Das erste Dorf auf dem Gemeindeberg

Es war Teil eines ausgedehnten neolithischen Bergbaus in der St. Veiter Klippenzone
19.07.2018

Geologische Vorbemerkungen

Heimatkundliche Werke beginnen oft mit den geologischen Verhältnissen der jeweiligen Region. So auch der erste Band des Hietzinger Heimatbuches aus dem Jahr 1925, in dem sich Anton Zach ausführlich mit der Landschaft und deren geologischem Aufbau beschäftigt. Für seine Darstellung konnte er allerdings auf einige ältere Arbeiten zurückgreifen.

Mit geologischen Forschungen in unserer Region begonnen hat Johann Baptist Anton Karl Cžjžek, als er Kalkvorkommen im vorherrschenden Sandsteingelände des Lainzer Tierartens suchte, und zwar im Auftrag des k. k. Oberstjägermeisteramtes. In der von ihm 1847 veröffentlichten „Geognostischen Karte der Umgebung Wiens“ sind unter anderem auch die St. Veiter Klippenhügel als „Alpenkalk“ vermerkt. Unter Alpenkalk verstand die damalige Geologie die verschiedensten Ablagerungen der Alpen im Mesozoikum. Das Mesozoikum bzw. Erdmittelalter begann vor rund 252 Millionen Jahren und endete vor rund 66 Millionen Jahren, es wird in Trias, Jura und Kreide unterteilt. In einer Ergänzung 1852 erwähnte Cžjžek auch die roten bis grünen Hornsteine  im „Malmkalk“ (damalige Bezeichnung für den weißen Kalk der Oberen Jura) bei St. Veit unweit der St. Veiter Einsiedelei (=Gemeindeberg).

Weitere Namen auf dem Erkenntnisweg der örtlichen Geologie sind Hauer (1850 und 1853), Peter (1854), Paul (1859), Stur (1860), Karrer (1867) und Griesbach (1868). Nach einer Zeit geringeren Interesses an den Juraklippen der Wiener Umgebung brachte die immer intensiver werdende Durchforschung der Alpen und auch des Wiener Beckens eine beträchtliche Zahl an Studien, die auch die St. Veiter Klippenserie betrafen: (Neumayr 1886), Uhlig (1890 und 1907), Keller (1891), wieder Stur (1894, 1899), Hochstetter (1897), Toula (1897), Schaffer (1904, 1906 und 1927), Spitz (1910), Kober (1912 und 1926), Schlesinger (1919 und 1921), Götzinger (1920), Amon (1927) und Scheurlen (1928).

Diese Namen auf der einschlägigen Literaturliste werden nur wenigen Experten vertraut sein. Ihre – sicher nicht vollständige – Aufzählung an dieser Stelle soll zeigen, dass das mittlerweile umfangreiche Wissen über die regionale Geologie sehr viele Quellen hat und darin die Erkenntnisse aus zahlreichen Aufschließungsstellen (Steinbrüche, Brunnen, Baugruben, gezielte Grabungen) zusammengefasst sind. Auf diese Arbeiten konnte auch der ab 1904 publizierende Dr. Friedrich Trauth, von 1936 bis 1948 Direktor der Geologisch-Paläontologischen Abteilung des Naturhistorischen Museums in Wien, aufbauen. Er wird als bester Erforscher der geologischen Geschichte des Lainzer Tiergartens und seiner Umgebung gesehen. Sein Hauptwerk zu diesem Thema: „Geologie der Klippenregion von Ober-St. Veit und des Lainzer Tiergartens“ aus dem Jahr 1928 ist bis heute maßgeblich.

Mit dem Mesozoikum beginnen also die für die Entstehung unserer Landschaft relevanten Erdzeitalter. Damals entstand das Material unseres Bodens aus meist organischen Ablagerungen am Meeresboden. Weitere Schichten aus den unterschiedlichsten Zerfalls- und Verwitterungsprodukten legten sich darüber, waren den unterschiedlichsten tektonischen Bewegungen ausgesetzt, wurden übereinander und ineinander geschoben und vielfach zerrissen. Letztendlich bildeten die Ablagerungen des Wienflusses und seiner Zubringer im jüngsten Erdzeitalter, dem bis heute währenden Holozän, die weiten Ebenen zwischen den Hügeln. Dazu gehört auch das für St. Veit wesentliche Veitinger Feld.

