Mountainbike-Tour durch Tanssilvanien
13. bis 21. August 2005
21.08.2005
Siebenbürgen (rumänisch Transsilvania, ungarisch Erdély) gehörte ab dem 12. Jahrhundert teilweise und ab dem 13. Jahrhundert vollständig bis zu den Kämmen des Karpatenbogens zu Ungarn. Von 1541 bis 1687 war es ein den Türken tributpflichtiges Fürstentum und nach dem Sieg des österreichischen Heeres über die Türken bei Ofen (1687) ein Kronland der Habsburgermonarchie. Der Ausgleich 1867 zwischen Österreich und Ungarn brachte Siebenbürgen wieder zu Ungarn. Am Ende des 1. Weltkrieges wurde Siebenbürgen dem Königreich Rumänien angegliedert. Die sieben Burgen in seinem Wappen stehen für die sieben Stühle als administrative Einheiten der Hermannstädter Provinz mit dem Hauptstuhl Hermannstadt.
Die deutsche Besiedelung des Gebietes begann im 12. Jahrhundert mit der Niederlassung der Siebenbürger Sachsen. Die ersten folgten dem Ruf des ungarischen Königs Geysa zum Schutz der Grenzen gegen Mongolen- und Tartareneinfälle und zur wirtschaftlichen Erschließung. Die Bezeichnung als Sachsen geht auf das mittelalterliche ungarische Kanzleideutsch zurück, die tatsächliche Herkunft konnte nicht eindeutig bestimmt werden. Der besondere Status und die Vorrechte der ersten Siedler konnten in weiterer Folge bis zur politischen Autonomie ausgebaut und über Jahrhunderte durch alle Wirren verteidigt werden. Erst mit der Gründung der österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie wurde die gleichberechtigte ständische Nation der Siebenbürger Sachsen beendet.
Die Folgen des zweiten Weltkrieges mit Zwangsumsiedlung, Flucht, Verfolgung und Diskriminierung bedeuteten den Anfang vom Ende der Deutschen in Rumänien. Die bis heute anhaltende Auswanderung verminderte deren Anzahl auf ca. 80-90.000, die wichtigsten noch verbliebenen Gruppen sind die Siebenbürger Sachsen zwischen West-, Ost- und Südkarpaten und die Banater Schwaben westlich des Karpatenberglandes. Das historische Siedlungsgebiet der Siebenbürger Sachsen wird aber noch bis heute von deren Wehrkirchen und Kirchenburgen geprägt.
Samstag, 13. und Sonntag, 14. August 2005
Mit dem Zug von Wien nach Medias, gleich anschließend die 1. Radetappe
Medias – Hasag – Slimnic (Stolzenburg) – Sibiu (Hermannstadt)
76,7 Kilometer, 630 Höhenmeter, 3:55 Fahrzeit
Tagesroute auf Basis von GPS-Positionsbestimmungen
Abfahrt von Wien-West mit 3 Minuten Verspätung, also um 20:06. Bis Medias wird sich diese Verspätung auf über 1 Stunde aufbauen. Dazwischen ein Abend im Restaurantwagen und eine Nacht im Dämmerzustand, unterbrochen nur von drei Pass- und Zollkontrollen.
Mit dem Tageslicht wird eine weitläufige Natur unterschiedlichen Nutzungsgrades sichtbar. Maisfelder sind die vorherrschende Ackerfrucht, daneben zeigt sich kleinflächige Privatnutzung. Der Rest scheint als Weideland zu dienen oder brach zu liegen. Ausgedehnte verwilderte Terrassen an den (Süd-)Hängen zeugen von einer intensiven Nutzung in früheren Zeiten. Entlang der Verkehrswegte liegt eine Wirtschaft in der Stunde Null. Aus belebten, abgenutzten Strukturen ragen immer wieder trostlose Industrieruinen, manchmal bedecken sie ganze Landstriche. Schlechte Luft aus Fabriken, landwirtschaftlichen Silos und vom Verkehr liegt darüber. Es gibt viel zu tun in diesem Lande. Der Anteil des verbrauchten Gebietes an der Gesamtfläche Rumäniens scheint aber relativ gering zu sein, denn abseits der Verkehrswege kommt man bald in frischere Zonen oder sogar in unberührte Natur, wie dem Großteil des Karpatenbogens.
