Historisches zur Maulbeerbaum- und Seidenraupenzucht
Auch im alten St. Veit an der Wien wurde sie versucht.
Mehr von Legenden umrankt als genau überliefert, hat die Seidengewinnung ihren Ursprung im alten China. Hauptsächlich auf der Seidenstraße wurde die Seide nach Europa gebracht, Raupen, ihre Eier und das Wissen um die Produktion erst viel später. Italien und später Frankreich erreichten für lange Zeit eine führende Stellung. Aus ökonomischen Gründen wurde die Seidengewinnung ab dem 18. Jahrhundert auch im deutschen Sprachraum gefördert.
Bei der Seidenraupenzucht werden im Frühjahr, wenige Tage vor dem Grünwerden der Maulbeerbäume, die Eier zur Ausbrütung ausgelegt. Eine täglich steigende Temperatur ist dabei Voraussetzung. In 10–15 Tagen schlüpfen die Raupen und müssen dann – mit Ausnahme der vier Häutungsperioden – laufend mit frischem Laub des weißen Maulbeerbaums versorgt werden. Nach 30–35 Tagen hören die Raupen zu fressen auf und spinnen den Kokon als Schutz für ihre Verpuppung. Der Vorgang dauert 3–4 Tage, und der Faden des länglichovalen Gespinstes ist 3.000–4.000 Meter lang.
„Um ein Paar Seidenstrümpfe herzustellen, werden etwa 350 Kokons gebraucht; für ein Kleid benötigt man zirka ein halbes Kilogramm Seide oder 1.700 Kokons. Um diese 1.700 Kokons zu erhalten, muss man die hungrigen Raupen mit fast 60 Kilogramm Maulbeerblättern füttern. Es dauert etwa zehn Stunden, um diese Kokons zu haspeln, und noch länger, sie zu weben. Die Seidenkultur ist also ganz sicher nichts für faule und lustlose Menschen."
Versuche oder Anregungen zur Anpflanzung von Maulbeerbäumen und zur Einführung der Seidenraupenzucht als Voraussetzungen für die Seidengewinnung sind für Niederösterreich bereits im 16. Jahrhundert nachweisbar.
So wurde dem kaiserlichen Diener und Musikus Franz Johann Rizzo im Jahre 1569 das ausschließliche Recht eingeräumt, „die Seidenwürmer zu zügeln und, damit sie genährt, weiße Maulbeerbäume auf seine Kosten zu pflanzen, auch Werkleute, die solche Seide verarbeiten ins Land zu bringen." Über die Ausübung dieser Befugnisse fehlt allerdings jede Nachricht.
Erst für das 17. Jahrhundert gibt es Nachweise für einen tatsächlichen Betrieb der Seidenkultur in Niederösterreich. Im Rahmen eines merkantilen Wirtschaftssystems sollte damals unter anderem durch die Gründung von sogenannten Luxusindustrien, darunter auch der Seidenmanufaktur, der Geldabfluss aus dem österreichischen Staate ins Ausland eingedämmt werden.
Erste Nachrichten belegen die Einbürgerung dieses Produktionszweiges im äußersten Nordosten Niederösterreichs, ausgehend von der Liechtensteinschen Herrschaft Feldsberg (damals noch Niederösterreich, heute Südmähren). Eine zweite Region mit Seidenkulturbetrieb lag im Alpenvorland bei Herzogenburg, fiel aber den Auswirkungen der Türkeninvasion 1683 zum Opfer.
Umfangreichere Bestrebungen zur Einführung der Seidenzucht setzten erst zur Zeit Maria Theresias ein, zuerst auf private Initiative und ab 1749 mit staatlicher Förderung. Die Baumpflanzungen erfolgten in den Vorstädten Wiens und in der näheren und weiteren Umgebung. Die Ober St. Veit am nächsten gelegene dieser Maulbeerpflanzungen befand sich im Garten beim „Braunen Hirschen" in Rudolfsheim. Erste Frucht der staatlichen Förderung war die Maulbeerbaumschule in Margarethen. Zur Förderung der Anpflanzung im ganzen Land verschenkte sie in den folgenden Jahren hunderttausende Setzlinge, einen großen Teil davon in das „Viertel unter dem Wienerwald", das auch unsere Region einschließt. Weitere Plantagen folgten.
Es wurde ein einheitlicher Ankaufspreis für die gewonnenen Galetten (Kokons) festgesetzt, und zur Durchführung der Filatur (= Abhaspeln und Zwirnen der gewonnenen Seide) standen bald zahlreiche, oft mit staatlicher Unterstützung gebaute Handfilatorien zur Verfügung. Darüber hinaus gab es in Wien zwei mit Wasserkraft betriebene Filatorien, das bedeutendere davon in Hietzing. Es wurde 1740 auf allerhöchsten Befehl bei der Churfeld’schen (feisten) Mühle erbaut. Besitzer, Pächter und Filatorimeister wechselten und 1780 beendete die Kündigung des neuen Besitzers der „feisten Mühle" den Betrieb. Der Staat bzw. die Kommerzialbehörden konnten dies nicht verhindern, förderten aber den neuen Standort bei Traiskirchen.