Im St. Veiter Boden, der vor allem aus dem Flysch des Wienerwaldes (Sedimente meist aus Ton- und Sandsteinen) und den schottrigen Ablagerungen jüngerer Zeit besteht, ist demnach vom massiven Kalkstein bis zum feinsten Ton alles zu finden. Auf diese Materialvielfalt näher einzugehen würde diesen Beitrag sprengen.

Ausschnitt aus der Detailkarte des Klippengebiets von Ober St. Veit. Nach Aufnahmen von F. Trauth, H. Küpper und R. Janoschek, entworfen von R. Janoschek, gezeichnet von E. Slama. In: Mitteilungen der Geologischen Gesellschaft in Wien, 47. Band 1854 © Archiv 1133.at
<p><b>Ausschnitt aus der Detailkarte des Klippengebiets von Ober St. Veit</b></p><p>Nach Aufnahmen von F. Trauth, H. Küpper und R. Janoschek, entworfen von R. Janoschek, gezeichnet von E. Slama. In: Mitteilungen der Geologischen Gesellschaft in Wien, 47. Band 1854</p><p><i>&copy; Archiv 1133.at</i></p>

Dieses Material formt allerdings nicht nur unsere Landschaft, sondern ist auch von erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung und wurde je nach Bedarf und Vorkommen unterschiedlich genutzt. An den markanten Erhebungen St. Veits, wo die älteren, härteren Gesteine durch die jüngeren Schichten, eben den Wienerwald-Flysch, an die Oberfläche dringen (= St. Veiter Klippen), wurden sie in Steinbrüchen abgebaut. Zu nennen ist vor allem der Glasauer Steinbruch am Südhang des Girzenberges, in dem Mergel und Mergelkalke gewonnen wurden. Der Glasauer Steinbruch erwies sich dabei auch als die meistzitierte Fundstelle von Ammoniten. Fossilien sind ja ein wesentlicher Anhaltspunkt in der Bestimmung der Art und des Alters der Gesteine. Am Gemeindeberg, an der Stelle des Faniteums, wurde Quarzsandstein für den Straßenbau gewonnen. Zu nennen sind auch die Steine des Tiergartens, die gegen Ende des 18. Jahrhunderts zum Bau der Tiergartenmauer verwendet wurden. Im flachen Veitinger Feld gab es Tonvorkommen, die für die einst dort angesiedelte Ziegelbrennerei genutzt wurden. Auch der Wienfluss war ein ergiebiger Lieferant: Der Abbau seines Schotters, der vor allem für den Straßenbau Verwendung fand, führte an manchen Stellen schon sehr früh zu künstlichen Eintiefungen.

Im Zusammenhang mit der in diesem Beitrag thematisierten steinzeitlichen Siedlungstätigkeit ist aber ein Gestein besonders wichtig: der Kalk aus dem Jura, weil er auch Hornsteine mitführte. Diese entstehen bei der Verdrängung des Kalziumkarbonates durch Siliziumdioxid, also durch Verkieselung des Kalks. Hornsteine waren ein wesentlicher Rohstoff der Steinzeit, weil sie sehr hart sind und muschelförmig brechen. Damit konnten aus ihnen die verschiedensten scharfkantigen Werkzeuge erzeugt werden. Der in unserer Region dominierende Hornstein wird Radiolarit genannt, weil seine Entstehung auf die Ablagerungen der Strahlentierchen (= Radiolarien) mit ihrem kieseligen Skelett zurückgeht.

Die Nutzung des Radiolarit erfolgte nach heutigen Erkenntnissen in unserem Raum über einen Zeitraum von mindestens 20.000 Jahren. Die frühe Verwendung im Paläolithikum (Altsteinzeit) beweisen die Funde in der Titlgasse. Der bergbaumäßige Abbau von Radiolarit fand aber erst ab dem Neolithikum bis in die Bonzezeit statt. Zu dieser Phase kommt die Forschung – wie weiter unten dargelegt wird – erst in jüngster Zeit zu hochinteressanten Ergebnissen, insbesondere im Bereich der St. Veiter Klippen.