Es gibt auch viel zu erkunden, daran erinnert die bald vorbeiziehende Burg in Deva. Sie wird die letzte Station unserer Reise sein. Um 10:30 sind wir in Medias, dem Startpunkt unserer Mountainbike-Tour. Damals wussten wir noch nicht, dass Züge längstens 3 Minuten halten, dann ein kurzer Pfeifton und sie fahren, mit oder ohne Menschen an den Türen. Wir waren 15 Biker und hatten jeder eine große Reisetasche, einen Rucksack, ein zerlegtes Rad, ein Vorderrad. Es braucht seine Zeit, bis alles aus dem Waggon geschafft ist. Die letzten Beiden (gemäß Erichs Video war Walter der Letzte und ich der Vorletzte) mussten aus dem fahrenden Zug einen hohen Sprung auf den Schotter (wozu einen Bahnsteig?) wagen, das Gepäck noch in der Hand. Ganz aufgeregt lief ich dann zwischen den verstreuten Sachen herum – das Vorderrad hatte ich in der Hand, wo war der Rest des Bikes? Gottseidank, es fand sich.
Der Rest des Tages verlief ruhiger. Cosmin Costea, der rumänische Reiseleiter und Wolfgang Neumüller, der österreichische Betreuer, empfingen uns mit einem Frühstücksbüfett, gedeckt auf der Motorhaube eines blauen Dacias. Dieses "Haubenlokal" samt Anhänger sollte uns die gesamte Tour begleiten.
Rund ein Drittel der ersten Tagesetappe führte uns leider entlang verkehrsreicher Straßen mit viel Lärm und Gestank. Zu Beginn bildeten noch die Industrieruinen eines der Hauptmotive für die eiligen Kameras, später sollten es ausgedehnte sanfthügelige Weiten werden, in deren Tälern sich ab und zu malerische, ziegelgedeckte Dörfer wie zum Beispiel Hasag festgesetzt hatten oder Störche auf ihren luftigen Nestern. Auch die Straßen wurde allmählich zu ruhigeren Nebenstraßen.
Stolzenburg war ein netter erster Aufenthalt mit schöner Aussicht, die Ruhe des Burg(ruinen)hofes ließ bereits die unterschiedlichen Charaktere der Teilnehmer aufblitzen. Von ruhigen Genießern bis zu rastlosen Universalkommentatoren hatten wir alle Schattierungen.
Einen starken Kontrast für unsere Gefühle boten die überall herumstreunenden Hunde. Manche gehören wohl den auf den Weiden lagernden Hirten, aber der Rest? Sie betteln, stecken die Nase überall hin und kläffen die ganze Nacht. Sie vermehren sich auch am Rande der Straßen, dort spielen dann die putzigen Welpen fast unter den Rädern der vorbeirasenden Lastwägen. Kommen sie ganz unter die Räder, dann haben die anderen eine willkommene Mahlzeit.
Letztendlich erreichten wir Hermanstadt und in einem südwestlichen Ortsteil Namens Neppendorf die uns betreuende lokale Reiseagentur. Dort gab es nach dem Muster rumänischer Gemeinschaftsräume ein Dach auf Säulen und im Dach einen Heuboden – unser Nachtlager. Mit einem köstlichen griechischen Bauernsalat, einer ebensolchen Suppe, Cevapcici, Brot und Getränken kündigte sich auch der weitere Verlauf der Reise als kulinarischer Dauerlauf an. Den Sonnenschein dieses Tages hätten wir bewusster genießen sollen, denn oft sollte er uns auf dieser Tour nicht mehr begleiten.
Die Nacht selbst – na ja, am klügsten war offenbar derjenige, der sich in ein Hotel zurückzog. Jedenfalls war vor dem Eindunken noch genug Zeit, die Bilder dieses Tages Revue passieren zu lassen: Die lange, durch das Land rollende Radkolonne, die freundlich winkenden Leute, wie vier schwarzen Frauen auf der Bank – was deren Kommentar wohl gewesen sein mag?– das viele Leben in den alten Hütten, der nagelneue Mercedes vor der Bruchbude. Ein idealer Platz für den Phönix aus der Asche.
