Die Feldbahn im Geriatriezentrum am Wienerwald

Eine ideale Einrichtung, die dem Zeitgeist weichen musste
1904

Die Feldbahn im Wiener Versorgungsheim (zuletzt Geriatriezentrum am Wienerwald) bestand ununterbrochen von der Eröffnung des Heimes im Jahr 1904 bis zur Einstellung am 27. November 2011.

In der Gedenkschrift zur Eröffnung im Jahr 1904 wird sie als "Rollbahn" näher beschrieben:

"Zur Verführung der zubereiteten Speisen, des Brennmaterials, der Wäsche usw. dient eine Rollbahn, die sämtliche Gebäude des Versorgungsheimes untereinander und insbesondere mit der Küche, der Wäscherei, dem Koksdepot usw. verbindet. Die Geleisanlage ist 3.900 m lang und besteht aus 6 m langen, stählernen Doppelvignoleschienen auf Stahlquerschwellen. 1 m Fahrschiene wiegt 8 kg, 1 m Leitschiene 5 kg, eine Querschwelle (700 mm lang) 3,5 kg. Auf jedes Geleisejoch von 6 m Länge entfallen 6 Schwellen. Die Geleise sind im Straßenkörper wollkommen eingebettet und an den Kreuzungsstellen mit den Fahrstraßen ausgepflastert. Sie führen unmittelbar bis zu den Aufzügen, die den beladenen Rollwagen in die Stockwerke der einzelnen Gebäude befördern.

An den Kreuzungspunkten der Geleise und an den Abzweigungen zu den Aufzügen sind 61 Drehscheiben mit versenkten, rechtwinkeligen Kreuzgeleisen eingebaut. Die Drehscheiben bestehen aus gusseisernen Gehäusen und Wendeplatten, die auf Kugeln laufen, und stehen auf betonierten Schächten, die durch Tonröhren entwässert werden.

Die Geleise der Längsstraßen sind durch vier Weichen und durch Geleisekurven mit einem Krümmungshalbmesser von 10, 16 und 30 m verbunden. Die Weichen sind ebenfalls aus Doppelvignoleschienen hergestellt, die Verbindungsstangen der Doppelzungen mit Schutzkästen versehen. – Die Rollbahn hat eine Spurweite von 500 mm, ihr größtes Gefälle beträgt 56 ‰.

Für die 18 vierrädrigen Speisetransportwagen (mit einer 800 x 1200 mm großen Plattform) ist eine Remise im Küchengebäude mit 4 je 16 m langen Parallelgeleisen und 10 Drehscheiben vorgesehen. Aus der Remise fahren die Wagen an den Speiseausgabentischen vorüber und auf 2 Ausfahrtsgeleisen über kurze Rampen unmittelbar ins Freie. Zum Hauptmagazin führt ein 25 m langes Geleise mit 1000 m Spurweite; ein Plateauwagen mit einer 1300 x 1700 mm großen Plattform führt die einzulagernden Waren bis in den Lastenaufzug.

An der nordwestlichen Grenze wurde im Einschnitt ein Kohlen- und Koksdepot mit einem Fassungsvermögen von 3000 m³ angelegt. Die Abfuhr besorgen 36 Kippwagen, je 0,5 m³ fassend; Kohle und Koks wird einstweilen mit Straßenfuhrwerk, später mit der städtischen Straßenbahn zugeführt werden. Da ihre Geleise 5 m höher als die Rollbahngeleise liegen, werden die Straßenbahnwagen seinerzeit direkt entladen können.

Alle Fahrbetriebsmittel der Rollbahn sind mit eigens konstruierten und doppelt wirkenden Kreuzhebelbremsen versehen. Die Rollbahnanlage wurde von der Maschinenfabrik Lehmann & Leyrer in ungefähr zwei Monaten ausgeführt; die 61 Drehscheiben wurden beispielsweise in einem Zeitraum von 18 Tagen hergestellt und an Ort und Stelle abgeliefert."