Die steinzeitlichen Siedlungen am Gemeindeberg

Der 320 Meter hohe Gemeindeberg bot, abgesehen von der Nähe des Hornsteines, des für die damalige Erzeugung von Werkzeugen wichtigsten Materials, auch sonst ideale Voraussetzungen für eine steinzeitliche Siedlung. Seine steil abfallenden Hänge machten ihn zu einem idealen Verteidigungspunkt, der wildreiche Wald, die Quelle im Südosten und die Gewässer in den Niederungen boten eine ausreichende Versorgung. Es gab Lehm für den Mauerbau und zur Geschirrerzeugung, Sandstein als  Reib- und Klopfsteine.

Allerdings war der Hornstein nach der Einschätzung eines frühen Archäologen sehr brüchig und für eine Verarbeitung nur schlecht geeignet. Die Mangelhaftigkeit der hier erzeugten Artefakte wurde jedenfalls nicht auf die fehlende Kunstfertigkeit der Handwerker zurückgeführt, sondern auf das widerspenstige Material, das die Vollendung einer bestimmten gewünschten Form nicht gestattete. Spätere Archäologen jedoch nannten den hier gefundenen Stein vorzüglich.

Mehreren Quellen zufolge wurde bereits in den 1880er-Jahren von der Existenz einer jungsteinzeitlichen Siedlung am Gemeindeberg ausgegangen. Mit damals erfolgten nicht wissenschaftlichen Grabungen wird der Historienmaler Ignaz Spöttl in Zusammenhang gebracht. Der Erste, der den Vermutungen nach einer prähistorischen Ansiedlung am Gemeindeberg in Ober St. Veit in wissenschaftlicher Weise nachging, war der Maler und Anthropologe Ludwig Hans Fischer. Er tat es im Auftrag der Anthropologischen Gesellschaft. Es waren die hier vorkommenden Jaspise (so bezeichnete Fischer die hier auffindbaren Hornsteine) und die Formation der Hügel, die ihn eine prähistorische Ansiedelung an dieser Stelle vermuten ließen. Bald wurde seine Annahme durch den Fund von zahlreichen Topfscherben bestätigt. Es war die erste prähistorische Ansiedelung, die auf Wiener Boden entdeckt wurde. Die Studien, die er über seine Funde erstellte, auch diejenige aus dem Jahr 1898 über die Grabung am Gemeindeberg, galten lange Zeit als grundlegende Publikationen.

Die relevante Nordseite des Berges, der heute vollkommen bewaldet ist, war zur Zeit der frühesten Grabungen nur teilweise von Buschwerk und Bäumen bewachsen. Noch früher gab es dort auch Weingärten. Der vorgefundene Siedlungsbereich erstreckte sich nicht weit unterhalb der Spitze beginnend in der Breite des gesamten Nordhanges etwa 200 Schritte hinab. Hier standen zahlreichen Hütten auf eigens dafür geschaffenen Plattformen. Ihre Wände bestanden aus mit Lehm verstrichenen Holzstangen. Die Länge der Wände betrug 4–5 Meter. Die Feuerstellen waren unmittelbar neben der Hütten. In solchen rechtwinkeligen Hüttenräumen waren die meisten Artefakte zu finden und zuweilen lagen solche Massen an Tonscherben beisammen, dass sie wieder ganz oder teilweise zusammengesetzt werden konnten. Wegen des hart gebrannten Wandbewurfes und verbrannter Artefakte musste angenommen werden, dass diese Häuser oder Hütten durch Feuer zerstört worden waren.

Die große Ansammlung an Knochen ermöglichte es, näheres über den Speisezettel der vor rd. 5000 Jahren hier lebenden Menschen zu erfahren: Sie jagten Hirsch und Reh, hielten Schafe, Ziegen, Schweine, Pferde und Hunde. Es wurden auch Fisch- und Muschelreste gefunden. An Pflanzen waren nur Getreidekörner (Gerste) und verkohlte Kerne der Kornelkirsche (Dirndl) nachzuweisen.

Die ergrabenen Gegenstände gingen an das Naturhistorische Museum, an das Museum der Stadt Wien (Wienmuseum) und an die Universität Wien. Näheres zur Grabung von Ludwig Hans Fischer inkl. einer umfangreiche Darstellung der Funde ist hier zu finden.

