erwachsen, gestorben seien". Der zweitgeborene Hanns mag denn einer der letzteren gewesen und zwischen 1507 und 1524 verstorben sein. Ein Alter von 29 Jahren würde für die Erlangung des Meisterrechts ebenso zutreffen wie 22 Jahre für das Münchner Porträt. Dessen grobe Züge haben allerdings mit dem edlen Antlitze Albrecht Dürer's wenig Ähnlichkeit, wohl aber mit dem des Bruders Andreas, des Goldschmiedes, dessen Bild aus dem Jahre 1514, da er Meister wurde, eine Silberstiftzeichnung Dürer's in der Albertina bewahrt. Jedenfalls verdient das Wiedererscheinen desselben Kopfes auf dem Hauptbilde, des St. Veiter Altares bemerkt zu werden.
Die Komposition der mittleren Tafel entspricht genau der Vorlage auf der Baseler Zeichnung. Bloß Lückenbüßer, wie die zwei balgenden Hunde im Vordergrund links, ein anderer rechts in der Mitte sitzend, und der schreitende Knabe darunter, wurden in der Ausführung weggelassen. Auch haben sämtliche Figuren an Lebendigkeit und Charakteristik viel verloren; an deren Stelle trat, eine gewisse plastische Glätte und Idealisierung. Nach Art altdeutscher Schulbilder überhaupt sind vielfach die starken schwarzen Konturen stehen geblieben und hie und da sieht man auch die dunklen Schraffierungen der Schatten durch die Farbenschicht hindurchscheinen. Die flüssige glasige Malerei der Gewänder erinnert an die frühere Art Albrecht Altdorffer's. Ließe sich dessen bisher angenommene Lehrzeit bei Dürer sicher nachweisen, so wäre seine Beteiligung an der Ausführung des St. Veiter Altares auch nicht ganz unwahrscheinlich. Sein Alter stünde dem nicht entgegen, seitdem die neuesten Nachforschungen meines gelehrten Freundes, Hauptmann Woldemar Neumann in Regensburg, das bisher angenommene Geburtsjahr 1488 über den Haufen geworfen haben. Altdorffer wurde nämlich schon 1505 als Bürger von Regensburg aufgenommen, musste damals also, der dortigen Bürgerordnung gemäss, das 25. Lebensjahr bereits erreicht haben; er kann daher keine 10 Jahre jünger als Dürer gewesen und nicht nach dem Jahre 1480 geboren worden sein.
Viel sicherer aber lässt sich die Hand eines anderen Malers in unserem Bilde nachweisen, nämlich die des Hanns Schäufelein von Nördlingen. Auch diesen treuesten Nachfolger Dürer's hat man bisher als viel zu jung angesehen. Er kann nicht im Jahre 1492 geboren worden sein, wie noch Sighart (Geschichte der bildenden Künste im Königreich Baiern, München 1863 S. 631) behauptet. Er müsste sonst schon in seinem 15. Jahre in voller Kraft- und Styl-Entfaltung dagestanden haben, denn bereits im Jahre 1507 erschien zu Nürnberg seine große, so stark an Dürer gemahnende Holzschnittfolge in dem Speculum passionis des Dr. Pinder. Kurz zuvor muss er noch bei Dürer gearbeitet haben, und als dieser bei seiner Abreise nach Venedig gegen Ende des Jahres 1505 seine Werkstatt auflöste, mag sich Schäufelein selbstständig gemacht und jenen Auftrag übernommen haben. Auch sein Geburtsjahr dürfte somit um ein ganzes Jahrzehnt hinauf zurücken sein.
In Ermangelung anderer Zeugnisse würde uns indes der St. Veiter Altar den sicheren Nachweis liefern, dass Schäufelein schon im Jahre 1502 in Dürer's Werkstätte tätig war. Im Gegensatze zu dem unerschöpflichen Reichtume seines Meisters, hat er frühzeitig einen bestimmten männlichen Typus angenommen, von dem er sich, wie ja so mancher der größten Italiener, nie mehr ganz entfernte. Gleich diesen idealisiert er stets nach einer bestimmten Richtung hin, die ihn auch in vielen Köpfen der St. Veiter Gemälde sogleich kenntlich macht. Es sind längliche regelmäßige Gesichter mit vorspringenden Stirnen und Brauen, mit bedeutenden, wenig eingesattelten Nasen und tief eingeprägten Mundwinkeln, die den sonst edlen Zügen einen Anflug von fast ironischem Lächeln verleihen. Gar lehrreich ist in dieser Beziehung mancher Vergleich zwischen Dürer's Zeichnung in Basel und dem Gemälde, wo z. B. der martialische Landsknecht mit der Hahnenfeder auf der Kappe zur äußersten Rechten des Vordergrundes statt seines trotzigen herausfordernden Doggengesichtes einen sogenannten schönen edlen Kopf bekommen hat.