Montag, 15. August 2005
Sibiu (Hermannstadt) – Poplaca – Gura Raului - Stausee – Platins (Hohe Rinne)
51 Kilometer, 1140 Höhenmeter, 4:36 Fahrzeit
Tagesroute auf Basis von GPS-Positionsbestimmungen
Noch schien die Sonne, um 10:00 Uhr starteten wir Richtung Altstadt – sie ist wunderschön. Ganze Straßenzüge mit alten Häusern, oft die Häuser der jeweiligen Zunft, oft auch niedrige, geduckte Häuser im fränkischen Stil unter abgewalmten Dächern mit Einfahrten in den Hof. Im Zentrum die evangelische Kirche und viele andere historische Gebäude. Es fiel leicht, sich in frühere Zeiten zurückzuversetzen, als die deutsche Gemeinde in Siebenbürgen noch mächtiger war. Überall wurde gearbeitet, fast das ganze Stadtzentrum war umgegraben, das Jahr als Kulturhauptstadt kündigte sich an.
Wir hatten nicht viel Zeit, zu wenig für die vielen Sehenswürdigkeiten – es reichte gerade für die evangelische Kirche und einen kurzen Blick in die eine oder andere Richtung, zuletzt zur Stadtmauer. Dort gab es wegen einer Radreparatur einen längeren Aufenthalt, das gab Gelegenheit zum Geldwechseln. Um 13:00 Uhr ging's weiter, wir hatten noch eine Tagesetappe vor uns. Auf dem Kirchturm zeigten sich schon über die Dächer hinweg die Berge der Karpaten.
Eine knappe Stunde später erreichten wir Poplaca, wie geschaffen für eine Mittagspause. Die Motorhaube des Dacia war gleich gedeckt.
Rund um den kleinen Hauptplatz, eine Kreuzung eigentlich nur, dehnt sich ein malerisches Dorf aus. Entlang der engen, steingepflasterten Gassen reihen sich bunte Ensembles niedriger Häuser, verbunden mit Mauern, deren Tore den Weg in die Höfe zwischen den Häusern freigeben. Nur die frei und ungestüm verlegten Gasleitungen stören das Bild. Alles ist belebt mit Hühnern, Gänsen, Hunden, Katzen und da kommt eine Stute mit ihrem Fohlen, ganz alleine trabt sie die Gasse entlang. Sie bildet die Vorhut zu einem Pferdefuhrwerk mit einer fesch herausgeputzten Familie darauf, die offensichtlich von einem in der Nähe abgehaltenen Markt zurückkehrt. Die Pferde sind mit roten Quasten geschmückt, sie sollen das Unheil fernhalten. Dann wird es wieder ruhiger, aber das Gackern, Zwitschern und das Kläffen in der Ferne unterstreichen die dörfliche Atmosphäre. Das entferntere Klappern von Hufen führt zu einem ca. 30 Meter langen, kaskadenförmig an einer Hausmauer angelegten Steinbrunnen, der wohl die zentrale Tiertränke bildet. Auf der anderen Seite steht die Kirche des Dorfes, die Malereien an der Außenseite werden gerade renoviert, das Innere ist verschlossen.
Unweit unseres Lagerplatzes saß eine alte Frau vor der Haustür. Sie ließ sich fotografieren, das Foto auf dem digitalen Display gefiel ihr. Sie zeigte uns ihr Haus.
Im weintraubenbedeckten Hof hinter der Außenmauer ergänzen Kücken und kleine Kätzchen die Tierfamilien. Ins Haus führt ein schmaler Gang, vollgeräumt mit Sachen und einer Collage aus Schwarzweißbildern an der Wand. Familienmitglieder mehrer Generationen sagen „cheese“. Ein vertrauter, muffiger Geruch begleitet durch alle Räume, alte Türdrücker öffnen weiß gestrichene Türen – fast im Altwiener Stil. Die Wände mit feinem Spritzputz sind grün gestrichen, die Farbe ist bis 20 cm über die Hohlkehle gezogen und ein dunklerer grüner Strich bildet den Übergang zum weißen, glatten Plafonds. An den Wänden hängen Familienporträts, kräftig-bunte Bilder mit Motiven aus der Religion oder allegorischer Natur, der Boden ist mit Teppichen bedeckt, auf den restlichen Flächen stehen alte, glänzend gepflegte Möbel, alles mit (Plastik)Blumen, bunten Webereien und weißen Stickerein oder Häkelarbeiten nach dem Geschmack einer vergangenen Zeit geschmückt, behängt, drapiert. Hinter den Gläsern viel Porzellan, auf allen freien Flächen Einsiedegläser mit verschiedenstem Inhalt. Für eine zeitlose Behaglichkeit sorgt der Kachelofen im Eck, gesetzt aus reich profilierten Kacheln. Man fühlt sich in das Ambiente unserer Großelterngeneration auf dem Lande versetzt. Zwischen den traditionellen Einrichtungsgegenständen steht aber auch moderneres Zeug, zum Beispiel die beiden Propangasflaschen.