Die ergiebigen Funde am Gemeindeberg und deren hohe Bedeutung für die Erforschung der Wiener Vorgeschichte hielten das Interesse an diesbezüglichen Grabungen hoch. Als nächster grub hier Jaroslav Czech von Czechenherz, finanziert mit einer Subvention der Gemeidne Wien. 1920 bis 1923 forschten der Fachlehrer Josef Fritz Kastner und sein Berufskollege Karl Moßler, leider überschattet von persönlichen Animositäten. 1924 wurde unter der Leitung von Dr. Friedrich Bayer, Direktor im Naturhistorsichen Museum, eine, wie er es nannte, erste systematische Grabung auf Wiener Boden am Gemeindeberg durchgeführt. 1948/49 gab es ein Fortsetzung dieser Grabung, die jüngste Grabung fand in den 1960er-Jahren statt. Natürlich waren immer wieder private Funde bis hin zu illegalen Raubgrabungen festzustellen.

Wegen der großen Ausdehnung konnte niemals das gesamte Terrain aufgedeckt werden, sondern nur einzelne Bereiche mehr oder weniger gründlich erforscht werden. Dennoch waren die Ergebnisse auch dieser Grabungen außerordentlich reichhaltig. Gefunden wurden viele verzierte und unverzierte Gefäßbruchstücke, aus denen sich vollständige Stücke zusammenstellen ließen. Restaurierbare Amphoren lagen oft nur zerdrückt am Boden. Weiters Spinnwirtel, Spulen, Beile, Hämmer, Pfeilspitzen, auch Kernstücke unfertiger Gegenstände und Abschläge, Klopf-, Reib- und Mahlsteine, Pfriemen und Meißel aus Knochen. Insbesondere auf Grund der Gefäße können die Gegenstände zwei großen mitteleuropäischen Kulturen des Spätneolithikums bzw. der Kupferzeit (frühe Badener Kultur/Bolerázgruppe, 4. Jahrtausend und Jevišovice-Kultur, 3. Jahrtausend v. Chr.) zugeordnet werden.

In der Jungsteinzeit (Neolithikum) wurden die Menschen sesshaft, Tiere und Pflanzen wurden domestiziert und eben gebrannte Tongefäße verwendet. Es wurde aber auch die Metallverarbeitung entwickelt. Mit Ausnahme eines an beiden Enden zugespitzten Pfriemens aus Kupfer wurde aber am Gemeindeberg nichts Metallenes gefunden, das dieser Epoche zuordenbar wäre.

Steinzeitliche Schüssel aus Keramik. Gefunden am Gemeindeberg und ausgestellt im Naturhistorischen Museum. Er wird der Badener Kultur im Zeitraum zwischen etwa 3500 und 2800 v. Chr. zugerechnet. Fotografiert am 14. Jänner 2013 © Archiv 1133.at
<p><b>Steinzeitliche Schüssel aus Keramik</b></p><p>Gefunden am Gemeindeberg und ausgestellt im Naturhistorischen Museum. Er wird der Badener Kultur im Zeitraum zwischen etwa 3500 und 2800 v. Chr. zugerechnet. Fotografiert am 14. Jänner 2013</p><p><i>&copy; Archiv 1133.at</i></p>
Weitere im Naturhistorischen Museum ausgestellte Fundstücke vom Gemeindeberg. Links unten keramische Teile von Spinnwirtel (Handspindel). Fotografiert am 14. Jänner 2013 © Archiv 1133.at
<p><b>Weitere im Naturhistorischen Museum ausgestellte Fundstücke vom Gemeindeberg</b></p><p>Links unten keramische Teile von Spinnwirtel (Handspindel). Fotografiert am 14. Jänner 2013</p><p><i>&copy; Archiv 1133.at</i></p>

Steinzeitlicher Bergbau am Gemeindeberg

Schon im Rahmen früher Grabungen wurde wegen der zahlreichen Hornsteinfunde in der Region, wegen des jungsteinzeitlichen Dorfes am Gemeindeberg und wegen der dort geborgenen Artefakte aus Stein vermutet, dass es hier auch eine umfangreiche Werkzeugproduktion gegeben haben muss, die Waffen und Werkzeuge im Tauschhandel „exportierte“. In der Siedlung selbst wurden jedoch keine Hinweise auf eine größere Werkstätte dieser Art entdeckt. Eine der bis heute offenen Fragen betrifft daher die tatsächliche Herkunft des verwendeten Hornsteins. Weder am Gemeindeberg noch anderswo in Ober St. Veit wurden nämlich (mit Ausnahme des nicht eindeutigen Abbaus am Flohberg) Belege eines bergwerksmäßigen Abbaus des Gesteins gefunden. Sollte er von außerhalb geholt worden sein, vielleicht auch aus dem Lainzer Tiergarten? Dort besichtigten im Jahr 2015 Archäologen in einer Kooperation zwischen OREA/ÖAW und der Stadtarchäologie Wien altbekannte Fundstellen, und im Zuge von Begehungen in den folgenden Jahren wurden weitere Fundstellen (bis dato insgesamt 15) entdeckt. Eine Grabung wurde aber wegen der Vielzahl ehemaliger Steinbrüche (Tiergartenmauer!) unterlassen.