Deutlicher noch als das Hauptbild verraten die Innenseiten der Altarflügel die hervorragende Beteiligung Schäufelein's an der Malerei. Auf der linken Seite ist der Auszug zur Kreuzigung dargestellt, der sich, aus einem befestigten Stadttore kommend, rechts hin bewegt, in der Mitte Christus mit dem Kreuze, unterstützt von Simon von Cyrene, dahinter die heiligen Frauen mit Johannes. Die Komposition hat viel Ähnlichkeit mit der entsprechenden in der „grünen Passion" Dürer's in der Albertina von 1504, aus der sich dann die vollendete Darstellung der Kreuztragung in der großen Holzschnittpassion entwickelt hat; nur kniet die heil. Veronika mit dem Schweißtuche statt zur Linken, zur Rechten des Vordergrundes. Noch näher steht die Anordnung dieses Flügelbildes einem Holzschnitte Hanns Schäufelein's. (Bartsch 28.) Seinen Typus zeigt auch ganz der wohlerhaltene blasse Kopf des Heilandes. Das Ganze bewahrt eine gute Haltung im Kolorit, obwohl die Gewänder in gebrochenen Farben gemalt sind.
Die innere Fläche des rechten Flügels zeigt den auferstandenen Christus, wie er der vor ihm knieenden Magdalena als Gärtner erscheint. Er steht links in rotem fliegenden Mantel, in der einen Hand die Osterfahne und zugleich den Spaten haltend, mit der anderen segnend. Im Hintergrunde rechts sieht man das offene Grab mit dem Engel und den schlafenden Wächtern und noch weiter kommen zwei heilige Frauen heran; das Übrige füllt eine üppig belaubte Landschaft mit einem hohen Baume zur Rechten, Die schlankeren Körperformen dieses Christus verraten zwar Dürer's Entwurf, doch kann ihn und namentlich den edlen Kopf niemand anderer gemalt haben als Schäufelein; dagegen erscheint der Frauenkopf kalt, wulstig und verkniffen. In der Behandlung der Draperie und der Landschaft wird man an Michel Wolgemut erinnert, was die sehr gegründete Vermutung Rudolf Weigel's unterstützen würde, dass Schäufelein ursprünglich, gleich wie Dürer selbst, ein Schüler des Nürnberger Altmeisters gewesen sei. Die Komposition kehrt sehr ähnlich wieder auf einem mit Dürer's Zeichen und der Jahreszahl 1614, versehenen Kupferstiche Dietrich Kruger's, herausgegeben von B. Caymox, nur in anderem weniger überhöhten Formate.
Der St. Veiter Altar hat nämlich die beträchtliche Höhe von Meter 2,23 auf eine Breite im Hauptbilde von 1,58, in den Flügeln je von 0,7. Alle Teile sind unmittelbar auf das grundierte Holz gemalt.
Die ganze Länge der beiden äußeren Flügelfelder füllt je eine lebensgroße Heiligengestalt von vorn gesehen und darunter ein Wappenschild. Auf dem linken Flügel steht St. Sebastian an den Baumstamm gefesselt und von mehreren Pfeilen durchbohrt. Der nackte Körper ist sehr durchgebildet, in grauen wohl vertriebenen Schatten modelliert und ziemlich kräftig gemalt. Der längliche Kopf mit blondem Kraushaar ist scharf im Profile rechts hingewandt, indes das Auge im Winkel herausblickt ohne viel Ausdruck, schlaff, leidend. Die Form des nach oben sehr erweiterten Brustkorbes, die Haltung von Kopf und Beinen, kurz die ganze Anatomie erinnert stark an den Adam des Kupferstiches von 1504. Sie beruht bereits auf theoretischen Proportionsstudien und liefert somit ein neues Denkmal des frühzeitigen Beginnes von Dürer's Forschungen nach den Körpermassen.