Rasch kamen schöne Handarbeiten auf den Tisch, einem raschen Lei war die Bäuerin nicht abgeneigt und souvenierbestückt verließ so mancher die gute Stube durch den Hof auf die helle Straße. Die Hoftüre blieb offen und wir versuchten uns wenig später als Tierfänger, um die entkommenen Hühner wieder in ihr Heim zu lenken. Die Schwalbencombo ganz oben auf Draht lachte und spielte dazu.
Bis 15:00 nahmen wir uns Zeit für diese Pause, der Halt im nächsten Dorf (Gura Raului) sollte länger dauern: Wolfgang der Jüngere war wegen zweier Patschen verloren gegangen. So hatten wir Zeit, uns vom Schmutz der durchquerten Sümpfe zu säubern und das Dorfleben auf uns einwirken zu lassen. Maisverkäufer und ein Internetcafe waren die Highlights. Auch lernten wir einen spanischen Namen dieses Ortes: La boca del rio! Damit ist der Zibin gemeint, der hier aus den Bergen in die Ebene um Sibiu tritt. Der Aufenthalt dauerte Stunden und gab genug Zeit für Betrachtungen über Mütter, die ihr zartes Kind aussetzen sowie in der Gegend nicht auzuschließende Ritualmorde etc.
Um 17:00 Uhr verließen wir dann wieder diesen Platz, die beiden Frauen im Torbogen verloren ihre Abwechslung, die Kids im Internetcafe hatten uns gar nicht bemerkt. Ein langer, fordernder Anstieg brachte uns bis ca. 19:00 hinauf auf die Hohe Rinne zur Soimii-Hütte, wo wir in eisernen Stockbetten übernachteten. Die Qualität des im Hotel Cindrel eingenommenen Abendessens war bestens und bald kreiste das Tischgespräch um die üblichen Themen wie Opus Dei, Schrumpfköpfe, Beschneidungen und Ähnliches. Die Hunde draußen brachten sich inzwischen auf ihre Weise fort, manchmal auch in Gruppen, wo Starke den Schwachen helfen und fremde fortknurren.
Dienstag, 16. 8. 2005
Durch das Zibinsgebirge von Platins (Hohe Rinne) zur Cabana Oasa
50 Kilometer, 795 Höhenmeter, 4:05 Fahrzeit
Tagesroute auf Basis von GPS-Positionsbestimmungen
Es handelt sich bei der Hohen Rinne zwar um einen reinen Fremdenverkehrsort, aber Ansichtskarten gibt es keine. Nur eine vom Hotel Cindrel konnte ich ergattern, dort hatten wir auch das Frühstück.
Um 10:30 Uhr ging’s los, der Weg führte über eine auf der Straßenkarte eingezeichneten Nebenstraße über die Mundrell-Höhe, ein Tal und einen 2. Pass bis zum Oasa-See. Vor der 2. Passhöhe erwischte uns aber schwerer Regen und wir flüchteten in eine Hütte von Holzsammlern. Die beiden Arbeiter nahmen unser Eindringen mit Gleichmut hin. Was sie sich über die seltsam bekleideten und behelmten Schlammhüpfer auf Blechrädern gedacht habe, wissen wir nicht. Die Hütte war ein einfaches ungefähr 7x7 Meter großes Geviert mit einigen Nebenräumen und Holzschindeldach. Das Innenleben der Behausung war denkbar einfach mit Stahlbetten, roh gezimmerten Möbeln (Kisten), Hackstöcken und Brettern darüber als Sitzbänke, Pin-ups an der Wand, einem Stromkabel, das sich irgendwie zur nackten Glühbirne an der Decke wand und einfachen Gebrauchsgegenständen dort und da. Das Geniale an dem Raum war der Herd in der Mitte, der durch reichliche Bestückung fast zur Weißglut gebracht wurde und die Stangen an der Decke für die nassen Kleidungsstücke. Mitgebrachter Proviant und Cosmins Heidelbeerblättertee gaben wieder Kraft und die Stimmung erreichte fast Urlaubsqualität.
Der Regen stoppte zeitgerecht und wir konnten über den 1700 Meter hohen 2. Pass und über das langgezogene und landschaftlich erstklassige Teufelsplateau die Cabana Oasa ansteuern. Trotz Stock und Stein, Wasser und Gatsch auf den Wegen erreichten wir diese um ca. 17.00 Uhr.