Wirklich bekannt ist im Wiener Raum nur das neolithisch-frühkupferzeitliche „Hornsteinbergwerk“ auf der Antonshöhe in Wien-Mauer (5. Jahrtausend v. Chr.), gerne auch als „Österreichs ältestes Industriedenkmal“ bezeichnet. Aufgrund der geologischen Bedingungen ist aber abzusehen, dass dies nicht die einzige Stelle sein kann, an welcher in prähistorischen Zeiten in unserem Raum Hornstein und vor allem die spezielle Hornstein-Varietät Radiolarit abgebaut wurde.

Ein erster Erfolg zu dieser Frage stellte sich im Jahr 2018 ein. Im Zuge der Verbreiterung eines Waldweges im Rahmen von Waldarbeiten auf dem Gemeindeberg wurde im Jahr 2017 auch ein gewachsener Abschnitt verwitterten Kalkgesteins freigelegt, und zwar nordwestlich der bisherigen Ausgrabungsstätten. Zwei zufällig vorbeikommenden Archäologen fiel auf, dass der gewachsene Stein an einer Stelle künstlich durchbrochen und später mit anderem Material wieder verschüttet worden war. Doch wer sollte sich die Mühe gemacht haben, eine Grube in den Stein zu schlagen? Angesichts des prähistorisch reichen Bodens war ein Hornsteinbergwerk naheliegend.

Archäologische Grabung am Gemeindeberg. Im roten Kreis sichtbar ist der nicht gewachsene, erdige Einschub in der gewachsenen Kalkschichtung. Fotografiert am 8. Mai 2018 © Archiv 1133.at
<p><b>Archäologische Grabung am Gemeindeberg</b></p><p>Im roten Kreis sichtbar ist der nicht gewachsene, erdige Einschub in der gewachsenen Kalkschichtung. Fotografiert am 8. Mai 2018</p><p><i>&copy; Archiv 1133.at</i></p>

Dies fügte sich gut in ein seit 2016 unter dem Titel „BergbauLandschaftWien“ (BLW) laufendes Projekt, das sich der Erforschung der neolithischen Silizit-Abbaustellen in und um Wien widmet. Im Rahmen des Projektes finden nach langen Vorarbeiten nun auch Geländearbeiten in Form von Erkundungen und punktuellen Grabungen statt, bis hin zu einer Kartierung der prähistorischen Landschaft, die sowohl die Bergbaubefunde als auch die Siedlungslandschaft miteinbezieht.

Speziell für die Prospektion am Gemeindeberg formierte sich aus diesem Interessentenkreis ein Team aus Archäologen und Geologen, um diese Vermutung einer Bergbautätigkeit im Rahmen einer zeitlich und räumlich begrenzten Grabung zu überprüfen. Nach einem mühsamen Behördenmarathon, dem sich auch die Stadtarchäologie unterziehen muss, war es im Mai 2018 soweit: Ein interdisziplinäres Team aus Mitarbeitern von Stadtarchäologie, dem Institut für Urgeschichte und Historische Archäologie der Uni Wien und dem Institut OREA von der Akademie der Wissenschaften (dessen Mitarbeiter Dr. Michael Brandl leitete auch die Grabung) deckte die Stelle in einer Größe von rd. vier Quadratmetern auf.

Bald stieß man auf eine Lage rötlichbraunen Radiolarits, allerdings war diese unangetastet geblieben und ihr entlang weiter in den Stein gegraben worden. Offensichtlich war der gefundene Hornstein von nicht ausreichender Qualität, und die steinzeitlichen Bergleute hofften auf besseres Material weiter unten. Der Hautpzweck, nämlich der Nachweis bergbaulicher Tätigkeit am Gemeindeberg, war allerdings erfüllt, und Ende Mai wurde die Grabung beendet. Wie tief die steinzeitliche Grabung ging, welche Methoden verwendet wurden (verwendetes Werkzeug, Materiallockerung durch Feuer etc.) und welche Qualität weiter unten zu finden ist, muss einer späteren Grabung vorbehalten bleiben.

