Villa Bahr
von Karl Kraus
00.08.1900
Sie scheint noch nicht ausgebaut zu sein, da noch immer Animier-Feuilletons für Architekten, Decorateure und Bauhandwerker erscheinen. Zahlreiche Professionisten sollen bereits erklärt haben, dass sie das ewige Feuilletonlesen satt haben und demnächst ihre Rechnung präsentieren werden. Indessen zwingt Herr Bahr die Leser des Neuen Wiener Tagblatt zum Interesse für den fortschreitenden Bau, und sogar die Abonnenten des Pester Lloyd sind dank der freundlichen Vermittlung des Herrn Hevesi über jede Phase der Entwicklung, die die Dinge in Ober-St. Veit nehmen, genau unterrichtet. Herr Hevesi hat der „Villa Bahr“ jüngst einen ganzen Artikel gewidmet, in dem er jedem Zimmer nachrühmt, dass es „sich kundgibt, als was es ist“, und von einer „heiteren Symbolik der bezüglichen Gemüthszustände“ spricht. Von Herrn Bahr sagt Hevesi in dem ihm neuestens eigenthümlichen Deutsch, er scheine jetzt nicht mehr abgeneigt, „die Saiten der Gesetztheit aufzuziehen“. Herr Hevesi, dieser Schäker, will damit jedenfalls andeuten, dass das innerste Wesen Bahrs voraussichtlich in den Sesseln seines Hauses zum Ausdruck gelangen werde. Er scheint die Verhältnisse in Ober-St. Veit gründlich zu kennen, denn er plaudert gleich zu Beginn seines Feuilletons aus, „zu Häupten Bahrs stehe ein größeres Sommer- und Winterlandhaus: das gehört dem Director Bukovics ...“ Damit den Leuten in Budapest aber vollends der Mund wässert, schildert Herr Hevesi nicht nur die Interieurs der Bahrschen Villa, sondern ruft auch pathetisch aus: „Bahr will sich ein Automobil anschaffen“. Solch eine Nachricht pflegt sonst telegraphiert und nicht feuilletonistisch verwertet zu werden. Warum aber will sich Bahr ein Automobil anschaffen? Die Erklärung ist einfacher als das Deutsch, in dem sie Herr Hevesi vorbringt: Zu Bahrs Villa steigt eine schmale, ländliche Gartengasse hinan, „in einspännerwidriger Steilheit“. Es ist also alle Aussicht vorhanden, dass wir demnächst schon im Neuen Wiener Tagblatt Feuilletons über die reine oder dionysische Schönheit der aus der Leesdorfer Fabrik hervorgegangenen Automobile lesen werden. Sonst fehlt Herrn Bahr nicht mehr allzuviel zu seinem Glück. „Der geniale Olbrich“ ist mit seiner Arbeit fast fertig, und der Polykrates von Ober-St. Veit kann bereits auf seines Daches Zinnen den Besuch des Herrn Hevesi empfangen und ihm zurufen: Gestehe im Fremdenblatt und im Pester Lloyd, dass ich glücklich bin . . .