Die Hütte selbst erwies sich als perfektes Bollwerk kommunistischer Zeiten inklusive aller damit verbundenen Hard- und Software. Aus früheren Reisen kennen wir das alle noch recht gut, eine genauere Beschreibung erübrigt sich daher. Eine solche birgt auch stets die Gefahr, in „westlicher“ Überheblichkeit über das Ziel zu schießen und zu vergessen, welch harten Kampf die Leute hier im Ausklang einer grausamen Periode und unter gelinde gesagt „ineffizienten“ Regierungen führen.
Mittwoch, 17. August 2005
Cabana Oasa – Sureanu-Sattel – Sinca-Sattel – Großer Stern – Sarmisegetusa Regia – Costesti
78 Kilometer, 1183 Höhenmeter, 7:35 Fahr(Geh)zeit
Tagesroute auf Basis von GPS-Positionsbestimmungen
Wegen des schlechten Wetters wurde zunächst eine Routenänderung erwogen, trockenes Wetter und etwas Sonne in der Früh ließen uns schlussendlich doch die geplante Strecke in Angriff nehmen. Die bevorstehende Tour erwies sich dann als sehr mühsam mit schlechten Wegen und langen Schiebe- bzw. Tragestrecken, war aber insgesamt landschaftlich und als Erlebnis herrlich und sollte zur eigentlichen Königsetappe der Tour werden. Die geplante „Königsetappe“ am vorletzten Tag wird ja „ins Wasser“ fallen.
Um 10:36 begannen wir mit der Umrundung des Oasa-Sees, vorbei an einem orthodoxen Kloster, bis wir nach rechts und hinauf zum Sureanu Sattel schwenkten. Diesen erreichten wir auf guten Wegen um ca. 13:00 Uhr. Ein nur schiebend und tragend zu bewältigender Pfad eine Bergflanke hinauf führte uns bis fast zum Gipfel auf über 2000 Meter. Das Wetter hielt und es war bisher trocken geblieben. Die Bergkette, die wir dann ständig auf der Höhe des Kammes entlang fuhren oder gingen, war von weitläufigen, sanft-hügeligen Wiesen bedeckt. Technisch verlangte die Fahrt Aufmerksamkeit, da wir teilweise in schmalen, tief eingegrabenen Saumpfaden fuhren, die wegen des steinigen Geländes obendrein holprig und immer wieder von zerklüfteten Gesteinsformationen unterbrochen waren. Stellenweise drohten wir auch in sumpfigen Wiesen oder Morast zu versinken. Jedenfalls verzieh die Strecke keine Fehler und es gab so manche unsanfte „Landung“, gottlob alle ohne schlimme Folgen für Mensch und Rad.
Bevölkert war die Hochebene von zahlreichen, von Schäfern und Hunden bewachten Schafherden, ab und zu auch ein paar Esel und unbewacht weidende Kühe. Es war eine herrliche Fahrt über diese ausgedehnten Almen, im Umkreis von mehr als 50 Kilometern fast nur unberührte Natur, selbst in den umliegenden, bewaldeten Tälern war kein Haus und kein Weg sichtbar. Etwas Unbehagen vermittelte allenfalls das näherkommende Bellen eines pflichtbewussten Hundes oder verfallende Unterstandshütten, die den erhofften Schutz nicht geben konnten.
Getrübt wurde die Sicht zunehmend durch den Nebel, aus dem dann auch immer öfter Regen fiel. Eine großer, blockhausartig aus massiven Stämmen gebauter Unterstand diente uns dann um 16:00 Uhr als Dach über der späten Mittagspause. Die mitgebrachten Lebensmittel endeten bis auf wenige Überbleibsel in den heißhungrigen Mägen. Lange wird es die Hütte nicht mehr geben, denn Zwischenwände und einige tragende Elemente mussten bereits so manches Lagerfeuer nähren.
In einer Regenpause ging‘s weiter und nach etlichen „Raufs“ und „Runters“ begann die Abfahrt ins Tal. Es sollte eine Abfahrt werden, die in dieser Art noch keiner von uns erlebt hatte. Zunächst waren in einer generalstabsmäßig geleiteten Aktion zwei im steilen Gelände liegende Bäume zu überwinden, die einem Lawinenabgang zum Opfer gefallen waren. Der Weg in diesem Bereich war nicht nur steil und steinig, sondern von nassen, kreuz und quer liegenden Ästen bedeckt. Ein ebenso steiler Hohlweg, in dessen Mitte eine ausgewaschene, metertiefe Furche entlang lief, ließ links und rechts nur eine schmales Erdband zur Fortbewegung. Der Hohlweg endete in einem Schlammkessel mit anschließendem schlammigen Weg, der die Räder bis zu den Radnaben einsinken ließ. Nur wer entschlossen und gekonnt vorwärts strampelte, konnte den Abstieg in den Schlamm verhindern. Die Oberfläche wurde allmählich fester und gewann hinsichtlich Steinigkeit und Nässe immer öfter den Charakter eines Bachlaufes.