Ein interessantes Ergebnis brachten aber erste 14C-Datierungen, die ein Objekt dem Mittelneolithikum (in Mitteleuropa zwischen 5000 und 4500/4300 v. Chr.) zuordnen. Das past zwar zu dem regelrechten „Bergbau-Boom“, der damals in der Sankt Veiter Klippenregion geherrscht haben dürfte, es passt aber weniger zur Siedlung am Gemeindeberg, deren älteste Datierungen etwa 1000 Jahre später beginnen.

Archäologische Grabung am Gemeindeberg. Univ. Prof. Dr. Gerhard Trnka vom Institut für Urgeschichte und Historische Archäologie an der Uni Wien (ganz rechts) und Mag. Martin Penz von der Stadtarchäologie (dritter von links) und Dr. Michael Brandl von der OREA/ÖAW (dritter von rechts) sowie weitere Mitarbeiter am 30. Mai 2018 © Archiv 1133.at
<p><b>Archäologische Grabung am Gemeindeberg</b></p><p>Univ. Prof. Dr. Gerhard Trnka vom Institut für Urgeschichte und Historische Archäologie an der Uni Wien (ganz rechts) und Mag. Martin Penz von der Stadtarchäologie (dritter von links) und Dr. Michael Brandl von der OREA/ÖAW (dritter von rechts) sowie weitere Mitarbeiter am 30. Mai 2018</p><p><i>&copy; Archiv 1133.at</i></p>
Archäologische Grabung am Gemeindeberg. Abschlussfoto der Grabungsstätte am 31. Mai 2018. Im Kreis zeigen sich die Lagen mit dem rötlichen Radiolarit. Auf der Suche nach besserem Material führte die steinzeitliche Bergbautätigkeit diese Lage entlang weiter in die Tiefe. Die weitere Erforschung bleibt einer zukünftigen Grabung vorbehalten. © Archiv 1133.at
<p><b>Archäologische Grabung am Gemeindeberg</b></p><p>Abschlussfoto der Grabungsstätte am 31. Mai 2018. Im Kreis zeigen sich die Lagen mit dem rötlichen Radiolarit. Auf der Suche nach besserem Material führte die steinzeitliche Bergbautätigkeit diese Lage entlang weiter in die Tiefe. Die weitere Erforschung bleibt einer zukünftigen Grabung vorbehalten.</p><p><i>&copy; Archiv 1133.at</i></p>
Archäologische Grabung am Gemeindeberg. Ein genauerer Blick auf das rötliche Gestein rechts des helleren Jurakalks. 31. Mai 2018 © Archiv 1133.at
<p><b>Archäologische Grabung am Gemeindeberg</b></p><p>Ein genauerer Blick auf das rötliche Gestein rechts des helleren Jurakalks. 31. Mai 2018</p><p><i>&copy; Archiv 1133.at</i></p>
Archäologische Grabung am Gemeindeberg. Teile der Wiener archäologisch-geologischen Prominenz besuchten am 1. Juni 2018 die noch offene Ausgrabung. Erhöht im Hintergrund: Der OREA-Mitarbeiter Mag. Oliver Schmitsberger, der den bedeutsamen Aufschluss entdeckte. © Archiv 1133.at
<p><b>Archäologische Grabung am Gemeindeberg</b></p><p>Teile der Wiener archäologisch-geologischen Prominenz besuchten am 1. Juni 2018 die noch offene Ausgrabung. Erhöht im Hintergrund: Der OREA-Mitarbeiter Mag. Oliver Schmitsberger, der den bedeutsamen Aufschluss entdeckte. </p><p><i>&copy; Archiv 1133.at</i></p>

Die Dimensionen der bisher unterschätzen neolithischen Radiolaritgewinnung wurde durch eine neuerliche Grabung im Oktober 2019 bekräftigt. Im Umfeld der Grabung des Jahres 2018 wurde die südliche Kante des Forstweges in beiden Richtungen über etwa 100 Meter freigelegt und an fast allen Stellen Abschläge und Kerne (Nuclei) gefunden.