An der Verbreitung der Seidenzucht in und um Wien wurde weitergearbeitet. Wegen des Wassers geeignete Gründe an der Donau und an der Wien waren aber meist zu teuer oder aus anderen Gründen ungeeignet. Auf dem flachen Lande waren Unkenntnis und Voreingenommenheit der Bevölkerung hemmend. Förderungen, Schulungen, Remunerationen, Landrevisoren, Schutzmaßnahmen und Strafen sollten dem entgegen wirken.
Im Zuge dieser Bemühungen wurde auch in St. Veit an der Wien eine Maulbeerpflanzung angelegt. Ein Bericht aus 1766 bezeugt je 6 Dukaten Belohnung für Baumpflanzungen an den Verwalter der (1762 von Maria Theresia erworbenen) k. k. Herrschaft St. Veit, Stefen Wenzina, und an den Förster.
Trotz aller Maßnahmen, der Patente in milderer und schärferer Tonart und der Androhung von Gewalt stellte sich hierzulande aber kein nachhaltiger Erfolg und nur eine geringe Seidengewinnung ein. Einem Bericht aus dem Jahr 1765 zufolge waren von 79.179 im Viertel unter dem Wienerwald abgegebenen Maulbeerbäumen bereits 44.009 zugrunde gegangen. 1771 wurde die staatliche Förderung der Seidenkultur eingestellt. In wärmeren Gegenden (Görz, Gradisca, Slawonien, Banat, Südtirol etc.) wurde die Seidenkultur weiter unterstützt. In Slawonien war die Seidenzucht bereits früher und auch sehr erfolgreich betrieben worden, u. a. wurde auch von dort stammende Rohseide auf dem Filatorium in Hietzing weiterverarbeitet.
In Niederösterreich wurde die Pflege der Maulbeerbäume meist sofort eingestellt, Baumschulen an Private abgegeben. 1785 initiierte Nachforschungen über den Stand der Kulturen in Niederösterreich bescheinigten dem Viertel unter dem Wienerwald 1786 die vergleichsweise noch größte Verbreitung der Maulbeerbaumkultur. Auch auf dem Areal der Herrschaft St. Veit an der Wien gab es noch 1137 hochstämmige, allerdings seit einigen Jahren ganz verstümmelte Maulbeerbäume. Die Nutzung war 1780, nach Rückkauf der Herrschaft durch das Erzbistum Wien, Hofrat Josef H. v. Froidevaux und später Freiherr Johann von Leykam überlassen worden. Ein anderer Bericht aus dieser Zeit attestierte der Seidenzucht keinen anspornenden Gewinn, sondern bezeichnete sie lediglich als eine vergnügliche Beschäftigung für Liebhaber. Unter anderem wurde wegen der gleichzeitigen Wein- und Feldarbeit die Entlohnung der für die Blättersammlung benötigten Arbeitskräfte als zu teuer eingestuft.
Neuerliche Versuche zur Einführung der Seidenkultur in Niederösterreich fielen in die Zeit der Kontinentalsperre; das war die von Napoleon verfügte Unterbindung des Handels zwischen England und dem Kontinent (1806–1814). Nach unverändert abschlägigen Bescheiden fand 1809 ein Umdenken der Behörden statt, und die Förderungsbegehren eines Josef Prey und eines Josef Tiefenbacher wurden mit Auflagen (Aufsicht, Erfolgskontrolle etc.) genehmigt. Während Josef Tiefenbacher sein Projekt nicht verwirklichen konnte, begann Josef Prey mit seiner Seidenraupenzucht in Baumgarten recht erfolgreich. Er hoffte sogar, die nahe gelegene, mit Maulbeerbäumen bepflanzte „St. Veiter Heide" nutzen zu können.
Im Zuge der Franzoseninvasion 1809 wurden aber fast alle 600 Bäume in Baumgarten vernichtet und die Anlagen zerstört. Schon ab dem folgenden Jahr versuchte Josef Prey den Wiederaufbau in Baumgarten. Er durfte auch 1/3 der rd. 1000 Bäume der St. Veiter Plantage nutzen, die bis 1814 in der Pacht des Freiherr von Leykam stand. Sie war ebenfalls in einem schlechten Zustand; die Ursache (Franzosen oder Vernachlässigung) ist nicht bekannt. Preys Unternehmen kam nicht in Schwung, über den unzureichenden Ertrag hinaus wurden die Vernachlässigung des praktischen Unterrichts und der Verbreitung der Seidenzucht kritisiert. Letztendlich scheiterte Prey, und als Folge blieb die St. Veiter Plantage größtenteils unbenützt.