In der Gegend von Sarmisegetusa Regia, der einstigen Hauptstatt des Dakerreiches, empfing uns die Dämmerung und verschlechterte die Sicht zusehends. Nur bedingt ein Grund zur Temporeduzierung. An einen Besuch dieser rund einen Kilometer abseits gelegenen historischen Stätte war nicht mehr zu denken. An der Stelle, wo der Weg in die Straße nach Contesti mündete, wartete das Begleitfahrzeug und die Guides waren der Ansicht, uns mit einer kühlen Erfrischung erfreuen zu können. Sie hatten recht.
Im Lichtkegel des Begleitfahrzeuges tasteten wir uns dann die restlichen 14 Kilometer entlang der mit Schlaglöchern und Lacken übersäten Schotterstraße hinunter zu einem Bauernhof in Contesti, der unser Quartier für die nächsten beiden Nächte werden solle. Naß und voller Dreck erreichten wir diesen.
Als Nachtquartier stand uns der Heuboden zur Verfügung, die Scheune darunter war der Aufenthalts- und Speiseraum. Dusche gab es nur eine. Etwas karg für 15 durchnässte und verschmutze Biker plus 2 Reiseleiter.
Die Familie in diesem Bauernhof aber war Spitze und das von ihnen gereichte Essen fabelhaft. Als Abendessen gab es an diesem Tag Gemüsesuppe, in Kraut gewickeltes Faschiertes (eine Spezialität Rumäniens) mit Sauerrahm und Brot dazu und Germbrot als Nachspeise. Alles exzellent und frisch auf den Tisch gebracht.
Donnerstag, 18. August 2005
Wandertag im Reich der Dakerkönige
Des Wetters wegen musste die heutige Radtour gestrichen werden. Statt dessen erkundeten wir per pedes zwei Burgruinen aus der Dakerzeit. Die ersten Morgenstunden gaben zunächst Zeit für die nähere Umgebung. Costesti und insbesondere „unser“ Bauernhof machten einen recht gepflegten Eindruck. In ihm wurde man an unsere Bauernhöfe in früheren Zeiten erinnert. Nur die etwas andere Bauweise und eigene Farbkombinationen geben ihm den rumänischen Touch. Mehrere Gebäude umschließen einen, straßenseitig durch eine eiserne Wand begrenzten Hof. Plumpsklo, Stall, Scheune, Küchenstube, Bad etc. geben die passende Atmosphäre. Alles einfach und recht abgewohnt, aber voll in Betrieb. Ein ausgedehnter, üppiger Gemüsegarten, exotische Blumen und Sträucher im Hof mit den üblichen Weinstöcken komplettieren das Bild. Weniger sichtbare Flächen sind nicht verputzt, an vielen Plätzen liegen und hängen einschlägige Gerätschaften, viel Ausrangiertes wartet auf den jüngsten Tag. Durch die Scheune führt ein Tor in den hinteren, zum Fluss gelegenen Gartenbereich mit allerhand Gerümpel und einem verrostenden Dacia, mitten drinnen ein bestens instandgehaltener Leiterwagen als Prachtstück.
Das ausgedehnte Frühstück brachte Tee, Kaffee, Müsli, Joghurt, salade de boeuf, Auberginensalat und Brot, dann wurden die Räder vom Schmutz des Vortages befreit.
Um 11:45 Uhr zogen wir los, die am Vortag herabgefahrene Straße wieder hinauf. Im Tal ist eine gewisse Bautätigkeit zu sehen, investiert wird in einfache, zweckmäßige Häuser, oft auch schön segmentiert und gut gemauert oder in Holzbauweise mit kreativ ineinandergefügten Bauteilen, Giebeln, Vordächern, dem Kreuz auf der Spitze.