Die Flächengrabung am Gemeindeberg. Über eine Strecke von etwa 100 Meter wurde der südliche Rand des Forstweges freigelegt. Fotografiert am 9. Oktober 2019. © Archiv 1133.at
<p><b>Die Flächengrabung am Gemeindeberg</b></p><p>Über eine Strecke von etwa 100 Meter wurde der südliche Rand des Forstweges freigelegt. Fotografiert am 9. Oktober 2019.</p><p><i>&copy; Archiv 1133.at</i></p>
Die Flächengrabung am Gemeindeberg. Von links: Mag. Martin Penz von der Stadtarchäologie, Univ. Prof. Dr. Gerhard Trnka vom Institut für Urgeschichte und Historische Archäologie an der Uni Wien, Dr. Michael Brandl von der OREA/ÖAW (mit einem soeben gefundenen Nucleus in der Hand) und Mag. Oliver Schmitsberger (ebenfalls OREA/ÖAW) am 9. Oktober 2019. © Archiv 1133.at
<p><b>Die Flächengrabung am Gemeindeberg</b></p><p>Von links: Mag. Martin Penz von der Stadtarchäologie, Univ. Prof. Dr. Gerhard Trnka vom Institut für Urgeschichte und Historische Archäologie an der Uni Wien, Dr. Michael Brandl von der OREA/ÖAW (mit einem soeben gefundenen Nucleus in der Hand) und Mag. Oliver Schmitsberger (ebenfalls OREA/ÖAW) am 9. Oktober 2019.</p><p><i>&copy; Archiv 1133.at</i></p>
Der Nucleus im Großformat. Schön sind die Negative der von ihm getätigten Abschläge zu erkennen. Der grüne Farbton ist genauso wie der rötliche typisch für die hier gefundenen Radiolarite. © Archiv 1133.at
<p><b>Der Nucleus im Großformat</b></p><p>Schön sind die Negative der von ihm getätigten Abschläge zu erkennen. Der grüne Farbton ist genauso wie der rötliche typisch für die hier gefundenen Radiolarite.</p><p><i>&copy; Archiv 1133.at</i></p>

Obwohl die diesbezüglichen Forschungen nach wie vor erst am Anfang stehen, gilt es als gesichert, dass hier ein prähistorisches Bergbaugebiet von europäischem Rang vorliegt. Die Anfänge des Wiener Radiolarit-Bergbaus dürften spätestens im Altneolithikum (Linearbandkeramik) gelegen haben, eine Blütezeit scheint er im Mittelneolithikum (Lengyelkultur) erlebt zu haben. Eine offenbar intensive spätneolithische „Nachnutzung“ ist ebenfalls belegt.

Die Ausdehnung des Bergbaugebiets reicht vom Gütenbachtal im Südwesten bis zum Komplex Roter Berg/Girzenberg/Trazerberg im Nordosten und verfügt über seitliche „Ausreißer“ wie Antonshöhe und Baunzen. Das entspricht einem (Kern-)Gebiet von etwa 5,5 Quadratkilometer. Dabei sind jedoch die eigentlichen Abbaustellen nicht isoliert zu sehen, sondern inklusive umgebender regulärer Siedlungen, (temporärer) Spezialsiedlungen und „Sondernutzungsstellen“. Insgesamt handelt es sich um eine infrastrukturelle Bergbauumgebung für Produktion und Distribution, dessen sozioökonomische Dimension erst zu erfassen ist.

Quellen:
Penz, Martin: Die Bedeutung des Gemeindeberges in Wien 13, Ober St. Veit als jungsteinzeitlicher Siedlungsplatz. In: Fundort Wien – Berichte zur Archäologie 10/2007, S. 194–197.
Penz, Martin; Schmitsberger, Oliver: Eine neu entdeckte (neolithische?) Hornsteinhalde im Lainzer Tiergarten/Inzersdorfer Wald in Wien. In: Fundort Wien – Berichte zur Archäologie 19/2016, Seite 144ff.
Schmitsberger_Brandl_Penz_2019_Neu entdeckte Radiolaritabbaue SVK_Archaeologia Austriaca, Band 103/2019, 163–174. 2019: Österreichische Akademie der Wissenschaften, Wien.

hojos
im August 2018, ergänzt im Dezember 2019