In der Folge verhielt sich der Staat gegenüber der Seidenraupenzucht in unserer Region wieder unverändert zurückhaltend, einerseits wegen seiner prekären Finanzlage, andererseits wegen der Vereinigung mit der Lombardei und Venetien, wo Seide im Überfluss produziert wurde. Die Seidenerzeugung blieb daher der privaten Initiative überlassen, und nur an wenigen Stellen Niederösterreichs hielten sich Maulbeerbäume und die Seidenraupenzucht. Dazu gehörten unter anderem die Seidenkulturversuche eines Herrn Engelmann auf der Plantage in St. Veit an der Wien in den Jahren 1820 bis 1822. Auch sein anschließendes Unterstützungsbegehren wurde abgelehnt. Genauso erging es dem 1839 aus Tirol zugewanderten Girolamo Prandini, der unter anderem auch in St. Veit an der Wien Seidenzuchtversuche unternahm und dessen 1842 beantragte Unterstützung ebenfalls abgelehnt wurde.
Kleine Seidenanlagen soll es zu Beginn des 19. Jahrhunderts auch im Schönbrunner Schlossgarten und vorübergehend in Unter St. Veit (Maulbeerblätterkultur der Gräfin de la Porta) gegeben haben. Eifrige Proponenten der Seidenkultur waren in den 30er-Jahren des 19. Jahrhunderts Franz Ritter von Heintl in Nexing, Graf von Thavonat am Sachsengang und Ritter von Stettner in Thürntal. Hinzu kam die Baumschule des Dr. Karl Ludwig Freiherr von Reichenbach am Reisenberg (Kobenzl), die 1838 einen Stand von über 200.000 Maulbeerbäumen hatte. Versuche mit der Raupenzucht wurden dort 1839 begonnen.
Erschöpft ist damit die Zahl der Seidenzüchter natürlich nicht, denn es gab sicherlich noch zahlreiche weitere Liebhaber, die in keine Aufzeichnung Eingang gefunden haben. Ein Übergreifen auf die breite Masse der landwirtschaftlichen Bevölkerung konnte aber bis in die 1850er Jahre nicht erreicht werden. Eine Statistik aus dem Jahre 1853 weist den Anteil Niederösterreichs an der Kokonerzeugung mit 14 Zentnern gegenüber mehr als einer halben Million in der gesamten Monarchie aus. Angesichts der dominierenden Stellung Wiens in der Seidenindustrie musste dies für Niederösterreich unbefriedigend sein.
Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sollte sich dieses Verhältnis für kurze Zeit ändern. Die Behörden sahen die landwirtschaftlichen und volkswirtschaftlichen Vorteile wieder deutlicher und forcierten die Maulbeerbaumkultur und die Seidenraupenzucht als Voraussetzung für die Rohseidengewinnung überall dort, wo es Klima und Bodenverhältnisse zuließen. Im Vordergrund standen praktische Maßnahmen (vor allem günstige oder kostenlose Abgabe von Setzlingen, Raupensamen, Fixpreise für Kokons etc.), pädagogische Maßnahmen und Propaganda, manchmal auch finanzielle Unterstützungen. Trotz nach wie vor geteilter Ansichten bei staatlichen, kirchlichen und privaten Instanzen nahmen die fördernden Stimmen zu, und ab 1855 gab es sogar eine eigene Seidenbausektion im Rahmen der k. k. Landwirtschaftsgesellschaft. Förderlich wirkte sich auch der Verlust bester Seidenproduktionsländer wie der Lombardei durch die Monarchie aus.