In den ersten Jahren ihres Bestandes wurde die Rollbahn mit Muskelkraft berieben. Ab 1918 gab es auch eine Feldbahn im angrenzenden Lainzer Spital mir gleicher Spurweite und 1.900 Meter Länge, die bis Ende der 1960er-Jahre verkehrte. Diese wurde von Beginn an mit Lokomotiven betrieben.

Der Handbetrieb der Rollbahn im Wiener Versorgungsheim währte bis ins Jahr 1925. In diesem Jahr wurden die Drehscheiben durch Weichen ersetzt, Akku-Lokomotiven der Firma AEG angeschafft und die Speisetransportwägen ausgetauscht. Später wurden eine gekaufte Diesellok und die Dieselloks der eingestellten Feldbahn des Krankenhauses für Arbeits- und Schneeräumarbeiten bzw. als Reserve eingesetzt. Einen genauen Einblick in die Anschaffung, den Einsatz und den Verbleib des Rollenden Materials inkl. historischer Fotos gibt der Bericht des EisenBahn Forum Österreich ("Der Nudelexpress"). Mehr Fotos sind im Digitalen Eisenbahn Fotoarchiv. In den letzten Jahren ihres Betriebes wurde die Feldbahn mit verringerter Frequenz und auf verkürztem Gleiskörper nur mehr für die Essensverteilung eingesetzt.

Die Feldbahn und die Küche im Geriatriezentrum am Wienerwald
Ein Video von Klaus Dieter Gerzabek
1988

In der Bezirksvertretungssitzung vom 14. Dezember 2011 wurde folgende Anträge im Zusammenhang mit der Feldbahn behandelt:

10. S-2018/11 - BR Georg PACHSCHWÖLL, BR Hilde AMBICHL, BR Andreas ZEILINGER, BR Wolfgang MIKSCHE, BR Gerhard KARL, FPÖ: Der Betrieb der Feldbahn wurde mit Ende November 2011 eingestellt. Seither erfolgt die Speisenversorgung an die verschiedenen Pavillions im Geriatriezentrum am Wienerwald anstatt mit der elektrisch betriebenen Feldbahn täglich mehrmals mit mehreren dieselbetriebenen Lastkraftwagen. Die zuständigen Stellen der Stadt Wien werden in Zusammenarbeit mit dem KAV ersucht, unverzüglich den Betrieb der Feldbahn im Geriatriezentrum am Wienerwald wieder aufzunehmen. mehrheitlich angenommen

11. S-2019/11 - BR Georg PACHSCHWÖLL, BR Hilde AMBICHL, BR Andreas ZEILINGER, BR Wolfgang MIKSCHE, BR Gerhard KARL, FPÖ: Der Betrieb der Feldbahn wurde mit Ende November 2011 eingestellt. Die zuständigen Stellen der Stadt Wien werden in Zusammenarbeit mit dem KAV ersucht, Nutzungskonzepte für die Feldbahn zu erarbeiten bzw. zu erstellen  (eventuell vergleichbar mit der Liliputbahn im Wiener Prater), die einen dauerhaften Betrieb dieses mittlerweilen einzigartigen Transportmittels – auch über 2015 hinaus - sicherstellen. Zuweisung zur Gesundheits- und Sozialkommission mehrheitlich angenommen

Was mit solchen Anträgen passiert, kann man sich gut vorstellen. Ein gespenstisches Ereignis fand am 12. Oktober 2012 statt. Den Fotografen einer handvoll willfähriger Medien wurde ein Fest gegeben und die alte "Angelika" aus dem Schuppen geholt. Ohne Waggons wurde sie einmal hin und her gefahren. Schöne Fotos ohne jeglicher Hintergrundinformation wie zum Beispiel im Standard waren die Folge.

Man kann die Einstellung der Feldbahn als Symbol für die gegenwärtige Politik der Gemeinde Wien sehen: Alles, was gut, günstig und umweltfreundlich funktioniert, muss weg. Dazu zählt letztendlich das ehemalige Versorgungsheim als Ganzes.

hojos
Im April 2012, ergänzt im Dezemer 2012