Der andere Flügel zeigt St. Rochus im Pilgergewande. In der Rechten hält er den Stab, die Linke deutet auf die entblößte Wunde am Bein. Der Kopf ist von gewöhnlichen Formen und von fast weinerlichem Ausdruck. Die ganze Figur erscheint nun derb und farblos; sie hat am meisten durch Übermalung gelitten. Die beiden Heiligen finden sich in ähnlichen Stellungen auf einem kleinen Holzschnitte Schäufelein's vereinigt, nur ist dort neben Rochus noch ein Engel sichtbar (Bartsch 48). Die beiden Wappen aber, welche wir unter den beiden heiligen Figuren der Außenflügel angebracht sehen, sind keine anderen, als die aus Lucas Cranach's Werken so wohlbekannten kurfürstlich sächsischen, links der Rautenkranz, rechts die zwei gekreuzten Schwerter. Bei dem Mangel jeder literarischen oder urkundlichen Nachricht über die Herkunft des St. Veiter Altares geben uns diese Wappenschilde einen um so willkommeneren Aufschluss über seine Geschichte. Sie lassen uns kaum im Zweifel darüber, dass das Werk im Auftrage des Kurfürsten Friedrich des Weisen gemalt wurde, für welchen Dürer ja auch 1504 die Anbetung der heil. drei Könige und 1508 die Marter der zehntausend Christen unter Sapor vollendet hat. Der St. Veiter Altar ist somit zugleich ein Zeugnis für die frühere Anknüpfung des Verkehres zwischen Dürer und dem Kurfürsten.
Wie das Bildwerk nach Wien gelangte ist nicht bekannt, und wir wissen nur, dass der Altar vor noch nicht zehn Jahren aus dem erzbischöflichen Palaste in der Stadt nach der Sommer-Residenz zu Ober St.-Veit gebracht und daselbst in einem der Gemächer aufgestellt wurde. Bei dieser Gelegenheit wurden die beiden Seiten der Flügel auseinandergesägt und neben dem Hauptbilde an einer Wand befestigt. Zugleich wurden die stellenweise wohl ziemlich schadhaften Gemälde in einer leider etwas zu kräftigen Art restauriert. Wie Augenzeugen versichern, zierte das Werk noch vor einem Menschenalter etwa den Altar der Haus-Kapelle im erzbischöflichen Palaste, wo es damals durch eine neue Arbeit von Kuppelwieser ersetzt wurde. Dies bestätigen auch zwei Inschriften auf der Rückseite von Dürer's Zeichnung zum Mittelbilde, deren Kenntnis ich eben nach Abschluss dieser Zeilen einer freundschaftlichen Mitteilung des Baseler Museum-Directors E. His-Heusler verdanke. Sie rühren teils von der Hand seines Großvaters Peter Vischer, des früheren Besitzers der Zeichnung, teils von dessen gleichnamigem Sohne her, und lautet die erstere: „Die Altartafel mit zwei Flügeln, nach dieser Zeichnung von Albrecht Dürer gemalt, befindet sich in, der Hauskapelle des erzbischöflichen Palastes auf dem St. Stephansplatze in Wien". Die andere jüngere Schrift besagt: "Das Original-Gemälde dieser Kreuzigung befindet sich als Altarbild in einer verlassenen Hauskapelle des Erzbischofs in Wien, wo es Maler Ludwig Vogel von Zürich im Jahre 1509 gesehen. P. V."
Die große Lücke, welche gleichwohl in der äußeren Geschichte des St. Veiter Altares offen bleibt, lässt sich bisher freilich nur durch die Vermutung ausfüllen, dass derselbe auf gleichem Wege in kaiserlichen Besitz gelangte wie die zwei anderen oben erwähnten Gemälde, die Dürer später für den Kurfürsten gemalt hatte, und welche Kurfürst Christian dem großen Dürerliebhaber Kaiser Rudolf II. im Jahre 1603 verehrt haben soll. Möglich dass der Kaiser, oder einer seiner Nachfolger dem frühen Schulbilde keinen Platz unter den Meisterwerken seiner Kunstkammer gönnen mochte und es lieber seiner kirchlichen Bestimmung zurückgab, und dass es auf diese Art in erzbischöfliches Eigentum überging.
Da diese Mitteilungen indes nur den Zweck haben sollen, die Freunde altdeutscher Kunst auf das bisher wenig geachtete Dürer'sche Altarwerk zu Ober-St.-Veit, aufmerksam zu machen und demselben seinen PIatz in der Kunstgeschichte anzuweisen, so enthalten wir uns jeder näheren Untersuchung über seine Herkunft und überlassen es dem Eifer der Lokalforschung, weitere Nachrichten über seine äußeren Schicksale zu Tage zu fördern.