Zunehmend wurde auch eine notwendige Arbeitsteilung erkannt: Hauptsächlich Großgrundbesitzer sollten die Baumpflanzungen anlegen (meist entlang von Verkehrswegen und an Grundstücksgrenzen), kleinere Grundbesitzer und die Landbevölkerung die Raupenzucht betreiben (de facto waren es meist Schullehrer, Pfarrer und Pensionisten). Es wurden Maulbeerbaumschulen im Wienerwald angelegt, manche von ihnen ganz in unserer Nähe (z. B. in Purkersdorf). St. Veiter Flächen werden in diesem Zusammenhang allerdings nicht mehr genannt. Die regional nächstliegende Nachricht in dieser Periode betrifft den Hietzinger Verschönerungsverein, der von der Seidenbausektion 1860 5.000 Maulbeersetzlinge aus einem Anninger-Forst geschenkt bekam. Nennungen in diesem Zusammenhang resultieren auch aus den umfangreichen Bildungs- und Motivierungsversuchen vor allem der Seidenbausektion. So erhielt bei einer Preisverteilung der Landwirtschaftsgesellschaft am 26. 9. 1861 in Mödling in der Kategorie „Von Privaten angelegte Maulbeerbaumschulen" der Hietzinger Handelsgärtner Daniel Hooibrenk die große silberne Gesellschaftsmedaille. Der Holländer Daniel Hooibrenk ist in der Regionalgeschichte Hietzings bekannt. Er war für lange Zeit der Obergärtner des Freiherrn von Hügel, des „Vaters" der österreichischen Gartenbaukunst und Mitbegründers der Österreichischen Gartenbau-Gesellschaft. Die ausgedehnten Liegenschaften Hügels befanden sich zwischen Hietzinger Hauptstraße, Braunschweig- und Steckhovengasse. Seine aus aller Welt zusammengeführte Pflanzensammlung war der Grundstock der botanischen Sammlung des späteren Naturhistorischen Museums. Hügel betrieb auch eine Handelsgärtnerei, die Samen und Setzlinge an Gartenfreunde in ganz Europa versandte. Als Hügel 1849 als österreichischer Gesandter in die Toskana ging, übergab er diese Handelgärtnerei an den oben genannten Daniel Hooibrenk. Die Nachkommen Hooibrenks sollen noch lange in Hietzing gelebt haben.
Zurück zur Seidenraupenzucht: Es wird auch von einer Hietzinger Ausstellung berichtet, die von 29. 8. bis 13. 9. 1868 stattgefunden haben soll.
Für 1862 wird die Zahl der Maulbeerbäume und -hecken mit 600.000 und die der Baumschulen mit 36 angegeben. Als Haupterzeugungsgebiete der für dieses Jahr erwarteten rd. 5.400 Pfund Kokons werden die Bezirke Bruck a. d. Leitha und Groß-Enzersdorf genannt. Die Produktionszahlen des Jahres 1862 wurden nie mehr erreicht. Harte klimatische Bedingungen, Krankheiten, veränderliche Absatzmöglichkeiten, fehlende regionale Abhaspelung, hartnäckige Interesselosigkeit, Ungunst und schließlich eingestellte Staatssubventionen ließen Bestand und Erfolg nach Schwankungen wieder abstürzen.
Seit den Versuchen Girolamo Prandinis von 1839–42 ist St. Veit nicht mehr genannt worden; Maulbeerbäume und die Raupenzucht dürften aber noch lange bestanden haben. Noch für das Jahr 1875 ist die Einlösung von Kokons bei der Seidenbausektion durch die Herren Hentschel und Zech aus St. Veit (die Herren waren Bürgermeister bzw. Gemeinderat, siehe Schachinger 1944, S. 254) belegt. Allerdings war dies nur ein ein- und letztmaliges Aufflackern ohne Hinweis auf nähere Umstände. Die Seidenbausektion der k. k. Landwirtschaftsgesellschaft Wien wurde schließlich 1884 aufgelöst.
Neu aufgenommen wurde der Gedanke erst wieder in den letzten Jahren des 1. Weltkrieges, einerseits wegen der schwierigen Rohstoffversorgung und andererseits als Nebenerwerb für die Kriegsinvaliden. Damals wurden Volksschulen und landwirtschaftliche Lehranstalten intensiv einbezogen. Der letzte Versuch in den 30er-Jahren des 20. Jahrhunderts wollte die wegen der wirtschaftlichen Not erhöhte Bereitwilligkeit der Bevölkerung nutzen.
Doch auch diese Versuche scheiterten an den üblichen Ursachen, und damit war die Einbürgerung der Seidenkultur in Niederösterreich endgültig gescheitert, obwohl die klimatischen Voraussetzungen für weite Teile des Landes als erwiesen galten. Die Passivität der Bevölkerung, der Mangel an arbeitswilligen Kräften und gravierende Fehler in der Verwertung waren die Hauptursachen.
Für Ober St. Veit war dies alles schon seit Jahrzehnten kein Thema mehr, denn die Maulbeerbäume waren längst dem Siedlungsdruck gewichen. Letzte lebende Zeugen der Seidenraupenzucht in unserer Region standen am Ende der Auhofstraße in Hacking (am dortigen Parkplatz). Das Hietzinger Bürgerblatt berichtete 1972 von einem einstimmig angenommenen Antrag der Bezirksvertretung, diese Baumgruppe unter Naturschutz stellen zu lassen. Dem Antrag wurde allerdings nicht entsprochen, da sich die Bäume bereits in einem zu schlechten Zustand befanden. Mittlerweile sind sie verschwunden.
Aber auch international verlor die Seidenindustrie wegen der Erfindung der Kunstfasern in den 30er-Jahren des 20. Jahrhunderts weitgehend an Bedeutung.