Nach kurzem Marsch erreichten wir den Torbogen, der den Eingang in den Daker-Nationalpark markiert, wenig später ging's rechts hinauf zur Burgruine Blidaru. Blidaru war auf einem 703 Meter hohen Berg errichtet worden und bildete gemeinsam mit den zahlreichen anderen, strategisch günstig angelegten Wehranlagen die mächtigen Verteidigungsringe der Daker. Lange hielten Sie auch den Römern stand, die zwei Kriege auf Anordnung Trajans zur Unterwerfung des Reiches benötigten (101-102 und 105-106 n. Chr.).
Viel ist von den einst mächtigen Bauwerken allerdings nicht mehr vorhanden, das meiste wurde schon von den Römern zerstört und ist mittlerweile von Gras überwachsen. Die ausgegrabenen oder noch hervorlugenden Steine und Mauerteile geben Kunde von der Stärke der Strukturen und der interessanten „murus Dacicus“-Bauweise.
Auf Blidaru gab’s noch ein Mittagessen mit anschließendem Regenguss. Deshalb wurde im Tal ein „Bierstopp“ eingelegt, ehe ein Teil der Mannschaft die 2. Festung „Cetatuie“ auf der Spitze eines benachbarten, 561 Meter hohen Hügels erklomm. Von oben hatte man einen Blick bis weit in die Ebene hinaus – wohl der Grund für den einstigen strategischen Wert –, an Ausdehnung und Erhaltungsgrad übertraf sie Blidaru bei Weitem. Schade dass wir am Vortag keine Zeit mehr für die sicher noch viel beeindruckendere ehemalige Hauptstadt Sarmizegetusa Regia mit ihren ausgedehnten Wehranlagen, der heiligen Zone und den zivilen Bauten hatten.
Gemüsesuppe, Brathuhn mit Erdäpfelpüree und Knoblauchsauce, süßes Brot, Apfelkuchen, Würstel mit Senf und gekochter Kukuruz bildeten die nicht enden wollende Folge des Nachmahls und gaben uns die nötige Bettschwere für das Heulager. Einer 6er-Gruppe war dies allerdings nicht sicher genug, sie zog in ein naheliegendes Hotel.
Freitag, 19. August 2005
Costesti – Luncani – Bosorod und via E 79 nach Hateg
48 Kilometer, 800 Höhenmeter, 3:24 Fahrzeit
Tagesroute auf Basis von GPS-Positionsbestimmungen
Statt des Retezat Nationalparks holten wir die versäumte Etappe des Vortages nach. Nach dem gewohnt-üppigen Frühstück und sonstigen Vorbereitungen ging’s um 10:30 Uhr los. Die Hauptstraße wieder hoch und nach dem Torbogen rechts in die Berge. Ein steiler, steiniger 500-Meter Anstieg forderte gleich volle Kraft und manche vom Rad. Die anschließende Abfahrt über Wiesen und schmale Serpentinen durch den Wald brachte die „Normalfahrer“ an den Rand des Fahrvermögens und weit darüber hinaus. Der single trail war steil, steinig, voller Laub, Erde und querenden Wurzeln, das alles natürlich vollkommen nass. Fast jeder musste vom Rad und zahlreiche Passagen gehend überbrücken. Nur einige Könner fuhren alles, ich nenne sie hier nicht, denn sonst vergesse ich einen.
Unten bei einer kleinen Schule belohnte uns die Sonne mit ihren wärmenden Strahlen und später, nach einer schnellen Windschattenfahrt, ein kühles Getränk in einem Lokal. Zulange genossen wir diese Belohnungen denn auf der Straße nach Hatek, knapp vor unserem Ziel, erwischte uns ein plötzlich aufkommendes, schweres Gewitter. Völlig durchnässt stellten wir uns zunächst unter das winzige Dach eines Schildes und flüchteten später in ein Lokal nur 100 Meter weiter oben auf der Passhöhe.
Nach eingehender Trockenlegung, heißem Kaffee und Kakao fuhren wir die restlichen 3 Kilometer hinunter ins Ziel. Um 17:00 Uhr gab’s dort ein gutes und ausreichendes verkürztes Mittagessen (nur Suppe und Nachspeise). Die Gewitter wurden wieder heftiger und deshalb brachte uns ein Bus samt unseren Rädern in das Quartier dieses Tages. Es war eine 3-Stern Pension am Rande des Retezat Nationalparks, knapp vor der Cabana Gura Zlata. Ankunft ca. 18:30. Bequeme Doppelzimmer inkl. Dusche und ein lukullisches Abendessen mit einer Forelle als Hauptspeise versöhnten uns wieder mit dem verregneten Tag.
Wir hatten es jedenfalls leichter als die lokale Bevölkerung, denn die schweren Gewitter hatten auch diese, vom Hochwasser an sich nicht bedrohte Gegend teilweise überschwemmt. Verzweifelt und hilfesuchend standen die Bewohner vor ihren überfluteten Häusern. Es wird wohl dauern, bis das Wasser wieder zurücktritt und jemand kommt, ihre Keller auszupumpen. Was sicher kommt, ist der nächste Wolkenbruch.
Samstag, 20. August 2005
Mit dem Bus über Densus, Hateg und Hunedoara (Eisenmarkt) nach Deva
Keine Wetterbesserung in Sicht, daher wird auch die letzte Radetappe gestrichen. Wir warten bis 12:00 Uhr auf den Bus. Für einige von uns war die Fahrt unbequem, denn es waren 3 Plätze zu wenig und jeder freie Platz mit unseren Bikes belegt, obwohl 9 davon im Dacia und seinem Anhänger verstaut werden konnten.
Die erste Station war die Steinkirche in Densus. Der orthodoxe Geistliche erklärte uns die frühe Entstehung (13. Jahrhundert) und die wesentlichen Elemente. Nach langer Fahrt über wenig bewachsenes weitläufiges Hügelgelände erreichten wir das in einer flachen Talmulde gelegene Eisenmarkt. Dieses überraschte uns mit seinem wuchtigen Schloss Corvin. Es soll sich dabei um das bedeutendste weltliche gotische Bauwerk in Transsilvanien handeln. Wir genossen eine Führung durch die wichtigsten Räume, Cosmin übersetzte. Der Kauf einer Ansichtskarte scheiterte an dem wichtigen und langen Gespräch, das die zuständige Dame mit einer Kollegin zu führen hatte. Ehe ihre Bewegungen in Zeitlupe das wohlversperrte Pult mit den darin gestapelten Schätzen öffnen konnte, musste ich sie verlassen, denn sonst hätte ich das Ende der Führung nicht mehr erlebt.
Letzte Station war die Stadt Deva mit ihrer Burgruine. Eine topmoderne Standseilbahn brachte uns hinauf. Oben hatten wir einen herrlichen Blick über die Stadt und die umliegende Ebene bis hin zu den Sureanu-Bergen. Gut sichtbar war auch der Bahnhof, von dem aus wir die Rückreise antreten wollten.
Zum Abschied erhielten wir alle eine Urkunde über unsere Verdienste bei diesem „Horrortrip“ durch die Karpaten überreicht, wobei die Teilnehmer diese Verdienste jedes Einzelnen zu benennen hatten. Alle waren sehr höflich und zurückhaltend mit so manchem adäquaten Eigenschaftswort.
Die größten Verdienste hatte freilich Cosmin, denn er leitete die Radtour mit Umsicht und Sicherheit, war verlässlich und geduldig genug, um auch die zahlreichen Sonderwünsche wie eine Selbstverständlichkeit zu erfüllen. Seine sprachlich einwandfreien Erklärungen konnten auf einer umfassenden Bildung aufbauen.
Totaler Stress sollte noch einmal aufkommen, als wir Gepäck und Räder (und uns selber) in den Zug zu verladen hatten. Wie wir nämlich schon von der Herfahrt wussten, kennt der Zugsführer keine Gnade und fährt nach drei Minuten. Wir teilten uns in Vierergruppen auf, von denen jede einen separaten Eingang benützen sollte. Als der Zug zum Stillstand kam, musste die Nebengruppe auf unseren Einstieg ausweichen und wir hatten plötzlich doppelt soviel Gepäck durch das dünne Nadelöhr zu bewältigen. Aus Strategie wurde wieder einmal Chaos. Aber wir schafften es doch und nur ein vergessenes Vorderrad wurde in den bereits fahrenden Zug nachgereicht. Zu diesem Zeitpunkt war es rd. 23 Uhr. Im Laufe der Fahrt baute sich die übliche Verspätung auf, sodass wir statt um 9 Uhr Wien erst um 13:30 erreichten.
Im Vergleich zum Gesamterlebnis waren diese "suboptimalen" Dinge jedoch vernachläßigbare Kleinigkeiten. Wir danken unseren Guides/Organisatoren Cosmin Costea, Adrian Marinica und Wolfgang Neumüller für ein großartiges Abenteuer, das sicherlich keiner von uns missen möchte und an das wir uns noch oft erinnern werden.